Gleich eingangs stellt er sich quer. Ein gewaltiger, wer weiß wie schwerer Baumstamm, über sieben Meter lang vom Fußboden bis unter die Decke. Ein Ungetüm von einem Baum. Schwer gezeichnet von der Motorsäge, mit der er erlegt, bearbeitet, traktiert wurde.
Eine Barriere quer im Raum, halb geöffnet, halb geschlossen; aufstrebend, nicht ausbrechend, brachial und doch leicht, fast in der Schwebe.
Diesen Punkt zu treffen, wo das Schwere leicht, das Ungetüme gebändigt, das Elementare in Form, das Feste in Bewegung gerät, ist eine Kunst. Der Bildhauer Erwin Wortelkamp würde es als „Versuch“ bezeichnen, sogar als beharrlich verfolgtes „Postulat“, ein vieldimensionales Gefüge zu equilibrieren. Im Inneren bestimmt, das Wagnis suchend. Ein labiles Gefüge zweifellos, wo das Fallende das Stürzende hält.
„Skulptur – Architektur“, so der lapidare Titel der Arbeit, unternimmt den Versuch, Skulptur und Architektur in eine Beziehung voller gegenseitigem Respekt zu bringen. Denn, so Wortelkamp, „ein Äußeres ohne Inneres oder umgekehrt, ist ein Volumen ohne Luft.“
„In Beziehung setzen“ könnte gut ein Stichwort beim Rundgang durch die sechs Räume der Werkschau „Ein ganzes Leben für die Kunst“ im Museum DKM sein. Skulptur in Beziehung zu Raum und Wand, der Architektur, der Wortelkamps besondere Aufmerksamkeit gilt, aber gewiss auch zu den Menschen, die sich damit konfrontiert sehen, die in eine Auseinandersetzung gleichsam hineingezogen werden.
Bei aller Bestimmtheit, allein und auf sich selbst gestellt, selbstgewiss oder selbstbezogen ist hier rein gar nichts. Es ist vielmehr eine Schule der Bezüge und der wechselseitigen Bestärkung, Verunsicherung und In Fragestellen inbegriffen. An das eigene Werk, wie an die Welt insgesamt. Denn die Sprache seiner Formen und Figuren gilt dem Bildhauer Wortelkamp als Ausdruck geistiger Existenz. Aufsteigen, aufrichten, an die Decke stoßen, gefangen im Raum, ihn durchmessen, ihn dimensionieren, erfahrbar werden lassen, das alles sind elementar menschliche Erfahrungen, von denen seine Kunst ausgeht und ihr eignes Spannungsverhältnis sucht.
Unmöglich, an diesem weiß gekälktem Stolperbalken ungeschoren vorbei zu kommen. Es sei denn man macht einen Bogen herum. Eine erste Begegnung, ein erster Umgang kann beginnen.
Diese Rauminstallation erweist sich als Reinvention. Für die Ein-Raum Schaufenstergalerie der Stiftung DKM im “Garten der Erinnerungen“ am Duisburger Innenhafen unternahm Wortelkamp 2001 den „Eingriff“. Seine Setzung: Ein Raum, ein Baum. Das Lehmbruck Museum zeigte gleichzeitig eine große Überblicksschau.
Das ist 20 Jahre her. Die Werkschau im DKM-Museum knüpft an diesen provokanten Eingriff an und stellt „Skulptur – Architektur“ samt Stützpfeiler an den Anfang.
Gleich nebenan eine vollkommen anders gestaltige Arbeit aus dem gleichen Jahr. Wortelkamp nahm eine Einladung in die Casina Pompeiana an der Passeggio di Chiaia nach Neapel an. Seine Raumistallation hier widmete er dem deutschen Zeichner, Grafiker und Maler des Idealismus Hans von Marées (1837 in Elberfeld – 1887 in Rom). Architekturbezogen, figürlich, kreatürlich arbeitete von Marées hundert Jahre vor Wortelkamp. Die Sammler Dirk Krämer und Klaus Maas haben die Neapel-Installation damals vollständig erworben und später in ihr Museum in der Duisburger Innenstadt überführt.
