Die Kunst hat überlebt. Der Kunstpalast in Düsseldorf zeigt Werke von 13 Künstlern aus der DDR

Weder Utopie, noch Untergang

Die Welt als Bühne und Requisitenkammer. Werner Tübke, Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten, 1972

30 Jahre Mauerfall. Der Gedenkveranstaltungen sind in diesem Jahr viele: Wir gedenken der ideologischen Spaltung in bundesrepublikanischen Westen und sozialistischen Osten, wir feiern mit dem Mauerfall das Ende zweier einander feindlichen Ideologien in Form zweier deutscher Staaten.

Das ist ein historisches Gedenken, gewiss. Aber dieses Gedenken ist auch ein kulturelles: Wie sah der Unterschied dieser Ideologien in der Kunst aus, welche Gestalt nahm er an? Die Entwicklung im Westen ist bekannt: Die Übernahme der abstrakten Malerei aus den USA, die Entwicklung einer sehr breitgefächerten Kunstszene mit unterschiedlichsten abstrakten Positionen. Der Westen malte nicht mehr gegenständlich, Objektbezug tauchte erst mit dem Siegeszug der Pop Art wieder auf, und dann, in den 80er Jahren mit bunter, schriller Figuration und der Wiederbelebung der klassischen Genres Landschaft, Interieur, Historienbild.

Ganz anders der Osten: Kunst war Propaganda, Dienerin der herrschenden Partei. Bilder sollten eine Botschaft haben, Eindeutigkeit und schnelle Lesbarkeit waren gefordert. Eine Unvereinbarkeit der Positionen also. Oder etwa nicht?

Cornelia Schleime, o.T., 1986, Privatleihgabe

In Düsseldorf gibt es jetzt einen Beitrag des Westens zur Feier: Eine umfangreiche Ausstellung von Malerei aus den Zeiten des DDR-Staates, als die Überwindung von Ideologien noch in weiter Ferne lag. Die großen Namen der Ostkunst sind im Kunstpalast versammelt: Willi Sitte, Bernhard Heisig, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer – allesamt Staatskünstler von hohen Gnaden, hin und wieder auch widerspenstig, aber niemals widerständig. Sie waren Akademieprofessoren und Aushängeschilder des Staates, hatten künstlerisch und persönlich mehr Freiheitsraum als andere Künstler. Nicht alles, was sie malten, wurde goutiert. Aber wenn es nicht goutiert wurde, wenn die Partei die beschworenen Ziele und Werte nicht verkörpert sah, wurde das moniert, führte aber nicht zu Konsequenzen existenzieller Art. Sie blieben Privilegierte.

Dann gibt es noch die anderen. Die, die nach und nach gingen, die spätestens nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 gehen wollten, als allen dämmerte, dass der bisher beschrittene sozialistische Weg mitnichten ins Menschheitsparadies, sondern in ein gesellschaftliches und ökonomisches Desaster führen würde.  A. R. Penck und Cornelia Schleime etwa gehörten zu denen, die gingen: A.R. Penck  im Jahre 1980, Cornelia Schleime 1984. (Gerhard Richter, in Dresden geboren, war schon weg, er lebte, wie zahlreiche andere „Republikflüchtlinge“, seit 1961 in Düsseldorf.)

Sterbender Krieger. Gerhard Altenbourgs Ecce homo I aus dem Jahr 1949                                                                                                                                                   

Diese kurze Übersicht zeigt: DDR-Kunst als politisches Medium der Volkserziehung gibt es hier nicht. Die Doktrin der staatstragenden Partei wurde sicherlich von vielen Künstlern brav und voller Überzeugung exekutiert. Solche Beispiele werden nicht präsentiert. Mit Recht, denn hier handelt es sich um Kunst und nicht Exempel politischer Gesinnung.  Beschränkung und Auswahl  der Ausstellungsmacher überzeugen.  Die 13 vorgestellten Künstler ließen sich offenbar nicht in ein enges politisches und künstlerisches Korsett zwängen: Nicht nur die Ausgereisten, nein, auch die Künstler der Nische und – für viele „Westler“  wahrscheinlich überraschend – selbst die Staatskünstler malen beeindruckende Bilder abseits des Sozialistischen Realismus.

