Lieber Herr Schröer,
danke für Ihre Nachricht zum Drakeplatz 4 und die Baderiten dortselbst.
Wie Beuys gebadet hat, beschäftigt ja die schöpferische Fantasie der Zeitgenossen noch immer. Als der Badewannenskandal – der Kunstfrevel in Leverkusen – aufflog bzw. gerichtsanhängig wurde, hat der Stern einen Fotografen nach Düsseldorf geschickt, und Beuys hat sich in die tatsächlich benützte Badewanne seines Familienbades gestellt und für die Zeitschrift posiert, natürlich in voller Bekleidung. Das ist die einzige authentische Aufnahme vom Familien-Badezimmer.
Der Beitrag des Beuys-Hauses zu meiner Sammlung besteht aus drei Gegenständen des Mobiliars:
1. dem Ölofen aus dem Wohnzimmer, den Beuys mir als Objekt zugedacht hat, als er auf Elektroheizung umstellte; das Loch für den Rauchabzug ließ er dann offen. Es bezieht sich also nicht auf die spätere Arbeit in der Kunsthalle, die eher eine Würdigung von Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“ ist, wo es einen Lehrer gab, der in einem Nichtraucherabteil eines abgestellten Eisenbahnwaggons lebte. Er heizte sein Abteil und leitete die Abgase durch ein Ofenrohr nach draußen, das gegen Wind und Regen mit dem kleinen Deckelchen geschützt war, wie wir es von den Wohnwagen der Fahrenden kennen. Der Ofen befindet sich jetzt im Lenbachhaus.
2. Im Lenbachhaus befindet sich ebenfalls die Kupferplatte, mit der Beuys dann die Leerstelle im Lederfußboden verschloss.
3. In meiner Privatwohnung befindet sich aus dem Wohnzimmer der riesige Schrank, in dem Beuys einen Teil seiner Schätze bewahrte und den er auch als Speisekammer und Büro nutzte. Eva hat mir diesen Schrank vor langen Jahren verkauft, als sie den Drakeplatz aufgeben wollte. Der Schrank stammt aus einer Villa am Rheinufer. Als diese abgerissen oder erweitert wurde, haben einige Professoren der Akademie davon Wind bekommen und sich das Mobiliar untereinander geteilt und so vor der Entsorgung gerettet. Der Architekt und Gestalter war Joseph Maria Olbrich, zu seiner Zeit eine Berühmtheit. Zurzeit beherbergt der Schrank die Schätze meiner Sammlung in meiner Münchner Wohnung. Ich habe mich jedenfalls gewundert, dass die Beuys Folklore so stark ist, dass ich sogar in der Tegernseer Zeitung, die mir im Urlaub in die Hände kam, darüber gelesen habe.
Das Buch mit den schönen Fotos von Eva Beuys könnte vielleicht eine Auferstehung feiern. Wir werden uns darum bemühen. Sehen wir uns in Frankfurt zur Messe?
Schönste Grüße
Ihr
Lothar Schirmer
Beuys und die Badewanne – die Legende lebt
“Wir brauchen Stühle” – mit diesem Ausruf nahm das Unheil im Museum Schloss Morsbroich im Herbst 1973 seinen Lauf. Ein Ortsverband der Leverkusener SPD veranstaltete dort am 3. November eine Feier. Vom Eifer des Festkomitees angesteckt ließ sich der Hausmeister überreden, den Magazinraum aufzuschließen, wo noch eine Reihe von Stühlen lagerte. Während er sie herauswuchtete, entdeckten zwei SPD-Damen in einer Ecke eine alte Badewanne, die mit Mullbinden, Pflastern und Fett versehen war. Weg damit. Darin lassen sich doch vorzüglich Gläser spülen, dachten sich die beiden und schleppten sie hinüber in den spätbarocken Festsaal.
Innerhalb weniger Minuten zerstörten die eifrigen, aber ahnungslosen Damen ein Kunstwerk, dessen Wert Experten damals schon auf 80.000 Mark schätzten. Totalschaden.
Joseph Beuys hatte seine Badewanne aus Kindertagen schon 1960 mit Utensilien der Wundenbehandlung versehen und 1969 im Keller des Kobi-Gymnasium in Urdenbach erstmals ausgestellt, später kam sie in die Sammlung Schirmer.
Nach über zwei Jahren Rechtsstreit verdonnerte das Oberlandesgericht Düsseldorf schließlich die Stadt Wuppertal dazu, Lothar Schirmer mit 40.000 Mark zu entschädigen. Denn der hatte die Wanne als Leihgabe aus seiner Sammlung dem Von-der-Heydt-Museum für die Wanderausstellung “Realität-Realismus-Realität” ausgeliehen.
