Ein Startup auf dem Kunstmarkt kann zum Tanz in den Abgrund werden. Die Pleite droht. Existenz futsch. Einsteiger Fehlanzeige. Viele schrecken vor dem Sprung in die Professionalität zurück. Junge Menschen scheuen das kaum zu kalkulierende Risiko. Zudem steht der Kommerz mit Kunst am Pranger.
Neugründungen von Galerien sind bereits vor der Corona-Krise stetig zurückgegangen. Das lässt sich einem Bericht (der Jahre 2017 bis 2021) entnehmen, der kürzlich im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erschienen ist.
Laut der Studie hat der Kunstmarkt zum Gründungsgeschehen in Deutschland im Jahr 2021 nur mit 1,5 Prozent innerhalb der gesamten Kultur- und Kreativwirtschaft beigetragen. Der Buchmarkt lag, ebenfalls abgeschlagen, mit 2,6 Prozent etwas höher, das Schlusslicht bildet die Rundfunkwirtschaft mit 0,8 Prozent. Der Gründungsanteil der Games-Industrie dagegen: 44,7 Prozent. Mit 50 Milliarden Euro Jahresumsatz sind die Games der Kracher der KKW. Mit über 4.400 neuen Unternehmen ist sie hier der absolute Spitzenreiter. Neugründungen im Kunstmarkt werden mit 150 bis 300 angegeben – was schön gerechnet ist.
Als Ausweg bleiben da Kunsträume, Salons, off-spaces und sonstige non-profit Unternehmungen. Wobei off zunehmend ein Abseits des professionellen Geschäfts mit Kunst in leerstehenden Ladenlokalen meint. In Zeiten der verschärften Kapitalismuskritik hat das den Vorteil des moralisch sauberen Umgangs mit Kunst und den Nachteil ausbleibender Einnahmen. Existenzminimum inclusive. Zeichnet sich hier ein neuer, alternativer Umgang mit dem öffentlichen Ausstellen von Kunst ab?
Ist das bloß ein Notlandeplatz für verhinderte Junggaleristen, oder ein Modell für die Zukunft, um überhaupt Kunst einer interessierten Öffentlichkeit zeigen zu können? Unsere Vorstellungen davon, was eine „Ausstellung“ sein kann, wird hier in Frage gestellt. Performances, Happenings, Environments und mehr verlangen neue Formen der Präsentation und Vermittlung. Klar, Kunst will gesehen werden und sich zeigen. Problem der alternativen Kunsträume, häufig von Künstlern und Künstlerinnen gegründet, könnte die Nische werden. Es könnte auf eine Verengung der Öffentlichkeit auf ohnehin Gleichgesinnte hinauslaufen. Die Kollegeninitiative, auch “freie Szene” genannt, wird dankbar aufgegriffen, führt aber, von der Politik mit Steuermitteln versorgt, zu Rückzug und lnzucht. Die Szene hangelt sich von Förderantrag zu Förderantrag und trifft sich in immer enger werdenden Kreisen.
Eine Studie von Ende 2019 zur Situation der Berliner Galerien brachte ein erschreckendes Bild zum Vorschein: 84 Prozent (also mehr als acht von zehn) bereits etablierter Berliner Galeristen würde mit dem Wissensstand von heute keine Galerie mehr eröffnen.
Die Berliner Galerien und ihr Landesverband lvbg sind alarmiert. Was bleibt zu tun? Vor allem die Mehrwertsteuer auf Kunstkäufe muss auf die Hälfte reduziert werden. Eine Wiedereinführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von 7% für Kunst ist von der Politik mehrfach versprochen, jedoch immer wieder ausgeblieben. Zuletzt im Koalitionsvertrag von Berliner CDU und SPD.
Eine Förderung der Teilnahme von Berliner Galerien an nationalen und internationalen Messen durch die Einrichtung eines Förderprogramms oder eines Fonds aus den Mitteln der Tourismusabgabe mit einem Bewerbungsverfahren soll eingerichtet werden.
Insgesamt ist das Galeriengeschäft in den letzten Jahren mit immer neuen Auflagen und Bestimmungen ausgebremst worden. Der Online-Handel mit Kunst, oder was sich dafür ausgibt ist stark angewachsen, mal zum halben, mal zu vollen Mehrwertsteuersatz. Die Kosten der Künstlersozialkasse sind dagegen gestiegen. Das Kulturgutschutzgesetzt, die Folgerechtsabgabe, die Geldwäscheprävention, die Verpackungsverordnung, das neue Urheberrechtsgesetz belasten die Galerien mit „einem Horror an Bürokratie“, wie eine Galeristin in Köln es ausdrückt.
