Vom Bentley S1 zur Sozialen Plastik

Beuys ersteht einen Baentley und kleidet einen Konzertflügel in Filz, Düsseldorf 1966

Beuys fuhr Bentley. Er fuhr ihn 20 Jahre lang und ließ sich gerne damit fotografieren. Beuys und der Luxus-Schlitten, das ist eine der vielen spannenden, oft erzählten Beuys-Geschichten. Doch was hat ausgerechnet der protzstolze S1 aus der Kölner Bankiersfamilie Oppenheim mit der Sozialen Plastik am Hut?

Beuys ist 45 Jahre alt als er das Auto kauft. Ohne Umschweife betritt er Anfang 1966 Auto Becker, Düsseldorfs feinstes Autohaus. „Guten Tag, ich möchte einen Cadillac oder Rolls-Royce kaufen.” Da Becker keine entsprechende Karosse zu bieten hat, der Neukunde auch nicht unbedingt wie ein Autokenner aussieht, lenkt er dessen Blicke auf einen Bentley. Den seltenen S1 hatte sich Baron Oppenheim 1959 zugelegt und Becker zum Weiterverkauf an die Hand gegeben. Beuys ist sofort überzeugt, zieht ein Kuvert aus dem Regenmantel und bezahlt die aufgerufenen 25.000 Mark aus der Tasche.

 

Auch innen schön. Bentley S1 mit Sonderausstattung

Diese außergewöhnlich repräsentative sechzylinder Luxuslimusine, grün-schwarze Speziallackierung, beige Lederpolster, scheint so gar nicht zum Werk von Joseph Beuys zu passen. Filz und Fett, Honig und Hase scheinen wenig mit Chrom und Hochglanzlack des neuen Fahrzeugs vereinbar. Die schrundige, ranzige Beuysästhetik und die noble Luxuskarosse wollen nicht unter einen Hut. Und doch, der Bentley ist ein Teil des Beuys´schen Werks. An diesem Automobil lässt sich sogar gut verdeutlichen, worauf Beuys mit seiner Kunst hinaus wollte.

Beuys stand auf „höchste Qualität“ und schätze gleichzeitig einfache Dinge. Der einfachste Schemel musste gut gemacht sein, jeder Handgriff sitzen. Der Bentley, in  Crewe/Cheshire gebaut (seit 2002 hat Bentley Motors Ltd. hier ihren Firmensitz), ist kein Kunstwerk an sich, trägt allerdings wie alles andere auch ein Potenzial in sich, zur Plastik zu werden. Vorausgesetzt er durchläuft einen Transformationsprozess. Das solide Auto imponierte Beuys sicher sehr und es forderte ihn heraus: Das Luxusauto umschmelzen in eine soziale Plastik. Vermutlich war es Beuys´berühmte Intuition, die das Potential des Wagens augenblicklich aufscheinen ließ.

 

Beuys vor Bentley, Foto Ulrich Horn, 1971

Seine frühen Arbeiten nannte Beuys „Vehikel-Art“. Sein plastisches Denken zielt darauf, Skulpturen von einer festen Form in Bewegung und Energie zu überführen. Das führt zu einer Kunst in Bewegung, Aktionskunst. So gesehen wird das Fahren im Bentley zur Aktion und der Fahrer Bestandteil einer Bewegungs-Aktion.

Schon seine eigene Geburt begreift Beuys als Aktion. In seinem „Lebenslauf/Werklauf“ setzt er die künstlerische Aktion mit dem persönlichen Erlebnis in eins. „1921 Kleve Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde.“ So die erste Eintragung. Da sollte ausgerechnet der gezielte Autokauf ohne Zusammenhang mit der Sozialen Plastik sein?

Gerade bei Beuys sind Kunst und Leben, Künstlerpersönlichkeit und Werk nicht voneinander zu trennen. Ohne Frage, selbst der Bentley gehört ins Beuys Werk. Bloß hat man das bisher noch nicht so gesehen.

Vor dem Bentley fuhr Beuys Cadillac. Den allerdings fuhr er auf der Autobahn zu Schrott und überlebte auch diesen Unfall. Auch das eine Aktion. Den Seitenspiegel konnte er damals von der Unfallstätte retten, um ihn in ein Environement einzubauen. Alles kann Plastik werden, Rückspiegel, Auspuffrohre, ganze Autos.

Statussymbol, männliches Angebertum? Beuys besaß ein anderes Verhältnis zu seinem Schlitten als viele seiner Künstlerkollege wie etwa Marinetti, Picabia, Fuchs oder Lüpertz. Johannes Cladders erinnert sich: „Er liebte zwar große Autos prominenter Fabrikate, doch hinterm Steuer zu sitzen, überließ er ebenso gerne auch anderen“. Also holte ihn der junge Museumsdirektor im Sommer 1967 am Drakeplatz 4 ab, um ihm das Haus in der Mönchengladbacher Bismarckstraße zu zeigen. So kam Cladders zwar um eine Fahrt im Bentley S1 herum, doch Beuys zu seiner ersten Museumsausstellung.

