Klassiker und Kunstnarr

Sammler, Verleger, ach! in einer Brust. Lothar Schirmer zum Geburtstag

Immer wieder erhellend mit Lothar Schirmer zu telefonieren. Wo wäre dieser Tage auch besser Trost zu finden als bei einem Vertreter der aussterbenden Gattung Buch? Am 1. April wird der Kunstbuchverlag Schirmer/Mosel 46 Jahre alt. Schirmer bleibt unverdrossen pessimistisch. „Kunst macht arm“, hat er schon 1999 beklagt, als er seine einzigartig ausufernde Sammlung „Von Beuys bis Cindy Sherman“ in Bremen und München zeigte. Seine Beuys-Installationen halten mittlerweile einen Beuys-Flügel im Altbau des famosen Lenbachhauses besetzt, darunter das Environment zeige deine Wunde. Wie er sich von seinen Beuys-Arbeiten 2013 überhaupt trennen konnte? – „Na, überlegen sie mal. Bei den Münchner Immobilienpreisen wird die Unterbringung von Beuys-Installationen in Privaträumen auf die Dauer teuer.“

Vom Aussterben bedroht ist auch eine Qualität, über die Schirmer sicher verfügt: Der Mann hat Witz, sogar Esprit. 2019 habe tragische Momente gebracht. „Eine Berg- und Talfahrt. Der Tod war immer dabei und hielt Einzug ins Verlagsleben.“ Ende 2018 war es der plötzliche Tod von Lothar Baumgarten, „ein guter Freund über 40 Jahre hinweg“. Der Sammler in Schirmer wollte nicht widerstehen: „Der einzige Beuys-Schüler, den ich wirklich geschätzt habe.“ Der Verleger will bald nachziehen.

Pilzsucher und Trüffelschwein. Unbekannte, Lothar Schirmer, Peter Handke, v.l., in Handkes Garten, Foto Michaela Angermair, 2018

Aus Chaville kamen im Sommer 20 Pilzdrucke von Peter Handke in die Münchner Cuvilliéstraße, „einer schöner als der andere“. Die Suite des pilzvernarrten Literaturnobelpreisträgers kann nun, zusammen mit der Vorzugsausgabe der Zeichnungen, „in die Welt.“ Im September traf die Nachricht vom Tod Peter Lindberghs aus Paris ein. „Ach, Peter! Das muß man ihm lassen. Unvergleichlich wie er mit diesen sehr schönen, komplizierten Frauen umging. Er löste bei ihnen ein Urvertrauen aus.“

Peter im Korb. Lindbergh umringt von seinen “Supermodels”, New York, 1990

Das erste Zusammentreffen fand 1994 in Lindberghs Zimmer im traditionellen Stierkämpferhotel Nord-Pinus in Arles statt. Schirmer reiste an, fand Lindbergh hinter zwei riesigen Stapeln Fotos sitzen, einer mit Model-, der andere mit Kunstfotos. „Komplexe Geschichten“, erinnert sich Schirmer. „Lindbergh wollte, daß ich die Kunstfotos verlege.“ Ein Ausweg fand sich: Erst die Models, dann die Kunst. „Wenn die Supermodel-Welle erst vorbei ist, will die doch keiner mehr sehen.“ Also erst 10 Women by Peter Lindbergh, ein Weltbestseller, der sich über 150.000 mal verkaufte. Mit Berufsfotografen wie Richard Avedon, Irving Penn, Helmut Newton, später Lindbergh „konnte ich diese seltsame Becher-Schule finanzieren.“ Immerhin, Schirmer gab allein 22 Bücher zum Werk der Bechers herausgab und prägte dazu den Begriff „Düsseldorfer Photoschule“.

Ibiza Sommer 2006. Peter Lindbergh (sitzend) und Lothar Schirmer (liegend),  Foto: Jim Rakete

Zwei, drei weitere Bücher entstanden mit Peter Lindbergh, Image of Women I und II. Schirmer kommt leicht ins Schwärmen: „Wie der nach seiner Ausstellung in Düsseldorf mit Tina Turner, die sich bei ihm untergehakt hatte, durch den Ehrenhof zog…“

Dann der verlegerische Höhepunkt im späten Oktober, die Gerhard Richter-Monographie von Armin Zweite. Wegzehrung auf dem Flug zur großen Richter Schau Painting After All im The Met Breuer in New York (4. März bis 5. Juli 2020). Auch hiesigen Richter-Fans mit Flugscham wird das Buch gefallen. Eine Künstlermonographie im klassischen Sinne, die sich von der ästhetischen Willkür der vielen Ausstellungskataloge und auch vom totalitären Buchhalterwahn der Werkverzeichnisse unterscheidet, dabei elegant geschrieben und mit brillanten Reproduktionen versehen. Verlegerstolz zwischen Buchdeckeln. Trotz oder wegen des unvermindert hohen Anspruchs konnte die Schwarte, „Das Denken ist beim Malen das Malen“, 480 Seiten, 418 Abbildungen zum bestverkauften Kunstbuch der vergangenen Saison werden.

