Muskel, Scham, Spucke

Körperwelten von Carina Brandes, Florian Krewer und Raphaela Simon in der Kunsthalle Düsseldorf

Mit Händen und Füßen. Carina Brandes: „Ohne Titel“, Handabzug auf Barytpapier

von Jörg Restorff

„Es liebt Dich und Deine Körperlichkeit ein Verwirrter“, nennt die Kunsthalle Düsseldorf ihre Gruppenausstellung. Gewollte Verwirrung? Für die Arbeiten von Carina Brandes, Florian Krewer und Raphaela Simon gilt das zum Glück nicht. Fotografie, Malerei und Skulptur vereinen sich am Grabbeplatz zu einer aktuellen Bestandsaufnahme. Im Zeitalter von medial betriebenem Optimierungswahn und KI-Selfies beharren die Künstler auf Körperbildern, die authentisch und unverwechselbar sind.

Für halbe Sachen ist Carina Brandes nicht zu haben. Mit ihrem Beitrag zur aktuellen Gruppenausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf demonstriert die Künstlerin vollen Körpereinsatz. Nackt erscheint sie auf ihren Fotos, in Posen, die befremden und zugleich faszinieren. Body Art im Geiste des Surrealismus – von traumwandlerisch bis traumatisch wird hier ein weites psychisches Spektrum vermessen. Über alle vier Wände verteilen sich ihre Schwarz-Weiß-Abzüge unterschiedlicher Größe. Im Zusammenspiel mit den furiosen Wandtexten führen diese spielerischen, dabei urgewaltigen Foto-Inszenierungen mitten hinein in die Körper(zerr)welten der Künstlerin.

Verwirrte Körperlichkeit? Mit dem Ausstellungstitel wollen die Kuratoren, Kunsthallendirektor Gregor Jansen und Alicia Holthausen, auf das schon 2001 veröffentlichte Album „Es liebt Dich und Deine Körperlichkeit, ein Ausgeflippter“ der Band Workshop hinweisen (das Satzzeichen im Titel ist hier wichtig. Es klärt die Aussage entscheidend.) Alle Songs werden übrigens von Kai Althoff gesungen und auch sämtliche Texte stammen von dem Kölner Maler, Installations- und Videokünstler. Musikalisch eher vom Krautrock kommend, lehnt sich Althoff mehr an Annette von Droste-Hülshoff und die deutschen Romantiker an. Diese Rückbezüge nutzt Workshop, um den Zusammenhang von persönlichem Rückzug und kollektiver Identität neu zu verhandeln. Wo Althoff auf die „katholische Körperlichkeit“ zu sprechen kommt, heißt es: “schäumende Spucke wirft / und letzte Wunderleichen aus allen seinen Körperteilen reißt”.

„Ausgeflippter“ habe man durch „Verwirrter“ ersetzt, so das Düsseldorfer Kuratorenduo, weil unser Körperbild im Zeitalter von Social Media und Optimierungswahn mächtig aus den Fugen geraten sei. Wo allerdings der Unterschied von ausgeflippt zu verwirrt liegt, wird nicht weiter deutlich.

Den eigenen Körper zu verfremden, durchschnittliches Aussehen in Richtung Attraktivität und Extravaganz zu pushen, das hat es bekanntlich schon immer gegeben. Mode und Make-up sind die gängigsten Werkzeuge für solche Metamorphosen in eigener Sache. Inzwischen stehen weitaus wirkungsvollere Instrumente zur Verfügung: Die ästhetische Chirurgie hält ein Arsenal an Eingriffen und Aufbauhilfen bereit, um vermeintliche Unzulänglichkeiten aus der Welt zu schaffen. Fällt die Operation zur Zufriedenheit aus, lässt sich mit Kurzvideos auf Instagram oder TikTok die physisch allseits optimierte Persönlichkeit global zur Schau stellen.

Die jüngste Stufe der Eskalation in der Schönen Neuen Welt der makellosen Menschen sind die sogenannten KI-Selfies. Das sind Bilder, die unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz erschaffen worden sind. Zwei Dinge brauchen die Algorithmen dafür: Zum einen Fotos desjenigen, von dem die KI ein idealisiertes Porträt erstellen soll; zum anderen Millionen von Bildbausteinen, die gängige Vorstellungen von Schönheit sowie beliebte Rollen (Superhelden, Elfen und ähnliches) dokumentieren. Der rechengestützten Verschmelzung dieser völlig unterschiedlichen visuellen Quellen entspringen dann Bildschöpfungen, die mit herkömmlichen Selfies zwar nichts mehr zu tun haben, aber unwahrscheinlich attraktiv erscheinen. Zum Ausflippen?  

