Folge I - von Julia Zinnbauer

Wer rettet die Eleganz?

~ Folge II ~

Cate als Bob. I’m Not There, Cate Blanchett spielt Bob Dylan

Eleganz, das androgyne Wesen

von
Julia Stellmann

Mit der Kleidung streifen wir uns eine zweite Haut über. Sie tritt als nonverbales Kommunikationsmittel in den Dialog mit unserem Umfeld, bevor wir auch nur ein Wort haben verlauten lassen. Kleidung ist das Erste, das wahrgenommen wird, das zeigt, wer wir sind oder wer wir gerne sein würden. Zumeist fügen wir uns bestimmten Kleiderordnungen, seien sie anlassgebunden, kulturell bedingt, religiös oder geschlechterspezifisch, nur um sie im nächsten Moment bewusst zu verwerfen. Mode bietet uns dabei die Möglichkeit, unsere Persönlichkeit hervorzukehren, uns nach außen hin zu repräsentieren, möglichst unverwechselbar zu erscheinen.

 

Hans Eijkelboom: Photo Notes 1992–2019

Zugleich aber macht uns Kleidung zugehörig, selbst wenn uns nichts ferner liegt als das. Der niederländische Künstler Hans Eijkelboom veranschaulicht dies mit seinem Projekt „Photo Notes“ besonders eindringlich, als er 1991 begann, Passant:innen in über 50 Städten fotografisch zu dokumentieren und folgend nach alltäglichen Kleidungsstücken zu sortieren. Zusammenstellungen von Menschen mit Rolling Stones T-Shirts, mit Burberry Schals, mit Gucci Bauchtaschen werden uns präsentiert und wir sind überrascht, wie ähnlich sich die zufällig gruppierten Menschen sehen, dass sie oft dasselbe Geschlecht, ein ähnliches Alter, vergleichbare Frisuren besitzen. Sind wir also gar nicht so individuell, wie wir immer vorgeben zu sein?

Die Mode ist dem Wandel der Zeit unterlegen. Das repräsentative Element der Kleidung war früher noch deutlich wichtiger, als Menschen der Oberschicht ihre soziale Stellung und ihren privilegierten Status öffentlich sichtbar machen wollten. Kleidung war ein Ausdruck von spezifischen Werten, ist es heute immer noch, nur haben sich die Zeiten verändert und die Werte gewandelt. Heute wollen wir unser Innerstes nach außen kehren. Authentizität gilt als Inbegriff eines gesunden Selbstbildes. Immer schon betraf der Selbstfindungsprozess dabei auch die Kleidung, doch münden Individualisierungstendenzen, nirgendwo sichtbarer als in der Jugendkultur, heute mit Social Media in den Bereich der Selbstdarstellung.

 

Cindy Sherman: “Untitled # 471”, 2008

Social Media fördert Exzentrik, verspricht Aufmerksamkeit beim Tritt aus der Konformität der Masse. Naheliegend, dass Kleidung so auch zur Verkleidung werden kann. Die US-amerikanische Künstlerin Cindy Sherman ist Meisterin der Verkleidung. Sie schafft es, mit ihren raffinierten Selbstporträts Stereotypen hervorzukehren und existierende Dress-Codes zu unterwandern. „Untitled #471“ (2008) aus der Serie „Society Portraits“ zeigt ein Upperclass Model, wohlhabend und im mittleren Alter, mit viel Make-up und umwerfenden Kleidern. Sherman karikiert die offensichtlich oberflächlichen Werte von sozialem Status und nie alterndem Schönheitsideal.

Eine Reflexion anlässlich der Ausstellung „Dress Code. Das Spiel mit der Mode“ in der Bundeskunsthalle in Bonn

Zeichen dieser Oberflächlichkeit ist zunehmend auch ein wachsender Markenfetischismus. Geschmack wird dabei über teure Markenprodukte definiert, echter und vermeintlicher Reichtum nach außen getragen. Groß prangt das Prada Logo auf der typischen Fastfood-Verpackung in „Prada Valuemeal“ (1998) vom US-amerikanischen Künstler Tom Sachs. Billigste Ware wird hier mit dem Logoprint einer teuren Marke zum Luxusprodukt erhoben.

Anders als die wechselnden Moden ist es der Stil, der uns unterscheidet, der elegant sein kann, es nicht unbedingt muss. Im Lateinischen, vor allem auf eine fein gewählte („eligere“) Ausdrucksweise bezogen, wohnt dem diffusen Begriff der Eleganz ein dem Stillstand entgegentretendes Bewegungsmoment inne. Warum jedoch hat die Eleganz einen schlechten Ruf? Sie wirkt oft rückwärtsgewandt, weil bruchlos, ohne Exzess und Zweifel. Dabei hat sie etwas Spielerisches, entzieht sich Trends und verwehrt sich den gängigen sog. Must-Haves. Eleganz betrifft nicht nur das Äußere, sie ist eine innere Haltung, die sich auf das äußere Erscheinungsbild zu übertragen weiß.

Hats on. Cara Delevingne im Anzug.

Im Versuch einer Theorie der Eleganz wurde in der Studie „Beauty, elegance, grace, and sexiness compared“ (Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt a.M., 2019) Schönheit als eine Spanne zwischen Sexiness und Eleganz/Anmut definiert. Sexiness wird dabei als extrovertiert, erregend, heiß, bunt, aber nicht immer geschmackvoll bezeichnet, Eleganz als ein Fließen, als ein Ausdruck von Leichtigkeit und Harmonie, als eine gewisse Zurückhaltung, als Feinheit kombiniert mit Schlichtheit beschrieben. Statistische Auswertungen der erhobenen Daten ergaben, dass Ersteres vornehmlich jungen Menschen zwischen 16 und 30 Jahren zugeschrieben wird, Eleganz dagegen Menschen frühestens ab 30 Jahren bis ins hohe Alter hinein auszeichnet. [1]

Männer und Frauen können gleichermaßen elegant sein, so dass Eleganz sogar ein androgynes Auftreten fördert. „Für einen Mann ist es unmöglich, elegant zu sein, ohne einen Hauch von Weiblichkeit zu besitzen“, so Vivienne Westwood. Die Eleganz widerspricht patriarchalen Denkmustern, setzt aber einen gewissen Grad an innerer Reife voraus. Der elegante Mensch ist nie nur beschautes Objekt, sondern immer auch handelndes Subjekt.

Im Coding meint eine elegante Lösung ein Übersetzen schwieriger, langwieriger Probleme in einfache, wenig umständliche Sprache. Wer elegant ist, kleidet sich mühelos, ist nicht auf Zustimmung aus und widersetzt sich scheinbar unerschütterlichen Dress-Codes. Eleganz geht nicht mit dem Zeitgeist einher, darf manchmal modisch auch völlig danebengreifen und findet erst in einem selbstbewussten Tasten, in einem Ausprobieren, ihr Gleichgewicht. Sie bezieht sich dabei nicht auf Kleidung allein, sondern betrifft den Menschen in seiner Gesamtheit, der nichts sein muss, aber vieles sein kann.

[1] Vgl. Menninghaus et al.: “Beauty, elegance, grace, and sexiness compared”, PLoS One. 2019, 14(6).

 


 

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