Von der Schwerkraft des Sponsoring

Verrutscht. Gleich mit der Eröffnung gerät die Kunsthalle Berlin in Schieflage

Bernar Venet und Walter Smerling (r.) bei der Eröffnung der Kunsthalle Berlin

Ach, die Leichtigkeit. Wenn wenigstens das so leicht wäre. Walter Smerling hat die „Kunsthalle Berlin“ in die Welt gesetzt. Wenn er sich dabei nicht mal schwer übernommen hat. Die Eröffnung ging am letzten Wochenende über die Bühne von Hangar 2 und 3 des alten, ausgedienten Flughafen Tempelhof. Schon hagelt es Kritik, ein Boykottaufruf macht die Runde, der bbk berlin protestiert (der BBK schweigt), der eisige Berliner Wind bläst Smerling ins Gesicht. Ein Fehlstart? Eine Bruchlandung?

Eine Sturzgeburt

„Die Leichtigkeit der Schwerkraft“ wird diese Retrospektive von Bernar Venet, leicht verrutscht, untertitelt. Schwerkraft ist ein Gesetz, es ist weder schwer noch leicht. Sie bewirkt, mit besonderer Leidenschaft in Berlin, dass alles nach unten fällt, sofern nicht andere Kräfte sie daran hindern. Davon später. Was mit dem verrutschten Titel dieser Eröffnungsausstellung beginnt, endet ganz unten, vermutlich im Bodenlosen.

Aber wo hat das mit der Rutschbahn begonnen? 1993 etwa, als der Berliner Senat die Staatliche Kunsthalle Berlin aus schnöden Kostengründen dicht machte? Seitdem schleicht sie als Gespenst durch die Berliner Gassen und über die Boulevards. Eine Untote der Berliner Kulturpolitik. Kein Kultursenator, der das Thema nicht auf seinem Schreibtisch liegen sah. Wie viele Wiederauferstehungen hat die Kunsthalle seither erlebt? Eine Temporäre Kunsthalle Berlin auf dem Schloßplatz war da noch der hoffnungsvollste Wiederbelebungsversuch, nach zwei Jahren (2008 bis 2010) war Schluss. Die vom Wiener Architekten Adolf Krischanitz errichtete Behelfshalle hat nun in Warschau ein Nachleben.

Dann kam Walter Smerling dazwischen. Er hatte ein Problem, aber enge Verbindungen. Als seine Wanderausstellung „Diversity United“  („…zeigt das künstlerische Gesicht Europas und verwandelte den geschichtsträchtigen Flughafen Tempelhof in Berlin in eine Kunsthalle auf Zeit.“ Webseite seiner „Stiftung für Kunst und Kultur“) Mitte Oktober letzten Jahres im Flughafen Tempelhof abgebaut werden musste, um nach Moskau verfrachtet zu werden, standen die schönen Stellwände in den leeren Hangars rum. Sie hatten ihn eine Stange Sponsorengeld gekostet, an die Million Euro. Warum sie nicht einfach weiter nutzen, warum nicht tatsächlich eine Kunsthalle auf Zeit in diesem Monstrum von Bau?

Die Stellwände als Aufhänger

Die Stellwände stehen noch heute. Das ist Michael Müller zu verdanken. Mit dem Regierenden Bürgermeister Berlins (SPD, bis Ende 2021) konnte Smerling bereits Bekanntschaft machen. Anfang Juni 2021 hatten sie gemeinsam mit Bundespräsident Walter Steinmeier Diversity United eröffnet. Müller ist in Tempelhof aufgewachsen. Als der Bonner Impressario sich nun mit der „Idee“ an Müller wandte, die beiden Hangars (rund 8000 Quadratmeter Grundfläche, lichte Deckenhöhe 24 Meter) „weiter zu bespielen“, war der Berliner RB sofort Feuer und Flamme. Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) stimmte zu, die Tempelhof Projekt GmbH als Vermieter durfte froh sein, dass zumindest zwei Hangars einer Bespielung zugeführt werden. Smerling bekam den Zuschlag, mietkostenfrei auf zwei Jahre. Verlängerung möglich. Lediglich für die nicht unbeträchtlichen Betriebskosten hat er aufzukommen und natürlich für vier, fünf Ausstellungen. Lediglich wird sich hier im Bereich von zehn, zwanzig Millionen Euro abspielen. Für die Betriebskosten fand sich auch gleich ein Sponsor in Gestalt des in Berlin ansässigen Immobilienmoguls Christoph Gröner. Die CG Elementum AG ist ein Tochterunternehmen seiner Gröner Group. Ihr Gründer fiel bei der Eröffnung der Kunsthalle durch den Satz auf: “Jetzt fangen wir mal mit einem Kracher an…” und liess offen, wo es enden könnte.