Staatskunst als Große Kunst

A.R. Penck, Der Übergang, 1963, eine Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung

Die großen Meister der beiden Akademien in Leipzig und Dresden, die so prägend für die Kunstszene der DDR waren – und Einfluss auch auf Akademien und Galerien des Westens nahmen –  Bernhard Heisig, Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und, natürlich, Werner Tübke werden im Museum Kunstpalast in monografischen Räumen gezeigt. Man wandelt von Tübke zu Heisig zu Sitte zu Mattheuer zu Hampel zu Schleime zu Penck.  Frühe Penck´sche Strichmännchen-Choreografien werden als antiker Triumphzug erlebt: So in „Der Sturz“ von 1960, das an den Personenkult um Stalin erinnern soll, grandios in der malerischen Reduktion und Stärke der Aussagekraft. Sehr schöne Beispiele totaler bildlicher Verknappung und bildlichem Widerstand gegenüber der Doktrin des Sozialistischem Realismus.

Die Ausreißer sprachen künstlerisch eine andere Sprache: Klarer, ironischer, reduzierter – „formalistischer“, ein Eigenschaftswort, das in der DDR nicht von ungefähr gleichbedeutend war mit kapitalistischer Kunst des Klassenfeindes. Und dann gab es noch die, die auf einem bescheidenen Niveau jenseits der Staatskünstler mehr oder weniger in einer Nische in der DDR überlebten: Politisch vielleicht auf Linie, aber künstlerisch sehr weit von den gegenständlichen und realistischen Doktrinen entfernt wie Gerhard Altenbourg oder Carlfriedrich Claus (der sich immer als überzeugten Kommunisten verstand). Altenbourg umspielt zeichnerisch Figuren, feiert aber immer die Linie, den Strich. Claus wählt das kleine Format, das grafische Medium und die Zeichnung, nahezu objektfreie Darstellungen von hoher ästhetischer Dichte und Wirkung, denen die Herkunft aus östlichen Gefilden nicht anzumerken sind – eher denkt man an Wols oder an Cy Twombly.  Ganz anders, von Dresden geprägt,  im mythologischen Themenkreis der weiblichen Emanzipation malend und zeichnend,  kommt Angela Hampel daher: Mit starken Frauen in starken Kompositionen, den Jungen Wilden westdeutscher Provenienz mehr verwandt als anderen Ostkünstlern.  Die Nische ist unpolitisch, auch wenn manche Bildtitel (vor allem bei Claus), ironisch überhöht, vom Gegenteil künden.

Großartige Bildwelten – seltsam eingehegt

Eindrucksvoll ist die geballte Bilderkraft der Künstler in ihren Kabinetten, aber trotz der Qualität der Einzelwerke – mit Verlaub –  ein wenig langweilig: Warum nicht einen Tübke mit einem Penck konfrontieren? Warum nicht einen Heisig einer Hampel gegenüberstellen? Es sind großartige Bilderwelten versammelt, die sich in unterschiedlichen Kontexten behaupten würden. Hier wirken sie eingehegt, als ob der Mut dann doch gefehlt hätte, dem einzelnen Bild zu vertrauen: Ein Tübke braucht nicht sechs weitere Tübkes um sich herum, um zu fesseln, um Staunen zu machen, um die Lust der Enträtselung des Dargestellten und der Entdeckung von Finessen der Komposition zu evozieren. Jedes Einzelwerk hier füllt den Raum: Sei es der „Weisse Terror in Ungarn“ um 1957, „Die Lebenserinnerungen des Dr. Jur. Schulze II“ von 1965 oder das „Happening in Pompeji“ von 1980. Alle sind große Panoramen, weit eher Menschheitsbilder denn ideologische Schautafeln.

