beobachtet Jörg Restorff
Was Julia Stoschek für Deutschland, ist Pamela (Pam) Kramlich für die USA. Seit den späten achtziger Jahren hat die im kalifornischen Napa Valley lebende Kunsthistorikerin gemeinsam mit ihrem Mann Richard eine Sammlung mit Medienkunst aufgebaut, die Maßstäbe setzt. Mehr als 200 Videos, Filme oder Medieninstallationen umfasst die Kollektion inzwischen. Aber das ist nur gut die Hälfte des Gesamtbestands, denn die Kramlichs sammeln auch Gemälde und Skulpturen.
Im Centraal Museum Utrecht wird mit „Double Act“ ein Dialog der Bewegtbilder mit Bildern aus dem Goldenen Zeitalter der holländischen Malerei gewagt. Die Medienarbeiten spielen allein schon wegen ihrer Größe und multimedialen Effekte die Alten Meister oft an die Wand.
Videokünstler, glaubt Kramlich, sind „Schlüsselfiguren der Kunstgeschichte“. Erstmals außerhalb der USA kommt nun der überzeitliche Gehalt ihrer außergewöhnlichen Sammlung zum Vorschein. Die Künstlerliste der Kollektion liest sich wie ein Who’s Who der zeitbasierten Kunst: Marina Abramović, Allora & Calzadilla, Matthew Barney, Janet Cardiff und George Miller, Peter Fischli und David Weiss, Jenny Holzer, William Kentridge, Steve McQueen, Bruce Nauman, Shirin Neshat, Nam June Paik, Chloe Piene, Bill Viola und Clemens von Wedemeyer, sie alle (alphabetische Reihenfolge) und viele andere mehr sind mit Arbeiten in der Sammlung vertreten.
Zugänglich sind diese Schätze normalerweise – nur auf Einladung – in der traumhaften kalifornischen Residenz der Kramlichs. entworfen übrigens vom Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron. Um so interessanter und erstaunlicher, dass das erste größere Gastspiel der Kramlich Collection außerhalb der USA nicht etwa in einem der europäischen Topmuseen stattfindet, sondern im kommunalen Museum Utrechts. Doch gibt es Gründe. Direktor Bart Rutten ist nicht nur ein Kenner der Medienkunst (seine Dissertation schrieb er über Bill Viola). Er verfügt zudem über einen hervorragenden Draht zu dem US-Sammlerpaar, das in epochenübergreifenden Dimensionen denkt und handelt. Videokünstler betrachtet Pam Kramlich „als Schlüsselfiguren der Kunstgeschichte; sie reagieren auf die Probleme unserer Zeit und untersuchen die menschliche Wahrnehmung und die menschliche Existenz“.
Geheimnisvolle Begegnung im Kloster
„Double Act“ so der Titel der Sonderausstellung, wagt den Tanz mit der lokalen Kunst. Frei nach dem Motto „Doppelt hält besser“? Eher nicht. Vielmehr zielt die Ausstellung darauf ab, die Videos Seite an Seiten mit niederländischen Barockgemälden aus dem Bestand des Utrechter Museums präsentiert werden. Besonders stark vertreten: die Utrechter Caravaggisten. Die dramatischen Szenen, stark kontrastreichen Gemälde sind vom Helldunkel und der Dramatik des römischen Realisten Caravaggio beeinflusst. Im schummrig-geheimnisvollen Dunkel der Ausstellungssäle – im Mittelalter war das Gebäude ein Kloster – werden wir Zeuge einer Folge von Dialogen zwischen Werken des 17. Jahrhunderts und moderner Medienkunst. Packende Gemälde, bewegende Videos. Bart Rutten hat sich von thematischen oder stilistischen Parallelen inspirieren lassen, teils auf gegensätzliche Paarungen gesetzt.
So findet man Gerard van Honthorsts Genrebild „Die Kupplerin“ in der Nachbarschaft von Marina Abramovićs Performance-Doku „Art Must Be Beautiful, Artist Must Be Beautiful“. Durch bloßen Augenschein vermittelt sich kein gemeinsamer Nenner. Rutten jedoch sieht in dem Honthorst-Gemälde, in dem eine Kupplerin eine Begegnung zwischen einem Freier und einer attraktiven, tief dekolletierten Prostituierten arrangiert, eine Verkörperung jener männlichen Denkweise, die Frauen zu Lustobjekten degradiert.
Abramović wiederum, die 1975 bei einer Performance in Kopenhagen eine geschlagene Stunde ihr langes Haar derart vehement frisierte, dass es einem noch heute beim Zuschauen wehtut, habe gegen ein solch eindimensionales Frauenbild aufbegehrt. „Art Must be Beautiful, Artist Must be Beautiful“, mit diesem Schlachtruf, den die Künstlerin unentwegt und wutentbrannt wiederholt, sei die vorherrschende Ästhetik unter Beschuss genommen worden. Aber wer verlangte Mitte der Siebziger noch, dass Kunst schön sein müsse? Oder gar Künstlerinnen? Allemal jemand, der von moderner Kunst – oder Kunst überhaupt – keine Ahnung hat.
