Spielsachen und Ungetüme

Zauber der Gleichzeitigkeit. Ruthenbeck und Abraham – zwei Radikal-Künstler treffen auf Hombroich erstmals zusammen

Edle Einfalt, stille Größe. Reiner Ruthenbecks “Weißer Papierhaufen” 1978/79

Nur nicht zu viel erwarten. Bloß nicht. Die Dinge liegen jetzt anders. Ein sparsamer Umgang mit den Gütern und Erwartungen ist angesagt. Die Erschütterung hat längst Kreise gezogen. Was alles noch zusammenstürzt, wissen wir nicht. Da wird ein Blick auf Reiner Ruthenbeck lohnen, Rückversicherung bei einem Unbedingten. Als die Nachkriegsmoderne antrat, der verunglückten Welt mittels Kunst ein Gegenbild zu bieten, war Ruthenbeck zur Stelle. Unter den Minimalisten ist Ruthenbeck der unspektakuläre Stille, auch der Spielerische, der uns aus der Überschreitung der Gegensätze eine gelinde Transzendenz zumutet. Im Getöse der Gegenwart könnte das wohltuend sein, geradezu wie eine Reinigung von allem endzeitlichen Spektakel. Eine Herausforderung im Zweifelsfall.

Also rein in die Skulpturenhalle auf dem sanften Hügel, wo uns Thomas Schütte immer wieder schlafende Zellen der plastischen Kunst zumutet. Hier ist das spröde, seltsame, rätselhafte, lustige Ruthenbeck-Universum aufgebaut. Im Betonoval wirkt es fast wie ein gut aufgeräumtes Spielzimmer. Oder ist es die Versuchsanstalt eines unentwegten Forschenden, auf der Suche nach was?

Leiter, Möbel, Lamellenkasten. Blick in die Ausstellung

Die kleine Ruthenbeck Retrospektive vereint skulpturale Arbeiten von 1966 (Eisenziegel) bis 1991 (Plattenbogen) und erinnert in der Archivhalle mit einer Reihe von frühen Fotografien daran, dass Ruthenbeck nach einer Fotografenlehre von 1956 bis Ende der 1960er Jahre als freier Fotograf in Düsseldorf begann. Als Fotograf fand er zur Kunst, dokumentierte die frühen Fluxuskonzerte in der Kunstakademie Düsseldorf, Aktionen von Joseph Beuys und der Gruppe ZERO. Von ihm stammen die Fotos, die die berühmte Ausstellung „Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ im Möbelhaus Berges in der Flinger Straße mit Gerhard Richter und Konrad Lueg zeigen. Schon 1962 fand er Aufnahme an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er sich der Beuys Klasse zuordnete.

Über die Fotografie, über Fluxus und Joseph Beuys fand dieser Künstler einen eigenen Weg zur Skulptur und Plastik, die zunehmend abstrakter und konzeptueller werden. Minimal und Material, Concept Art und Arte Povera, alles Zeitgenössische scheint durch und wird doch zu überzeitlichen, sich in spannungsvollen Beziehungen, aus Relationen und Kombinationen sich ergebenden Dingwerken transformiert.

Ruthenberg sprach von einer „Vereinigung unter erschwerten Bedingungen.“ Er benutzt Metall, Asche, Stoff, Glas, Holz, Papier, Licht, Geräusche, Fotografien, sogar ein Videoobjekt (eigentlich ein Anti-Videoobjekt) entsteht. Doch allen ist eine formbewusste Strenge eigen, eine Einfachheit und auratische Stille, die ein Verlangen nach Transzendenz wach halten. Im Psychoboom der Siebziger Jahre findet Ruthenbeck zur “Transzendentalen Meditation”.