Das Gleiche gilt für die vollkommen andersgearteten Malwelten von Heisig und Sitte: Sitte mit einer physischen Wucht, die den Betrachter anspringt, gemalte Körper, die sich drehen, sich winden, voller Kraft, und doch nichts anderes Feiern als Farbe, Form und den Akt des Malens. Wie etwa in „Drei Akte mit Früchten“ von 1967, aber auch bei Darstellungen aus der Arbeitswelt  wie „Nach der Schicht im Salzbergwerk“ von 1983. Anders, doch ebenso farbversessen Heisig: Hier entschwindet die Physis zum Teil in der Farbe, der Auftrag selbst löst die Kontur auf und entwirft doch den Proträtierten als unversehrte Figur auf der Leinwand (wie im Porträt Helmut Schmidts von 1986): Ein Spiel von Menschendarstellung und dargestelltem Mensch, aufgelöst und neuentstanden im künstlerischen Prozess. Nicht verrätselt, nicht feinsinnig, nicht mit leiser Eleganz wie bei Tübke, sondern mit großer Mal- und Malergeste aus- und aufgeführt. Beeindruckend sind sie alle.

Mattheuers manchmal stereotyp wirkendes Figurenprogramm fällt trotz der traumatisch-surrealen Bilderwelten etwas ab. Aber auch hier sind gute Bilder zu entdecken, wie das Bild „Erschrecken“ von 1977 oder die „Schrebergärten und Neubauten (Neumark im Vogtland)“ von 1972, in dem Schrebergärten mit Menschen im Spielzeugformat übermächtigen, wie eine Drohgebärde die Landschaft überragenden, Häusern entgegenstehen: Abbild einer leeren und entseelten Welt, meilenweit von einer Feier des sozialistischen Alltags entfernt. Die Figuren im Bild „Erschrecken“ scheinen diese Leere durch ihre Mimik und Gestik zu kommentieren.

Leider tut die farbige Wandgestaltung, die der Kurator Steffen Krautzig wählte, den Werken nicht gut, widerstreitet sie doch oft den Farben der Bilder. Und die abgerundeten Ecken der Farbfelder lassen die Hintergrundfarbe wie ein Foto erscheinen, das die Bilder trägt. Warum? Die Bilder haben das nicht nötig. Wie angemessen eine durchgehend weiße Optik bei Malerei sein kann, lässt sich Erdgeschoss in der gleichzeitig stattfindenden Ausstellung mit Großformaten von Norbert Tadeusz erleben – eine wohltuende Reduktion des Arrangements. Auch die Saalzeitungen, die die Monografien der jeweiligen Künstler betexten, sind typografisch arg groß geraten.

 

Schwarz und Weiß auf Blau. Frühe Abstarktion von Hermann Glöckner aus dem Jahr 1957, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

 

Gibt es DDR-Kunst überhaupt?

Es gibt die mehr oder weniger politische Kunst, in der die Botschaft eindeutig ist und die erzieherische Funktion hat. Die wird hier nicht gezeigt. Es gibt die Staatskünstler, deren Kunst keine eindeutige politische Botschaft hat. Es gibt die unpolitische Kunst, die klassische Motive gestaltet und westliche figurative Strömungen aufnimmt wie etwa der Dresdener Künstler Wilhelm Lachnit mit Stillleben und Porträts, so der „Gliederpuppe“ von 1948, die Leipziger Künstlerin und Dozentin Elisabeth Voigt mit an der Klassischen Moderne orientierten Bilderwelten wie in „Die Missvergnügten“ von 1956/57, einem Bild, in dem Existenzangst und Verzweiflung personalisiert werden, oder, Dekaden später, Angela Hampel in ihren mythologisch betitelten Frauenbildern wie zum Beispiel  der „Medea“ von 1985. Es gibt abstrakte Positionen wie die von Hermann Glöckner, der Tachismus und geometrische Abstraktion konsequent vertritt – um den Preis immer schlechter werdenden Ausstellungs- und Arbeitsbedingungen. Es gibt die braun- und grautonigen, halbabstrakten Bilder Michael Morgners, der sich an der deutschen Geschichte abarbeitet – und mit diesem wiederkehrenden Thema Anselm Kiefer näher ist als irgendeinem seiner DDR-Malerkollegen.  Und dann gibt es die Kunstwerke von Cornelia Schleime: überzeugend durch Präzision, ironische Geste, kreative Zuspitzung wie im Bild von 1986 „Der Osten ist Grau, der Westen hat auch etwas Farbe“. Oder die Nachwendecollagen ihrer Stasi-Akte als 15teilige Serie von 1993, hier wird die Auseinandersetzung mit dem Staat, der war, selbstironisch und entlarvend zugleich. (Titel: „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit. Nr. 7284/85“).

