„Als Künstler hofft man immer auf ein Wunder“

Ein Gespräch mit Aljoscha über seine Intervention in Kiew

 

Wie gehen Sie mit dem Krieg in ihrer Heimat um?

Wie geht man überhaupt damit um? Es ist einfach furchtbar und man fühlt sich einfach nur schlecht deswegen, Familienmitglieder und Freunde sind betroffen. Eine Freundin von mir war vor ein paar Tagen im Schutzkeller als eine Granate ins Haus einschlug. Da ist jetzt nur ein Loch. Das ganze Hab und Gut ist weg. Die versuchen natürlich jetzt auch nur aus der Stadt rauszukommen… Tja, was denkt man über sowas? Es ist einfach entsetzlich. Die Leute sterben, die Leute weinen jeden Tag, man sieht nicht wirklich ein Ende. Keine Seite will nachgeben, keine Seite ist bereit zu Kompromissen. Waffen werden geliefert. Russland hat sowieso den Nachschub ununterbrochen. Einfach furchtbar.

Wie geht man damit um? – die Frage meint auch: Was könnte man tun?

Ich bin grundsätzlich ein Pazifist und als solcher habe ich ganz klare Einstellungen. Ich verabscheue jegliche Gewalt. Unsere anthropozentrische Ethik ist sowieso schwach. Ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich fühle mich teilweise bestätigt in dem, was ich sehe, das ist alles logisch. Aber es ist auch traurig. Wir lernen nicht aus eigenen Fehlern. Wir lernen zwar immer etwas, aber sehr langsam, befürchte ich.

Wie reagieren Sie künstlerisch auf diesen Krieg?

Ich hatte einen Tag und wenige Stunden vor dem Kriegsausbrauch ein Gefühl, das es jetzt gefährlich wird. Diese Kriegsrhetorik von beiden Seiten. die Truppen, all die Waffen, Panzer das wurde mir unheimlich. Ich habe deswegen eine pazifistische Intervention in Kiew durchgeführt. Ich dachte, das hilft irgendwie. Als Künstler hofft man immer auf ein Wunder. Wir wollen uns als Wundertäter fühlen. Aber kurz nach meiner Landung hier, riefen mich Freunde an und sagten: „Jetzt geht es tatsächlich los, wir werden schon beschossen!“
Da dachte ich: Was kannst du noch machen? Du hast schon irgendwie alles getan und gesagt.
Jetzt aber denke ich, man muss irgendwie noch etwas unternehmen. Ich plane meine Rückreise in die Ukraine mit dem Wagen, um dann dort weiter mit Pazifismus und Interventionen zu machen. Aus meiner Sicht als pazifistischer Künstler steht man ziemlich alleine da. Überall wird gesagt: Man muss für die Ukraine kämpfen, man muss der Ukraine helfen. Aber eine klare pazifistische Haltung habe ich bis jetzt nie irgendwo gefühlt oder gesehen. Das überhaupt nicht.
Gewalt ist schlecht. Töten ist schlecht. Man fühlt sich jetzt überall wie in einer Horror-Geschichte. Krieg ist Frieden. Frieden ist Krieg ist überall so. Wir müssen diese Übeltäter bekämpfen. Wir müssen diese bösen Sachen bestrafen.

Welchen Charakter hatte diese erste pazifistische Intervention? Wie war der Ablauf?

Das war ein Versuch, diesen ideologischen Wahnsinn zu stoppen. Diese monumentale Statue in Kiew, ich möchte sie nicht als Kunstwerk bezeichnen, dieses Symbol, das aus Sowjetzeiten stammt, ist im Grunde genommen die Verkörperung der Staatsideologie.

Was zeigt dieses Monument?

Es ist eine gewaltige Bronze, fast 80 Meter hoch. Es ist gewaltig, man sieht es aus fast jeder Ecke der Stadt. Diese Figur, die es ziemlich martialisch ist mit riesigem Schwert in einer Hand und Schild in der anderen Hand, ist es eine Kriegsgöttin. Staatspropaganda. Das ist das ist unsere Mutter, es ist unser Vater- oder Mutterland und wir sollen es verteidigen. Was bedeutet das im Klartext? Wir müssen immer Menschen opfern für diese Ideologie. Und diese Ideologien beherrschen jegliche Gesellschaft. Egal unter welchem Regime wir auch leben, sei es Autokratie, sei es Oligarchie oder Demokratie. Auch in demokratischen Gesellschaften haben wir die eine oder andere Art Staatsideologie. Wir sollen uns mobilisieren für irgendeinen ideologischen Zwang. Das ist meiner Meinung nach giftig. Dadurch wird jegliche Individualität unterdrückt. Humanität kann dabei einfach nicht gewinnen. Alle diese Ideologien werden zwar mit humanitären Absichten irgendwie gerechtfertigt, aber es ist einfach nur Vertuschung. Es wird hier versucht, die Verantwortung von den beteiligten Individuen zu nehmen. Es ist einfacher zu töten, wenn die Verantwortung die Masse trägt, oder der Staat oder die Gesellschaft oder was auch immer. Die Ideologien stärken das.

War die Reise zu dieser Kriegsgöttin länger geplant? Oder entstand die Intervention aus einer spontanen Reaktion auf den russischen Angriff heraus?

Wie spontan entstehen Kunstwerke? Manchmal sehr spontan, manchmal weniger. In dem Fall fühlte ich mich zu der Intervention oder Geste schon seit zwei Wochen vorher, bereit, bevor das Ganze losging. Mit diesen russischen Truppenansammlungen und der ukrainischen Rhetorik, auch die war menschenverachtend: „Wir werden gewinnen, wir werden die Russen besiegen, wir werden den Feind zerstören“. Wie immer eigentlich in solchen Fällen. Keiner sucht hier Kompromisse, keiner sucht eine friedliche Lösung.

 

Die Aktion fand da auf dem Platz vor dem Monument statt?

Überall rund um dieses Monument. Da ist im Grunde genommen ein Museums Komplex, nach Sowjetzeiten wurde alles umgeändert zwecks nationalistischer Ideologien. Aber im Großen und Ganzen, es blieb es ein Museumsplatz. Vor diesem Moment standen zu Kriegsbeginn die ukrainischen Panzer. Ich glaube als Siegeszeichen für die Zeit nach der russischen Invasion, irgendwie auch extrem ideologisch beladen, extrem nationalistisch gemeint und irgendwie auch krank.

Ihre Intervention fand statt, während die Panzer da aufgefahren standen?

Ja. Einer der Panzer war in ukrainischen Farben angemalt, ein anderer war mit Parolen verziert.

Was war die Reaktion der Passanten?

Grundsätzlich gibt es da kaum Passanten, weil der Platz etwas abgelegen an einem Hügel liegt. Normalerweise gibt es da viele Touristen. Aber auch als ich dort war gab es zwei, drei Dutzend Touristen und Sicherheitsleute. Die waren natürlich not amused.

Wie lange dauerte die Aktion?

Das dauerte sicher so um die 15 Minuten. Die Sicherheitsfirma war sehr aktiv. Die pfiffen und keiften. Sie riefen dann auch die Polizei. So zwei Leute versuchten mich dann wegzuziehen. Aber Sicherheitsleute sind grundsätzlich nicht, wie soll ich sagen, aktiv. Also nirgendwo, die haben nirgendwo die richtigen Befugnisse wie Polizisten. Die warten immer auf Anweisungen. Und so lange die auf Unterstützung warteten, habe ich mich einfach wieder bekleidet und marschierte davon. Ich wurde danach aufgehalten von zwei nationalistischen Jungs, die mich zur Polizei zerren wollten, aber ich konnte beide überwinden. Ich habe dann was erzählt von Pazifismus. Aber die konnten damit nichts anfangen und wussten nicht mehr was zu tun war. Die wollten erstmal nicht glauben, dass ich ein Künstler bin, haben mich dann aber gegoogelt. Dann wussten Sie erst recht nicht weiter.

Ihr pazifistischer Ansatz, der ja der Intervention zugrunde liegt, konnten Sie den irgendwie klar machen?

 

Ich kann natürlich nicht in einen Kopf reinschauen. Schwer zu sagen, was jeder denkt, die da so einfach vorbei gingen, oder glotzten oder sich amüsierten. Für mich war es eine ganz offensichtliche Geste. Ich hatte meine Kunstwerke zusammengekreuzt, als Verbietung- oder Verbotszeichen, ich denke es war schon ziemlich klar, was damit gemeint ist. Die Entkleidung ist für manche Leute natürlich ein Tabubruch, grenzt an Exhibitionismus oder sowas. Aber für mich, ich habe es in meinem Statement dazu verdeutlicht, war es ein Zeichen von ungeschützt sein, von Verletzbarkeit. Ich wollte mich so darstellen wie unsere Natur ist, wie unsere Biosphäre ist, die ist immer ungeschützt. Die ist immer nackt, Tiere sind nackt, Bäume sind nackt, Pflanzen sind nackt, alle außer uns in dieser Welt sind nackt. Alle sind ungeschützt und wir ballern auf alles und auf uns selbst nur, weil wir uns durch diese Ideologien geschützt fühlen.

 

Über die pazifistische Idee hinaus, spricht im Augenblick des Überfalls des Krieges niemand von den ungeheuren Umweltversehrungen, die solche Kriegshandlungen mit sich bringen. Es geht vorrangig um das Land, um die Leute, die Städte, weniger um die Natur.

Über sowas wird nicht gesprochen.

Kollateralschaden

Nicht mal das. Das Leid der Natur wird nie in Betracht gezogen. Der Mensch steht immer über allem. Ich denke, nur weil wir so überheblich sind in dieser Welt, richten wir uns selbst enormen Schaden zu. Wir schätzen das Leben überhaupt nicht.

Man hat das zumindest an einer Stelle mitbekommen, als es zum Beschuss eines Atomkraftwerks kam. Wir wissen bis heute nicht, wie gefährlich das war. Da spielte der Krieg plötzlich in die Seite der Natur hinein.

Das hätte sehr schlimm werden können. Wir sind einfach gnadenlos. Wir merken nicht, was wir anrichten, jeden Tag.

Wäre es eine Option, dass der Widerstand der Ukraine aufgibt, dass die Regierung in Kiew sagt: Wir geben auf, wir strecken die Waffen?

Für mich ja. Das ist ganz natürlich das ganz klare Ziel. Einfach erstmal Waffenruhe, also gefahrlos werden.

Einseitig?

Wenn ich Präsident Selenskyj wäre, wenn ich irgendeine Entscheidungskraft hätte, ich würde sofort kapitulieren. Mir wäre ein einziges Leben von einem einzigen Bürger dieses Landes mehr wert als irgendeine Freiheit. Freiheit ist Nominativ, das ist nur ein Begriff, die gibt es nirgendwo eigentlich. Als Mensch kann man nur frei werden, wenn man sich nur mit sich selbst beschäftigt. Gesellschaft ist nie frei. Es ist nur eine Zwangsmaschine an sich.

Bei George Orwell gib es mehrere Freiheiten, mehrere Qualitäten von Freiheit.

Das kann man auch so sehen. Aber eine wirkliche Freiheit für mich ist absolut individuell. Die kann man nur erreichen, wenn man wirklich ein einziges Ziel verfolgt: Erkenne dich selbst. Nur so kann man irgendwie frei werden. Was als Freiheit verkauft wird ist eine Erfindung der Gesellschaft.

Ist es auch eine Ideologie, die Ideologie der Freiheit, die wir hier im Westen feiern?

Es gibt mehrere Studien, die sind ziemlich unbequem, über den Zwang von Demokratie. Demokratie ist auch keine Freiheit, es ist der Zwang der Mehrheit. Dabei werden meistens nicht die guten Sachen durchgesetzt, meistens sind das nur bequeme, schlichte Dinge verallgemeinert für alle. Die Menschheit mag es simpel, sie mag schwarz und weiß. Keine Kompliziertheit, keine biologische Komplexität.

Es gibt Unterschiede von Freiheiten. Es gibt Grenzen und Freiheiten.

Die Grenzen sind so fließend wie wir es sind. Wir sind selbst auch Prozesse und nichts anderes.

Menschen, die aus einer Diktatur kommen, auch wir Deutschen, haben sehr wohl empfunden, wie köstlich Freiheit ist.

Das ist durchaus nachvollziehbar und wir genießen hier eine sozusagen relative Freiheit. Aber die ist doch nicht stabil. Die verändert sich ständig. Die Menschen sind extrem anpassungsfähig. Das heißt, alles ist relativ. Einsteins Postulat ist nicht bloß anwendbar, es ist halt so. Es ist ein Grundgesetz der Wirklichkeit.

Wie kann der Mensch sich dazu verhalten, sich von seinem eigenen Denken befreien und anders mit der Natur umgehen? Was bedeutet das für ihre künstlerische Arbeit?

Ich bin mir nicht sicher, dass ich überhaupt in irgendeiner Weise von irgendwas frei bin. Das klingt natürlich extrem verwirrend und schwachsinnig. Denn als Künstler genieße ich im Grunde genommen viel mehr Freiheiten als ein normaler Bürger. Ich lebe im Westen, kann mich frei bewegen, muss nicht zur Arbeit gehen wie viele Leute. Bin relativ versorgt, kann im Grunde genommen alles tun, was ich will. Aber ich bin nicht frei. Die Gesellschaft bestimmt meinen Weg. Außer ich entziehe mich der Gesellschaft und lebe ganz alleine irgendwo in den Bergen. Auch dort fühle ich mich nicht ganz frei. Man fühlt buchstäblich diese Autobahnen im Kopf, diese Synapsen Verbindungen, die dich leiten, deine Gedanken kreisen über bestimmte Themen, bestimmte Gedankenmuster. Wenn man sogar versucht zu meditieren, sich abzuschalten, das geht einfach nicht.

Buddhisten schaffen das.

Ich bin ein paar Millionen Lichtjahre entfernt von diesem Ideal. Das heißt, ich bin ein gezwungenes Menschlein, das umherwandert und versucht, sich selbst zu begreifen.

Was resultiert für die künstlerische Arbeit daraus?

Ich frage mich schon seit meiner Kindheit, wieso bestimmte Dinge, bestimmte Themen mich viel mehr interessieren als andere. Auch ästhetische Sachen, wieso entstehen die bei mir so und bei manchen Menschen ganz anders. Wieso mag ich z.B. sehr kleinteilige Dinge. Wieso fühle mich angezogen zu sehr komplexen Strukturen? Wieso fühle ich mich wohl, wenn ich etwas sehr, sehr Kompliziertes erschaffen. Wieso fühle ich mich glücklich, wenn ich durch die Dinge sehen kann. Meine Skulpturen und Werke sind sehr oft halb durchsichtig oder mehrschichtig. Ich mag keine massiven Dinge. Ich mag es, mich in einer Konstellation zu verlieren. Ich mag es, mich mit jedem Blick, mit jeder Bewegung neu zu finden. Immer unbekannte Dinge, unvertrautes Denken. Ich mag es sehr, viele mir unbekannte Dinge zu erschaffe. Ich fühle mich in dem Sinne sehr oft als Komponist. Ich möchte nichts interpretieren, was ich schon in meinem Leben gesehen habe. Dieser kompositorische Zugang, ist das eine Krankheit? Oder ist es ein Segen? Keine Ahnung, aber ich fühle mich bestimmt für manche Dinge und ich kann nicht machen, was die anderen machen.

Etwas Leichtes, Transparentes, Schwebendes ist in diesen Arbeiten. Nicht erdenschwer und nicht greifbar.

Ich fühle mich einfach, ich fühle ich mich wohl mit diesen anderen, leichten Strukturen.

Anastasiya Levchuk: Zur kunsthistorischen Perspektive ihrer Performanz, wenn ich das so nennen soll…

Performance das ist wie ein Auftritt. Das ist irgendwie bestimmt, Tickets sind verkauft, Publikum ist eingeladen, es ist angekündigt. Ich mag lieber das Wort Intervention. Also man stört, man ist ungefragt, man erscheint, man muss vielleicht weglaufen.

A.L. Die Frage ist, was diese Intervention angeht, die dann auch dokumentiert wurde, wahrscheinlich durch Fotografien. Es gibt in Kiew sehr viele monumentale Werke, die aus der Sowjetzeit kommen. Wie kam es zu der Entscheidung die Intervention vor genau diesem Moment zu machen? Es ist das größte Monument in Kiew, man sieht es sogar, wenn man auf der Autobahn fährt, es ist sehr präsent in der Stadt.

Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Interventionen durchgeführt, ganz kleine oder zumindest sehr unscheinbare für die Menschheit. In dem Fall, da es um so ein gewaltiges Thema ging, Leben und Tod von hunderten, tausenden, womöglich Millionen von Menschen, konnte man aus meiner Sicht nicht was Kleines machen, man muss einfach an die größten kriegstreiberischen Ding rangehen, die es in dieser Stadt gibt. In der Sowjetunion gab es zwei dieser riesigen Monumente, eines steht in Kiew und das zweite steht in Stalingrad.

Sind es Kopien?

Nein, die sind verschieden. Aber gleich martialisch. Immer Opfer fordernd, immer musst Du bereit sein, aufzustehen und dich töten lassen oder einfach andere töten. Das ist die Wurzel des Übels. Diese Ideologien, die Dich einfach instrumentalisieren von Kindheit an. Du musst dich opfern oder musst andere Menschen als Opfer an diesem Altar abschlachten.

Sind sie in Kiew aufgewachsen?

Nein, ich bin aus dem Osten, aus Charkiw. Da wo jetzt die Bomben hochgehen.

A.L Wie Sie berichtet haben, hielten sie haben Werkzeuge überkreuz in die Höhe gehalten. Inwiefern spielte hier die Skulptur, ihr Material, ihre Farbe eine Rolle?  

 

Ja, es ist tatsächlich so, ich arbeite sehr gerne, sehr oft mit der Farbe Rosa. Das ist meine Lieblingsfarbe, sie ist sehr zart. Das ist für mich immer ein Gefühl vom ewigen Anfang. Jeder Sonnenaufgang ist immer erst leicht Rosa. Immer sehr zart, immer sehr unbegreiflich schön, immer sehr hoffnungsfroh. Rosa an sich, wenn man das Farbspektrum anschaut, ist ein Gemisch zwischen Blau und Rot. Blau ist endloser Himmel, diese Transzendenz, die wir nie begreifen können. Rot ist unser Blut, das ist Eisen, das ist was uns bewegt. Rosa ist irgendwo dazwischen angesiedelt, zwischen diesen endlosen, unbegreiflichen was Zeit und Raum betrifft. Alles, was wir nicht kapieren können. Zwischen eben diesem Fleisch und diesem Flüchtigen, was wir eben sind. Deshalb mag ich Rosa sehr und ich verwende es sehr oft. Und da war es für mich einfach logisch, diese Zartheit gegen diese Brutalität einzusetzen. Ich hatte zwei kleine Boismen in Kiew angefertigt. So nenne ich meine Kunstwerke. Die gehen Richtung Bioismus, ein eigener Begriff dafür. Die waren als meine Handverlängerung angefertigt worden. Die waren relativ lang, damit es zeigt: einfach weiter wachsen, wie ein Kunst-Organismus.

A.L. Auch ich komme aus der Ukraine und meine ganze Familie ist dort und alle wollen auch dort bleiben. Das ist ein sehr belastendes Thema, was auch ein gewisses Drama in sich hat. Es fällt schwer, sich von der ganzen Emotionalität zu trennen und rational zu bleiben. Was ist was? Wie geht man damit um? wie soll man handeln? wie kann man anderen helfen? Es zeigt sich jetzt eine gewisse Menschlichkeit, eine anderes Niveau an Solidarität weltweit. Auch sie wollen zurück in die Ukraine. Welche Art oder welche Form der Intervention wird es dann sein?

Ich habe schon einige Ideen im Kopf. Mein Bruder ist aus Kiew geflohen, aber traut sich nicht über die Grenze. Er fürchtet sich, denke ich, aber er spricht nicht darüber. Er befürchtet einfach durch den Krieg sein Hab und Gut für immer und ewig abzuschreiben. Er hofft auf irgendein Wunder und wir wissen alle, dass der Krieg ein Ende hätte, wenn Putin stirbt. Wie könnte es passieren? Irgendwie auch abartige Gedanken über andere Menschen, egal wie schlecht er ist. Wie krank ist es, so was zu wünschen? Aber alle wollen diesem Wahnsinn einfach ein Ende machen.
Was ich da machen will: Viele meiner Verwandten schicken mir aus den Gebieten Fotos und Videos oder einfach Audiodateien, wie die da im Keller sitzen, manchmal Stunden lang. Ich habe einen alten Opa der Harmonika spielt und Oma schreit: Schluss, sonst werden wir zerbombt. Kinder weinen. In solchen Verstecken vielleicht ein paar Installationen zu realisieren, die da auch sehr symbolisch sind und diesen ganzen Wahnsinn noch mal zeigen, wie diese idealistisch gemeinten Kunstwerke nicht aus dieser Welt sind, fast fremdartig, neben dieser ganzen Brutalität und diesem Wahnsinn existieren. Oder einfach zusammen sitzen können, mit ganz normalen Menschen. Das wäre auch eine Möglichkeit. Eine zweite Idee ist, etwas in Schulen zu machen und vor allem im Westen der Ukraine, da ist es noch nicht allzu gefährlich. Manche Schulen funktionieren halbwegs noch in manchen Dörfern. Man muss schauen. Ich will Schulleiterinnen treffen und schauen, ob irgendwas mit Kunst und Kindern mit dieser verrückten Zeit überhaupt möglich ist. Um ein bisschen die Leute auf andere Gedanken zu bringen. Um zu zeigen, dass das Leben, egal wie verrückt die Zeiten sind, auch anders geht, anders gehen könnte. Das wären zwei primäre Absichten.

A.L. Welche Wirkung sollte das haben? Z.B. auf die Kinder?

Ich weiß nicht, was es bewirken kann. Jede Intervention hat kein logisches Ziel oder kein logisches Ende. Man schaut einfach. Im Grunde genommen befindet man sich im Spiel. Man nimmt einen Stock und stößt auf irgendwas und sieht, wie das Ganze tickt, wie das Ding reagiert. Es ist eine Gleichung mit sehr vielen Unbekannten. Aber was ich primär beabsichtige dabei: Man kann natürlich Dinge, die du persönlich kennst, die kannst du auch gestalten. Ich wollte eben den Schwerpunkt auf Verletzbarkeit setzen, auf Freundlichkeit auf all das, was jetzt unter diesen Umständen leidet. Das sind Gegenpole von dieser Brutalität, dem totalen Vertrauensverlust, dem Hass. Wir brauchen statt Hass Liebe, statt Misstrauen Freundlichkeit. Ich möchte ein Gegengift geben. Genau solche Dinge, die einfach nicht mehr selbstverständlich sind in dieser Zeit. Damit die Leute sich plötzlich fühlen wie in Friedenszeiten. Oder nur für eine Sekunde einen anderen Blick auf diesen Wahnsinn bekommen. Es ist einen Versuch wert.
Trauer und Melancholie einerseits und das Recht auf Verteidigung andererseits. Vollkommen unterschiedliche Bereiche, aber ich wollte die Themen verknüpfen und zeigen, dass die pazifistische Haltung nicht bloß ein Spielzeug ist oder völlig abgedreht. Ich bin überzeugter Optimist, was meine Welt betrifft. Ich empfinde zwar auch dunkle Tage, habe auch Depressionen. Ab und zu gehe ich ins Krankenhaus deswegen. Aber grundsätzlich glaube ich an das Gute im Menschen, das Gute in der Menschheit. Es gibt einen lateinischen Begriff bonum humanum. Philosophen sind sich sicher, dass Mensch von Natur aus gut ist. Die ganze Evolutionstheorie, die ganze Evolutionsgeschichte der Menschheit, alles deutet darauf hin.  Statistiken zeigen, dass die Menschheit besser und besser wird. Wir werden freundlicher und freundlicher.
Wir sind von Natur aus nicht böse und darin liegt die Lösung für solche Konflikte. Wir müssen das begreifen, dass die Menschen von Natur aus gut sind. Wir müssen uns mit Verteilungsproblematik wirklich auseinandersetzen und sie besser im Griff bekommen. Deshalb bin ich mir ganz sicher, dass Pazifismus ist kein Spielzeug für Reiche ist, kein  Spielzeug für Friedenszeiten. Das ist eine grundlegende Haltung, die wir absolut und ständig und gewissenhaft verfolgen sollten. Wir brauchen auch nicht United Nations oder UNO, das ist längst obsolet. Wir brauchen die United Ecosphere, wo Tiere und Pflanzen auch vertreten werden. Nur so könnten wir zur Besinnung kommen. Wenn wir das verstehen, dann sind alle Kriege passé.

