Das Grün, das Gift und die geliehene Landschaft

Edith Dekyndts Vitrine im Malkasten ist Teil von “Borrowed Scenery” im Park Lantz 

Green of Schweinfurt. Edith Dekyndt

Wie könnte in einem Malkasten ein sattes Grün fehlen! Weil aber der gleichnamige Künstlerverein in Düsseldorf seinen historischen Garten unlängst mit einem Neubau überzog, hielt man es für eine wirklich gute Idee und einen zeitgeistgemäßen Ausgleich, einmal wieder das Grün zu feiern.     

So gelangt die Vitrine im immer noch so genannten „Hentrichbau“ zum Einsatz. Edith Dekyndt zeigt dort „Green of Schweinfurt“. Getränkt in eben jenes Schweinfurtergrün saugt sich das besondere, als schwer giftig berüchtigte Grün in den fast sechs Meter hohen Vorhangstoff. Das satte Grün verläuft dabei auf seinem Weg nach oben zu Zartgelb, Hellblau, Violett und Lichtgrau. Wunderschöne Farbverläufe wie auf japanischen Farbholzschnitten des 17. Jahrhundert oder den Rakelbildern Gerhard Richters, Katharina Grosses oder Jan Kolatas.

Dekyndt (*1960 in Ypern, Belgien, lebt und arbeitet in Brüssel und Berlin) nutzt Vitrinen als Interaktionsraum. Zutiefst mit der Kommerzialisierung und Kolonialisierung verbunden, entstanden sie zur Zeit der Industrialisierung und der ersten Weltausstellungen. In der Alten Pariser Börse, der heutigen Bourse de Commerce der Pinault Collection hat die Künstlerin die an den Wänden des kreisrunden Bauwerks erhaltenen Vitrinen für ihre Einzelausstellung 2023/2024 genutzt. Ihre Beschäftigung mit Stillleben, lebenden Bildern, Terrarien und anderen Schaukästen fand in Paris in einer Endlos-Folge zu einem vielbewunderten Objekttheater zusammen.

Verweise auf toxische Wirkung und toxische Materialien finden sich immer wieder in ihrem vielschichtigen Werk. Dekyndt, die in den Bereichen Video, Skulptur, Installation, Zeichnung und Soundart arbeitet, geht es immer um zeitlose oder elementare Themen wie Licht, Zeit und Raum. Ihr profundes Interesse an physikalischen Phänomenen und ephemeren Ereignissen lässt sie Materialien finden, um sie in ihrer subtilen Wandelbarkeit und Vergänglichkeit zu zeigen. Indem sie uns Transformation als fortlaufenden Prozess sinnlich ansprechend vor Augen führt, werden wir Teil einer Welt voller Wandlungen und Wunder.

Für „Green of Schweinfurt“ hat Dekyndt einen Vorhangstoff in einen grünen Farbstoff getaucht, der dem mit Arsen hergestellten Pigment ähnelt (erstmals ausgestellt in der Galerie Fischer Berlin 2024).

Im 19. Jahrhundert war das Schweinfurter Grün für allerlei Zwecke in Mode gekommen: zum Färben von Kleidern, zum Bemalen von Wänden oder bei der Herstellung von Tapeten sowie als Ölfarbe für Künstler. Gauguin und Van Gogh benutzen das intensive Grün besonders gern, ebenso wie später Sigmar Polke. Nachdem die – tödlichen – Folgen der hochgiftigen Doppelsäure bekannt wurden, war ihre Verwendung verboten.

Gift kann langsam, scheinbar unbeobachtet oder plötzlich wirken, es kann heilend sein oder tödlich. Die Vitrine als Interaktionsraum, der Vorhang als wandelbarer Blickfang, beides interessiert die belgische Künstlerin auf sehr unterschiedliche Weise. Als Kommunikationswissenschaftlerin ist sie mit Bruno Latours „Aktanten“ vertraut. So definiert sie ihre Kompositionen und Objekte als „Patienten“, sicherlich weil diese darauf warten, von chemischen, physikalischen, meteorologischen und atmosphärischen Faktoren gefunden, repariert und umgewandelt zu werden.

