Wenn Götter lieben

Sagenhaft.Tizians Bildfolge ‘Poesia’ nach 500 Jahren wieder vereint. Der Prado trumpht auf

 

Vergebliche Liebesmühe. Bereits 1554 erfand Tizian für seine Venus und Adonis das Überraschungsmoment

In diesen Tagen liegt Madrid unter wechselhafter Witterung. Regenwolken folgen auf frühlingshaften Sonnenschein. Mal wachsen die Besucherschlagen vor dem Jardin Real Botanico, mal vor dem benachbarten Museo del Prado. Dort blühen bereits erste Rosen (nach dem verheerenden Schneeeinbruch von Mitte Januar ein Wunder), hier lassen sich Pasiones mitológicas (Mythologische Leidenschaften) bestaunen. Die spanischen Museen halten seit Juni letzten Jahres Ihre Tore offen.

Küssen und Necken. Cupido rückt Venus auf den Leib, Hendricks van den Broeck nach Michelangelo, 1550–70

Ein letztes Desiderat der Kunstgeschichte und ein titanisches Unterfangen der beteiligten Museen aus Boston, Edinburgh, London, Neapel, Paris, Rom, Rennes, Montpellier, Madrid und Frankfurt a.M. In Coronazeiten schier unvorstellbar. Tizians Poesie, eine sechs Gemälde umfassende Serie konnte, nachdem sie über mehr als 500 Jahre lang in alle Welt(museen) verstreut war, erstmals wieder vereint werden. Weit mehr: Der Prado stellt dieser Suite der „Lust und Liebe in mythologischen Zeiten“ weitere Hauptwerke Tizians sowie seiner besten Nachfolger an die Seite. Prächtige Werke von Veronese, Allori, Rubens, Ribera, Poussin, Van Dyck, Velásquez und Ribera bilden eine unvergleichliche Schau – ambitioniert im wissenschaftlichen Anspruch, atemberaubend in ihrer sinnlichen Opulenz. Ein unwiederholbares Zusammentreffen von Meisterwerken aus Zeiten, da sich die Malerei zu sich selbst befreite.  Alles wird im Prado aufgeboten, nur um die Bedeutung der Poesie als Wende- und Höhepunkt europäischer Tafelbildmalerei unter Beweis zu stellen.

„Eine Dreistigkeit“ seis, was sich Tizian da leiste, urteilten die Zeitgenossen als sie Bilder wahrnahmen. „Schöpferische Freiheit“ verteidigte ihn sein Freund Pietro Aretino. Man darf sich Tizian als einen schöpferischen Freigeist und lebendigen Widerspruch vorstellen, dem es nach jahrzehntelanger Abhängigkeit von seinen höfischen Auftraggebern vor allem darum ging, seine künstlerische Freiheit vollends zu erlangen, um noch viel bessere Bilder malen zu können als man sie vom ihm ohnehin erwarten durfte. In diesem Sinn steht seine Poesie tatsächlich am Anfang des modernen Ringens der Kunst um Freiheit und Autonomie.

Tizian hatte von seinem Auftraggeber Philipp II, dem Sohn Karls V und Gebieter über Spanien, Portugal, Neapel, Sizilien, zeitweise auch England, die Niederlande und Amerika „freie Hand“ erhalten, was Thema, Größe und Umfang der Gruppe betrifft und er wusste diese einmalige Gunst zu nutzen. In Augsburg, wo sich der Maler mit seinem halben Atelier über neun Monate lang beim Reichstag von 1548 aufhielt, erhandelte er die Zugeständnisse. Tizian wählte mythologische Szenen, hauptsächlich nach Ovids Metamorphosen, Sagen der Verwandlung aus vorchristlichen Zeiten, weil diese Bildgattung nicht etwa wie religiöse Themen oder Staatsportraits stark genormt waren. Doch Tizian erfand Szenen aus dem Goldenen Zeitalter auch gleich selbst.

 

Mit der Liebe kam die Furcht vor dem Verlust. Tizian erfindet die mythologische Szene von Venus’ vergeblichen Versuch, Adonis aufzuhalten.

Sein zweites Bild der Folge, Venus und Adonis (1554), zeigt die Göttin der Liebe und der Schönheit in einer verzweifelten Situation. Noch auf dem Liebeslager treibt es ihren Geliebten jäh zum Aufbruch. Venus schlingt beide Arme um Adonis, vergebens. Ein letzter Blick vereint das Liebespaar, dann bricht Adonis zur Jagd auf und reißt Venus fast von ihrem Sitz.

Tizian erfindet diese Szene, sie ist literarisch nirgends überliefert. Der Maler steigt hier in den Paragone ein, er will die Überlegenheit der Malerei über der Literatur zeigen, will keineswegs bloß Illustrator literarischer Vorlagen bleiben, sondern selbst erfinden und dazu der Farbe den Vorrang über den Entwurf geben. So entstehen hinreißend attraktive Gemälde aus dem Geist antiker Göttergeschichten geboren, getauft mit der neuen Freiheit. Und immer wo sich eine neue Freiheit durchzusetzen beginnt, ist die Sexualität mit von der Partie.

„Ut pictura poesis“, Horaz´Sentenz aus dessen Ars Poetica (15 v. Chr.), nimmt Tizian beim Wort, wörtlicher als alle Zeitgenossen. Er folgt auch der Poetik, wie sie Aristoteles schon im Altertum aufgefasst hatte. Hier spielt die Peripetie eine entscheidende Rolle, der plötzliche Umschlag des Geschehens, der jähe Wechsel von Glück zu Unglück. Diesen Augenblick will auch Tizian zeigen.

