Thomas Schütte eröffnet eine Bodenstation für das weitgespannte Schüttereich

Nicht von Pappe

Kapelle für Kunst. Schüttes Skulpturenhalle im Kulturraum Hombroich, Innenansicht. Foto: Nic Tenwiggenhorn

Nähert man sich über die L201, dann rechts hoch über den schmalen, hier mäßig ansteigenden Berger Weg der Raketenstation Hombroich, erscheint links oben die neue Halle. Unübersehbar, aber keineswegs aufdringlich, fremd und auf eigentümliche Weise vertraut, betont modern und auch wieder gar nicht. Kaum wüßte man man zu sagen, wozu dieser Bau überhaupt dient.

Sporthalle für den Turnverein aus dem nahen Holzheim? Neues Labor für die hier ansässigen Biophysiker? Tempel einer eher freundlich gesinnten Wind-und Sonnensekte? Oder doch ein elegant auf die Höhe gebautes Erdwärmekraftwerk zur Selbstversorgung des Kulturaums H.? Kaum zu sagen. Wer wie Schütte die Welt als Möglichkeit und Modell versteht und sie überhaupt nur so erträgt, wird die spielerische Poesie um so mehr schätzen, die auch diese neuste Bodenstation für Sondierungen im Bereich Skulptur umfängt.

Der neue Schütte Pavillon passt sich bestens in die Tradition der wundersamen Insel Hombroich ein und will doch eine Ausnahme sein, Solitär unter Solitären, Besonderheit und Besonderheiten. Seit Erwin Heerich 1982 den ersten Pavillon in die Erftaue setzte, entwickelt sich „die Insel“, ab 1994 auch die „Raketenstation“, zu einem losen Verbund von Baracken, Stationen, Kapellen, Pavillons, der unter dem Begriff „Museum“ nur schwer zu fassen ist. Jedenfalls ein von Künstlern und nicht von Kunsthistorikern und Konservatoren gemachtes Produzenten-Museum. Schon Heerichs „Hohe Galerie“ ist eher begehbare Skulptur, denn Ausstellungsbau. Auch Heerich ging von bildhauerischen Vorstellungen aus, daß Skulptur nicht nur etwas ist, das man von außen als Haut einer Masse versteht, sondern als ein Prozeß, der sich vom Kern heraus entwickelt und sich von innen als Skulptur ausweist.

Auch Schüttes neue Skulpturenhalle geht von der Idee des (Gesamt)Kunstwerks aus, das andere aufnehmen und beinhalten kann, eine Negativform, die sich als Positiv eindrucksvoll auf der Anhöhe behauptet. Sie ist geschlossener Raum (im Sinne von Remy Zaugg) und offen (im Sinne von Paul Scheerbart).

Modelle für die Skulpturenhalle von Thomas Schütte

Sie ist auch letzter Ausläufer und Erinnerungsposten des in den Kanälen behördlicher Genehmigungen versandeten Großprojekts „Raumortlabor“ und zugleich neuster, bisher größter und ambitioniertester Bau, der nach einem Modell von Thomas Schütte erstellt wurde. Aber Schüttes Halle leistet sich auch den Widerspruch zu Heerich und der klassischen Moderne. Als seine Vorbilder nennt er Étienne-Louis Boullée, Erich Mendelsohn, überhaupt die Vor-Bauhaus-Zeit Peter Behrens und Bruno Taut, aber auch Rudolf Steiners Goetheanum und die organische Architektur eines Hermann Finsterlin.

Auch plant Schütte seine Bauten nicht wie Architekten am Reisbrett oder per Computerprogramm, er bastelt mit Pappe. Imaginäre Bauten stehen an Anfängen seines Schaffens („Westkunstmodelle“, „Mein Grab“, „Bunker“, „Turm mit Landschaft“ oder „Modell für ein Museum (1982 – 2007), „Studio“, etc.). Blieben diese Modelle lange Jahre ihrem Wesen entsprechend Fingerübung und Gedankenspiel, poetische Bilder für Leben und Schaffen des Künstlers, fiktive Entwürfe, die offen ließen, ob sie ironisch zeitgenössisches Bauen kommentierten oder ob sie tatsächlich nach Realisierung trachten. Erst mit dem „Eis“ Pavillon für die Documenta 8 von 1987 wurde aus einem solchen Pappmodell ein nutzbares Gebäude auf Zeit. Clou damals war, daß die meisten Besucher den Bau gar nicht unbedingt als ein Kunstwerk  wahrnahmen, so gut passte es sich in die Kasseler Auenwiesen, so perfekt täuschte es einen Nutzen vor. Tatsächlich wurde in dem Gehäuse, dessen Hauptbau nach dem Modell eines auf den Kopf gestellten Farbeimers konzipiert wurde, Speiseeis an Kunst- und Parkbesucher verkauft. Mit seiner schlichten, fensterlosen Form, der noch ein kleineres zylindrisches Volumen (für das WC) angegliedert war, wirkt der Bau aber auch wie eine Elementarskulptur. Schon damals bat Schütte Mario Merz als Gast-Aussteller ins Innere, schon damals gab es eine Fibonacci-Folge in Neonziffern zu sehen.