Zudem wurden den Museen ihr Ankaufsetat für zeitgenössischer Kunst zusammengekürzt.
Wer und was auch immer aus einem Atelier heraus verkauft, kann dies günstiger zum privilegierten halben Mehrwertsteuersatz tun. Auch das schadet den Galerien.
Am Tiefpunkt der Entwicklung hofft man jetzt nach überstandener Corona-Pandemie auf einen Neustart. Die große Öde in diversen online-viewing-rooms hat eine neue Lust auf Kunst in Galerien und auf Kunstmessen spürbar werden lassen, hofft die Branche.
Ob sich damit der Wind drehen lässt?
Bei aller staatlichen Unterstützung wächst das finanzielle Risiko bei Künstlern und denen, die sie vermitteln wollen weiter an. Das wird auch an erster Stelle von 16 sogenannten „Gründungshemmnissen“ genannt. Zu wenig betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Netzwerke, ein Mangel an Zugang zu Kunden und Förderungen sowie das fehlende Polster zur eigenen Existenzsicherung kommen dazu.
Vorschläge an die Politik gibt es viele: Das Gründungsklima müsse verbessert, die finanziellen Rahmenbedingungen optimiert und der bürokratische Aufwand abgeschmolzen werden. Eingeführt werden sollten: Stipendien für Gründungswillige, Weiterbildungsangebote sowie die Förderung von Netzwerken und einer „Entrepreneurship Culture“. Was seitens des Bundes bereits geschaffen wurde, um Jungunternehmern eine Orientierung zu bieten, ist eine Gründerplattform. Doch die ist nicht spezifisch für den Kulturwirtschaftsbereich und schon gar nicht für den Kunstmarkt ausgelegt.
Der Bundesverband Deutscher Galerien BVDG mit Sitz in Berlin ergänzt speziell für den Kunstmarkt – und zwar nicht nur für Gründer von Galerien, sondern für all die fabelhaften Galerien, die schon da sind: bessere Rahmenbedingungen schaffen und strapaziöse Bürokratie abspecken. Ganz oben auf der Dringlichkeitsliste: den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Galerien wieder einführen.
Die unterschiedliche Besteuerung von Künstlern (7%) und Kunsthandel (19%) stelle für jede Galerie eine Zumutung dar und hat schon seit 2014 zu einem Galeriensterben geführt. Durch eine neue EU-Richtlinie ist die Wiedereinführung der Umsatzsteuerermäßigung für Galerien ermöglicht worden, Deutschland muss sie jetzt lediglich nachziehen. Dies ist nicht allein Aufgabe des Bundesfinanzministers. Die Staatsministerin für Kultur und Medien und auch das Bundeswirtschaftsministerium haben den klaren Auftrag, sich für die Belange der Kultur- und Kreativwirtschaft ins Zeug zu legen. „Wir setzen uns für eine starke Kulturszene und Kreativwirtschaft ein, die fortbestehen und erblühen kann.“ So steht es im Koalitionsvertrag, schöner kann man es nicht sagen. Erblühen ist ein schönes Wort.
Doch gleichzeitig fördert die Politik ein ganz anderes Kunstsystem. Eines, das betont marktfern, ja marktfeindlich ist. Wo Markt als Kommerz gebrantmarkt wird, wo Kunstmarktkünstler von Ausstellungskünstlern unterschieden werden und nur solche zu öffentlich geförderten Ausstellungen eingeladen werden, die fern von Galerien und Kunstmessen agieren, läuft eine Galerienförderung leer. Eine Entkoppelung hat hier längst stattgefunden. Eine Karriere, fern vom Kunstmarkt ist vielfach ein Eintrittsbillet und ein Gütesiegel für solche Ausstellungen. Zwei Beispiele aus letzter Zeit. Die docomenta fifteen in Kassel und die Berlin Biennale. Das bewährte Dreieck von Künstler, Galerie und Sammler ist ausgehebelt.
Der größte Kunsthändler der Welt ist IKEA und Gagosian
Auf der anderen Seite ist der Kunstmarkt unter Druck geraten. Er reagiert darauf mit verstärkter Konzentration. Der Druck im Kunstmarkt wächst seitens der Auktionshäuser, durch den Internethandel und einen Generationswechsel. Junge Sammler interessieren sich nicht unbedingt für die Leidenschaft ihrer Eltern und haben durch Erbteilung weniger Geld zu Verfügung.