Wer sich auf die stille Werk-Versammlung einlässt und genau zu beobachten versteht, wird sich dem Zauber dieses großen Künstlers nicht entziehen können. Dieter Schwarz hat im Begleitheft zur Ausstellung auf den „feinen Humor“ Ruthenbecks hingewiesen. Auch der durchzieht Ruthenbergs Welt. In seinem „Schlaraffenland-Manifest“ von 1984 brachte er es auf die Losung: „Nicht Völle, sondern Fülle“. Schöne Selbstironie: Denn Fülle war Ruthenbecks Sache nie, es sei denn eine Fülle an radikaler Auseinandersetzung mit den Völlereien seiner Zeit. 

Architektur als Konzept

Großskulptur oder Baukunstwerk? Modell Haus für Musiker, um 1996-2010, Sammlung Egidio Marzona, Berlin

Am entgegengesetzten Ende der Raketenstation erhebt sich das „Haus für Musiker“ von Raimund Abraham. 2016, nach 22jähriger Planungs- und Bauzeit eröffnet, erscheint es da wie ein Ufo gelandet unweit der Autobahn, ein Haus, das zugleich „Unbau“ sein will. Als Ort des Zusammenlebens und – wirkens von Musikern auf der transformierten NATO-Raketenstation vom ingeniösen Entrepreneur Karl-Heinrich Müller (1936 in Düsseldorf geboren, 2007 dort gestorben) gedacht, von seinem Architekten jedoch keineswegs funktional geplant. Ein baulicher Klotz, eher ein Ungetüm, das die Dimensionen sprengt, monumental aufkragend in der Versammlung ehemaliger Baracken und der bescheiden gehaltenen Zubauten von immerhin so weltbedeutenden Architekten wie Erwin Heerich, Tadao Ando und Alvaro Siza. Auch Thomas Schüttes Pavillonpaar passt sich dem landschaftlich geprägten Terrain mühelos an.  

Nicht so der Abraham-Bau. Auftrumpfend und disfunktional ist dieses Spätwerk des radikalen Anti-Architekten. Nicht Haus, sondern eine zum Himmel offene Halle, wenig wohnlich, dafür gebautes Manifest. Ausgerechnet ein Haus für Musiker lautete der Bauauftrag, dem sich der Architekt mit der ihm innewohnenden Leidenschaft widmete und widersetzte. Musik erklingt hier selten.

Aus der kritischen Generation

Es gibt kaum eine Parallele in beider Leben. Abraham und Ruthenbeck kannten sich nicht und sind sich nie begegnet. Raimund Abraham wurde am 23. Juli 1933 in Lienz, Osttirol geboren, lebte die längste Zeit in den USA, er ist am 4. März 2010 in Los Angeles gestorben. Reiner Ruthenbeck wurde am 30.6.1937 in Velbert geboren, kam nie weit über das Rheinland hinaus und ist am 10. Dezember 2016 in Ratingen gestorben. In der Nazizeit geboren, gehörten dann beide in der Nachkriegszeit zur „skeptischen Generation“. Sie begehrten beide gegen einen Glauben an jedweden Idealismus auf und versuchten aus einer kritischen Distanz heraus, neue, ganz eigene Wege zu gehen.    

Ihre Kritik an überkommenden Konventionen, an allen bürgerlich repräsentativen Formen führte bei Abraham zu einer äußersten Reduktion und radikalen Anti-Haltung, selbst der eigenen Profession, der Architektur gegenüber, während Ruthenbeck in der äußersten Zurücknahme und Zuwendung zu alltäglichen, banalen Dingen eine Rettung des Spirituellen, Übernatürlichen und gar Jenseitigen suchte. Konzeptkünstler sind sie beide. Abrahams Interesse an übersinnlichen Phänomenen entspricht Ruthenbecks Sehnsucht nach Tranzendenz. Abrahams Suche nach dem universellen Raum findet sich bei Ruthenbeck als Suche nach einer universellen Kunstsprache wieder. Noch die schwebende Wirkung, die Abraham mit einer kühnen Dachscheibe anstrebt, läßt sich in Ruthenbecks Bestreben erkennen, die Dinge „in der Schwebe“ zu halten. Die klassischen geometrischen Formen dienen beiden als Formenbaukasten. Die Spannung, die Abrahams Entwürfe durch Collision und Zusammenprall auszeichnen, sucht Ruthenbeck in Relationen und Kombinationen aufzuheben.