„Eis”, in einem Grenzbereich zwischen Kunst-Gestalt, praktischer Benutzbarkeit und angedeuteter Sozialsymbolik angesiededlt, wurde schnell als Wahrzeichen der Documenta (“neue Doppelbödigkeit zwischen Autonomie und Funktion”, “Rückkehr der Kunst in die soziale Dimension” Manfred Schneckenburger) verstanden. Es ist eine Kunst, die sich entzieht und gleichzeitig anzieht, als Attraktion für Touristen wie als Anziehungspunkt der Kunstwelt gleichermaßen funktioniert. In dieser Weise ist der Eispavillon von 1987 das Modell für das Modell für die Skulpturenhalle. Ohne Eis, dafür mit Kellergeschoß.

Nach und nach meldeten sich Sammler, welche die Modelle – One Man House, Ferien- und Teehaus oder einen Tempel in die Wirklichkeit umsetzten wollten. Tatsächlich entstanden so, mit Unterstützung von Architekten, eine ganze Reihe von Gebäuden nach Schüttes Modellen. Waren diese für den privaten Gebrauch, kam mit dem Modell für eine Skulpturenhalle ab 2011 ein Projekt hinzu, das allein des Künstlers Zwecke vorbehalten bleiben sollte. Ein Selbstauftrag. Die Skulpturenhalle hatte zudem von Anfang an einen festen Bauplatz: Vorausschauend hatte Schütte ein Grundstück erworben, auf dem er die Halle errichten wollte. Dazu kam die Thomas Schütte Stiftung, die der Halle formell als Bauherr dienen und sie später als Nutzer betreiben soll.

Die Nachbarschaft war Schütte wichtig. Das Grundstück liegt zwischen dem Gelände der Insel Hombroich, dem Kirkeby-Feld mit seinen „Kapellen“ und der Raketenstation mit den umgenutzten Militärbauten und neuen Pavillons von Raimund Abraham, Erwin Heerich, Dietmar Hofmann, Katsuhito Nishikawa und Álvaro Siza. Gleich gegenüber liegt, in die Hügel und Erdwälle versenkt, die von Tadao Ando gestalteten Anlage der Langen Foundation.

“Wohin mit dem Zeugs, wenn man tot ist?” Diese Frage stellt sich auch Thomas Schütte. Seine künstlerische Produktion wächst von Jahr zu Jahr in erstaunliche Dimensionen: Zeichnungen, Skizzen, Aquarelle, Keramiken, Bronzen, Modelle, allein der „Man im Matsch“, Styropor, Gips, Holz von 2009 ist allein 8,50 Meter hoch und ebenso breit. Was kurz „die Halle“ genannt wird stellt sich als ein elegant geschwungener Neubau mit doppeltem Boden dar, Ausstellungsgebäude für Skulpturen und Grafiken oben, ein geräumiges Depot im Untergeschoß, dessen Zugang im Nebengebäude verborgen liegt. Drei Jahre Bauzeit, sieben Entwürfe, 2.037 m², 4.5 Millionen Euro, „ohne jedes öffentliche Geld“, wie der Künstler betont. Für seine Halle und seinen Nachlaß hat er eigens die „Thomas Schütte Stiftung“ gegründet, Schütte ist alleiniger Vorstand seiner Stiftung. RKW aus Düsseldorf fungierten als Architekten. Aber eigentlich hat sich Schütte vom Betonfußboden mitsamt Fußbodenheizung bis zur trägerlosen Holzspanndecke, vom Lastenaufzug bis zum Rauchmelder um jedes Detail selbst gekümmert. Der elegant, mit schlanken Holzlamellen verkleidete Bau, wird von einem weit auskragendem Dach, das sich zur Mitte hin ansenkt, akzentuiert. „Grundidee war eine Streichholzschachtel mit einen Pringelschild draufgelegt“, sagt Schütte im Gespräch. Zum Rauchen muß er nach draußen gehen, „wegen der Rauchmelder“.

Die Ausstellungshalle, gut 700 Quadratmeter groß, beherbergt in ihrer Mitte einen weiteren pavillonähnlichen Baukörper aus dunkel glasierten Ziegeln gemauert. Dessen Decke allerdings offen ist. Dieser Kiosk dient sowohl als Raumteiler, wie als geschützter Raum, um dort Papierarbeiten zeigen zu können.