Wächter der Vitrine. Christoph Westermeier

Die gläserne Vitrine als Giftschrank, zu der nur der Vorsitzende des Künstlervereins, Christoph Westermeier, den Schlüssel hat, enthält eine inspirierende Vorstellung. Nebenwirkung: Nur wenn er die gläserne Wand öffnet und beiseiteschiebt, kann man den Kopf in die Vitrine stecken und den Vorhang bis ganz oben sehen – und einatmen.

Die Virtrine im Malkasten ist allerdings auch Außenposten wie Verbindungskasten zu “Borrowed Scenery”, der sechsten Ausgabe des Lantz’schen Skulpturenparks, das die Kunstkommission Düsseldorf in Stockum jährlich betreut und die Kuratorin wählt: für dieses Jahr fiel die Wahl auf Stephanie Seidel.  

“Shakkei”, ein Begriff aus der japanischen Gartenkunst (dt. “geliehene Landschaft”,) hat Seidel als Keyword gewählt. Es bezieht sich auf die bewusste Rahmung und Einbeziehung der umgebenden Landschaftsmerkmale in die Gestaltung eines Gartens. “Borrowed Scenery” sucht also Bezüge zur besonderen Geschichte des Lantz’schen Parks. Mimosa Echard, Dara Friedman, Benjamin Hirte, Allison Katz und Nancy Lupo nehmen in ihren Außenarbeiten Bezug zu diesem mehrfach umgewandelten und umgenutzten Villengarten unterhalb der Startbahn des Flughafens. 

Edith Dekyndt „Schweinfurt Green“ bezieht sich auf beide, erstmals in ein Zusammenspiel gebrachte Kunstorte. Die herrschaftliche Villa Lanz wie der Künstlerverein Malkasten entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts als das Rheinland von Berlin aus preußisch regiert wurde. Gut möglich, dass ihre repräsentativen Räume einst mit Vorhängen oder Tapeten voller toxischem Schweinfurtergrün ausgestattet waren.  

„Ich interessiere mich für historische und zeitgenössische Formen des Feminismus – nicht in Bezug auf Künstlerinnen, sondern eher als eine Art, sich den Dingen zu nähern und Erzählungen ausfindig zu machen, die außerhalb des Mainstreams liegen,“ sagt Stephanie Seidel. Das Gift der Herrenhäuser sitzt womöglich unsichtbar noch in den Balken und Dielen, auch wenn die grünen Tapeten längst ausgewechselt wurden.  


Edith Dekyndt
Erzähl uns etwas, das niemand weiß
Einzelausstellung Kunsthalle Bielefeld
05. Juli bis 26. Oktober

Stephanie Seidel

Stephanie Seidel : Bevor sie 2016 stellvertretende Kuratorin am Institute of Contemporary Art, Miami (ICA Miami) wurde, arbeitete Stephanie Seidel als Interminsdirektorin am Neuen Aachener Kunstverein, sowie für „25/25/25“ der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen. In Düsseldorf gründete sie den Projektraum Between Arrival & Departure. 2021-2023 organisierte Seidel Betye Saar: Serious Moonlight in Zusammenarbeit mit 49 Nord 6 Est – Frac Lorraine, Metz und dem Kunstmuseum Luzern. Sie war u.a. Co-Kurator der ersten musealen Einzelausstellung von Tomm El-Saieh, Diamond Stingily und Janiva Ellis. Sie hat Ausstellungen u.a. mit Ellen Lesperance, Anthea Hamilton und William N. Copley kuratiert. Gerne organisiert sie auch Symposien, wie “They Failed to Remember Us: Expanding Intersectional Feminisms” und im vergangenen Jahr über Zilia Sánchez im ICA Miami.

Das Projekt Lantz’scher Skulpturenpark ist erstmal auf zwei Stationen verteilt. Es fällt unter die Zuständigkeit der Kunstkommission Düsseldorf und wird durch das Kulturamt Düsseldorf, die Kunststiftung NRW sowie dem Bureau des arts plastiques des Institut français Deutschland gefördert.

Die Ausstellung ist bis zum 7. September 2025 zu sehen. Der Ausflug lohnt sich. Der Eintritt ist frei.


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