Requiem für einen Stuhl

Wie der Malkasten seine Mobilien verholzt 

Selten steht ein Stuhl im Rampenlicht. Er dient vorzüglich als Sitzgelegenheit. So wird er über die Jahre und Jahrzehnte zum stummen Diener alle jener, die sich seiner anbequemen. Wie alle Diener ist er von ausgesuchter Diskretion, hat gleichwohl lange Ohren und kennt vielleicht am besten die Geschichten des Hauses und die seiner Benutzer dazu.

Der Malkastenstuhl ist so eine dezente Figur, ein leicht zu übersehender Nebendarsteller im Hintergrund des bisweilen mächtig schillernden Düsseldorf. Seine unaufdringliche Gestalt von elegant klassischer Prägung entspricht vollkommen seinem Auftrag. Er ist Sitzmöbel, schlicht und bequem, und dass auch bei vielen sich bis in den späten Abend hinziehenden Podiumsdiskussionen oder Vereinsversammlungen, Rastplatz bei Redouten, Parties oder Gelagen.

Nur ein Serienmöbel ist er beileibe nicht, kein sich zu langen Reihen zusammenfügender Theaterstuhl. Er ist ein Unikat, das sich gleichwohl als „lose Bestuhlung“, zu Stuhlkreisen oder Gruppen im vornehmen Saal des Künstlervereins Malkasten bewährt. Im kommenden Jahr wird er 70 Jahre alt.

Entworfen wurde er in den frühen fünfziger Jahren im Büro von Helmut Hentrich und Hans Heuser. Für den Neubau des im Bombenkrieg in der Nacht vom 11. zum 12. Juni 1943 schwer getroffenen Vereinshaus von 1864/67 zeichnet neben Hans Heuser (1904 in Düsseldorf- 1953 ebenda) auch Hans Kölges (1930 in Wickrathberg, heute Mönchengladbach) verantwortlich. Der Stuhl wird eigens für die neue „Versammlungsstätte“ des Künstlervereins entworfen. Der Saal soll als Mehrzweckhalle dem „geselligen Beisammensein“ dienen.

Der Malkastenstuhl ist also keineswegs nur stummer Zeuge, sondern beredtes Beispiel einer Zeit, als Düsseldorf zur Hauptstadt des Wirtschaftswunders wurde. Das Büro Hentrich-Heuser schuf damals parallel zu den Planungen des neuen Malkastens zwei weitere Ikonen der Nachkriegsmoderne, 1951/52 das „Drahthaus“ in Düsseldorf-Golzheim und 1952/53 das „Aluminiumhaus“ in Düsseldorf-Pempelfort. Der Malkasten bildet mit diesen beiden Bürogebäuden eine Trias der internationalen Nachkriegsmoderne, ihre architekturhistorische Bedeutung ist unbestritten. Alle drei Bauwerke haben sich zudem ausgezeichnet erhalten, was in Düsseldorf eher selten ist. Alle drei stehen unter Denkmalschutz. Sie markieren die Schwelle von der „steinernen Moderne“ (der Hentrich lange anhing) zur „gläsernen Moderne“, zu der sich 1960/61 mit dem „Dreischeibenhaus“ eine unvergleichlich monumentalere Größe gesellen sollte. Doch wollte der Malkastenbau kein Beitrag zum Neuen Bauen sein. Alle drei genannten Bauwerke von Hentrich-Heuser (ab 1953 Hentrich, Petschnigg und Partner, heute HPP Architekten) sind einem erneuerten, strukturellen Klassizismus verpflichtet. So auch der Malkastenstuhl, der eigentlich ein Sessel ist.

In seiner Funktionalität bewahrt er eine schlichte, dem Zeitgeschmack verpflichtete, zurückgenommene Eleganz, die darum ihre Herkunft aus der Klassik und dem Klassizismus Schinkelscher Prägung nicht verhehlt. Schon 1929 erhielt Helmut Hentrich (17. Juni 1905 in Krefeld – 7. Februar 2001 in Düsseldorf) für den Entwurf einer Hochschule für Tanzkunst den Schinkelpreis.

Der schwarzlackierte Holzkorpus, der hellgraue Lederbezug, die breite, wohl geschwungene Rückenlehne, die zurückgenommenen Armlehnen, die mit den weit nach hinten ausgestellten Beinen verbunden sind, all da weist auf den Tafelstuhl zurück, wie ihn Karl Friedrich Schinkel für den Neuen Pavillon im Schloßpark Charlottenburg entworfen hat. Den Auftrag für diesen königlichen Wohnabu erhielt Schinkel 1823. Auch dieses Bauwerk wurde bei einem Fliegerangriff 1943 getroffen und brannte bis auf die Außenmauern nieder. In der schlichten Eleganz des Malkastenstuhls zeigt sich eine Reminiszenz an Schinkels Stuhl und doch offenbart sich hier eine Wendung hin zum internationalen Stil der Moderne, wie sie etwa von Mies van der Rohe vertreten wurde.

Unbekannt und unerfasst bleibt, wer sich alles auf einem dieser Stühle im Laufe des reichen Vereinslebens niedergelassen hat, Malerfürsten wie Modelle, Eminenzen wie Karteileichen, tragende Säulen wie geknickte Figuren. Schade eigentlich, dass die Stühle nicht sprechen können. Verdiente Mitglieder bekommen einen Malkastenstuhl en miniature als Ehrung und Dank.

Nun soll der Stuhl – es gibt davon noch an die zweihundert Originale und dazu auch mehrere passende Tische – ausrangiert werden. Die neue Leiterin der Kömodie, Verena Wüstkamp, kann die alten Malkastenstühle nicht gebrauchen. Wie sie jetzt dem Radiosender  Antenne Düsseldorf in einem Interview verriet, will sie, wenn die Komödie ab dem kommenden Jahr im Malkasten den Spielbetrieb aufnimmt, 300 neue Stühle anschaffen. Dann können mehr zahlende Zuschauer in den Saal. Was dann mit den Malkastenstühlen geschieht, davon hat der Vorstand eine ganz konkrete Vorstellung. Über 50 seiner Stühle, die bisher als Reserve in den Parkgebäuden (Annexbauten) untergestellt waren, hat der Vorsitzende Robert Hartmann bereits still und heimlich der Müllabfuhr überantwortet. Ein Probelauf? Eine Komöblie?

Oder sollte hier die Frage erlaubt sein, welche Wertschätzung dieser Künstlerverein der eigenen Geschichte und den eigenen Baulichkeiten entgegenbringt? Erst fallen die Bäume, dann die Stühle, dann spielt die Komödie auf. Kein Scherz, ein Schauerstück.

cfs

 

klassisch,                                                        bequem,                                                        modern,                                                  auf den Müll

Mehr zum Thema

Man möchte rasend werden

Putsch von oben

Eine Gastrokritik

 

© 2022 All rights reserved