Zeitgeistkritik durch handwerkliche Kunsttechniken

Im verdrehten Glanz der KI-Selfies darf man die in der Kunsthalle versammelten Arbeiten der drei Künstler, allesamt in den 1980er-Jahren geboren, als wohltuend retro bezeichnen. Nach wie vor arbeiten Florian Krewer und Raphaela Simon traditionell handwerklich: Öl auf Leinwand. Und Carina Brandes hält nicht bloß an der analogen Fotografie fest; sie entwickelt ihre Bilder sogar selbst in der Dunkelkammer. Nicht um Manipulation durch Technik geht es den Dreien also bei ihrer gegenständlichen, um den menschlichen Körper kreisende Spurensuche, sondern um das Streben, Lebensvolles und Authentisches hervorzubringen. Bilder mithin, die – anders als die stylische Instagram-Konfektionsware – unverwechselbar sind, die davon Zeugnis ablegen, wie jemand die Welt sieht und wie er sich in dieser Welt positioniert.

Raphaela Simon: „Fall“, Foto: Michael Werner Gallery/Künstlerin

Bei Raphaela Simon, die den Emporensaal der Kunsthalle bespielt, offenbart diese Weltsicht vornehmlich düstere, ausweglose Züge. Die betont flächigen Gemälde von Vermummten, Bandagierten oder Augenlosen lösen beklemmende Gefühle aus. Mauern, Gitter oder Käfige sind bevorzugte Motive im Werk der in Berlin lebenden Künstlerin (Jahrgang 1986), die bei Peter Doig an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat. Sich selbst, den eigenen Körper thematisiert Simon hingegen nicht. Die Dargestellten zeigen nichts Individuelles; sie erscheinen anonym und meist vor dunklem Hintergrund. „Eisenkopf“ trifft auf „Eisentür“ (so zwei Bildtitel), „Der Tod und die Masken“ weckt morbide Assoziationen, und selbst ein „Zuckerwürfel“ oder ein „Pflaster“ verlieren im Blow-up der Malerei ihre Harmlosigkeit. Eigens für die Ausstellung in der Kunsthalle hat Raphaela Simon vier überlebensgroße Stoffpuppen erstellt, Meister-Proper-Figuren mit breiten Schultern, denen gleichwohl etwas Verletzliches anhaftet.


Rabatz im Großstadt-Dschungel

Eindeutiger ist die Sache bei Florian Krewer. Auch er studierte Malerei in der Klasse von Peter Doig. Ihn hat es später in die South Bronx von New York City gezogen. Der Bezirk gilt als Geburtsstätte von Hip-Hop und Breakdance, und eben diesen impulsiven, lauten Spirit vermitteln auch Krewers Bilder von jungen Männern, die vorzugsweise nachts den Dschungel der Großstadt durchstreifen und gern Rabatz machen. Auch Elefanten und Raubtiere bevölkern seine Leinwände, dazu Akrobaten oder Tänzerinnen. Überhaupt ist es eine Art Zirkuswelt mit farblich grellen Effekten, die einen förmlich anspringt. Krewers Figuren treten in Aktion, ecken an, senden Signale aus, die auch mal aggressiv oder sexualisiert sind.

Upside down, Artisten unter der Hochhauskuppel. Florian Krewers „head high“, 3m x 2,80m

Obwohl sich Florian Krewer als Figur selbst ins Spiel bringt, ist es Carina Brandes, die sich am meisten exponiert – und zwar mit Abstand. Ihre Fotografien knüpfen an die Body Art an, die in den 1960er-Jahren im Gefolge von Happening und Fluxus ihren Siegeszug antrat. Anders als Pioniere wie Marina Abramovic, Chris Burden, Vito Acconci, Günter Brus, oder Carolee Schneemann geht es Brandes aber nicht um Provokation. Schock- und Ekeleffekte sucht man vergeblich in ihren Nacktfotos. Um es zugespitzt zu formulieren: Nackt fotografiert sich Carina Brandes so unbefangen, wie Fische im Wasser schwimmen.

Allein oder gemeinsam mit anderen Künstlerinnen agiert die heute in Leipzig ansässige Künstlerin (* 1982 in Braunschweig, Studium HfBK Braunschweig) wie in Trance auf einer Bühne, wo Tiere, Pflanzen und allerlei andere Requisiten in Nebenrollen auftreten. Langzeit- oder Doppelbelichtungen verstärken die Rätselhaftigkeit der Bilder. Denen durch die körperbetonten Wandtexte in der Kunsthalle eine literarische Dimension zuwächst. Neben dem six-letter word mischen sich andere Begriffe oder Kurzsätze in den Wortfluss: „Muskel“, „Scham“, „Seife“, „mein Herz“, „Ich bin hier“, „Ich brauche dich“, „Ich tu dir weh“ – dies und vieles mehr ist zu entziffern. Wenn man sich auf die Details einlässt, entwickelt sich ein intensives Seh- und Lese-Erlebnis.

„Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare“, schrieb Christian Morgenstern. Wüsste man es nicht besser, man könnte glatt meinen, er habe die Fotografien von Carina Brandes vor Augen gehabt.

Selfie mal anders. Carina Brandes, „Ohne Titel“. Foto: Künstlerin

„Carina Brandes / Florian Krewer / Raphaela Simon. Es liebt Dich und Deine Körperlichkeit ein Verwirrter”
Kunsthalle Düsseldorf
bis 19. Februar 2023

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