Warum das Museum Morsbroich der richtige Ort ist, „Next Generations" konzeptueller Fotografie "made im Rheinland" zu zeigen

Hohe Auflösung der Wirklichkeit

Platz, Bühne, Bild. Times Square von Moritz Wegwerth

Als Konrad Fischer Konzeption Conception im Museum Morsbroich in Leverkusen zeigte, war das nicht nur die Sensation in der Provinz, es war eine Wendemarke der Kunst schlechthin. Mit dieser ersten Ausstellung zur Konzeptkunst in einem deutschen Museum stellte der junge Künstlergalerist gleich alles auf den Kopf, was Kunst und was die Institution Museum sein kann.

Auf alle Fälle nichts, was man bisher dafür gehalten hatte. Statt eines Vorworts im Katalog lieferte Sol LeWitt, den hierzulande niemand kannte, 35 Leitsätze über „Conceptual Art“. Satz 1: „Konzeptkünstler sind eher Mystiker als Rationalisten. Sie gelangen sprunghaft zu Schlußfolgerungen, die die Logik niemals erreichen kann.“ Wie selbstverständlich hatte Fischer Fotografie mit in die Concept Art aufgenommen. Schon László Moholy-Nagy hatte das Serielle in die Bauhausfotografie eingebracht. Seit den frühen 60er Jahren entdeckten mehrere Künstler gleichzeitig das in den industriellen Reproduktionsmedien des Films und der Fotografie angelegte Potential der Serialität neu. Möglichst banale Ereignisse wurden auf absichtlich „kunstlosen“ Fotografien festgehalten, sie erschienen als Ready-mades, wobei die serielle Fotosequenz das Eintreten der von LeWitt benannten “mystics“ begünstigt. Folglich sind u.a. Ed Ruscha, Robert Smithon, Jan Dibbets, John Baldessari, Donals Burgy, Gilbert&George, Stanly Brouwn und auch Bernd und Hilla Becher 1969 in Leverkusen mit ihren Fotoarbeiten vertreten.

Die Fotografie hat seither die Nachfolge der Concept Art angetreten, sie ist heute deren blühendster Zweig. Ja, man kann sagen, dass die Fotografie heute nur insofern interessant ist und künstlerisch überhaupt überlebt, wo sie conceputal ist.

Wenn es im Museum Morsbroich fünfzig Jahre nach Konzeption Conception zu einem Panorama aktueller Fotografie kommt, scheint die Ausgangsfrage klar: Was haben die Next Generations daraus gemacht? „Aktuelle Fotografie made im Rheinland“, so der verwackelte Untertitel der Ausstellung, legt die Latte hoch und…

Next Generations – Abschiedsfotografie?

Wer kennt die Zahlen, nennt die Namen? An einem einzigen Tag werden 260 Millionen neue Fotos „gemacht“, ein Vielfaches davon wird via Facebook, Instagram oder Snapchat in alle Welt versendet,  mit aller Welt geteilt. Schwindel erregend oder aufhellend? Horror oder Happening? Schon wird das Ende der Fotografie ausgerufen, bloß weil sich ihre Bestimmung als Massenmedium nach über zweihundert Jahren endlich erfüllt. Haben wir zu viel Bilder? Oder immer noch die falschen? Lernen wir gerade erst im digitalen Meer der Bilder zu schwimmen, oder gehen wir in der Bilderflut munter unter? Und was geschieht eigentlich mit uns, mit unserer an ihr Fassungsvermögen geratenen Welt, wenn sich aus der wundersamen Bildvermehrung erst eine neue Qualität ergeben wird? Rettung durch Technobilder (Vilém Flusser)? Die telematische Gesellschaft als positive Utopie der Nachmoderne? Wohin wird uns der Bilderstrum des Postfaktischen Zeitalters mitreißen?

Lauter schöne Fragen. Gäbe es auch Antworten?

 

Wir betreten die Ausstellung und sind in einem Fotostudio. Ein altes Motiv der Malerei leitet uns in den ersten Raum: ein Repoussoir. Wir sehen einen gigantisch vergrößerten Fotografierahmen von hinten. Auf der Vorderseite das Atelier eines Fotografen ganz aus den Utensilien und Materialien eines zeitgenössischen “Lichtbildners” zusammengebaut. Peter Miller (*1984 in Vermont USA), bietet uns nicht nur eine Selbstreflektion mit deutlicher Beimischung von Selbstironie, sondern zeigt gleich eingangs Fotografie, die uns um die Ohren fliegt: Alles ist hier Foto, von der Couch bis zum Teppichboden, vom Arbeitstisch bis zur Studiolampe, alles zugleich Bild, Raumistallation, Performance. Aber wirklich ist hier nichts. Miller ist seit 2018 Professor an der Folkwang UdK für Fotografie und zeitbasierte Medien – und damit offenbart sich gleich eine Schwäche der Ausstellung. „Made in Rheinland“ – ohne Folkwang? Wie gerne hätte man doch einmal wahrgenommen, was die next Generation in Essen so treibt.