Die Stadt Leverkusen wäre deutlich günstiger gefahren, hätte sie das erste Urteil akzeptiert. Schirmer bestand darauf, ihm zudem die gereinigte Wanne zu überstellen, weil die Entschädigung nur der Hälfte des Schätzpreises entspräche. Schlau gedacht. Aber Beuys wollte die Wanne nicht wieder restaurieren, weil sie in einem “einmaligen Schöpfungsakt” erschaffen worden sei. Doch der Sammler bekam ihn rum. Die Badewanne wurde “neu bearbeitet”.
„Wie ein rasierter Kaktus”
Kunstsammler Lothar Schirmer traute seinen Augen nicht, als die Beuys-Wanne nach Ende der Ausstellung kommentarlos bei ihm abgeliefert wurde. Sie sehe so glatt und makellos aus wie “ein rasierter Kaktus”, beschwerte er sich. Empört schrieb er an das Von-der-Heydt-Museum: “Ich erwarte, dass Sie umgehend Schritte ergreifen, um eine sofortige Restaurierung der Objekte und eine Regulierung der Schäden durch die Versicherung sicherzustellen.” Doch nichts geschah.
Schirmer verklagte deshalb im August 1974 die Stadt Wuppertal, die als Betreiberin des Von-der-Heydt-Museums für den Schaden verantwortlich war. Im Dezember 1975 gab das zuständige Landgericht Schirmer Recht und verurteilte Wuppertal zu einer saftigen Schadensersatzzahlung, die knapp unter dem Versicherungswert von 40.000 Mark lag. Doch Wuppertal legte Berufung ein. Anfang 1976 ging der Fall in die zweite Instanz. Drei Gutachten wurden erstellt. Alle drei bezifferten den Wert des Objekts auf 80.000 Mark. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht übernahm.
Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist Kunst
Gierig stürzten sich nun die Medien auf die Badewannen-Affäre. Im Fokus stand nicht die unbeabsichtigte Kunstvernichtung, sondern die damals noch lange nicht geklärte Frage, ob etwas Kunst sein könne, was so offensichtlich nicht als Kunst erkennbar war. Beuys, vielerorts eher als Künstlerscharlatan verschrien, geriet wie schon oft zuvor heftig in die Kritik. “Viele hielten nicht die Reinigung für einen Skandal, sondern die Wanne”, erinnert sich ein gestandener SPD-Mann.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nahm Beuys beim Wort. Wenn jeder Mensch ein Künstler sei, fragte die FAZ messerscharf, kann die Tatsache, dass offenbar nicht jeder Mensch Kunst als solche erkenne, im Widerspruch zu seiner Theorie stehen?
Andere Medien zeigten sich weniger nachdenklich. “In dieser Wanne geht der Steuerzahler baden”, wetterte etwa die Neue Revue, die in den siebziger Jahren mit einer Auflage von 1,3 Millionen Stück zu den meistgelesenen Illustrierten in Deutschland zählte.
“… diese Wanne ist im Eimer”, schloß der Stern.
Anekdoten, Funfacts und Partywissen
Bis heute geistert die Geschichte der Beuys-Badewanne durchs kollektive Gedächtnis. Inzwischen hat die Überlieferung aus den SPD-Damen übereifrige Putzfrauen gemacht, was vermutlich auf eine Henkel-Werbung aus dem Jahr 1975 zurückgeht. Darin treten zwei Putzfrauen auf, die in einem Museum sauber machen. In der Mitte des Ausstellungsraumes steht auf einem Sockel eine sichtlich ergraute Badewanne. “Da muss mal gründlich gescheuert werden”, sagt die eine Putzfrau und greift zum Scheuerpulver ATA. Wenig später erstrahlt die Wanne in neuem Glanz – “ohne hart reiben”, wie die Damen staunen. In diesem Moment kommt der Künstler – ein Beuys-Verschnitt – herein und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
Warum die Wanne in der Abstellkammer des Schlosses landete und nicht als Exponat unter einer Abdeckung aus Plexiglas, wie es Schirmer zur Bedingung gemachte hatte, ist bis heute unklar. Fest steht nur, dass sie schon vor ihrer Verstümmelung durch ATA und Scheuerschwamm einige Betrachter in Rage versetzt haben muss. Die Wanne zierte ein Schild, das die Putzaktion übrigens unbeschadet überstand. Darauf steht: “In dieser Wanne wurde Joseph Beuys gebadet”. Irgendjemand hatte handschriftlich hinzugefügt: “Offensichtlich zu heiß.”
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