Mars macht ein Nickerchen
Facettenreicher ist das Aufeinandertreffen des „Schlafenden Mars“, den Hendrick ter Brugghen 1629 malte, und Richard Mosses Video-Installation „The Enclave“ von 2013. Ter Brugghen, auch er ein Caravaggio-Anhänger, zeigt den Kriegsgott, bewehrt mit Helm, Rüstung und Schwert, in einem raren Moment der Entspannung. Friedlich döst er vor sich hin, fast droht ihm das Schwert aus der Hand zu entgleiten. Weniger martialisch hat man Mars selten gesehen. Als Schwächling indes hat ihn der Künstler nicht charakterisiert. Im Gegenteil: Es ist die Ruhe vor dem Sturm, die der Maler hier meisterhaft zum Ausdruck bringt.
Gleiches lässt sich über Richard Mosses „Enclave“ sagen. Der 1980 geborene Ire, Kriegsfotograf und bildender Künstler zugleich, macht den Bürgerkrieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo zum Thema seiner sechsteiligen Installation. Auch hier sind wir nicht Zeuge des Kampfgeschehens, doch scheint es förmlich im Hintergrund zu lauern. Wir sehen Menschen, die sich versammelt haben, die auf etwas zu warten scheinen, die miteinander sprechen. Oder einen Soldaten, der ein schlafendes Kind in den Armen hält. Eine rötliche Färbung taucht sämtliche Videos in ein surreales Licht. Für die Produktion von „The Enclave“ verwendete Mosse ein vom US-Militär entwickeltes Infrarot-Material, das zur Feinderkennung in unübersichtlichem Gelände eingesetzt wird und grüne Pflanzenbestandteile in intensiven Rottönen wiedergibt. Der Film gibt also Falschfarben wieder. Doch die Bedrohung ist real.
Wer mit dem Feuer spielt
Elementares wiederum artikuliert sich in der Kombination Paulus Moreelse/Bill Viola. Hier „Die Folter des Prometheus“, ein Halbfigurenbild, das Moreelse um 1635 gemalt hat. Bekanntlich brachte der Titan den Menschen das Feuer, was Zeus derart erzürnte, dass er Prometheus an einen Felsen des Kaukasusgebirges festschmiedete. Nicht genug damit: Der Göttervater schickte in regelmäßigen Abständen einen Adler, der von der Leber des Gefangenen fraß. Eben diese Tortur ist dargestellt.
Mit dem Feuer spielt auch Bill Viola in seiner Video-Sound-Installation „The Crossing“ von 1996. Auf der einen Seite eines gigantischen Displays sieht man einen Mann, an dem zunächst wenige Flammen emporlodern, die sich rasch zu einem Feuer hochzüngeln, das den Protagonisten verschlingt. Analoges vollzieht sich auf der Rückseite der Zwei-Kanal-Projektion in Form einer Wasserkaskade, die als tröpfchenweise Dusche beginnt und als Sturzbach endet. Eine großartige, existenzielle Video-Arbeit, kein Zweifel. Allerdings ist der Zusammenhang mit der „Folter des Prometheus“ des niederländischen Malers ein rein äußerlicher. Im Zusammenspiel wahrgenommen, erscheint Violas „The Crossing“ wie Kunst von einer anderen Welt. Und nicht zuletzt aufgrund der bombastischen Soundeffekte spielt das Video den stummen Prometheus locker an die Wand.
Zugänglich sind diese Schätze normalerweise – und nur auf Einladung – in der traumhaften kalifornischen Residenz der Kramlichs. Entworfen von Herzog & de Meuron. Man gönnt sich ja sonst nichts. Um so interessanter und erstaunlicher, dass das erste größere Gastspiel der Kramlich Collection außerhalb der USA nicht etwa in einem der europäischen Topmuseen stattfindet, sondern im Centraal Museum Utrecht. Dafür gibt es Gründe. Der Direktor Bart Rutten ist nicht nur ein Kenner der Medienkunst (seine Dissertation schrieb er über Bill Viola). Er verfügt zudem über einen hervorragenden Draht zu dem US-Sammlerpaar, das in epochenübergreifenden Dimensionen denkt und handelt. Videokünstler betrachtet Pam Kramlich „als Schlüsselfiguren der Kunstgeschichte; sie reagieren auf die Probleme unserer Zeit und untersuchen die menschliche Wahrnehmung und die menschliche Existenz“.
„Double Act“
Centraal Museum Utrecht
bis 15. Januar 2023