Die beiden Kuratorinnen Heide Häusler und Stefanie Kreuzer kennen sich sonst bestens aus mit der Fotoszene im Rheinland und darüber hinaus. Überraschend gut haben sie die ausgewählten 18 Fotograf*innen der beiden Kaderschmieden, der Kunstakademie Düsseldorf (Fotoklasse seit 1976) und der Kunsthochschule für Medien in Köln (seit 1990) in die Säle des spätbarocken Jagdschlosses eingebracht. Sie vertrauen dabei dem Prinzip Künstlersäle. Wer sich über die neuesten Zweige und Blüten der künstlerischen Fotografie, der „Post-Photography“ oder schon der „Post-Post-Photography“ informieren will, findet hier ein großes Panorama, ein anspruchsvolles wie aufschlußreiches Tableau, das weit über den Tellerrand einer der üblichen Fotoausstellungen hinausblickt.

Denn es geht hier immer um die Frage nach der Kunst. Gerade der grundsätzliche Zweifel am Status der Fotografie als Kunstwerk hat ihr die entscheidende Bedeutung in der zeitgenössischen Kunst zukommen lassen. Ihre zentrale Rolle in der Kunst der letzten fünfzig Jahre konnte sie gerade dadurch erlangen, wo und indem der Gegensatz zwischen Kunst und Nicht-Kunst überspielt und aufgelöst wurde. Viel von diesem Akt spielte sich tatsächlich im Rheinland ab. Aber keineswegs in den Akademien, wie die Ausstellung unterstellt. Andreas Gursky immerhin wollte später partout nicht die Fotoklasse der Akademie übernehmen, sondern wurde Professor für „Freie Kunst“.

Eine seiner Meisterschülerinnen, Louisa Clement, 1987 in Bonn geboren, eine der Jüngsten im Morsbroicher Aufgalopp, wagt als Einzige den Schritt zu bewegten Bildern. Neben ihren „Avatar“-Fotos zeigt sie Kurzvideos von sinnlich-erotisch aufgeladenen Kunstkörpern.

Anna Vogel (*1981 in Herdecke) aus dem eher klassischen Akademie-Stamm Thomas Ruff, Christopher Williams, Grusky hat einen anderen Weg eingeschlagen. Sie zeigt ein eindrucksvoll-meditatives Triptychen. Ihre Schwarz-Weiß-Fotografien von Wasseroberflächen bearbeitet sie zeichnerisch mit Linien und Texturen.

Mit Moritz Wegwerth (geb. 1981in Düsseldorf) treffen wir auf den dritten Gursky-Schüler (der Professor stellte alle drei 2016 in seiner Galerie Sprüth Magers Berlin vor). Umwerfende Städtebilder vom Times Square in New York sehen wir hier. Wie im Sog werden wir in die großformatigen, veristischen, detailversessenen Ansichten hineingezogen – und bleiben doch außen vor. Es ist die Frage der Anwesenheit im Bild bei gleichzeitiger Abwesenheit, die sich angesichts der tiefenscharfen Prints stellt. Die satte Wirklichkeit ist ein Produkt der digitalen Bearbeitung. Wie viele Produktionsschritte es von der Aufnahme in New York bis zum Bild in Leverkusen wohl sind? Wo wir das Bild überhaupt „gemacht“? – Am Ort des Geschehens? in der Kamera? im Studio bei der digitalen Nachbearbeitung? entsteht es auf dem Abzug? oder im Auge des Betrachters?

Matthias Wollgast (*1981 in Bonn) begann als Maler an der Kunstakademie und liess ein Postgraduales Studium an der KHM folgen. Indem er das Medium der Fotografie, wie das Malerei befragt, die Kunst insgesamt und das, was wir darunter verstehen in Frage stellt, folgt er dem Ansatz der Konzeptkünstler – ohne Konzeptkünstler genannt werden zu wollen. Er fotografiert ohne Kamera, malt ohne Maler sein zu wollen, ist Künstler und entziehtsich trickreich dem Zwang, Urheber vom Neuem sein zu müssen. Vielmehr ist er an Verfahren wie Imitation und Mimikry, Codieren und Decodieren, Kontextualisieren und Dekontextualisieren interessiert. Sein Morsbroich–Beitrag besteht aus einer Serie von Großformaten, Schwarz-Weiß Fotografien, die sich als Gemälde (Öl auf Leinwand) erweisen. Sie muten wie Screenshots an, die sich auf einen Dokumentarfilm beziehen. Zu sehen ist ein Polarforscher, der einer Lichtallergie leidet, deshalb in einem Londoner Keller haust und sich über ein Foto in eine Frau verliebt, worauf er die nächtliche Suche nach ihr aufnimmt. Vergeblich. – Ist der schöne Plot nichts mehr wert, wenn wir erfahren, dass er nur  schön erfunden ist? Sind die Screeshots wertvoller, weil sie gemalt sind?

