Lieber gute Bücher als schlechte Laune

Der Frühling kündigt sich an. Schirmer/Mosel legt sein allerbestes Verlagsprogramm vor

Als Ausblicke noch schön waren. Isabella Rossellini schmucklos im Longsleeve

Verlagsprospekte können stinklangweilig sein. Darum werden sie noch weniger gelesen als die Bücher, für die sie werben, druckfrisch schon Altpapier. Das Frühjahrsprogramm von Schirmer/Mosel ist ausnahmsweise die Ausnahme, hinreißend, mitreißend, zum Wegträumen und Hinschauen.

Seit 49 Jahren ist Lothar Schirmer nun schon Verleger und es scheint fast als sei dieses Frühjahrsprogramm sein bestes, vielleicht allerbestes. Bis wir im nächsten Frühjahr von seinem allerallerbesten überrascht werden. Dann kann der Münchner Verleger sein 50. Dienstjubiläum feiern und sich selbst mit einem Jubiläumsprogramm übertrumpfen. Ach was, erst im übernächsten Vorfrühling kommt das Allerallerallerbeste. Dann wird Lothar Schirmer 80 Jahre alt. Wir bleiben lesehungrig wie eine Leseratte, gespannt wie eine Mausefalle.       

His Master´s shot. Jim Rakete trifft Peter Lindbergh und Lothar Schirmer auf Mallorca

Man darf sich Lothar Schirmer wie Dagobert Duck vorstellen. Der badete bekanntlich im Geld, Schirmer in Büchern. Noch schöner, noch fantastischer in Ideen zu neuen Bücher und immer neuen wundervollen Büchern.

Zu Geld hat dieser Verleger bestenfalls ein gespaltenes Verhältnis. Seinen Weg hat das Flüchtlingskind aus Schmalkalden „aus Armut“ gefunden. „Ja. Aus Armut. Das ist eine Mischung aus Armut und den Möglichkeiten. Ich musste mich konzentrieren. Ich habe immer gedacht: Wenn du mehr Geld gehabt hättest, wäre es noch schöner geworden. Aber vielleicht stimmt das auch nicht.“

So ist neben dem Verleger der Sammler groß geworden. „Lieber gute Kunst als schlechtes Geld. Das habe ich von den Kölnern gelernt. Dass es neben dem Geld noch andere Dinge gibt. Und das Geld ist immer schlechter geworden. Jetzt kriegen Sie noch nicht einmal mehr Zinsen.“

Der Mann hat Witz und das Schöne daran ist, er besitzt Humor

Wir schweifen ab, Schirmer erzählt so schön. Er hat Witz und das Schöne daran ist, er besitzt Humor. Sogar mit Intelligenz gespickt. Gibt es das ohne Neugier: „Das Schöne an der Kunst ist: Sie macht mir unheimlich Spaß. Ich kann mich an Kunst erfreuen. Diese Möglichkeit, seine eigene Neugierde zu sozialisieren, ist ja auch ganz hübsch.“


Drei Bücher aus dem Frühjahrsprogramm sind schon zu haben und allein diese drei zeigen das Kaliber, um das es hier geht. Als da sind:
Die erste, bibliophil eingerichtete Monographie zu Martin Assig. Der Berliner Künstler, „unser Künstlerfreund“, ist stark in Schirmers eigener Sammlung vertreten, seine Retrospektive im Museum Küppersmühle (bis März 2023) lobt der Sammler/Verleger in den höchsten Tönen. Das kann er nämlich auch: Eigenlob, gestank-, aber nicht geistlos.

Zweitens die „Hommage“ an die erste Frau der Photographengruppe Magnum, Inge Morath, „eine Lichtgestalt des Photojournalismus“ und drittens, erstmals in Buchform, die schönsten Aquarelle von Wols.

Wols, Paysage, 1939-40

Dieses Buch kommt in zwei Fassungen: Als farbenprächtiger Einzelband, eines chef d´oeuvre des 20. Jahrhunderts und zusammen, Schirmer schreibt „vereint“, mit dem großen Band über die Gemälde von Wols, in einem Schuber als Gesamtausgabe. Womit sein Werk, Heldentat des Kunstbuchverlegers Schirmer, 72 Jahre nach dem Tod dieses sonderbaren, wie großartigen Künstlers „endgültig vorliegt“. Die Fotografien von Wols brachte er bereits 1978 heraus.

Dieses Trio, Dreieck, Dreigespann wird nun mühelos erweitert durch 13 Ankündigungen, die einem schon vor der Bestellung das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen, wenn bedrucktes Papier dazu in der Lage wäre. Maria Callas vorweg. Den 100. Geburtstag dieser singenden Ausnahmediva mag sich der Verleger keineswegs entgehen lassen. Er muss schließlich irgendwo sein Geld verdienen, um es für seine „Spirenzchen“ ausgeben zu können.

Admiration! Olympe Aguado um 1860

Etwa eine Monographie über Olympe Aguado, einem der reichsten Bankiers Frankreichs, der zum fabulösen Photographen am Hof Napoleon III. und seiner Gattin Eugénie avancierte. Wolfgang Kemp ist für diese Ausgrabung verantwortlich. Kemp ist auch der erste Autor, den Schirmer für seine allererste Verlagspublikation überreden konnte: „Rheinlandschaften“ von August Sander, das erste Buch, das 1975 im frisch gegründeten Schirmer/Mosel-Verlag erschien. Damals, vor fast 50 Jahren, ein Wagnis, die Photographie ein Stiefkind der Kunstwissenschaften, August Sander nur Insidern ein Begriff. Beides hat sich seitdem gründlich geändert, Dank Schirmer und Kemp. 13 monographische Publikationen zum Werk von Sander – darunter drei Editionen seines monumentalen Portraitwerks „Menschen des 20. Jahrhunderts“ – hat Schirmer vorgelegt.

