Beamer, Tape und Silberfolie – aus nur drei Komponenten setzt sich Mischa Kuballs neue Videoinstallation Platon´s Mirror zusammen und will doch eine Grundfeste unseres Denkens und Handelns aus den Angeln heben, die Unterscheidung zwischen richtig und falsch. Immerhin ein Dualismus, auf dem fundamental unsere Welt gebaut ist: Die Trennung der Welt in eine Sphäre der Täuschung und der Illusion und eine des Wahren und Wirklichen.
eiskellerberg.tv suchte Kuball in seinem Kelleratelier auf und wurde Teil von Platon´s Mirror:
Platons Höhlengleichnis, vor 2380 Jahren verfasst, hat den Wahn der gefesselten Höhlenbewohner beschrieben, die die Schattenbilder lebenslang für die Wirklichkeit halten. Einer bricht aus und muss schmerzhaft erkennen, er habe bisher nur die Schatten der wirklichen Welt gesehen. Die in der Höhle glauben ihm nicht und sind bereit jeden zu töten, der solche verwirrende Nachrichten überbringt.
Kuball überbringt die andere verwirrende Nachricht: Erst unser Misstrauen, wir täuschten uns ständig selber und seien kaum in der Lage, Wahres zu erkennen, schafft die Welt der Trugbilder, die wir im Namen der Wahrheit bekämpfen. Die Geringschätzung der Wirklichkeit zugunsten einer Welt der Ideen und Ideale ist Kuballs Sache jedenfalls nicht. Er befreit die Höhlenbewohner, indem er ihre Wahrnehmung als gleichberechtigte Wirklichkeit wahrnimmt. Er befreit damit auch die Kunst von ihrem Ruch, Trug und Täuschung zu sein. In Kuballs Installation bewegen sich die Menschen frei im Raum. Sie dürfen sogar hinter die Folie blicken und die Lichtquelle (den Videoprojektor) sehen. Erst ihre Bewegungen bringen die Folie in Bewegung und das so reflektierte Licht verwandelt spielerisch den Kellerraum in einen Kunstraum. Die Menschen sind nicht länger Gefangene, sondern frei in ihren Handlungen und Bewegungen. Ihre Aktion ist erwünscht und essentieller Teil des Geschehens. Sie sind nicht Interpreten, sondern Akteure. In “Platons Mirror” betreten wir eine Bühne, aber es gibt keine festgeschriebene Handlung, kein Stück. Mit dem Betreten des Raums beginnt ein offener Prozess, der auch ein Reflektionsprozess des nachdenkenden Selbstwahrnehmens sein kann: Die Wahrnehmung der Wahrnehmung der Wahrnehmung wird möglich.
“Die politische und soziale Position des Lichts hat niemand besser ausgeleuchtet als Kuball”, schreibt Peter Weibel zur Ausstellungstournee “… in progress”, die 2007 vom ZKM in Karlsruhe aus durch 14 internationale Kunstinstitutionen bis nach Tokio und Bejing führte. “Er reist mit dem Lichtstrahl nicht nach vorne in eine scheinbar helle Zukunft, sondern er macht eine Zeitreise in umgekehrter Art, er reist mit dem Licht zurück in das Dunkel der Geschichte. [ … ] Er bringt ans Licht, was keiner mehr sehen wollte und will.” Mit dem Medium Licht in alle seinen Möglichkeiten und Entwicklungen (handelsübliche Glühbirnen, LEDs, Videoprojektionen etc.) betreibt er “Lichtpolitik”.
Den 1959 in Düsseldorf geborenen Kuball einen “Lichtkünstler” zu nennen, fällt dennoch schwer. Er ist kein Maler des Lichts wie etwa Dan Flavin oder James Turell. Kuball ist Konzeptkünstler, der die einfachsten Mittel benutzt, um viel zu erreichen. Sein Anspruch ist hoch. Er zielt mit seinem Werk auf die Veränderung unserer Wahrnehmung, gerade dort, wo alles determiniert scheint: im öffentlichen Raum.
“Ich bin am Prozess interessiert – oder wie ich es einmal formulierte, an der Öffentlichkeit als Labor”. Seit über dreißig Jahren hat Kuball eine singuläre Position, jenseits des Kunstmarktes aufgebaut. Ihor Holubizky hat die Formel vom “Citizen Kuball” geprägt. Er erzeugt Situationen zur kritischen Reflektion und Schärfung unserer Wahrnehmung – aber gerade nicht, um vermeintliche Schattenspiele (Kunst) von einer vermeintlichen Wahrheit (der Wirklichkeit) zu trennen.
C. F. Schröer
Kuballs meist ortsgebundener und ortsspezifischer Ansatz findet nach Public Preposition No.1 “Intervento” (Biennale di Venezia 2009) und No. 2 “Marfa Floater” (Arist in Residenz der Chinati Foundation) bei der ersten Biennale für Internationale Lichtkunst eine Fortsetzung. Im Rahmen von “Open light in private space” (28. März bis 27. Mai im östlichen Ruhrgebiet) wird Kuball eine Intervention in den Räumen von Sabine und Klaus Berndsen aus Unna vornehmen. In den Therapieraum der beiden Sprachtherapeuten soll eine rotierende Lichtprojektion “die Nervenrinde im Hirn” anregen.
108 Familien aus 108 Nationen aus dem Ruhrgebiet wird Mischa Kuball für das Archiv “100 Lichter/100 Gesichter” interviewen. Im Tausch gegen eine Stehlampe wird er ihre persönliche Geschichte dokumentieren. (Ab Oktober in der Ruhr Uni Bochum)
“Catch as catch can” heißt der Titel einer erneuten Kollaboration mit dem New Yorker Konzeptkünstler Lawrence Weiner in der Kläranlage in Bottrop-Ebel in Rahmen von Emscherkunst 2010. Kurator ist Florian Matzner.
Die Bundeskunsthalle Bonn plant mit Mischa Kuball eine neue Ausstellungsreihe zur Medienkunst. Die Eröffnungen werden zeitgleich mit den Eröffnungen der großen Ausstellungen erfolgen.
Platon´s Mirror wurde im Herbst 2009 zuerst in der Ausstellung “Eine Höhle für Platon” in der Villa Ingenohl der Montag Stiftung Bildende Kunst in Bonn gezeigt.
Kuball, von 2004 bis 2008 Professor für Medienkunst am ZKM wechselte 2008 an die Kunsthochschule für Medien, Köln und gründete dort mit seinen Studenten das Experimentallabor MinusEins.