Am Ende hält uns die Ausstellung drei Überraschungen bereit. Mit Sebastian Riemer (*1982 in Oberhausen), Owen Gump (*1980 in Kentfield USA) und Shigeru Takato (*1972 in Ohita, Japan) begegnen wir im Obergeschoss drei Fotografen, die der Kamera als Bilderstellungsmaschine vertrauen. Riemer hat gefundene Werbebilder stark vergrößert, was die Schrundigkeit und Vergänglichkeit dieser Fotografien wie der erotischen Motive eindrucksvoll vor Augen stellt.

Mit der Großbildkamera ist Gump in der Welt unterwegs. In seinen analogen Schwarz-Weiß Aufnahmen stellt er sich in die große Tradition der Landschaftsfotografie. Die formal gekonnten, bewußt ästhetisch formulierten Bilder zeigen dagegen brutale Eingriffe des Menschen in den Naturraum. Damit stellt sich Gump, anders als etwa Bernd und Hilla Becher, in die Tradition einer sozialkritischen Fotografie. Wo sie Industriebauten monumentalisierten, weist Gump auf das Zerstörungspotential der Industrie hin.

Der Älteste der Auswahl zu guter Letzt: Shigeru Takato zeigt uns Blicke aus der Höhle ins Tageslicht. Platons Höhlengleichnis sei Dank, erleben wir uns vielleicht als derjenige, der sich aus den Fesseln befreien kann, einmal heraustritt in die Welt, um den Zurückgebliebenen da in der Höhle zu berichten, wie es wirklich ist. Aber sie würden ihn verlachen. Bei Platon geschieht das alles nur in der Vorstellung von der Vorstellung. Wäre die Fotografie schon zu Platon Zeiten erfunden worden, er wäre Fotograf geworden.

Auf alle Fälle gilt So LeWitts Leitsatz 34: “Wenn ein Künstler sein Handwerk zu gut lernt, macht er glatte Kunst (slick art).”

 

 


In der Ausstellung – KÜNSTLERGESPRÄCHE 

immer Sonntags – 24. Februar, 31. März und 28. April 2019 – 14 bis 16 Uhr

I. Referenzen der Wirklichkeit: Die Möglichkeitsräume der Fotografie

mit Johannes Bendzulla Mia Boysen Louisa Clement
Alwin Lay Peter Miller Moritz Wegwerth

II. Fotografische Oberflächen & Narrative

mit Alexander Basile Sebastian Riemer Morgaine Schäfer
Berit Schneidereit Shigeru Takato Anna Vogel

III.Archäologie der Fotografie – Kameralose Fotografie, fotografische Materialien, Träger und Displays

mit Natalie Czech Anne Pöhlmann Johannes Post
Christoph Westermeier Matthias Wollgast

NEXT GENEATION weiter gehts

LOUISA CLEMENT: REMOTE CONTROL
– 10. Juni 2019
Sprengel Museum Hannover
Mit „Aporias“ (2019) überträgt Clement ihre fotografische Arbeit in den virtuellen Raum. Mithilfe von VR-Geräten schließen sich die Betrachter einer Gruppe von drei künstlichen digitalen Körpern an, die wie gesichtslose Mannequins anmuten, und können in Interaktion mit diesen treten.

MONA SCHULZEK
MAX-ERNST MUSEUM BRÜHL: Vergabe des Max-Ernst-Stipendiums
Die Vergabe des Stipendiums und die Ausstellungseröffnung finden am 2. April, dem Geburtstag von Max Ernst im Max-Ernst-Museum Brühl statt.

Conrad Müller, Donja Nasseri (PwC-Preis 2017), Arisa Purkpong und Alexander Romey zeigen neuste Positionen der Fotografie.
KIT – Kunst im Tunnel „Von mir aus“
Eröffnung 22.03. – 16.06.2019

KÜNSTLERHAUS DORTMUND: Studierende und Alumni der HBK Essen, Studiengang Fotografie/Medien
23.02. – 07.04.2019
Eröffnung: Freitag, 22.02.2019 um 20 Uhr

VIDEONALE.17 im Kunstmuseum Bonn
23.02.2019 um 16 Uhr
Podiumsdiskussion: Quotenlos glücklich? – Zur heutigen Situation von Künstlerinnen in der Medienkunst
mit Lisa Long (Kuratorin der Julia Stoschek Collection), Johanna Reich (Medienkünstlerin) und Gabriele Schor (Kunstkritikerin, Sammlerin von Medienkunst)

 

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