Wer rettet die Eleganz?


Die Eleganz wird schnell ranzig. Sie ist immer gestrig, vorgestrig, retro. Wer wirklich hip und cool sein will, verpönt allen Stil und jede Mode jener halben Generation zuvor. So trägt Eleganz ihr Verfallsdatum mit sich. Wollte sich heute irgendein Design noch als elegant outen, wird es bestimmt mit der nächsten Welle weggespült und garantiert als antiquiert bis dekadent abgetan.

Überhaupt: “Elegant”. Schon das Wort hat sich erledigt. Irgendwie französisch, irgendwie parfümiert, ancien régime, bourgeois sowieso. Ist Frankreich nicht die Absteigernation, von der Weltmacht in die Drittklassigkeit. Hat schon mal jemand von chinesischer Eleganz gehört?

Hier wird es politisch. Die Eleganz ist ein europäisches Konzept. Ohne Eleganz ist Europa nicht zu retten. Oder gilt: Ist die Eleganz nicht zu retten, ist auch Europa verloren? Oder gerade umgekehrt, wird Europa stark, käme auch die Eleganz (wieder) groß raus? Aber wer will das schon! Eleganzentrismus.

Klimakrise, Artensterben, Flüchtlingsströme, Pandemie und wie viele Krisen eigentlich noch, lassen ein Nachdenken über Eleganz obsolet erscheinen. Wer um Hilfe schreit, sorgt sich nicht um eine schöne Stimme. Ein Luxusthema für Feuilletonisten also? Oder gerade anders herum: Der Verzicht auf das Konzept der Eleganz, auf Form und Maß, auf das Naturschöne, wie es Lateineuropa zuerst hervorbrachte, hat die globalen Krisen zur Folge?

Da hilt nur Sprezzatura. Von Baldassare Castiglione in den europäischen Wortschatz eingeführt, Übersetzung Fehlanzeige, gilt sie als das Vermögen, alle Tätigkeiten, auch solche, die anstrengend sind, sogar solche, die langes Lernen und Üben voraussetzen, leicht und mühelos erscheinen zu lassen. Das geht über die Beherrschung einer handwerklichen Tätigkeit oder eines Wissensgebiets hinaus.  Geschicklichkeit und Gelehrsamkeit reichen eben nicht. Sprezzatura meint eine bestimmte Haltung, möglichst ungezwungen und frei zu wirken. Lässig wäre als Übersetzung zu schwach, gewandt zu altbacken. Sprezzatura ist sicher mehr als einfach nur cool sein. Das Vertrackte daran ist: Erst muß man den Benimm haben, um ihn vergessen zu können. Oder wie Balzac es formulierte: „Anmut kann man haben, nicht aber Eleganz ohne Erziehung.“

Zum Auftakt unserer Serie eine Einführung in die Eleganz

von Julia Zinnbauer

Im Selbstbild. Julia Zinnbauer in der Sheats Goldstein Residence, Entwurf von John Lautner, Beverly Hills


Eleganz, eine Suchgröße

 Folge 1

Vieles wird im zweiten Jahr der Pandemie vermisst – das Reisen, das flirrende Gefühl, auf Ausstellungseröffnungen zu gehen und nicht zu wissen, wohin einen der Abend noch führt, jegliche Form von Geselligkeit und Spontaneität, und auch so einfache Dinge, wie sich mit jemandem zu unterhalten ohne Angst zu haben, die verbrauchte Luft des Anderen einzuatmen. Stattdessen sind Besuche im Baumarkt zu einem seltenen, aufregenden Ereignis geworden, Online-Events haben sich zu glamourösen Höhepunkten entwickelt und der lang verdrängte Zahnarztbesuch bringt immerhin ein wenig Dreidimensionalität in den flachen Bildschirm-Alltag.

Aber vermisst eigentlich auch jemand die Eleganz? Und was genau verbirgt sich hinter diesem Wort, das man mit Mode, gutem Design und einem gewissen Schwung verbindet?
Der Begriff der Eleganz beinhaltet Klarheit und Einfachheit. Eleganz zu definieren, ist allerdings nicht so einfach.

Wörterbücher wie Duden und Wahrig sind sich einer Meinung, wenn sie die Eleganz auf die äußere Erscheinung und das Verhalten eines Menschen beziehen. Es ist die Rede von elegantem Aussehen, Gewandtheit, Geschmeidigkeit in der Bewegung, von kultivierter Form, es fallen Ausdrücke wie erlesen und harmonisch, sich elegant kleiden, eine elegante Formulierung verwenden und sogar mit einem eleganten Schwung vom Barren abgehen. Neben der Eleganz selbst findet zudem auch der sogenannte Élégant Erwähnung, der gepflegte, stets nach der letzten Mode gekleidete und frisierte Mann.