Wortekamp zeigt hier ein anderes Gesicht. Er nimmt Bezug auf die fruchtbare Auseinandersetzung des deutschen Idealismus mit der Antike, mit Adolf von Hildebrand und Konrad Fiedler vor allem. Aber er verbindet dies mit Konzept Art und Minimal Art. Wortelkamp, ein Zeitgenosse von Richard Serra und Bruce Nauman, hat auch das durchmessen. Von Marées Orangen werden zu Spielbällen einer Bodeninstallation. 182 Kugeln aus Eisenguß oder bemaltem Gips liegen dort zu einem Feld geordnet in regelmäßigem Abstand auf dem nackten Fußboden. Eine Kugel für jedes Lebensjahr des Künstlers. Jedes Jahr fügt Wortelkamp eine weitere hinzu.
Zwischen Holzbildhauerei und Konzept Art liegt ein weites Feld. Erwin Wortelkamp, 1938 in Hamm/Sieg geboren, heute in Hasselbach im Westerwald und Acquaviva in den Marken ansässig, hat es gründlich durchpflügt wie kaum ein Künstler vor ihm. Wer er ist, wo er als Künstler anzusiedeln ist darüber gibt es immer noch viel Klärungsbedarf. Als Neoexpressionist wurde er bezeichnet, gar als Neuer Wilder. Als Klassiker und Traditionalist beargwöhnt, trotz Kettensäge und Vorliebe fürs Archaische und Rebellische.
Seit er 1986 im Westerwald Im TAL gründete, um auf elf Hektar ein vielstimmiges Gefüge mit und in der Natur anzustimmen, gerieten die Einordnungsversuche abermals durcheinander. 49 landschaftsbezogene Kunstwerke und vier Häuser für Künstler sind dort zu besichtigen. Als Oberaufseher eines Skulpturenparks sieht sich Erwin Wortelkamp dennoch keineswegs. Ein Unzeitgemäßer ist er auch nicht, eher ein Unentwegter. Ein Contrarian, dem es um die Behauptung der Bildhauerei in Zeiten des erweiterten Skulpturenbegriffs geht.
Zu seinen Skulpturen treten die Setzungen. Wie er sie auftreten, erscheinen lässt, wie sie sich zeigen, aufrichten, anlehnen, auflehnen, kauern, zwischen zwei Mauern eingespannt sind, Halt suchen und Halt geben, Bezug aufnehmen, Widerstand bieten, das ist seine Frage, darin offenbart sich seine Kunst. Man kann von Erwin Wortelkamp in einem gesteigerten Maß lernen, dass aus einer Binsenwahrheit eine Weltsicht wird. Beispielsweise: Keine bipolare Welt, kein altbackener Dualismus nach dem Muster hier die autonome Skulptur, dort die Welt. Wortelkamps Kunst weist vielmehr auf den bisweilen unsicheren Pfad, sich mit der Welt in Beziehung zu setzen, einzulassen auf die vielen Gegenüber und Gegenspieler. Welt, das ist ihm architektonischer Raum wie natürliche Umwelt.
Aus dieser Offenheit bezieht seine Kunst ihre eigene Aktualität. Wir sehen die Bäume heute anders, da sie an der Trockenheit leiden, verdorren in der Klimakrise. Umwelt, das ist vor allen die Atmosphäre, die uns umgibt, von der wir leben. „Umgekehrt ist jedes Lebewesen zuerst das, was das Leben der Anderen möglich macht, was transitives Leben produziert, das überallhin zirkuliert und von anderen geamtet werden kann.“ So Emanuele Coccia in: Die Wurzeln der Welt.
Redaktion: Anke Strauch
Die Ausstellung im DKM ist noch bis Sonntag, 26.07.2020, offen.
Was Sie auch interessiert: