Quallenblüte in den Meeren. Dürre auf den Feldern. Die Wälder brennen. Die Fische in der Oder treiben bäuchlings ans Ufer. Nach der Hitzewelle droht der Starkregen und wieder werden viele Ortschaften im Hochwasser untergehen, weil die Böden viel zu trocken und hart sind. Die Klimakatastrophe kennt den Verursacher, den Hauptschuldigen. Wer noch dumm danach fragt, ist selber einer.
Es ist der Mensch und er nicht allein; es sind die vielen, Abermillionen, und ihre wachsenden, unbändigen Begehren und Ansprüche. Schon fordern viele eine Neue Welt, frei vom Menschen. Befreit von diesem gefräßigsten aller Raubtiere. Er soll endlich abtreten und Platz machen für alle die Lebewesen und Pflanzen, die er ausbeutet, vertilgt und vergiftet. Oder er soll sich schleunigst transformieren, weicher, biegsamer, amorpher werden. Das „Wagnis des Weichbleibens“, so etwa Eva von Redecker („Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen“) muss der Mensch eingehen, oder er wird ganz verschwinden. Der Posthumanismus zählt zu den erfolgreichen Utopien von heute. Er ist eine natürliche Folge der radikalen Ökologie. Die posthumane Utopie will endgültig Schluss machen mit dem Ideal vom „vitruvianischen Menschen“. Denn der Mensch sei gerade nicht das Maß aller Dinge, nicht das universelle Ideal, sondern die größte Gefahr für den Planeten Erde, nicht erst seit Putin droht, das Atomkraftwerk Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine in die Luft zu jagen.
Am Rand solcher Untergangsszenarien gedeihen posthumane Theorien prächtig. Die Erde erlöst vom Menschen in seiner jetzigen „starren“ Form, wäre doch zumindest mal eine verlockende Aussicht, eine versöhnliches Angebot an die geschundene Natur…. Es ist die Versuchung der Krisenzeit. Sie gebiert eine gefährliche Utopie der inhumanen Art.
Da lohnt ein Gang über die Insel Hombroich. Damals vor 40 Jahren in einer Erftaue begründet, vom letzten Erfthochwasser nur knapp verschont. Diese private Gründung wurde bald zu einem sagenhaften Impuls für eine neue Berührung zweier bedrohter Planeten, der Kunst und der Natur. Doch anders als das Motto „Kunst parallel zur Natur“ besagt, ging es hier von Anfang an um Bezüge, Rücksichten, um Einbettung und Einfühlen, um ein neu austariertes „Spannungsverhältnis“ von Kunst und Natur. Und der Mensch?
Der späte Heerich auf Hombroich
Erwin Heerich, der 15 Bauwerke auf der Insel und später auf der „Raketenstation“ errichten konnte, der wie kein anderer Künstler das Bild des Kulturraums Hombroich prägte, der bis zu seinem Tod 2004 auf der Insel sein Atelier in einem alten Backsteinbau betrieb, zur „Grauen Eminenz“, zum wichtigstem Berater des Inselgründers Karl-Heinrich Müllers avancierte, wurde 1922 in Kassel geboren. Eine Gelegenheit, auf diesen Künstler und sein Werk in geänderter Perspektive zu blicken.
Heerich ging vom Menschen aus. „Für mich ist eine maßliche, auf den Menschen bezogene Vorstellung die Basis qualitätvollen Bauens, und an dieser mangelt es heute meist.“ Heerichs Kritik an seiner Zeit, sein Beharren auf Maß und Proportion, „Ich gehe vom Menschen im Raum aus“, machte ihn zum Künstler, auch zum Oberlehrer und Kontroll-Freak, der weder Individualität noch Innovation ein Jota Raum lies. Sein kompromisslos klassisches Konzept geht von der Zeichnung über plastische Elementarformen zu archetypischen Skulpturen. Doch entwickelt sich alles aus einer Entfaltung von der zweidimensionalen Zeichnung in den dreidimensionalen Raum, eine prozessuale Umformung: aus der Flächenform zur Raumform zu den „Lichtkammern“. Ideal, kantig und kompromisslos stehen sie da, voller Bezüge zur Kunst wie zur „künstlichen Natur“. Ein prozessualer Vorgang auch die Errichtung der Heerich-Bauten auf der Insel, wie auf der Rakete, deren Zuerwerb Heerich im Gegensatz zu Gotthard Graubner ab 1994 vehement unterstützte.
Das Maß, die Proportion bestimmten sein künstlerisches Werk und Schaffen. „Das Wesentliche ist die Proportion, und das zeigt auch, wie sehr der Ausdruckswert der Architektur vom Maß bestimmt wird. Nicht nur von besonders schönen Materialeien oder Orientierungen hängt das ab, sondern von einer anthropologischen Proportion. Sie muss auf den Menschen bezogen werden und nicht auf einen Zweck.“ Ihn interessierte zeitlebens das Morphologische und das Metaphysische. Aus seiner substantiellen Naturbeobachtung gewann er, hier ganz Platoniker, archetypische Skulpturen, skulpturale Architekturen, die ab 1982 zu den später berühmten „begehbaren Skulpturen“ werden sollten. Sie entfalten bis heute als zweckfreie Körper wie als Museumsbauten ihre erstaunliche Wirkung.