 

Aber spätestens die Zeile, in der die Eleganz im Wahrig-Wörterbuch als „feiner, stilsicherer, modischer Geschmack“ definiert wird lässt aufhorchen. Alleine die beiden Begriffe Stil und Geschmack verraten es schon: es ist kompliziert! Wo man auch hinblickt, wird der Begriff der Eleganz durch Ausdrücke beschrieben, die in sich selbst schon ein gesamtes, weltanschauliches Konzept tragen und die man nicht so einfach als Synonyme betrachten kann.

Hier greift die Etymologie helfend ein. Das Adjektiv „elegant“ leitet sich vom französischen „élégant“ ab, das wiederum vom lateinischen „elegans“ abstammt. „Elegans“ bedeutet „wählerisch, geschmackvoll“, abgeleitet vom Verb „eligere“, also „auswählen“. So erklärt sich auch der Begriff „elitär“. Guter Geschmack und die Fähigkeit, auszuwählen stehen also von Anfang an in direkter Verbindung. Auf welcher Grundlage aber wählt man aus? Und setzt die Möglichkeit auszuwählen nicht auch eine gewisse Freiheit voraus?

Wirklich interessant wird es, wenn man die Begriffe „elegant“ bzw. „Eleganz“ in verschiedenen Lexika nachschlägt. Erstaunlicherweise findet die Eleganz in der Encyclopaedia Britannica (Ausgabe von 1973) im Band E, zwischen „electrotyping“ und „elegy“, keine Erwähnung. Das überrascht umso mehr, wirbt das traditionsreiche Lexikon doch damit, im Jahr 1768 von einer „Society of Gentlemen in Scotland“ gegründet worden zu sein. Den britischen Sinn für Mode würdigt Band E aber dennoch, und zwar in Form eines 16seitigen, teils mehrfarbigen Bildteils zum Thema „embroidery“. In der New Encyclopedia Britannica aus dem Jahr 2010 wird die Eleganz ebenfalls nicht erwähnt.

Die Encyclopedia Americana (Ausgabe 1993) legt mit opulenten vier Seiten (inclusive zahlreicher Abbildungen) den Schwerpunk mehr auf den Elefanten als auf die Eleganz, und nach der Elefantenspitzmaus geht es direkt zum Elevator (ebenfalls reich bebildert). Der amerikanischen Begeisterung für Mode und Eleganz wird man damit keinesfalls gerecht, denkt man alleine daran, welche Rolle die Mode ganz aktuell bei der Inaugurationsfeier von Kamala Harris und Joe Biden gespielt hat, oder auch an das Phänomen Tom Ford. Der in Austin/Texas geborene Modedesigner und Filmemacher ist dafür bekannt, der Firma Gucci ab den 1990er Jahren zu ihrem vergangenen Glanz zurück verholfen zu haben. Von dem japanischen Architekten Tadao Ando ließ er sich zwischen 2002 und 2012 eine minimalistisch-elegante Pferderanch in New Mexico bauen.

Der Grand Larousse (1989) findet im Band „Danser à Embouteillage“ dann aber deutliche Worte: Eleganz ist die Eigenschaft einer Person, die sich durch ihren guten Geschmack von anderen unterscheidet, durch ihre Wahl, z.B. der Kleider, sowie durch die Anmut ihres Verhaltens. Es geht wörtlich um „distinction, bon goût, choix“. Der Grand Larousse geht noch weiter: er beschreibt die Eleganz als Eigenschaft einer Person, die sich auch moralisch oder intellektuell auszeichnet.

Der Beitrag zum Thema Eleganz in der noch älteren Ausgabe des Grand Larousse, dem „Grand Dictionnaire Universel du XIXe Siècle“, die 1870 erschienen ist, überbietet schließlich alles bisher erwähnte, sowohl in seiner Vielschichtigkeit als auch in seiner Opulenz. Schließlich ist das Wort Eleganz ja gerade aus dem Französischen in die deutsche und englische Sprache gelangt. Auf mehr als einer großformatigen, eng bedruckten Seite geht man dem Thema auch auf seinen literarischen Grund.

 

Zunächst einmal geht es um die Anmut der Bewegung, der Geste, um die anmutige Einfachheit der Form, um guten Geschmack, dann um Sprache und Literatur. Eleganz in der Sprache, so der Grand Larousse, erreicht man durch Einfachheit und Klarheit, nicht zu verwechseln sei die „élégance“ aber mit der „éloquence“. In beiden Fällen geht es zwar um guten Stil, bei der Eleganz handelt es sich jedoch um die Wahl der Worte und der Wendungen auf der Basis des guten Geschmacks. Die Eloquenz dagegen basiert auf der Größe und dem Adel der Gedanken, sie setzt Genie voraus. Die Liste der der Antonyme des Wortes élégant liest sich durchaus amüsant: agreste (ländlich), compagnard (bäuerlich, ländlich), qothique, grossier (derb), inélégant, lourd (schwer, plump), massif (klobig), pesant (schwer, behäbig), rustique (urig, rustikal), trivial, commun, vulgaire.