Schütte sorgt sich nicht nur um die Zeit nach seinem Tod, sein Nachleben als Künstler, sondern auch um das Überleben in der Gegenwart. Die Halle mit einer variierenden Höhe von knapp sechs bis neun Meter, steht auf einem Sockelgeschoß, das fast vollständig im Boden verschwindet. Oben die Skulpturenhalle, daneben ein Büro für Kuratoren, eine Bibliothek und der Ticketschalter. Im Untergeschoss das Depot. Die Stiftung wird auch den Ausstellungsbetrieb oben, wie den Leihverkehr organisieren, später soll sie sich um seinen Nachlass kümmern. Solange bezahlt Schütte Miete für die Lagerung seiner eigenen Kunstwerke. Denn er hat es sich zur Maxime gemacht, nur ein Viertel seiner Kunstproduktion zu verkaufen. Das Depot wird zur Drehbühne seiner Ausstellungen werden. Weil er längst bemerkt hat, wie die Leihbedingungen der Museen und Privatsammlungen immer höher geschraubt werden, will er „gegensteuern“, sich unabhängig halten. Bei Schütte liegt das Nahe- und Nächtsliegende, das pragmatisch Beste nur einen Schritt vom poetischen Wurf, von der künstlerischen Vision entfernt. „Jahre zuvor sagte ich zu Mick Flick”, so erzählt es Schütte in einem Gespräch mit Hans Ulrich Obrist, “Meine Skulpturen kosten heute das Gleiche wie Immobilien. Warum also baust du immer noch Appartements und Häuser? Jeder ist doch an Immobilien nur solange interessiert, bis er herausfindet, daß er sich um solche Anlage auch intensive kümmern muß. Wenn du aber keinen Gefallen mehr an einem Kunstwerk haben, schaff es in einen Lieferwagen, fahre bei Christies vor und kassiere zehn mal soviel wie du bezahlt hast. Diese Art der Spekulation funktioniert mit Häusern nicht. Genau das aber interessiert mich.“ Schüte meidet Kunstmessen und veachtet Auktionen, auch von Kunstpreisen oder anderen öffentlichen Events hält er wenig. Eine Professur an einer Kunstakademie hat er stets abgelehnt.

„Wenn ich meine Sachen behalte, kann ich die Ausstellungen aus einer Quelle bestreiten. Weil sich kein Museum die teuren Transporte mehr leisten kann, können die alles aus einer Hand bekommen. Deswegen konnte ich in letzter Zeit so viele Ausstellungen machen.” Schütes scharfe Beobachtung zeitigt Folgen. Entsprechend hat sich bei ihm ein außergewöhnlich großer Bestand an eigenen Werken angesammelt. Da kann der Bau eines eigenen Depots schon preiswerter kommen, als über Jahre hohe Lagerkosten zu zahlen.

So konnten etwa seine großen Ausstellungen in der Bundeskunsthalle („Big Buildings. Modelle und Ansichten) und in der Fondation Beyerle über die Bühne gehen, so wird es 2018 in New York sein, wo das MOMA eine Schütte Retrospektive vorbereitet.

Von der Nähe zur Insel Hombroich erwartet sich der neue Anrainer viel. „Das, was hier fehlt, ist eine große Halle. Die haben hier viele Räume auf der Raketenstation und Hombroich, aber eher weiße Kuben. Bildchen, Foto, Video – interessiert mich nicht so, aber für Skulpturen ist das hier gedacht.”

Mit dem Arte-Povera-Künstler Mario Merz wird Schütte den Ausstellungsreigen am 10. April eröffnen. Die Leihgabe konnte Schütte aus zwei verlässlichen Quellen beziehen. Seine langjährige Galerie Konrad Fischer und die Sammlung Fischer liehen die eine Hälfte (darunter ein wundervoll spray paint (Kohle auf Jute) und die Fibonacci-Reihe, sein Galerist Pietro Sparta (Sammlung Chagny) u.a. den Iglu und frühe Malerei-Collagen. Die längste Ausstellung ist mit Richard Deacon geplant, mit dem Schütte eine lange Freudschaft verbindet. Mit Deacon hat Schütte auch öfters zusammengearbeitet, so bei den Collaborations bei Konrad Fischer.

Von Schüttes Halle erhoffen sich die diversen Initiativen und Institute auf Hombroich einen frischen Impuls. Gleich mit der Eröffnung der Halle wird es zum ersten gemeinsamen Opening: Im Siza- und im Fontana-Pavillion auf der Raketenstation wird Markus Karstieß seine Keramikarbeiten zeigen. De Langen Foundation wid „Gottesbilder Ostasien“ aus der verbliebenen eigenen Sammlung und die Berliner Künstlerin Helen Feifel vorstellen. Der Sonntag gehört Hombroich.

 

Teil 1

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