Heerich blieb von den frühen Kartonplastiken bis zum späten Fontana-Pavillion Virtuvianer. Je stärker sich der „Erweiterte Kunstbegriffs“ seines Mitstudenten (bei Ewald Mataré) und Kollegen an der Kunstakademie Düsseldorf, Joseph Beuys, ausdehnte, desto mehr geriet Heerich ins Abseits, wurde zum erstarrten Akademiker und Erz-Geometriker, während Beuys längst die Soziale Plastik propagierte und zum Weltkünstler aufstieg. Heerichs Erweiterung lässt sich in der „begehbaren Skulptur“ erkennen. Das Soziale war seine Sache nicht. Sein Werk menschelt nicht, es ist menschlich, es schielt nicht ins Utopische (wie etwa das von Peter Cook oder Peter Hübner), es ist der Wirklichkeit verbunden. Heerich Baukörper sind natürlich, insofern sie den inneren Naturgesetzen entsprechen, aber nicht organisch. Er dient der Kunst und seine Kunst dient dem Menschen, indem er die Gesetze der Natur zur Geltung bringt. Soviel Klassizismus, soviel antropomorpher Optimismus schien schon zu seinen Lebzeiten aus der Welt gefallen. 1972 hatte der Club of Rome seinen Bericht von den Grenzen des Wachstums vorgelegt, eine ernüchternde Warnung vor der Zerstörung der Erde durch Menschen.
Wer würde sich heute an diesen Unzeitgemäßen erinnern, wenn nicht ausgerechnet Müller diesen Bildhauer gerufen und gebraucht hätte. Müller mit seinem unbändigen Kunsttrieb, mit seinem Immobiliengeschäft, mit seinem pragmatischen wie weitsichtigen Machertalent. Alle Versuche Heerichs vom Pappkarton wegzukommen und die Modelle in Materialien wie Marmor, Granit, Basaltlava, Metall oder Beton umzusetzen hatten zu wenig überzeugenden Plastiken geführt, bis Müller aus der Klemme, im Landschaftsschutzgebiet Hombroich nicht bauen zu dürfen, die beiderseits willkommene Lösung im Feldbrandtziegel fand. Alle „begehbaren Skulpturen“ Heerichs waren forthin genehmigungsfähig und wurden in lokal-niederrheinisch wie klassisch-römisch fundierten Feldbrandziegeln errichtet.
Je mehr Heerich auf Hombroich Fuß fasste, desto mehr verschwand Beuys aus Müllers Sammlung. Bis heute hält das Heerich-Lager das Heft in der Hand. Oliver Kurse, bekennender Heerichschüler, ist Inselvorstand. Heerichs Bauten stehen heute weitgehend leer, ihre Ertüchtigung zu musealen Zwecken verschlingt derzeit Millionen Steuermittel, Geld zum „Bespielen“ fehlt.
Heerichs Beharren auf klassischer Schönheit als Folge der Übertragung musikalischer Maßverhältnisse auf die Proportionen der Baukunst, liegt seine Überzeugung zugrunde, dass das Zahlenwesen die Harmonie des Kosmos bestimme und sich auf alles Sein, auch auf die Musik, die Gebäude, die menschlichen Körper erstreckt. “Kalokagathia” hieß im antiken Griechenland die Dreieinigkeit vom Wahren, Schönen und Guten.
Dieser Universalismus hatte bis weit ins 20. Jahrhundert Bestand. Die Ursache für das Wohlgefallen, das sich Alberti zufolge beim Betrachten oder Begehen solcher Maße und Verhältnisse einstellt, lag in der intuitiven Erfahrung einer Verwandtschaft zwischen kosmischen, menschlichen, gebauten, sicht- und hörbaren Harmonien. Das meint Heerich, wenn er von „ungeheurer Spiritualität“ spricht, die von seinen geometrischen Köpern ausgehe. Seine Chance zur Verwirklichung dieser hochgestimmten Universalität, wie wir sie auf Hombroich erleben können, hat er mit großer Beharrlichkeit ergriffen. Sie erweist sich heute als Glücksfall wie als Rückversicherung vor posthumanen Phantasien.
Ein anderer Künstler, auch er kein Architekt, hat just zwischen der Insel und der Rakete ein Grundstück erworben und dort ebenfalls zwei begehbare Skulpturen nach eigenen Entwürfen errichten lassen. Thomas Schüttes Pavillons bilden einen reizvollen Kontrast zu Heerichs Kubaturen. Weil sie sich einer spielerischen Skepsis verdanken, einer abgründigen Heiterkeit, die Heerich nicht kannte.
CF Schroer
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Das Museum Insel Hombroich lädt zur Ausstellung „Hundert Jahre Erwin Heerich. Die begehbare Skulptur“ wie zum Parcours mit Besichtigung aller Heerich-Pavillons ein, Katalog. Im Atelierhaus (ehemals Gotthard Graubner) sind zudem zahlreiche „unrealisierte Projekte“, Entwürfe, Modelle Heerichs ausgestellt.
13. August – 30. Oktober 2022
Museum Schloß Moyland
Erwin Heerich – Plastiken, Zeichnungen, grafische Serien
25. Juni –16. Oktober 2022
Die Ausstellung umfasst Plastiken aus Karton, Holz, Gips und Messing sowie druckgrafische Serien und großformatige Zeichnungen, von denen viele zum ersten Mal gezeigt werden. Zu sehen sind außerdem textile Gemeinschaftsarbeiten von Erwin Heerich und seiner Frau Hildegard Heerich.