Die fünf größten Galerien teilen sich geschätzte 70 Prozent des internationalen Umsatzes auf dem Galeriensektor. Voran „King Kunst“ Larry Gagosian. Er kann seinen Künstlern weltweit mehr Ausstellungsfläche bieten als etwa die Münchner Pinakothek der Moderne oder die Tate Modern in London. Geboren 1945 in Los Angeles als ältester Sohn armenischer Immigranten, kam er erst mit Anfang 30 zum Kunsthandel. Heute ist er die „Verkaufsmaschine“ (Financial Times). In jüngster Zeit hat der unverheiratete, kinderlose Galerist öfter seine Privatsammlung ins Spiel gebracht. Ein Gagosian Museum of Contemporary Art könnte Mitbewerber vor Neid blass werden lassen. Zu seinen 17 Ausstellungsräumen in Städten rund um den Globus wird „Go-Go“ einen neuen Standort eröffnen. Im ersten Pariser Arrondissement, in der Rue de Castiglione 9, wird die Galerie nächsten Monat eröffnet. Seinen dritten Pariser Standort beschreibt Gagosian als „ein wichtiges Zentrum für moderne und zeitgenössische Kunst in Paris, und dieser Raum wird die wichtigen Bemühungen von Museen und Stiftungen in der Stadt der Lichter ergänzen“.
David Zwirner, der zweitgrößte Galerist, betreibt sechs Galeriefilialen in bester Lage: etwa New York, London, Hong Kong, Paris. Galerie Pace (1960 von Arne Glimcher gegründet) hat Standorte in New York, London, Peking, Menlo Park, Hongkong, Paris, Palo Alto und Seoul Nara. Galerie Emmanuel Perotin führt neben seinem Standort Paris Galerien in New York, Hongkong, Seoul und Tokio. Hauser & Wirth hat Niederlassungen in New York, Los Angeles, Zürich, Somerset und Gstaad. Die Schweizer Galerie hat sich zudem auf Estates spezialisiert. Sie betreut über zwanzig Nachlässe internationaler Größen wie Hans Arp und Sophie Täuber-Arp , Max Bill, Louise Bourgeois, Geta Brătescu, Alexander Calder, Eduardo Chillida, Günther Förg, Rodney Graham, Philip Guston, Eva Hesse, Mike Kelley oder Maria Lassnig.
Auffällig ist hier, keine der big five denkt daran, in Deutschland eine Filiale zu eröffnen. Selbst auf der größten Kunstmesse in Deutschland, der Art Cologne, nimmt längst keine dieser Galerien mehr teil.
Allmählich wird die Marktdominanz aber zum Problem. Mega-Galerien sind so mächtig, dass sie den kleineren Konkurrenten das Wasser abgraben. Diese kämpfen ohnehin schon mit kaum bezahlbaren Mieten in attraktiven Gegenden und teure Standmieten auf den Messen. Der Kunstmarkt ist ein Spiegel der weltweiten Vermögensverteilung, die Mittelschicht bricht weg und damit jene Sammler, die früher bei kleineren Galerien junge Talente einkauften. Wenn es keine aufstrebenden Galerien mehr gibt, wer baut dann künftig noch Künstler auf?
