Abenteuer unter Wasser

Cristina Iglesias stellt in der Skulpturenhalle ihr aquamanisches Werk vor

Historia Natural y Moral de las Indias, 2006, Terrakotta, 18 Teile Foto: Dejan Sarić

Diese schöne, vermaledeite Welt lässt sich auch ganz anders denken. Es gehört zu den großen Qualitäten der Kunst, uns dieses Andere eindrucksvoll vor Augen zu führen. Hombroich, vor nicht mal vierzig Jahren ein vergessener, von der Natur völlig überwucherter Ort in einer Erftniederung, ist heute ein Hotspot der internationalen Kunstwelt, wie man wieder einmal am letzten Wochenende erleben konnte. Strahlendes Spätsommerwetter, eindrucksvolle Autoparade, bestgelauntes Publikum, am Horizont rauchten die Schlote der Kohlekraftwerke der rheinisch-westfälischen Industrie. Vier wundervolle Ausstellungen unterschiedlichster Art und Qualität gab es zu bewundern: Jean Fautrier im Siza Pavillon, Vera Lossau im Wachhaus, Daniel Spoerri in der Langen Foundation und Cristina Iglesias in der Skulpturenhalle.

Nur ein paar Kilometer flussaufwärts hieß es keine zwei Monate zuvor: „Hochwasser überraschte Menschen im Schlaf“. In dem sonst beschaulichen Flüsschen Erft rollte an diesem Morgen ab etwa vier Uhr eine rasant steigende Hochwasserwelle auf Erftstadt zu. Das Hochwasser flutete zunächst Wohngebiete in Bliesheim, anschließend die Ortsteile Liblar und Blessem. Bis Hombroich sind die Wasserfluten auch gekommen. Christina Iglesias lässt nun die Vorstellung aufsteigen, die ganze „Insel“ stehe meterhoch unter Wasser, alles, die preisgekrönten Pavillons und Gebäude, die millionenteuren Außenskulpturen, die parkenden Autos sind längst Zutaten einer eigentümlichen Unterwasserwelt geworden, Fische, riesige Schildkröten und andere Meerestiere durchkreuzten lautlos die Ausstellungsräume. Die dort zurückgelassen Installationen, die dort einst in irgendeinem nicht mehr nachvollziehbarem Zusammenhang aufgereihten Kunstwerke wären abgesunkene Versatzstücke auf dem Meeresgrund.

Blick in den Abgrund. Gerade eröffnet Hondolea (Marine Abyss), 2021

Seit über zehn Jahren schon arbeitet Christina Iglesias, die 1956 in San Sebastian (Baskenland) geborene Künstlerin, an ihrer Vision unter Wasser. Sie lässt „Versunkene Räume“ (Estancias sumergidas) auf dem Meeresboden entstehen. Diese sieht sie „als Anstoß für die Schaffung von Meeresschutzhütten, wie auch als Bezugspunkt ihrer Kunst an einem abgelegenen Ort.“ Es sind gigantische Gitterstrukturen, die zwischen Kunst und Nicht-Kunst („Non-Monument“) oszillieren und doch beides zugleich sein wollen. Ihre bisher größte „Liquid Sculpture“ hat sie in 17 Meter Tiefe auf dem weißsandigen Meeresboden im Mar de Cortés (Golf von Kalifornien) versenkt. Erdbeben und vulkanische Aktivitäten haben dieses Meer vor Urzeiten geformt und seine einzigartige Unterwasserlandschaft geprägt. Der Fischreichtum, die Unterwasserberge, Steilwände und tollen Korallenriffe haben es zu einem der schönsten und bestfrequentierten Taucherparadiese der Welt werden lassen. Das Meer von Cortez umfasst 244 Inseln und ozeanische Meereszonen, die als Weltnaturerbe eingetragen sind, es beherbergt 891 Fischarten, von denen 90 endemisch sind (d.h. nur in diesem Nebenmeer zu finden sind). 39 Prozent aller Meeressäugerarten und ein Drittel aller Walarten sind hier beheimatet. Wegen des befürchteten Aussterbens mehrerer Arten, darunter der Schweinswal, wurde das Gebiet 2019 auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt.

Ausgerechnet in diesem zerklüfteten Küstenabschnitt will Iglesias für neue Behausungen für die bedrohten Meeresbewohner sorgen. Sie sieht im Mar de Cortés einen weiteren „öffentlichen Raum“, um ihre künstlerischen Arbeit darin zu versenken und sie lässt sich von einer internationalen Kunstwelt dafür feiern. Dieses einzigartige Naturgebiet als Möglichkeit zu betrachten, immer weitere Kunstobjekte zu platzieren, ist, um es vorsichtig zu sagen, heikel. Wie umweltschonend auch immer diese Unterwasserkunst produziert und versenkt wird, wie naturnah das eingesetzte Material, wie hehr die Absicht, wie hoch die Moral, ein Eingriff ist es allemal.

