Die Expertenkommission, von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) im Juli 2019 in Berlin eingesetzt und mit 700.000 Euro großzügig ausgestattet, hat nun, gut acht Monate später, das bestellte Gutachten auf den Tisch gelegt. Die vier Autoren, Ute Eskildsen, Thomas W. Gaehtgens, Katrin Pietsch unter Vorsitz des Fotokurators Thomas Weski haben ganze Arbeit geleistet. Die Auftraggeberin selbst war von der Entscheidung des Deutschen Bundestags zur Errichtung des nationalen Fotoinstituts überrascht worden und politisch unter Druck geraten.
Schon der Titel des 23 Seiten starken Papiers (mit Anhang, den Carolin Förster beisteuerte, sind es 46) macht eine Vorgabe und legt sich nicht weiter fest. Die Vorgabe: Es ist ein „Konzept für ein Bundesinstitut für Fotografie“. Bisher sprach Grütters lediglich von einem „nationalen Fotoinstitut“. Die Frage allerdings, welchen Fotografien sich das erst noch zu gründende Bundesinstitut widmen soll, den künstlerischen, den historisch wertvollen, oder schlicht allgemein allen, läßt das Gutachten offen. Genau das jedoch, die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes, was Gegenstand der Veranstaltung sein soll – und was nicht- darf man von einer Konzeption erwarten.
Die Gutachter drücken sich um diese Frage und reichen sie weiter an einen noch nihct naäher bestimmten Beitrat. Sonst machen sie viel Hoffnung. „Noch nie bestanden so gute Chancen für ein Bundesinstitut für Fotografie wie heute“ und sprechen eine tückische Warnung aus: Dass nämlich die Initiative zur Gründung eines Deutschen Fotoinstituts „durch einen langwierigen Diskussions- und Organisationsprozess in ihrer Realisierung gefährdet wird.“ Das würde der Expertenrunde so passen. Klappe zu, Ende der Diskussion, jetzt soll nach ihrem Ratschlag gegründet und gebaut werden. Daraus dürfte nichts werden. Zuviele Fragen läßt ihr Papier offen. Zum Beispiel nach dem Zuschnitt des Fotoinstituts, wie nach seinen besonderen Aufgaben. Nach der Art und Weise des Zusammenspiels mit bereits arbeitenden Fotoarchiven landauf, landein. Davon abhängig die Höhe der Personal- und Betriebskosten. Und da wäre auch noch der Beschluß des Deutschen Bundestags.
Archiv oder mehr
Schon richtig. Die Dinge waren in Berlin dann doch etwas Hopplahopp durcheinander geraten. Erst Anfang Juli 2019 hatte Grütters in Berlin eine erste Expertenrunde eingeladen und ein „nationales Fotoarchiv“ auf die bundespolitische Agenda gesetzt. Dann war es der Deutsche Bundestag auf Grundlage des Konzepts der Fotokünstler Moritz Wegwerth und Andreas Gursky (Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts e.V.) am 14. November 2019 zu einer Entscheidung gekommen. Bis zu 41 Millionen Euro für den Bau eines nationalen Instituts für Fotografie stehen demzufolge zur Verfügung. In der Sitzung des Deutschen Bundestags hatten sich die Abgeordneten außerdem für den Standort Düsseldorf ausgesprochen – vorbehaltlich einer entsprechenden Kofinanzierung durch das Land NRW. Grütters zeigte sich überrascht und erklärte: „Ich danke den Abgeordneten des Deutschen Bundestags, dass Sie meinem Vorschlag zur Errichtung eines nationalen Instituts und Archivs für Fotografie gefolgt sind. Das ist ein entscheidender Schritt, um unser großes fotografisches Kulturerbe auf Dauer zu bewahren, aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ Die Entscheidung für Düsseldorf sei eine Referenz an die große fotografische Tradition dieser Stadt und dieser Region.
Nicht eingeladen, nicht angehört
Mit dem Berliner Gutachten liegt nun eine zweite Konzeption für das Fotoinstitut vor. Man kann das, je nach Standort, ergänzend nennen, oder konkurrierend. Der strategische Nachteil, in den sich die Künstler vom Düsseldorfer Verein gebracht haben, liegt einmal darin, daß sie ihr Konzept bisher nicht veröffentlicht haben, es Eskildsen und Weski allerdings bereits persönlich im Mai 2019 vorgestellt haben. Weski wurde daraufhin bei Grütters in Berlin vorstellig und diese lud auch am 1. Juli zum Symposium „Fotoarchive – Kulturgut oder Handelsware“ ein. Eskildsen und Weski waren mit von der Partie, die Fotokünstler aus Düsseldorf blieben freilich vor der Tür. Sie wurden nicht eingeladen.
Auch wenn das Berliner Gutachten auf der Expertise der Fotokünstler fußt, grenzt es sich doch in einem „Exkurs“ scharf davon ab. Sie ist den Berliner Experten zu „künstlerisch“ und zu „kommerziell“, auch wenn genau diese Expertise der Künstler war, die Grundlage der Entscheidung des Deutschen Bundestags war.
Das „Deutsche Fotoinstitut, Düsseldorf“ soll sich, so der Vorschlag des Düsseldorfer Vereins, ausschließlich um die künstlerische Fotografie kümmern und, so kritisieren es jetzt die Grütters Experten, “die Weiterentwicklung von Technologien zum Erhalt von Meisterwerken der Fotokunst“ betreiben.
