Strenge Observanz. Wie der Aufstieg der Becher-Schule gelang

Hilla Becher – Ein Nachruf

 

„Wir haben diese Arbeit aus schierer Lust an Bildern begonnen; wir wussten,
dass die Dokumentationen solch faszinierender Formen – die man ja
grundsätzlich schön oder häßlich finden kann und deren Zweck in erster
Linie nicht-ästhetisch ist – uns Freude machen würde. Wir wollten diese
Formen entdecken und sie mit Hilfe der Photographie sammeln.“

Dokumentieren und sammeln, dabei Freude und schiere Lust an den Bildern, so schlicht, so umfassend beschreibt Hilla Becher den Beginn ihrer photographischen Titanenarbeit. Das gemeinsam mit ihrem Mann, Bernd Becher, entwickelte Werk ist eine einzigartige Dokumentation der Industriegeschichte und zudem ein sensationeller künstlerischer Durchbruch. Mit den Bechers vollzog sich der Siegeszug der Photographie als Fixstern am Firmament der Kunst.

Am vergangenen Samstag, den 10. Oktober ist die Photographin in Düsseldorf gestorben.

Hilla Becher (am 2. September 1934 in Potsdam geboren) und Bernd Becher (1931-2007) wurden seit den sechziger Jahren zu Schrittmachern der Photographie auf dem Weg zu einer eigenständigen Gattung der Kunst.

Das Werk des Künstlerpaars, das sich die Dokumentation anonymer Industriebauten zum Ziel gesetzt hatte, fand national und international große Beachtung und wurde u.a. 1990 mit dem Goldenen Löwen der Biennale Venedig und 2002 mit dem Europäischen Erasmuspreis in Amsterdam ausgezeichnet. Mit ihrem photographischen Lebenswerk und der gemeinsamen Lehre an der Düsseldorfer Kunstakademie begründeten die Bechers die Düsseldorfer Photoschule, aus der einige, inzwischen weltberühmte Künstlerpersönlichkeiten wie Andreas Gursky, Thomas Struth, Candida Höfer oder Thomas Ruff hervorgingen. Mit dem Begriff Schule ist im besten Sinn auch die Erfindung und Etablierung einer neuen Wahrnehmungsästhetik gemeint. Die Bechers machten Schule, indem sie unsere Sichtweise schulten.

Ein folgenreiches Mißverständnis

Auch fünf Jahre nach dem Tod ihres Mannes war Hilla Becher unermüdlich in den Industrierevieren dieser Welt unterwegs und signierte ihre neuen Fotos ganz selbstverständlich mit „Bernd und Hilla Becher“. Als wäre nichts geschehen, als wäre Bernd Becher nicht schon 2007 in Rostock gestorben. Das Label Becher lebte fort. Es sonnt sich weiter in internationalem Licht und feiert Triumph um Triumph. Spätestens seit den 1990er Jahren gilt die von den Bechers begründete „Düsseldorfer Photoschule“ (eine Begriffsprägung des Sammlers und zentralen Photobuch-Verlegers Lothar Schirmer, der allein 22 Bücher über das Oeuvre der Bechers bei Schirmer/Mosel herausgab) nach außen hin gar als Synonym für die deutsche Fotografie schlechthin. Die Mutter des Erfolgs war Hilla Becher und entsprechend ungeniert nahm sie es für sich in Anspruch, für ihren verstorbenen Mann mit zu unterzeichnen.

Erstaunlicher Welterfolg

Wie es zu dem Welterfolg des Düsseldorfer Fotografenpaars Bernd und Hilla Becher kommen konnte, beruht vor allem auf zwei nicht minder erstaunlichen Phänomenen. Zum Einen auf der außergewöhnlichen Kontinuität ihrer Arbeit über 55 Jahre. Im Zeitalter der wechselnden Avantgarden stiegen die Bechers zu Stars der internationalen Kunstszene auf, ohne ihre strenge Bildsprache auch nur im Geringsten zu ändern. Verblüffend, wie die ersten gemeinsamen Aufnahmen seit 1959 den neusten Fotos gleichen, die gut ein halbes Jahrhundert später entstanden. Es gibt keine Veränderung, keine Entwicklung im Becher´schen-Werk. Rückblickend tritt eine ostentative Abwehr und Abneigung gegen alle Stilbrüche, Medienvielfalt und kritische Selbstbefragung, die ihre Zeit doch auszeichnete, hervor. Unverwechselbarkeit statt Formenvielfalt , Beharrlichkeit statt Innovation, die Bechers erscheinen als die großen Un-Modernen der Moderne.