Weder Utopie, noch Untergang

Ganz schön akademisch. Wilhelm Lachnits Gliederpuppe von 1948. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Von Beispielen der Post-DDR-Kunst durch DDR-Künstler hätte man sich ein paar mehr gewünscht: Was wird aus der Leipziger Schule, was aus der Dresdener Tradition? Bei Betrachtung der Tübke-Bilder ist Neo Rauch nicht fern …. Kunst mit dem Ende eines Regimes enden zu lassen, heißt aber, die Anbindung an Politik und Staatsform zu postulieren. Wie alle künstlerisch Strömungen waren auch die wichtigen Strömungen innerhalb der DDR in ihrer Wirkung nicht auf das Staatsgebiet beschränkt: Es gab immer Austausch über alle Grenzen hinweg, teilweise gegen Widerstände, teilweise aus Devisengründen erwünscht. Für Kunst gibt es keinen geschlossenen geografischen Raum. Der Umraum ist immer da, auch in nichtdemokratischen, nicht rechtsstaatlichen Regimen, die eine kulturelle Abschottungspolitik betreiben. Und das gilt ebenso für die Zeit. Auch hier bilden sich immer neue Anknüpfungspunkte, Fortsetzungen und Entwicklungen.

Die Kunstwerke und Künstler sollen in ihrer Eigenständigkeit quasi „unideologisch“ erlebbar werden. Das gelingt. Der pathetischen Ankündigung von „Utopie und Untergang“ folgt dann doch eine beeindruckende Ausstellung. Was nicht folgt, ist eine Auflösung des Titels. – Soll mit Utopie die Doktrin des sozialistischen Realismus gemeint sein? Eine utopische Bilderwelt im Sinne einer paradiesischen Idylle der Werktätigen taucht gar nicht auf. Dazu sind die Staatskünstler zu klug und alle anderen schlicht zu unideologisch.

Der Untergang kann sich nur auf die Staatsform DDR beziehen, denn die Kunst bleibt. Sie überdauert. Die Schulen der Akademien haben Wirkung weit über politische Zäsuren hinaus. Hier böte sich die Möglichkeit, zu schauen, was jenseits des im Titel beschworenen Untergangs aufgenommen wurde und bleibt, von dem, was ästhetisch-stilistisch und technisch vermittelt wurde, welche Künstler welche Positionen in der Nachwendezeit vertraten und heute vertreten. Das wäre eine sinnvolle Weiterführung des Konzeptes.

30 Jahre Mauerfall und 30 Jahre Kunststiftung NRW haben die Ausstellung ermöglicht. Und diese Ausstellung im Kunstpalast erweist sich der Jubiläen würdig, ist sie doch trotz des pathetischen Titels vor allem eins: Eine Schau wunderbarer Bilder.

Annette Siemes

 

Zur Ausstellung ist der Katalog „Utopie und Untergang – Kunst in der DDR“ im Sandstein Verlag, Dresden, erschienen. Im Kunstpalast: 29,80 Euro, Buchhandelsausgabe: 38,00 Euro.

bis zum 5. Januar 2020

 

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