Ohnehin ist Smerling immer auf der Suche nach Geldgebern, das ist sein Hauptjob und seine Überlebensgarantie, entsprechend kennt er sich im Millieu der CEOs bestens aus. Die Frage, „Wer ist eigentlich Walter Smerling?“ (FAZ, v. 23.1.2022) erübrigt sich. Seit fast vierzig Jahren ist er unterwegs, privates Geld für seine Ideen, Projekte, Häuser aufzutreiben. Seit 20 Jahren gelingt es dem Bel-Ami der Kunstwelt, das Museum Küppersmühle MKM in Duisburg fast gänzlich durch private Gelder am Laufen zu halten (die Andreas Gursky-Ausstellung wurde bis 13. Feb. verlängert) und mehr als das, Ausstellung von internationalem Kaliber kommen hinzu. Und es läuft alles bestens. Unter den Sponsorengeldeintreibern ist der virile Smerling der Großwildjäger. Längst plant er weiter, telefoniert, reist, speist, verheißt.

„Er kam langsam, ruhigen Schrittes, mit erhobenem Kopf, die Augen auf die große, sonnendurchflutete Öffnung des Portals gerichtet. Schauer rieselten über sein Haupt, kalte Schauer übermäßigen Glücks. Er sah niemanden. Er dachte nur an sich selbst“. Bel-Ami, Guy de Maupassant    

Die Kunsthalle Berlin ist sein Notre-Dame (oder Waterloo?). Als nächstes ist dort eine Ausstellung zu neuen digitalen Formaten der Kunst in Planung, dann zur Düsseldorfer Photoszene, abschließend darf sich die Berliner Kunstszene in der Kunsthalle tummeln. Wie es dann weiter geht, hängt vom Erfolg der Ausstellungen, der Sponsorenfreudigkeit der CEOs wie vom politischen Willen ab, die Hallen weiterhin für Kunstausstellungen zur Verfügung zu stellen. Letztlich hängt doch alles von Walter Smerling ab. Inmitten des durchsubventionierten Berliner Kulturbetriebs ist er die personifizierte Provokation. Wer beobachten kann, wie er sich seit Jahrzehnten zwischen Firmenbossen, Politikern und Großkünstlern bewegt, mag das bewundern, ein Hochseilakt ist es immerhin. Sein Ehrgeiz, seine agile Geschmeidigkeit, seine Risikobereitschaft, seine Nehmerqualitäten, sein biegsamer Pragmatismus haben ihn weit gebracht und hoch steigen lassen. Doch hat der Wind in Berlin gerade wieder gedreht.

Aus dem Stand, auf dem Sprung

Die Stellwände, sie lassen sich weder verschieben noch versetzen, sollen auch für alle künftigen Ausstellungen zum Einsatz kommen. Als Smerling im November letzten Jahres den Zugschlag für die Hallen bekam, geriet er gleich unter Zeitdruck. Er griff zu, ohne eine Ausstellung parat zu haben, ohne Kuratorenteam, ohne Berater, ohne Ausstellungsetat. Für andere ein Albtraum: leere Hallen, abgelegen, denkmalgeschützt, unbeheizbar. Ach ja, Corona geistert weiter durchs Land.

Effondrement, 2011, Cortenstahl

Smerlings Wahl fiel auf Bernar Venet, weil er wusste, dass er sich auf Vernets Stiftung als Hauptleihgeber verlassen konnte, sich dessen monumentale Stahlskulpturen (an die 200 Tonnen schwer) in Einzelteilen anliefern ließen, zusammengefügt allemal einen imposanten Auftritt in den Flughafenhangars sichern würden. Der Rest war Beipack, Kunstgeschichte. In nur drei Monaten eine derartige Ausstellung auf die Beine zu stellen, ist wohl einmalig, ein Par-Force-Akt, der auch halsbrecherisch enden könnte. Smerling, der Aufsteiger ist in Berlin gelandet.

Die erste Retrospektive dieses außergewöhnlichen Künstlers konnte über die neue Kunstallenbühne gehen. Venets Werk wird von 1961 bis heute über 60 Jahre in voller Breite und Güte ausgebreitet.