Kunst wird für Abraham zum Medium des Widerstand gegen Funktionsfestschreibung, während Ruthenbeck darin eher eine Möglichkeit der Auflösung der Gegensätze in geistige Sphären sieht.

So ist mit dem „Haus für Musiker“ seit 1994 eine radikale Anti-Architektur, eine Monumental-Follie enstanden, nutzungsoffen bis hart an die Kante zur Unnutzbarkeit, gleichwohl offen beflügelnd, herausfordernd, steil in die Zukunft weisend. Maßlos, unvergleichbar und einzigartig, wie es nur radikale Kunst erschaffen kann.

Vor allem steht dieser Bau für den Aufbruch Hombroich und die hier vorgelebte Utopie, mittels Kunst eine andere, bessere Gesellschaft hervorzubringen. Ihr Gründer und Anführer Müller Karl-Heinrich Müller stammte aus derselben skeptischen Generation wie Abraham und Ruthenbeck.

Gruppenbild mit Sommerhüten. Raimund Abraham, Karl-Heinrich Müller, Kitty Kemr und Gotthard Graubner (v.l.)

Erdbeben der Stille

The House for Euclid, 1983, Foto: Herbert Boswank

Ein Glücksfall ist die große Abraham Ausstellung allemal. 15 Jahre nach Abrahams Tod kann eine große Zusammenschau „Erdbeben der Stille“ auf der Raketenstation realisiert werden. Selbstverständlich nicht in seinem späten Hauptwerk und Vermächtnis (neben dem Austrian Cultural Forum in New York ist das Haus für Musiker eines der wenigen realisierten Bauwerke Abrahams). Dazu musste man in den Siza-Pavillon ausweichen, der sich für solche Zwecke als bestens geeignet erweist.

Die beiden Kuratoren der Ausstellung, Hubertus Adam und Roland Nachtigäller, konnten erstmals auf den erst jüngst von Abrahams Tochter Una an den Sammler Egidio Marzona übergebenden Nachlass ihres Vaters zurückgreifen. Das von dem Sammler über Jahrzehnte zusammengetragene Archiv der Avantgarden des 20. Jahrhunderts (ADA), ist heute Teil der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Der Abrahams Nachlass eröffnet eine Weltreise durch die Tief- und Höhenflüge der “Anderen Architektur”, durch ihre erstaunlich weitsichtigen Fantasien und Ideen.

Wo sonst könnten wir Abrahams ausgreifendes Werk in seinem Zusammenhang aus Skizzen, Zeichnungen, Modellen, Dokumenten seiner zahlreichen Vorträge und Vorlesungen bis zu seinem doch endlich fertiggestellten “Haus für Musiker” erfassen als auf der Raketenstation Hombroich.

Carl Friedrich Schröer

Der Katalog zur Ausstellung Raimund Abraham. Erdbeben der Stille, ist hervorragend bebildert und mit klugen Aufsätzen versehen. Er ist schon jetzt ein Standartwerk, unbedingt lesenswert.


Reiner Ruthenbeck
11. April bis 07. Dezember
Skulptturenhalle Neuss

Raimund Abraham – Erdbeben der Stille
13. April bis 02. November
Siza-Pavillon

Zeitgleich auf Hombroich

Ringier Collection 1995-2025
13. April bis 05. Oktober
Langen Foundation

Untiefen des Raums. Simon Schubert im Feld-Haus
11. Mai bis 12. April 2026
Kirkeby-Feld

Energie – Andreas Gefeller und Beate Gütschow
13. April bis 02. November
Siza-Pavillion, Räume für Fotografie


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