Der Coup. Wie Billy Childish zum Star der Art Basel wurde

“Tote Künstler sprechen zu mir”

Billy Childish hat große Fortschritte gemacht, als Maler. Erst seitdem er sich vor zwei, drei Jahren dem “Tod im Schneefeld” des einsamen Schweizer Schriftstellers Robert Walser (1878 – 1956) zuwandte, scheint er sein Thema und seine eigenen Malduktus gefunden zu haben. Ein später Van Gogh? Aber Childish, 1959 als Steven John Hamper in Chatham, Kent geboren, ist viel zu sehr Punk, Einzelgänger und Sonderling, um Gefahr zu laufen, jemals als Star zu enden.

Dennoch wurde er, der gerne mit seltsamen Kopfbedeckungen auftritt, über Nacht zum Star der 41. Art Basel. Neugerriemschneider widmete ihm auf ihrem großzügig bemessenen Stand eine spektakuläre Einzelausstellung. Im Messekatalog war Childish nicht mal angekündigt, stattdessen alle die Weltstars der Berliner Galerie, Franz Ackermann, Olafur Eliasson, Isa Genzken, Elizabeth Peyton, Tobias Rehberger oder Simon Starling. Childish hatte niemand auf der Liste.

Drei Stunden nach Messebeginn war der Stand ausverkauft (Preise zwischen 5.000 und 25.000 Euro). Ein Coup. Der dekorative Holzboden von Jorge Pardo blieb erstaunt liegen (275.00 Dollar). “Wer ist Billy Childish?”, fragten sich die versammelten Kunstliebhaber in Basel, die doch sonst jede kleinste Bewegung der Szene kennen. Mr. Seltsam als neuer Shootingstar auf dem internationalen Messeparkett?

Als Musiker ist Wild Billy Childish weitaus bekannter, auch wenn er es in dieser Sparte nicht unbedingt darauf anlegt, Berühmtheit zu erlangen. Dem “Garage Punk” ist er über die Jahre treu geblieben. Noch immer wohnt und arbeitet er in einem Reihenhaus seiner Vaterstadt Chatham. Als Poet und Schriftsteller arbeitet er unermüdlich und hier liegt auch das Epizentrum seines künstlerischen Schaffens. Über lokalen Ruhm ist er auch hier kaum je hinaus gekommen. 1979 gründete er The Medway Poets, eine “poetry performance group“. Unverdrossen publiziert er eine Gedichtsammlung nach der anderen, zumeinst in seinem eigenen Verlag, den “Hangmann Books”. Über 40 sind es bisher. Im vergangenen Jahr schrieb er “I am their damaged megaphone” ( Ich bin ihr beschädigtes Megaphon). Das Gedicht gab auch den Titel der Basler Ausstellung ab. Wer aber sind sie? – “Tote Künstler”. Sie sprechen zu ihm, und er ist ihr beschädigter Lautsprecher. Sie verlangen nach einer “Kunst ohne Kunst. Liebe ohne Liebe. Haß ohne Haß….”

Kunst ohne Kunst, davon träumte schon die Avantgarde zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Ein Avantgardist ist Childish nun beim besten Willen nicht, er stellt dem hochspezialisierten Kunstmarkt vielmehr seinen kruden Amateurismus entgegen. Blanke Provokation aus der Tiefe der Punk-Provinz? Viele wundern sich über den überraschenden Erfolg dieses Nobody auf der weltbesten Kunstmesse. Oder war es etwa das Zeichen der Krise? Retromalerei als Erfolgsrezept. Kann es sein: Childish´s demonstrative Amateurkunst als Ausdruck der Ratlosigkeit und der Verunsicherung auf dem eisigen Gipfel der Weltkunst. Der Dichter liegt rücklings tot im Schnee, seinen Hut ist ihm beim Sturz vom Kopf gefallen, ist ein paar Meter weiter gekullert und liegen geblieben.

Schon früh stand Childish in enger Beziehung zu den YBA-Künstlern, lernte Peter Doig kennen und hatte über einige Jahre eine Beziehung mit Tracy Emin. Ein Saatchi-Boy wurde er darum noch lange nicht. Zu abgedreht, zu spleeny? Childish pflegt einen penetranten ”amateurism”. Als “Son of Art” gibt er sich betont British, schätzt die Traditionen und zelebriert die Selbstironie. Fool oder Genie, Kleinkünstler oder bloß ein weiterer beschädigter Decandent?

Als Neujähriger wurde er von einem Freund der Familie sexuell mißhandelt (Tracy Emin erlitt ein ähnliches Schicksal). Als Lernbehinderter flog er mit 16 von der Schule, weigerte sich die lokale Kunstschule zu besuchen, begann aber als Autodidakt zu zeichnen. Dada und Kurt Schwitters zählen zu seinen frühen Vorbildern. Daraufhin wurde er von der renommierten St. Martin´s School of Art angenommen, die ihn nur einen Monat später wieder entließ. Er weigerte sich in der Akademie zu arbeiten. Für die nächsten 15 Jahre lebte er von der Stütze.

Erst vor zwei Jahren gründete Childish die “Nicht-Organisation” The British Art Resistance und hatte eine umfassende Ausstellung all seiner meist autobiographisch motivierten Malereien, Musikaufnahmen, Bücher, Pamphlete, Gedichte, Drucke, Briefe, Filme und Fotos unter dem Titel “Held des Widerstands der Britischen Kunst” (Aquarium L-13 Galerie, London 2008).

“Troubled Mind” heißt ein aktueller Song seiner Punk Rock Combo “Medway Wheelers”, Childish ist deren Sänger und Gitarrist. An die 100 Alben im Stil des “Garage Punk” hat er mit wechselnden Bands bereits produziert.

Mitte September wird es bei Neugerriemschneider in Berlin die erste Einzelausstellung von Billy Childish in Deutschland geben. Er widmet sich hier dem fast vergessenen Schriftsteller Hans Fallada (1893 -1947). Die Preise dürften allerdings steigen.

C.F. Schröer

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