Doch stößt der Pragmatismus des Machers SmerIing hier an Grenzen. Mit einer Einzelausstellung eines 80jährigen, weltbekannten Großkünstlers die Kunsthalle Berlin zu eröffnen, erfüllt nicht eben die Erwartungen an eine Kunsthalle. Retrospektiven sind Sache der Museen. Doch zeigt sich hier nicht eine Schwäche öffentlicher Institutionen, die weder über entsprechende Etats noch entsprechende Risikofreudigkeit verfügen? Vernet mag ein sympathischer, sogar untershätzter Künstler aus Südfrankreich sein, ein alter weißer Mann bleibt er doch.

 

Goudron, 1991

Der Pragmatismus bricht sich vor allem an den Stellwänden. Für eine Gruppenausstellung mit 43 Künstlerinnen und 45 Künstlern entworfen, entsprechen sie der Venet-Restrospektive keineswegs. Das Dilemma beginnt gleich eingangs. Man betritt Hangar 2 von der Straße her seitlich, findet hinter einer Stellwand einen Durchlass und befindet sich in einem ersten Raum, wo der Kohlehaufen (Pile of Coal) und die Goudrons aus dem Jahr 1963 ausgestellt sind. Von dort aus geht es weiter zwischen den Wänden hindurch in einen zentralen Raum mit allerhand Großplastiken aus gebogenem Vierkantstahl, die Vernet seit 1994 in zahlreichen Variationen erstellt. So verpasst man glatt das Beste dieser Ausstellung, Vernets Beginn 1961 als Maler. Mit einfachsten Materialien, Pappe, Teer, Müll hat er gegen die Kunst seiner Zeit rebelliert und aufbegehrt. Papierbahnen traktierte er mit den Füßen, Wellpappe bestrich er mit Industrielack. Seine Brüche und Widersprüche zeigen ihn als auch heute noch interessanten Künstler, weniger seine gekonnten Stahlskulpturen.

 

Cardboard Relief, 1965

Seine Entwicklung von arte povera, Minimal und Conceptart, zu art and language, sein Herausarbeiten aus der Farbe Schwarz, seine permanente Selbstbefreiung aus den Schlingen der zeitgenössischen Kunst wäre höchst eindrucksvoll zu verfolgen, wird jedoch durch dicke Wände eher verstellt und versteckt. Die Wände kasteln die Werke ein und nehmen selbst den Großskulpturen ihre elementare Gewalt. Dominant erscheinen – und fürs große Publikum attraktiv inszeniert – die eleganten wie monumentalen Stahlgetüme. Effektvoll von Venet in „Performances“ wie dem „Domino Effondrement“, den „Accidents“ und „Collapses“ dem Berliner Publikum vorgeführt, als sei man im Zirkus.

Der Katalog ist ein Lichtblick. Er bietet einen chronologischen Überblick über die 60 Schaffensjahre Venets. Ein Gespräch zwischen ihm und Hans Ulrich Obrist gibt zudem Auskunft über die inneren Beweggründe dieses immer noch erstaunlichen Künstlers. Da spricht er über sein Äquivalenzprinzip: „Vielmehr geht es darum, die Idee zu akzeptieren, dass so weit entfernte Ansätze innerhalb derselben Disziplin es verdienen, dem Publikum zur Kenntnis gebracht zu werden.“

Aller Anfang ist leicht. Vielleicht. Unversehens rutschte die Venet-Retrospektive an den Anfang und macht es der Kunsthalle Berlin nun schwer. Das Prinzip Collaps feiert Triumphe. 

 

 


Apropos TH Der Berliner Senat hat entschieden, den Flughafen Tempelhof (1936 bis 1941) zu einem „Quartier für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft“ umzunutzen. Bloß wer soll die Mieten und dazu die hohen Betriebskosten, die in den denkmalgeschüzten Riesenhallen anfallen, bezahlen? Die Julia Stoschek Collection jedenfalls, auf der Suche nach einem zweijährigen Ausweichquartier (der Standort Leipziger Straße 60 wird demnächst saniert) hat der Tempelhof Projekt GmbH abgesagt. Die Kosten waren ihr zu hoch.

Mit einer Bruttogeschoßfläche von ca. 300.000 qm und etwa 3,5 Millionen qm Gesamtareal ist der alte Flughafen eines der größten Gebäude der Welt. Für die Sanierung auf Erhaltungszustand von heute wird ein Bedarf von zwei Milliarden Euro veranschlagt.

 


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