Normalerweise läuft es nämlich so: Eine kleine Galerie kümmert sich um die Karriere eines jungen Künstlers, bis er von einer größeren übernommen wird, so geht es weiter nach oben. Vergangenes Jahr auf dem Art Leaders Network, einem Gipfeltreffen der Branche, wurde David Zwirner (1964 in Köln geboren) gefragt, ob er sich für den Niedergang kleinerer Galerien verantwortlich fühle. Zwirner sagte, er habe das Gefühl, dass etwas mit dem gegenwärtigen System nicht stimme, und deshalb vor, die Kleineren zu unterstützen. Etwa indem er künftig höhere Gebühren für Messen zahle, um die Teilnahme der kleineren Galerien zu subventionieren. Der deutsche Kunstmarkt ist für ihn kaum noch von Bedeutung. Senior Rudolf Zwirner über seinen Nachwuchs: „Meinen Sohn David interessiert keine Stadt in Deutschland als Standort für seine Galerie.“ Er sei daher in London und Paris. „Die wirklich großen Sammler aus Deutschland kaufen dort. Neuerdings auch in Hongkong.“ Der deutsche Kunstmarkt habe „für die großen, internationalen Galerien nur wenig Bedeutung.“ Auch wegen der viel zu hohen Mehrwertsteuer in Deutschland. Im Ausland sind es im Schnitt sieben Prozent weniger. „Mit Künstlersozialabgaben liegen wir im Schnitt bei 25 bis 30 Prozent, die in Deutschland auf ein Bild oben drauf kommen.“
Ab ins Netz
2017 eröffnete David Zwirner seine erste virtuelle Kunstausstellung, einen „Online Viewing Room“ auf der Webseite seiner Galerie. Kaufen per Klick. Auf der Art Basel 2019 präsentierte Zwirner einen Teil des Angebots in der Halle, den Rest im Internet, dort reichte die Preisspanne bis 1,8 Millionen Dollar. Insgesamt wurde 2018 Kunst im Wert von mehr als 4,6 Milliarden Dollar übers Internet verkauft. Die Zahl der verkauften Werke lag in der ersten Hälfte 2019 über 50 Prozent höher als im Gesamtjahr 2018. Über die Hälfte der Anfragen seien Neukunden.
Lucas Zwirner ist hier für das wachsende Online-Geschäft zuständig. In sozialen Medien, etwa auf der Fotoplattform Instagram, hat die Galerie bereits mehrere hunderttausend Abonnenten. Die großen Galerien wandeln sich zu Medienunternehmen. Sie veröffentlichen Bücher und Magazine, drehen Kurzfilme über ihre Künstler, produzieren eigene Podcast-Formate. Die erste Staffel des Zwirner-Podcasts wurde 280.000 mal heruntergeladen – ein gewaltiges Potenzial. Zwirner junior sagt, das seien „mehr als die Gesamtzahl der Besucher einer Galeriefiliale im gesamten Jahr“.
What next?
Die Art Düsseldorf kann in diesem Jahr vielen jungen Galerien zum Sprung auf den Kunstmarkt helfen. In der Sektion NEXT erhalten 12 Galerien, die weniger als zehn Jahre existieren, eine Chance zur Teilnahme auf diesem Kunstmarkt. 11 davon sind „Neuzugänge“, freut sich Messechef Walter Gehlen. Also Galerien, die sich zum ersten Mal auf di Düsseldorfer Messe wagen. Ermöglicht wird das durch eine Förderung seitens der Art Düsseldorf und das Förderprogramm Neustart Kultur des BMK.
25 qm große Kojen kosten die Teilnehmer hier noch 3000 Euro. 60 Prozent werden durch die staatliche Förderung übernommen. „Damit junge Galerien entstehen, braucht es eine Kunstmarktstruktur, die Neugründungen mitträgt. Es ist unsere Aufgabe, ambitionierte, neue Galerien zu gewinnen, die auf dem Kunstmarkt arbeiten wollen“, sieht sich Gehlen in der Verantwortung. Außerdem: „Junge Galerien ziehen junge Sammler an.“
C. F. Schröer
Art Düsseldorf 2023 / Sektion NEXT / Künstler*innen
• Galerie Noah Klink (Berlin): Gerrit Frohne-Brinkmann und Josefine Reisch
• Galerie Russi Klenner (Berlin): Oska Gutheil (Einzelpräsentation)
• Office Impart (Berlin): Hannah Sophie Dunkelberg, Pola Sieverding, Jagoda Bednarsky
• boa-basedonart (Düsseldorf): Julie Oppermann und Joel Stevenett
• Claas Reiss (London): Magnus Frederik Clausen (Einzelpräsentation)
• Shore Gallery (Wien): Luca Ilic, Richard Nikl und Dan Vogt
• Robert Grunenberg (Berlin): Stefan Knauf (Einzelpräsentation)
• Galerie Anton Janizewski (Berlin): Rebekka Benzenberg , Monika Grabuschnigg
• Emami Art (Kolkata): Arpita Akhanda, Debashish Paul und Ujjal Dey
• Lucas Hirsch (Düsseldorf): Dorota Gawęda, Eglė Kulbokaitė und Kinke Kooi
• Encounter (Lissabon): Nicolas Feldmeyer (Einzelpräsentation)
• Livie Gallery (Zürich): Austin Eddy, Anya Kielar, Johannes VanDerBeek, Michael Sailstorfer
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