Der Namensgeber des Golfes, ist übrigens Hernán Cortés (1485 bis 1547), bekannt als Eroberer und Zerstörer des Inka-Reiches, ein besonders ehrgeiziger und blutrünstiger Konquistador im Dienst der spanischen Krone. Die versenkte Gitterstruktur, von Iglesias Celosias genannt, ist aus Sätzen gebildet, die aus José de Acosta Historia natural y moral de las Indias entlehnt sind. Acosta war einer der spanischen Jesuiten, die nach „Westindien“ segelten, um die indigene Bevölkerung zu missionieren. Er kehrte 1587 nach 16 Jahren erfolgreicher Missionarstätigkeit nach Spanien zurück, im Gepäck seine Beobachtungen zur Geographie und Naturgeschichte des heutigen Mexiko und Peru, sowie zu den religiösen und politischen Einrichtungen der neuen Kolonien. Wie die Seesterne, Buckelwale und Seelöwen die jesuitische Weltsicht aufnehmen, wissen wir nicht. Einen Zusammenhang zu den sich aufdrängenden Fragen nach Kolonialismus, Sklaverei und ähnlichen Fragen, z.B. der Ausbeutung der Natur spart die Künstlerin aus. Es erstaunt aber doch, wie unbefangen sie die spanische Kolonialgeschichte in ihre Arbeit aufnimmt.

 

Pabellón de Cristal, 2014, Foto: Dejan Sarić

In Schüttes Skulpturenhalle besetzt die 18teilige Arbeit, Historia natural y Moral des las Indias, die halbe Halle. Die Besucher streichen leichtfüßig durch dieses labyrinthische, übermannshohe Gemäuer und erfreuen sich an den wundervollen Lichtdurchbrüchen, versuchen die Buchstaben und Sätze zu entziffern oder tasten sich an der ungewöhnlichen Terrakottaarbeit entlang, die hier frei im Raum mäandert.

Growth I, 2018, Foto: Dejan Sarić

Es ist das erklärte Ziel der Künstlerin, mit solchen Strukturen Gewässer wie das Mar de Cortés zu beschützen oder sogar zu beleben. Schon ist ein künftiges Netzwerk derartiger Unterwasserinstallationen im Gespräch, um noch mehr Kunst-Touristen in die abgelegene Weltgegend zu locken. Ein Atlas der schönsten Taucherparadiese ist im Aufbau, der gleichzeitig alle künftigen Unterwasserkunstwerke aufführen soll. Aus der Synergie von Kunst und Tourismus erhofft sie sich ein gesteigertes Bewusstsein für den Naturschutz rund um die Espiritu Santo Insel, wo diese Pionierin der Unterwasserkunst ihre Installation versenkte. Aber ist es nicht eine ungeheure Vermessenheit, mit Kunst bedrohte Natur retten zu wollen? Um noch mehr Aufmerksamkeit für ihr spektakuläres Unterwasserwerk zu gewinnen, spannt sie die weltweit zirkulierenden Tauchergemeinden ein. Hier wie da sind die treibenden Interessen Kommerz, meist auf Kosten der Natur. Von Europa aus gesehen sind es, für Taucher- wie für Kunsttouristen gleichermaßen 15 Stunden Flug bis Espirito Santo. Wo man die bedrohte Natur schützen will, wäre es da nicht am besten, man bliebe diesen seltenen Orten einfach fern?

 

Pozo I und Pozo III, 2011, Courtesy Konrad Fischer Galerie Foto: Dejan Sarić

Igelsias Werk ist von Anfang an eng mit der Natur verbunden. Sie ließ sich früh von der Land Art (besonders von Robert Smithons und Walter de Maria) inspirieren und fand später zu „fantastical spaces“ (Fantasieräumen), die eher von der Literatur her beeinflusst sind (Jules Verne Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, Joris-Karl Huysmann Against Nature oder Raymond Roussel Impressions of Africa). Sie ist eine Meisterin der Verwandlung, sie erzeugt eine Zwischenwelt, wo Erfindung und Wirklichkeit ineinanderfließen. So im „Leuchtturm“ auf dem Inselchen Santa Clara im Atlantik vor ihrer Geburtsstadt Donostia/San Sebastian gelegen. Hondolea (Marine Abyss), schon 2016 als San Sebastian Kulturhauptstadt Europas wurde sollte es fertig sein, konnte erst im diesem Sommer eröffnet werden und zieht mittlerweile Schwärme von Besuchern an, ein neuer „Wallfahrtsort der Kunst“. Ein aufgelassenes Leuchtturmhaus, das jahrelang im Verfall begriffen da lag, nutzt sie für ihre jüngste, überaus eindrucksvolle Arbeit. Den gesamten, fast quadratischen Boden des sonst leeren Gebäudes hat sie öffnen lassen. So blicken die Besucher von eingebauten Treppen herab in einen Felsenschlund, im dem Ebbe und Flut sich in einem gleichförmigen Steigen und Senken abwechseln. Auch hier das Werk teils Kunst, teils Ausflugsziel, teils reale Attraktion, teils schöne Fiktion.

Iglesias (die 2020 den Architekturpreis der Royal Academy erhielt) dazu auf Instagram: „Das Werk ist ein Ort, der die Abgeschiedenheit innerhalb der Stadt zeigt, ein Treffpunkt für Bürger, um die Natur und die Bedeutung ihrer Erhaltung zu beobachten, zu denken und zu reflektieren.“

Wasser als Medium der Verwandlung, auch um den Wandel der Zeit und Gezeiten sichtbar werden zu lassen, ist ein wiederkehrendes Element in Iglesias Werk. So auch in der Skulpturenhalle. Hier kann man sich in die Brunnen (Pozo) versenken, ihnen zuhören, ihrem Sog verfallen, oder sich in der Wasseroberfläche spiegeln.

 

Redaktion: Anke Strauch

 


 

Im Kuratorenhaus ist ein Video mit schönen, wirklich verlockenden Bildern zu sehen, die das Leben der Mantas und anderer Meerestiere in der Gitterstruktur im Mar de Cortés, sowie die neuste Installation auf Santa Clara zeigen.

 

 


 

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