Im Bereich der Literatur wird der antike Dichter Cicero zitiert, der Eleganz mit Höflichkeit verbindet, sowie Martial, der den „bellus homo beschreibt: wohlduftend, die Haare in zierliche Locken gelegt, schöne Briefe schreibend. Dieser „bellus homo“ wird im Grand Larousse mit dem Begriff des Élégant übersetzt, und so verwundert es nicht, dass hier auch Balzac zitiert wird, mit seinem Ausspruch über die verschiedenen Erscheinungsformen des modischen Herren seiner Zeit, den Incroyable, den Élégant, den Dandy und den Salonlöwen. Balzac beantwortet aber auch die Frage, worauf die Eleganz, also die Fähigkeit auszuwählen, denn nun wirklich basiert: „On peut avoir la grace,“ sagt er, „on ne peut avoir l’élégance sans éducation.“ („Anmut kann man haben, nicht aber Eleganz ohne Erziehung.“)

Die Frage nach einer Definition der Eleganz ohne einen englischen Beitrag zu beantworten wäre der der englischen Sprache gegenüber, die die Eleganz so sehr in sich trägt, nicht gerecht. Und so beschreibt das Oxford English Dictionary „elegance“ u.a. als „tasteful correctness and harmonious simplicity in spoken and written compositions“, „a refined grace of form and movement“ und, das ist an dieser Stelle zu unterstreichen, „usually the result of art and culture“, also ganz im Sinne Balzacs, der der Eleganz die Erziehung voraussetzt.

Um nun zur der Ausgangsfrage zurück zu kehren, nämlich der Frage, was eigentlich aus der Eleganz zu Zeiten der globalen Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown geworden ist, muss hier noch einmal ein Blick auf die Mode geworfen werden. Neben der FFP2-Maske ist die lange Zeit verlachte Jogginghose wohl das Kleidungsstück, das am ehesten für die vergangenen Monate steht. Allerdings hat sich die zeitgenössische Sport- und Freizeitbekleidung unter der Bezeichnung „Athleisure“ längst vom Image der ausgeleierten Komforthose verabschiedet und steht bereits seit Jahren für Eleganz und Anmut. Allerdings benötigt man dazu auch einen eleganten, anmutigen Körper und auch der eleganteste Élégant mag durch das ausgedehnte Sitzen in seinem Homeoffice in den vergangenen Wochen ein wenig „massif“ und „lourd“ geworden sein.

In diesem kühlen, verregneten Mai fand kurz bevor sich langsam ein Ende der Pandemie abzeichnete jedoch ein Ereignis statt, das all jenen, die an Schönheit, Eleganz und Lebendigkeit glauben, wieder Hoffnung machte. Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie in Berlin wurde wiedereröffnet, aufwändig renoviert von David Chipperfield. Das Einfach und das Klare – die wortwörtliche Definition der Eleganz im Grand Larousse – das sind auch die Worte Mies van der Rohes wenn er beschreibt, wonach er mit seiner Architektur strebt. Und so ist die Neue Nationalgalerie ein Tempel der Moderne und das Sinnbild der absoluten Eleganz, sowohl in Mies van der Rohes ursprünglichem Entwurf als auch in der Sanierung, die alle Entscheidungen des Architekten respektiert und zu erhalten sucht, von den kleinsten Details bis hin zu den Dimensionen der riesigen Fensterscheiben. Einzig ein wenig transparenter soll die neue Verglasung sein.

Die Eleganz beschreibt eine so lebendige, elastische Idee, die so unterschiedliche Lebensbereiche betrifft, dass man sie kaum mit ein paar Worten umreißen kann, vom körperlichen Schwung, über Zeichnung, Sprache, Mode, Architektur bis hin zur geistigen, moralischen Eleganz. Lange könnte man sich an dieser Stelle noch über guten Geschmack und Stil auslassen, darüber, wie der Goldene Schnitt in der Natur vorkommt, über Hellenismus und Klassizismus und nicht zuletzt über die Sprezzatura, den Schwung als Lebenshaltung, den Baldassare Castiglione in seinem „Hofmann“ beschreibt.

 

Der Düsseldorfer Architekt Walter Brune hat mir einmal seine minimalistischen, weißen Bungalows erklärt, die so flach und filigran sind, dass sie sich unterhalb der Äste großer Bäume entlang erstrecken. „Schhhhhhhhht“, sagte er dabei und zeichnete mit einer eleganten Geste eine Form in den Raum, „das ist EINE Linie.“ Kürzer und präziser kann man das Thema Eleganz wohl kaum

zusammenfassen.

 

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