Bundeskunsthalle zeigt dieser Tage gleich drei große Ausstellungen. Alle drei mussten mehrfach verschoben werden. Dass sie nun gleichzeitig zu sehen sind, entspricht also keineswegs der Planung, spricht aber Bände. Es gibt sogar einen Zusammenhang. Wer sich auf den Weg durch die weitläufige Ausstellungshalle macht, wird drei aufwändig vorbereitete Kooperationen, sprich Übernahmen in Bonn zu sehen bekommen, drei unterschiedliche Themen werden in unterschiedlichen Ausstellungsformaten aufbereitet, drei weit divergierende Forschungsfelder ansprechend ausgebreitet. Und der Zusammenhang?
Die zufällige Gleichzeitigkeit mag etwas nahelegen, was es so überhaupt nicht gibt. Aber doch: Aby Warburgs Bildatlas Mnemosyne im Parterre, kuratiert von Roberto Ohrt und Axel Heil in Zusammenarbeit mit dem Warburg Institute, London, wo die Ausstellung noch hinwandert, stellt erstmals den Bildatlas vor Augen, wie ihn der Universalgelehrte Aby Warburg (1866-1929) kurz vor seinem Lebensende, also vor knapp hundert Jahren, hinterlassen hat. Diese von der Forschungsgruppe MNEMOSYNE in jahrelanger Arbeit rekonstruierte Fassung von 63 Tafeln mit 971 Abbildungen im Zusammenhang sehen zu können, ist ein Bildungserlebnis erster Güte. Sogar von „suggestivem Zauber“ spricht die Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus. Der gründe sich auf „die Omnipräsenz und metaphysische Zusammenkunft so überwältigend vieler Zeugnisse zivilisatorischer Kulturleistungen.“ Selbst Zungenbrecher können Wahrheiten beinhalten.
Warburgs Atlas ist der Ertrag eines der abenteuerlichsten Forscherlebens der Moderne. Er ist das unvollendete Hauptwerk eines eigenwilligen Gelehrten, der sich 1886 an der Bonner Universität nicht nur für das damals junge Fache Kunstgeschichte, sondern auch für Archäologie, Geschichte, Theologie, Philosophie und der sich entwickelnden Ethnologie einschrieb und sich so für seine „Bilderreisen“ rüstete. Doch ist sein Atlas auch eine Weltkarte zu den Ursprüngen der Bilder und Gestalten zurück; wie auch voraus in die aktuellen, heute immer noch gültigen, zündenden Bildmeere digitaler Medien. Diese Urformen entstammen für Warburg zweifelsfrei der antiken Welt. Hier, im Hellenismus und im Römischen Reich, fand er die Quellen der Motive, die durch alle Epochen und Epochenbrüche bis in die Moderne „wanderten“. Warburg war also einem Formenkanon, dem Code Europas schlechthin auf der Spur. Auf ihn gründet sich die „Credibility“ unserer Sehgewohnheiten. Sein Atlas verfolgt den oft erstaunlichen Wandel der Formen und Figuren durch die Jahrhunderte und verweist doch auf die antike Quelle. Unbestritten liegt diese in Europa. Diesen Warburg´schen Eurozentrismus gilt es wahrzunehmen. Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung und Mutter der neun Musen, ist in Griechenland beheimatet.
„Das hätte nie geschehen dürfen“, hört man Hannah Arendt (1906 – 1975) mit ihrer beherzten deutschen Stimme aus einem Monitor sprechen, der sich eine Etage darüber befindet. Was sie meint, verdeutlicht die New Yorker Professorin für Politische Wissenschaften umgehend: „Auschwitz“.