Ob er die Lindbergh-Retrospektive im Kunstpalast besuchen kommt? –„Mal sehen“. Klingt aber bitter. Der Katalog dazu wird nicht bei Schirmer/Mosel erscheinen. Schirmer fühlt sich ausgebootet. Der Verlegersammler denkt schon weiter. Seine „Lieblingsprojekte“ 2020: Walter de Maria, Lothar Baumgarten, zum 70. Geburtstag von Wols eine Neuauflage der Gemälde und – „eine Altschuld“ – Ute Klophaus, die Beuys-Aktionsfotos. – „Alles nicht so rentabel“, fürchtet der Verleger.

Frage an den Sammler: Wohin seine Sammlung denn nun gehen soll? – Mit Bremen und München führt er Gespräche, „die Frage ist, ob Düsseldorf auch noch im Spiel ist.“ – Aber dort, grinst Schirmer durchs Telefon, „wird ja gerade eine Spielbank für Fotografie aufgebaut.“ Wie er zu dem geplanten Fotozentrum steht? „Eine Wahnsinnsaufgabe, daraus etwas Schöpferisches zu machen. „Vor und nach Moyland“, sendet Schirmer einen Rat an den Rhein, „sollte man sich aber bloß die Publikationsrecht für die Veröffentlichungen sichern.“

Doppelte Initiation durch Beuys

Der erste Schnitt ist der tiefste – Joseph Beuys

Angefangen hat überhaupt alles mit Beuys. Bei einem Besuch der “documenta III” im Sommer 1964, stieß der Gymnasiast aus Bremen-Vegesack, Flüchtlingskind aus Schmalkalden, der Stadt des Fachwerks und der Reformation am Thüringer Wald, auf Zeichnungen und Objekte von Joseph Beuys, „ein Name, der mir trotz intensiver Beschäftigung mit der Gegenwartskunst noch nie begegnet war. Gegenwartskunst war seit etwa drei Jahren meine Leidenschaft – eine Art post-pubertärer Marotte.“

Der Widerspruch trieb den 19 jährigen an. Die Wärme der Zeichnungen einerseits, das Rätselhafte der Objekte andererseits, führte ihn nach Düsseldorf, direkt ins Beuys-Atelier. Er schrieb Beuys einen Brief, in dem er vorsichtig den Wunsch vorbrachte, eine Zeichnung zu erwerben. Drei Wochen später kam per Einschreiben in einem großen Umschlag die „sehr freundliche Antwort“. Eine Zeichnung lag bei – als Geschenk. Ein Dankesbrief wurde aufgesetzt und ein Besuch angekündigt. Das Reisen sei leider wegen Abiturvorbereitungen nicht sogleich möglich.

     Beuys signiert für Schirmer

Zwischen schriftlichem und mündlichem Abitur, holte Lothar Schirmer seinen Antrittsbesuch bei Beuys nach. Mit vier Zeichnungen und einem Haufen Schulden kam er heim. Für die Abzahlung der Schulden, 650 Mark, hatte ihm Beuys ein Zahlungsziel bis zum Sankt Nimmerleinstag eingeräumt. „Ich fühlte mich reich beschenkt, denn die Zeichnungen waren von außergewöhnlicher Qualität.“

Im März 1967 erwarb Schirmer sein erstes Beuys-Objekt. Es war eben jenes Werk, vor dem er in Kassel ratlos-erschrocken gestanden hatte: die Bienenkönigin I (1947–52). Keine zwei Jahre später kam die später so berühmte Badewanne, die auf kuriose Weise 1973 in Leverkusen zerstört wurde, Rechtsgeschichte machte und mittlerweile ein Teil der bundesrepublikanischen Kunst-Folklore geworden ist, dazu. Beuys setzte sein Werk instand, und so konnte die Badewanne nur zwei Jahre später, in wiederauferstandener Form, zur Retrospektive ins Guggenheim Museum, New York reisen.

Beuys wurde auch zum Anreger des Verlegers Schirmer. Mit 27 Jahren brachte dieser einen prachtvollen Kunstband in Lichtdruck über Beuys-Zeichnungen heraus, Initialzündung des Kunstbuchverlegers. Gleich mit diesem Erstling fügten sich die beiden Schirmer-Ambitionen zusammen, die des Sammelns und die des Verlegens – und fügen und entfalten sich bis heute auf wundersame Weise.

 

Am 1. Februar feiert der Sammler-Verleger seinen 75. Geburtstag in seiner Wahlheimat München.

Carl Friedrich Schröer

 

Redaktion: Anke Strauch

 


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