Wenn selbst die Kraft der Göttin der Liebe versagt, den Geliebten von seinem Jagdfieber abzuhalten, nimmt die Geschichte einen schlimmen Lauf. Adonis wird auf der Jagd von einem Eber zerfleischt. Die Liebe findet ein jähes Ende. Den antiken Mythos kannte selbstverständlich jeder Gebildete damals, gewiss auch Philipp II. Tizian allerdings pickt sich den überraschendsten Punkt heraus, gemalte Peripetie hatte esw zuvor nie gegeben.

Europa in unstabiler Rückenlage. Tizian malt eine sinnliche Europa halb  hingerissen, halb himmelhoch juchzend. Das Bild von 1559/1562 ist der Abschluß der Poesie für König Philipp II.

Um Moral aber geht es Tizian am allerwenigsten. Seine Poesie zeigt ihn auf dem Höhepunkt seines Schaffens, zu dem ihn seine neu gewonnene künstlerische Freiheit offensichtlich beflügelt. Erotik und Sexualität, Nacktheit und Verführung sind da nur willkommene Ingredienzien dieser göttlichen Feier der Malerei.

Doch sollte die beflügelnde Freiheit seiner famosen Bildfolge nicht gut bekommen. Sechs Gemälde (zwischen 1553 und 1575 entstanden, das siebente Bild Tod des Acteon blieb bis zu Tizians Tod in seinem Atelier. Harald Keller spricht sogar von acht Gemälden, jeweils “Pendants”. Das von im zum Ovid-Zyklus gezählte Bild Jason und Medea von 1554 gilt als verschollen.

Der Maler starb am 27. August 1576 in Venedig an der Pest. Die Poesie fand erst 1623 in einem Raum im Alcazar von Sevilla zusammen. Da hatten sich die Zeiten schon geändert, das Glück vom stolzen Auftraggeber abgewendet. Glaubenskriege, Ketzerverfolgung, die Unterdrückung des Freiheitskampfes der aufständischen Niederlande standen auf dem Programm. Die Armada war 1588 untergegangen.

Da war so viel Nacktheit und künstlerische Freiheit längst nicht mehr opportun. Die Bilder wurden hinter Vorhängen verborgen, gerieten in Vergessenheit und wurden schließlich verschenkt, verkauft. Zum Glück für die Bilder. Der Alcasar brannte 1734 völlig aus. Daher ist auch nicht bekannt, wie Philipp II sie dort zeigte. Umso neugieriger darf man sein, in welcher Formation sie der Prado heute präsentieren wird.

Doch der Prado weicht dieser Frage aus. Weder die Ausstellung, noch der Katalog unternimmt einen Versuch, Philipps camerino nachzuempfinden.

Es bleibt ein erhaltener Brief Tizians an seinen fürstlichen Auftraggeber aus dem Jahr 1554. Der Künstler schreibt von seiner neuen Komposition Venus und Adonis als einer im Vergleich zur Danaë „weit huldvolleren Vision“ und betont die Unterschiedlichkeit der Komposition für alle weiteren Gemälde seiner Folge. Es kam ihm auf die Variation an. Poesie sollte vor allem überraschen.

In seinem contrapposto geht es Tizian zugleich um seinen Rang als größter Künstler der Epoche. Dazu musste er seine Überlegenheit vor Michelangelo wie überhaupt der Bildhauerei unter Beweis stellen. Mit der Poesie sollte es ihm endgültig gelingen.

 

Redaktion: Anke Strauch

 


im Prado, Madrid bis zum 4. Juli 2021

anschließend, unter dem Titel “Titian: Frauen, Mythos und Macht” im Isabella Steward Gardner Museum in Bosten, 12. Aug. 2021 bis 2.Jan. 2022  

 


Der Prado bietet zu seiner Ausstellung eine außergewöhnliche virtuelle Tour in Gigapixel technology an.

Alejandro Vergara, einer der Kuratoren der Ausstellung, führt eine kurze Willkommenstour durch die Galerien, stellt die Ausstellung vor und bietet den virtuellen Besuchern den nötigen Kontext, bevor sie mit der Free Exploration beginnen, einem Raum, in dem Benutzer die Ausstellung ohne Führung genießen können Umgang mit dem Audioguide, dem Raumtext und dem Faltblatt; äußerst umfangreiche Inhalte, die einem realen, physischen Ausstellungsbesuch so nahe wie möglich kommen.

Sieben Gemälde in der Ausstellung können mit maximaler Zoomstufe betrachtet werden und bieten millimetergenaue Details, die das menschliche Auge übertreffen. Diese Werke sind: „Venus und ein Musiker“ und „Danaë und der Goldregen“ von Tizian; Der Garten der Liebe, Diana und Callisto und Die drei Grazien von Rubens; Venus und Adonis von Veronese; und “Die Spinner” von Velázquez, die zusätzlich durch kurze Kommentare ergänzt werden, die speziell von Experten des Museums für diesen virtuellen Besuch vorbereitet wurden und deren Symbolik, Technik oder die abgebildeten Charaktere erläutern.

 

Meier, Dieter

ALLDIETER MEIER FILM Electropop. Revival auf der Bühne Dieter Meier ist Pokerspieler, Gastronom („Bärengasse“, Zürich), Biofarmer in der Pampa Argentiniens, Winzer, Großaktionär in der Schweiz

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