Sie sind nicht zu Klassikern geworden, sie waren es immer schon. Ihr Konservatismus liegt von Anfang an in den gewählten Motiven – stillgelegte, vom Abriss bedrohte Siegerländer Fachwerkhäuser, Erzbergwerke, Industriebauten der untergehenden Schwerindustrie. Wenigstens mit der Plattenkamera festhalten, beƒvor sie der Abrißbirne zum Opfer fielen, lautete die Losung und ein letzter Hauch Industrieromantik umweht die “anonymen Skulpturen” der Bechers. In ihrem Rekurs auf die klassische Dokumentarfotografie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gründet ihr Ruf als Klassiker zudem. Auf diese haben sie sich stets bezogen, ihr nichts hinzufügen wollen. Sie haben keinen eigenen Stil entwickelt und keine unverwechselbare Bildgrammatik. Die klare Anschaulichkeit der Aufnahmen, der unverstellte Blick auf oftmals unspektakuläre, alltägliche Bauten, sowie das Zusammenführen der Fotografien zu thematischen Serien läßt sich schon bei Eugène Atgets und später bei August Sander finden.

Was den Bechers allerdings über die eigentlichen Grenzen ihres langen Schaffens hinaus geglückt ist, war die Aufnahme ihrer Dokumentarfotografie der strengen Observanz in den Kanon der Modernen Kunst. Wie es dazu kam, beruht auf dem zweiten erstaunlichen Phänomen: Der Verbindung der Becher-Fotografie mit der Concept Art. Was eher ein Mißverständnis ist – doch zum eigentlichen Hebel und Katalysator für ihr Werk wurde.

Wie konnte es gelingen, dass eine durch und durch konservative, technisch wie motivisch überkommene Position innerhalb der Fotografie, wie sie von den jungen Bechers in den aufbegehrenden 60er Jahren vorgetragen wurde, zu einem durchschlagenden Erfolg auf der internationalen Bühne geriet? 1961 als die Bechers nach ihrer Heirat die Düsseldorfer Kunstakademie bereits wieder verliessen, übernahm Joseph Beuys dort eine Professur für Bildhauerei. Noch sein radikaler sozialer Anspruch an die Kunst („soziale Plastik“) und sein „erweiterter Kunstbegriff“ sollten letztendlich der Becher-Fotografie den Weg in die Kunst ebnen. Warum auch sollte sich der erweiterte Mantel der Kunst nicht auch über die Fotografie legen?

Warum ausgerechnet die Dokumentarfotografie den Sprung in die besten Avantgardekreise schaffte, ist dabei Folge eines gutgemeinten Missverständnisses. Die Bechers berühren weder die großen Themen ihrer Zeit, noch nutzen sie die technischen Innovationen der Fotografie. Der streng dokumentarischer Einsatz ihrer Plattenkamera reflektiert in keiner Weise die sozialen Funktionen ihres Mediums. Umso erstaunlicher will der Aufstieg der Bechers zu den schulbildenden Stars der internationalen Fotoszene unserer Tage scheinen. Zumal, wenn man bedenkt, dass sie mit ihrem dokumentarischen Ansatz innerhalb der Szene der deutschen Nachkriegsfotografen eine dezidiert unkünstlerische Postion einnahmen. Sowohl die subjektive Photographie, als auch die experimentelle Photographie, wie sie u.a. Otto Steinert verfolgte, wurde von den Bechers verpönt. In einem der raren theoretischen Texte der Bechers äußert sich Hilla Becher 1989 abschätzig über den Folkwang-Fotolehrer (schon 1947 hatte Steinert ein Atelier für „künstlerische Fotografie“ gegründet): „Steinert und die Leute seiner Generation wollen nicht nach rückwärts blicken, noch wollten sie die Gegenwart sehen. Ihre Wahrnehmung richtete sich allein in die Zukunft. Es war eine Art von Flucht.“ Merkwürdig genug, in welchem Maß die Bechers selbst rückwärts blickten.