Cladders erkannte als erster ein eigenartiges Phänomen. „Ich habe dies später immer wieder beobachten können, dass Beuys durch seine Natürlichkeit die Menschen sehr schnell für sich einnahm. Beuys ja, doch seine Kunst nein… Dabei versuchte Beuys doch immer wieder, den Menschen ihre merkwürdige Angst zu nehmen. Das tat er auch mit Humor, denn er lachte gern.“

Als Beuys den Bentley kaufte, war er alles andere als ein Star, noch war er irgendwie reich. Der Durchbruch kam erst ein Jahr nach dem Kauf. 1967 übernahm der Darmstädter Industrielle Karl Ströher auf Vermittlung von Franz Dahlem und Heiner Friedrich Werke aus Joseph Beuys‘ Ausstellung im Museum Mönchengladbach. Er sicherte sich über Jahre Zugriff auf die weitere Produktion und verpflichtete sich, alle Werke geschlossen öffentlich auszustellen. Der Darmstädter »Block Beuys« nahm in Mönchengladbach seinen Anfang.

 

Charlotte Moorman, Nam June Paik und Beuys beim Konzert 1966

1966, die hohe Zeit von Fluxus (“Kunst ist das Leben”) war angebrochen. Charlotte Moorman und Nam June Paik geben am 28. Juli in der Aula der Kunstakademie Düsseldorf ein „Konzert“. Plötzlich greift Beuys ein. Er beginnt einen Konzertflügel, den er zuvor in graubraune Filzdecken eingenäht hatte, in die Aula hineinzuschieben. Der Flügel wog schwer, die Türe war eng. Als der Flügel endlich in Position gebracht war, näht Beuys ein rotes Kreuz auf und stopft sich Bienenwachspfropfen in die Ohren. Auf eine Schultafel schreibt er „IN DAS ZIMMER DES CONTERGANKINDES EINGEDRUNGEN HILFT IHM DIE MUSIK DER VERGANGENHEIT“. An diese Worte fügte er zwei Fragezeichen an, eine Zeile darunter noch einmal fünf Fragezeichen. Auf einen zweiten Teil der Schultafel schreibt er DAS LEIDEN / DIE WÄRME / DER KLANG / DIE PLASTIZITÄT.

 

Konzertflügel in Bewegung, Beuys in Aktion: Infiltration Homogen für Konzertflügel, der größte Komponist der Gegenwart ist das Contergankind

Die Aktion bleibt wie so Manches am Beuys´schen Werk zunächst rätselhaft. Beuys erklärt es gerne später. „Nein, da habe ich mal gar nichts an Tönen auf dem Klavier produziert, weil das Klavierspiel sich selbst isoliert hatte und ich ja auch gegenüber dem Piano isoliert war. Das war der Sinn, dass da ein anderer Ton erzeugt wurde, ein Innenton. (…) Der Ton als Kontinuum, als Zeitelement, aber kein physisch hörbares Ding. Nur die Kontinuität und das Homogene.“

Den Flügel habe er mit Filz umhüllt, um zu zeigen, dass so „ein Piano auch ein Innenleben hat. Durch die Schicht von Filz ist alles, was nach außen drängt, gebremst.“ Es ging ihm darum, „dass man den Nicht-Ton als Ton erlebt, das ist ja der Sinn. Das hat ja eine gewisse Nähe zu einem Tier. Das hat ja eine Haut, und innen ist ein Seelenleben, nehmen wir mal an, ein Ton, auch wenn das Tier nicht schreit. Das Tier hat immer einen Seelenton, eigentlich auch ein Mensch. Also dieser Ton als nichtphysischer Ton, das war gemeint.“

Welchen nichtphysischen Ton besaß sein Bentley? Beuys muss ihn gehört haben, als er ihn kaufte. Er erkannte die hohe Qualität des Autos als Wirtschaftswert und als plastischen Wert in einem. Er gab Gas, fuhr los, um Impulse zu geben in Richtung Leben, Wärme, Zeiterfüllung.