1934 wurde die von Aby Warburg in Hamburg begründete Bibliothek und Forschungsstätte von der Deutschen Regierung ins Exil gezwungen. Zehntausende Bücher und mehr als 20.000 Fotografien wurden nach London verschifft. Am Woburn Square fand der „Hamburger Bestand“ eine neue Heimat, eine neue, weltbedeutende Forschungsstätte entstand. Aby Warburgs Atlas erreichte Kultstatus und gibt als ein Grundpfeiler der Moderne. „Nach Auschwitz“ so ein Buchtitel von Arendt, ist alles anders, zumal in Europa. Zuvor, in der Nacht vom 10. zum 11. Mai 1933 flammten in Deutschland, besonders hoch auf dem Bonner Markt, Scheiterhaufen. Bücher wurden verbrannt. Mit Heine, einem anderen ehemaligen Studenten der Uni Bonn zu reden: „Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“
Arendt musste 1933 nach Paris fliehen. Beide in Deutschland geborene jüdische Gelehrte verbindet schicksalhaft ein Antisemitismus, den die Nazis nutzten und anfachten. In Auschwitz und vielen anderen Vernichtungslagern wurde das Ende von Millionen Juden fabrikmäßig betrieben – und eben auch ein Ende der unverbrüchlichen Gewissheit, die antike Kultur sei ein Garant.
Arendts Erschütterung „Das hätte nie geschehen dürfen“, hallt durch die ganze Halle, bis nach unten in die Herzkammern der Warburg´schen Sehnsuchtsreise.
Dress Code kommt dagegen aus Kyoto. Das dortige Costume Institut am Museum für Moderne Kunst kann unbeschwert von europäischen Diskursen und Malaisen sich dem schönsten Thema überhaupt widmen: Mode. Alle aktuellen Schauen der ach so beliebten Ausstellungen zu Modeschöpfern von Alaïa zu Balenciaga, von Coco Chanel zu Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld verzichten ausgerechnet auf das der Mode ureigene Medium, den Laufsteg. Doch nur der catwalk kann etwas hervorbringen, was der statischen Ausstellung und allen Modepuppen völlig abgeht: Bewegung. Das Fallen der Stoffe, der Wurf der Falten, die Brechungen des Lichts, die Feinheiten des Schnitts, überhaupt die Eleganz des Entwurfs können sich erst in der Bewegung zeigen – und genau dafür hat die Modebrache den Laufsteg erfunden. Man darf hier an Friedrich Schiller erinnern. „Die griechische Fabel legt der Göttin der Schönheit einen Gürtel bei, der die Kraft besitzt, dem, der sie trägt, Anmut zu verleihen und Liebe zu erwerben.“ Ihren Gürtel kann Venus abnehmen und einer Anderen augenblicklich überlassen. „Anmut“, folgert Schiller aus dem antiken Mythos „ist eine bewegliche Schönheit; eine Schönheit nämlich, die an ihrem Subjekte zufällig entstehen und ebenso aufhören kann.“
Die Ausstellung aus Japan kümmert sich nicht um klassische Schönheit. Sie zeigt in beeindruckender Weise, wie tief dress codes auch heute noch und gerade wieder in der Gesellschaft verwurzelt sind, ja wie unzertrennbar bis zur Verzweiflung Inneres und Äußeres miteinander verbunden sind. Zu jedem Code braucht es einen Schlüssel, eine Dechiffrierung. Erst wenn der Code gelesen wird, erfüllt er paradoxerweise seinen Zweck. Der Code berührt sich hier mit dem Kanon, von dem Warburg handelt. Erst wer den Kanon sicher beherrscht, kann souverän und spielerisch davon abweichen, sich sogar voll daneben in Szene setzen.
Jeder Code jeder noch so besonderen community, ob der von Manga-Mädchen oder der von Gelbwesten, ist nur verständlich in Abgrenzung zur Norm. Was aber die Norm ist, darüber ist die Welt in Unordnung geraten. Wo sich nicht mehr sagen lässt, was die gemeinsame Quelle ist, was Maß, Schönheit, Stil ist, wo sich keine Übereinkunft mehr erzielen lässt über guten Geschmack, da wächst am Ende auch die Not. Vielfalt ist lustig, ist aber zugleich Anzeichen von innerer Zerrissenheit.
Redaktion: Anke Strauch
Die Ausstellungen in der Bundeskunsthalle:
Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert bis 20. Juni
Aby Warburg: Bilderatlas Mnemosyne – Das Original bis 25. Juli
Dress Code – Das Spiel mit der Mode bis 12. September
Die neue Intendantin der Bundeskunsthalle Eva Krauss stellt ihr erstes Jahresprogramm vor