Doch dann kam die Concept Art und die Bechers wurde von der Welle ergriffen, liessen sich bereitwillig von ihr emportragen und ins gelobte Land der internationalen Kunstwelt mitnehmen. Fotografie geriet aus den Engen der abgedunkelten Grafischen Kabinette hinaus ins helle Licht der großen Ausstellungshallen. Fotografie wurde Kunst, in dem Maß wie die Becher-Fotos Teil der Concept Art wurden. Später liess sich der Zusammenhang mühelos übertragen. Wo Becher-Fotos hingen, handelte es sich um Kunst. Dabei ist es bis heute geblieben und gilt in noch erweitertem Maß für alle ihren zahlreichen Schüler. Wenn Andreas Gursky, der berühmteste und auf dem Kunstmarkt auch höchstdotierte ihrer Schüler ausgerechnet zu Beginn der Ausstellung „State of the Art Photography“ bei der es um junge, aktuelle Fotografie geht, postuliert: “Die Zukunft liegt nicht in der reinen Fotografie, sondern in der freien Kunst“, so wiederholt er nur einen bekannten Satz von Ed Ruscha aus dem Jahr 1965 „I think photography is dead as a fine art.“.

Der Link und eigentliche Wegbereiter der Bechers zur Kunst ist Konrad Fischer. Seine Galerie vertritt Bernd und Hilla Becher bis heute. 1965 war es dem Konzeptmaler Konrad Lueg, der sich als Galerist Fischer nannte, zugefallen, für das städtischen Museum Leverkusen in Schloß Morsbroich die Ausstellung „Konzeption – Conception“ zu kuratieren. Als Harry Szeemann 1972 die Leitung der documeta 5 übernahm, beauftragte er wiederum Konrad Fischer zusammen mit Klaus Honnef, die Sektion „Idee + Idee/Licht“ zu leiten. Fischer brachte gegen den Widerstand Honnefs die Bechers ins Spiel. Und mit einem Mal hingen Becher-Fotos wie selbstverständlich unter den großen Namen der Concept Art: John Baldessari, Hamish Fulton, Douglas Huebler, Allen Ruppersberg, Carl André und Sol Lewitt. Es wurde der große Durchbruch der Concept Art in Europa und der Durchbruch der Bechers auf internationalem Parkett.
Fischer, acht Jahre jünger als Bernd Becher, hatte das Fotografenpaar Jahre vorher an der Düsseldorfer Kunstakademie kennen gelernt und sich mit ihnen angefreundet. Obwohl sich die Bechers selbst nie zur Concept Art zählten, genossen sie doch stets „eine gewisse moralische Unterstützung durch die Concept Art, ohne dass wir uns je selbst als Konzeptkünstler verstanden hätten“ (Hilla Becher). Ein kluger Mitnahmeeffekt.

Auch die leidige Frage, ob Fotografie Kunst sei oder nicht, die damals viel diskutiert wurde, war für sie nicht weiter von Belang. „Vielleicht“, schätzt Hilla Becher, „ist sie ja zwischen den etablierten Kategorien angesiedelt. Allerdings wird ein kunstinteressiertes Publikum aufgeschlossen genug sein, darüber nachzudenken“. Nachdem Bernd Becher 1976 eine Professur für Photographie an der Staatl. Kunstakademie Düsseldorf übernehmen konnte, war die Frage ohnehin ein für allemal geklärt.

 

C.F. Schröer

eiskellerberg.tv traf Hilla Becher in der alten Schule in Kaiserswerth, wo sie noch einmal Rückschau auf die Auseinandersetzungen ihrer Zeit nahm.

eiskellerberg.tv traf auch Zeitgenossen und Weggefährten wie Dorothee Fischer, Klaus Honnef u.a., sowie die Becher-Schüler Stefan Hoderlein und Kris Scholz.

Autoren des Films: Carl Friedrich Schröer und Thom de Bock (Kamera, Ton und Postproduktion) 

Dank an Stefan Gronert (Kunstmuseum Bonn)

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