 

Statussymbol, Familienkutsche, Kunstobjekt. Familie Beuys im Bentley 1970, Foto Robert Lebeck

1966 entwickeIt Beuys, zuerst im Grillo-Gymnasium Gelsenkirchen, sein Manifest “Jeder Mensch ist seiner Natur nach ein Künstler”, zunächst ein Aufruf an die Schüler,  das eigene Potenzial wachzurufen. Im Laufe des Sommer 1966 machte Beuys zusammen mit Per Kirkeby und beider Ehefrauen eine imaginäre Reise in das Örtchen Manresa in den Pyrenäen. Kirkeby schrieb später über diese Reise, Beuys machte daraus die Aktion MANRESA. Das Dorf steht für die spirituelle Transformation, für Umkehr und Erleuchtung von Ignatius von Loyola, der hier 1521/22 mehrere Monate der Einkehr verbrachte, bevor er sein Buch exercitia spiritualia (Geistige Übungen) schrieb. Das Buch folgt dem Gedanken, dass Eingebung eine höhere Form der Vernunft ist, eine Einsicht, der auch Beuys zeitlebens anhängen sollte und die auch beim Bentley-Kauf eine Rolle spielte.

Als Alfred Schmela die Kündigung für seinen Galerieraum von der Stadt Düsseldorf erhalten hatte gab es zum Abschied eine letzte Aktionsreihe unter dem Namen „Hommage à Schmela“. Otto Piene, Sigmar Polke, Konrad Fischer-Lueg, John Latham, Heinz Mack, Joseph Beuys (mit Bjørn Nørgaard und Henning Christiansen) und Gerhard Richter lieferten Beiträge. Beuys gab am 15. Dezember das Finale mit MANRESA. Auch hier ging es um die Produktion, die Weiterleitung oder die Speicherung von Energie. Beuys hatte eine plastische Ecke aus Filz, eine andere aus Fett in den Galerieraum eingebracht. Er begann die Aktion, indem er ein halbiertes Filzkreuz vervollständigte. Dann begab er sich auf die Suche nach Korrespondenzen zwischen Kreuz und einer Holzkiste. Aus der Kiste brachte er schließlich eine Apparatur zum Vorschein, die u.a. aus einer LKW-Batterie und einem Hochspannungsgenerator bestand, setze sie in Betrieb, bis die Funken sprühten.

MANRESA bei Schmela Dezember 1966

Wir wissen nicht ob die Vier in Beuys´Bentley nach Manresa gefahren sind. Jedenfalls schätzte Beuys sein Auto überaus und behielt es bis zu seinem Tod 1986. Als er seinen Wagen im Herbst 1971 sicher bis in Neapel gesteuert hatte, Lucio di Amelio hatte ihn nach Capri eingeladen, wollte Beuys sich in seinem Hotel erstmal ein frisches Hemd anziehen, bevor er sich an den Aufbau seiner Ausstellung in Amelios Modern Art Agency im zweiten Stock des noblen Palazzo Partanna an der Piazza dei Martiri machen wollte. Schon war der schöne Bentley futsch. Beuys war entsetzt und protestierte bei Amelio. Die Ausstellung stand auf dem Spiel. Amelio wählte also die entsprechenden Telefonnummern, keine zwei Stunden später stand das Auto wieder an Ort und Stelle. Die Ausstellung konnte am 13. November eröffnet werden. 130 Beuys-Zeichnungen und Konzepte aus der Sammlung Lothar Schirmer wurden erstmals in Italien vorgestellt. Vor allem das Plakat zur Ausstellung hat überlebt. Es hing unten im Schaukasten. Beuys vor dem Eingang der Villa Orlandi auf Anacapri, wie er mit entschlossener Mine auf den Betrachter zu marschiert. „La rivoluzione siamo Noi“  (Wir sind die Revolution) hat Beuys in seiner unverkennbaren Handschrift drunter gesetzt.

Redaktion: Anke Strauch

 


 

Aus der Aktion von 1966 ging die Installation Infiltration – Homogen für Konzertflügel hervor, die im Rahmen der Prospect ’68 in der Kunsthalle Düsseldorf gezeigt wurde. Der in Filz eingepackte Flügel wurde 1976 von der Galerie Rudolf Zwirner an das Centre Georges-Pompidou in Paris verkauft. 1979 war er mit weiteren Objekten in der Beuys-Retrospektive des Solomon R. Guggenheim Museum in New York zu sehen.

Nach Beuys´ Tod landete der Bentley abermals bei Auto Becker, kam Helge Achenbach vorbei, sah es und kaufte den Oldtimer vom Fleck weg. Achenbach ließ sich mit dem Auto gerne sehen und hat es auf seine Weise geliebt. Dann geriet es neben rund 2000 Kunstwerken in die Konkursmasse. Auf der Versteigerung hat Frank Rickert, Gründer und alleiniger Gesellschafter von Mechatronik, den Bentley erworben. In Pleidelsheim steht das Fahrzeug seitdem zum Verkauf, die Nachfrage ist dürftig. Liegt es am Faltdach, das Beuys einst einbauen ließ, den Oltimerfreunden ein Greuel? liegt es am Preis von knapp 150.000 Euro? Wir wissen es nicht. Gemessen an Relikten, Plastiken oder gar Installationen des Künstlers ist es ein Schnäppchen immerhin.

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