 

A.L. Die Frage bleibt, ob uns jetzt eine Utopie hilft? Oder doch eher eine realistische Sicht der Lage?

Für mich ist Utopismus überhaupt die Lösung. Nur wenn man sich extrem hohe Ziele setzt, nur dann erreicht man irgendwie etwas über der Mitte hinaus. Wenn man ständig auf die Mitte zielt, landet man immer und weit unter Durchschnitt. Ich sagte meinen Kindern: Du sollst eine Eins im Kopf haben, dann bekommst Du eine Zwei. Aber wenn du die drei im Kopf hast, bekommst Du eine sechs. So ist es auch mit der Menschheit. Wir müssen uns  extrem hohe Ziele setzen. Nur dann entwickeln wir uns weiter.

Das Gespräch mit Aljoscha führten Anastasiya Levchuk und Carl Friedrich Schröer

 


 

Aljoscha, 1974 in Hluchiw, damals russisch Gluchov in der ukrainischen Oblast Sumy geboren, kam 1995 erstmals nach Düsseldorf. Von 2001 bis 2002 war er Gasthörer an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Konrad Klapheck und studierte 2006 auf der internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg bei Shirin Neshat. 2008 erhielt er den 1. Preis in Skulptur auf der XXXV. Premio Bancaja, Valencia, Spanien und 2009 den Skulpturpreis »Schlosspark 2009« in Köln. Im Jahr 2010 findet das Installationsprojekt »bioism uprooting populus« statt. Im November 2018 vertritt Aljoscha die Ukraine in der Ausstellung »1914/1918 – Not Then, Not Now, Not Ever« im Deutschen Bundestag.

Seine Söhne wurden in Düsseldorf geboren und sind hier aufgewachsen. Einer studiert in den USA, der andere in der Schweiz.

Aljoschas konzeptionellen Installationen und Interventionen basieren auf Ideen des Bioismus, des Biofuturismus und des bioethischen Abolitionismus.

 


 

Düsseldorf ist 1992 eine Städtepartnerschaft mit Moskau eingegangen. OB Stephan Keller hat an seinen Moskauer Amtskollegen Sergei Semjonowitsch Sobjanin geschrieben und in einem Brief Kritik an dem Angriff Russlands auf die Ukraine geäußert. Das Austauschprogramm für Künstlerinnen und Künstler war aufgrund der Pandemie ohnehin ausgesetzt. Die „Moskauer Tage in Düsseldorf“ wurden jetzt gestoppt. Auch die Deutsch-Russischen Filmtage in Düsseldorf stehen auf der Kippe. Die Vertretung der Messe Düsseldorf in Moskau ist mit 16 Messen pro Jahr die umsatzstärkste Auslandsfiliale. „Wir versuchen aktuell jedoch, den Dialog, wo es geht, aufrecht zu erhalten“, so Kulturamtsleiterin Angélique Tracik.

Thomas Neuman, Fotograf aus Düsseldorf, hat zu einer Spendenaktion aufgerufen. Er fordert von der Stadt, sich jetzt mit der Bürgerrechtsbewegung in Russland zu solidarisieren. “Ich hoffe, dass wir diesen Spagat über die Kontakte aus der (ehemaligen/eingefrorenen?) Städtepartnerschaft mit Moskau kommunizieren können und in Verbindung bleiben können.” Zwei Editionen brachten 5000 Euro an Spendengeldern, die er an Hilfsorganisationen in der Ukraine geschickt hat.
Gemeinsam mit einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern aus Ost und West will er versuchen den Dialog fortzusetzen und eine gemeinsame Aktion beginnen. Die Gruppe trifft sich mittwochs im Onomato.

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte: „Die Solidarität und die Hilfsbereitschaft aus dem Kultur- und Medienbereich für die Ukraine ist sehr groß. Es gibt zahlreiche Aktionen und Initiativen, die Hilfe für die in Not geratene Kulturscene und Kultureinrichtungen organisieren und Hilfe für geflüchtete Menschen aus dem Kulturbereich anbieten“ Mehr dazu auf der Website des Deutschen Kulturrats. Die Seite wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert. Hier finden sich auch Unterstützungsmöglichkeiten für Kulturschaffende aus Russland, “die mutig dem Regime in Moskau die Stirn bieten.“

 


 

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