Wolfgang Kemp und Hubertus von Amelunxen haben eine vierbändige „Theorie der Fotografie. 1839-1995“ herausgegeben. 175 Essays sind hier auf 1296 Seiten versammelt. Band V von Peter Geimer bringt die Fototheorie jetzt auf den neusten Stand. Zurück zu Napoleon III.

Der Bilderrahmen als Maske. Die Comtesse de Castiglione lässt sich um 1865 von Louis Pierre Pierson ablichten

„La Castiglione“, die umworbene Schönheit aus italienischem Adel, war abwechselnd Modell, Verkleidungskünstlerin, Agentin und Geliebte des kleingewachsenen Kaisers. Vor allem als „feministische Ikone“ und Selfie-Queen wird sie von Catharina Berents nun endlich vorgestellt. Über 400 selbst inszenierte Portraits der Contessa sind überliefert, Cindy Sherman avant la Farbfotografie.

Beuys. Ach Beuys, nicht zu vergessen! Kein Frühlingsprogramm ohne Beuys. Mit Beuys fing ja alles an. Die Sammelei und die Büchermacherei. Zwischen schriftlichem und mündlichem Abitur besuchte Lothar Schirmer Beuys 1964 in seinem Atelier in Düsseldorf. Mit vier Zeichnungen und einem Haufen Schulden kam er heim. Da war er gerade 19 Jahre alt. Mit 27 brachte er einen prachtvollen Kunstband in Lichtdruck mit Beuys-Zeichnungen heraus. Der Verkauf ging schleppend. Und doch wurde dieser Erstling zur Initialzündung für eine der selten glücklichen Doppelkarrieren, die des Kunstsammlers wie die des Kunstbuchverlegers. Zwei neue Beuys-Titel in diesem Frühjahr: Beuys Werke aus der Sammlung von Ludwig Rinn und „Von Tod zu Tod und andere kleine Geschichten“. Erstmals werden 29 Zeichnungen neu ediert, die Beuys 1965 zum Buch des Dichters Richard von Schaukal angefertigt hat, von Dieter Koepplin herausgegeben und eingeleitet.

16 Titel verheißt das S/M-Frühjahrsprogramm. Die Reise geht von Taormina (Wilhelm von Gloeden) nach New York (Edward Hopper), von Köln (Sammlungskatalog der Photographischen Sammlung) zum Mont-Saint-Michel (Elger Esser), von Philadelphia (Barnes Foundation) nach New Mexiko zu Walter de Maria. Auch diesen Künstler sammelt Schirmer schon seit den 60er Jahren. So ließe sich weiterreisen, weiterlesen…

Nur eines noch: Schirmer hebt den Vorhang für einen besonderen Seitenblick. „Glamour-Photographien“ aus der eigenen Sammlung. Mode, Models, Schauspieler, Erotica, zauberhafte Kleider, ach was… Ahn Duong in einem Traum von lindgrüner Seide vom großen YSL, Paris 1986. Kaum minder verführerisch, wie Lady Lisa Lyon ihre Bizepts spannt und den schwarzem Witwenhut stolz dazu trägt – nur mal so zum Ankitzeln.

Mit rosa Schleife, Ahn Doung in einem Abendkleid von Yves Staint Laurent, Paris 1986. Foto David Seidner

His master´s choice auf 55 Tafeln in Farbe und Duotone. Man könnte bei Schirmer in die Sehschule gehen und das Staunen lernen. Oder einfach blättern, lesen und dabei leise seufzen „ach Eleganz, Glamour und Seidenfaden…“ Oder sich vorstellen, wie Lothar Schirmer abends so dasitzt, sich die lustige Brille putzt und in seinen gläsernen Zauberwürfel blickt. Da sind sie alle drin aufgehoben in Duotone und brillanten Farben, gut abgelagert und angejahrt. Schirmes Helden. Es ist ein nostalgisches Programm, eher Rückblick als Ausblick. Gegendert wird jedenfalls nicht, auch sonst dringt wenig hinein in Schirmers Erzählungen, nichts von digitaler Kunst oder Klimakrise, von postkolonialen Verwerfungen oder dem Aufbegehren des globalen Südens. Die Moderne beginnt hier in der Romantik mit der Erfindung der Photographie. Oder wie Annie Ernaux (Die Jahre) schreibt: „Etwas von der Zeit retten, in der man nie wieder sein wird.“ Meistens bleibt man im tiefsten Inneren in dem Jahrzehnt, in dem man 20 Jahre alt war.         

Carl Friedrich Schröer

Hinweis

“Übungen zur Verwunderung”
nennt sich das Künstgespräch von dem Kölner Kritiker Reinhard Ermen mit Martin Assig
Aschermitwoch, 22. Februar 2023 | 18:30 Uhr im Museum Küppersmühle MKM, Duisburg

Lesen Sie auch

Klassiker und Kunstnarr

Im Abzug liegt der Wert, wo aber liegt die Wahrheit?

Beuys nimmt Schaden

Drakeplatz 4

Immer Ärger mit Eva

© 2022 All rights reserved