„Mit dieser Zielsetzung“ würden die Aufgaben eines Instituts für Fotografie eingeschränkt und bänden die Arbeit der Einrichtung an den Erhalt von Kunstwerken einiger ausgewählter Fotografinnen und Fotografen. „Mit dieser Aufgabe würde das Deutsche Fotoinstitut, Düsseldorf auch als eine Institution wirken, die mit wirtschaftlichen Interessen verbunden ist, insofern es Neuproduktionen zur Verfügung stellen und Zertifizierungen ausstellen soll.”
Das Berliner Gutachten weiter „Die Einschränkung des Düsseldorfer Entwurfs auf die aktuelle künstlerische Fotografie lässt die Breite fotografischer Anwendungen und Funktionen, die das Medium seit seiner Erfindung immer bestimmt haben, unberücksichtigt. Die Berliner Kommission setzt dagegen auf eine „umfassende, kunst- und kulturhistorischen Perspektive“. Vor- und Nachlässe von Fotografinnen und Fotografen, die durch ihre Innovationen einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Fotografie geleistet haben, sowohl im analogen wie im digitalen Bereich sollen im Bundesarchiv durch modernste Konservierung und Digitalisierung der Nachwelt zu erhalten und der Forschung zur Verfügung zu gestellt werden. Und dazu gehört selbstverständlich: “Ein dokumentarisches-historisches Archiv im Bereich der Fotografie besteht aus Negativen, Diapositiven, Kontaktabzügen, digitalen Bilddaten, Arbeitsabzügen, Korrespondenzen, Notizen, Recherchematerial, Buchentwürfen, Pressematerialien, Belegexemplaren, Rechnungen, Werkdokumentationen, Installationsskizzen, Einladungen, Plakaten, Notizen, Tagebuchaufzeichnungen und ähnlichen Materialien, aus einer Auswahl repräsentativer künstlerischer Werke sowie der individuellen Fachbibliotheken.” Alle diese Materialien, die über die Entstehung von Persönlichkeit und Werk Aufschluss geben, sollen konserviert, katalogisiert und digitalisiert werden.
So wird ein Gegensatz konstruiert, hie künstlerische Fotografie made in Düsseldorf und ihre kommerzielle Verwertung, da ein weit gefasstes kulturhistorisch wertvolles, nationales, Fotoerbe.
Moritz Wegwerth vom Düsseldorfer Verein betont die Dringlichkeit gerade für den Bereich der künstlerischen Fotografie. Genau hier bestehe die Notwendigkeit einer Neugründung eines Fotoinstituts. Weil sich hier die technischen Fragen, etwa nach Erhalt und Restaurierung, die rechtlichen Fragen nach Neudruck und Verbreitung mit fortschreitender technologischer Innovation besonders massiv stellten. Für die Fotografie insgesamt gebe es bereits viele sehr gut arbeitende Archive im Land. Sie könnten in ihrer Arbeit allerdings etwa durch einen Bundesfonds Foto unterstützt werden. Ähnlich wie der Bund zur Restitutionsforschung seinen Beitrag leiste und es den Museen ermögliche, ihre Arbeit zügiger zu leisten.
Eigene Bestände, eigene Fotosammlungen wollen beide Modelle aufbauen. Wie dieses neue Archiv mit den weit übers Land verteilten Foto-Archiven zusammenarbeiten soll, in welchem Verhältnis es mit diesen bereits arbeitenden Fotoarchiven stehen wird, davon nur Dürfitges aus Berlin: „Als Kompetenzzentrum“ soll es dienen, „ferner technologische Forschung zur Erhaltung der Fotografien in engster Zusammenarbeit und als Hilfestellung für die vorhandenen Institutionen leisten.“
Die Unterschiede zwischen den beiden Papieren liegen woanders. Die Konzeption der Fotokünstler ist enger und weiter zugleich gefasst. Bei ihnen steht die Qualität der Fotografien im Vordergrund, also steht die “künstlerische Fotografie” im Fokus. Eine Begrenzung auf Fotografen mit deutschem Pass lehnen sie hingegen ab. Wessen Fotografien in dem künftigen Archiv Aufnahme finden werden, soll in jeden Fall gesondert, aber nicht entlang der Nationenzugehörigkeit bewertet werden.
Neuproduktion, Nachdrucke
Das Berliner Gutachten lehnt eine staatliche Zertifizierung ausdrücklich ab. Doch so einfach ist das keineswegs. Das Reproduktionsmedium Fotografie stellt die Frage seit ihrer Erfindung vor bald 200 Jahren. Wer autorisiert einen Neudruck? Wer garantiert die Echtheit eines Abzugs/Druckes, nachdem der Fotograf verstorben ist? Die wenigsten können sich um ihren Nachlaß kümmern, sich gar eigene Stiftungen leisten, die die wirtschaftlichen, technischen und juristischen Fragen klären, die sich im Umgang mit Neuproduktion und Zertifizierung stellen. Da wäre eine Clearingstelle gut. Das Gutachten bleibt hier vage und spricht von der „Entwicklung von Qualitätsstandards“.
Auch spricht es ausdrücklich nur von Museumssammlungen, also mehrheitlich von öffentlichen Sammlungen. Wo es aber um die Sicherung des nationalen Kulturgutes geht, können die vielen wertvollen Fotografien in privater Hand oder die in Firmensammlungen nicht unberücksichtigt bleiben.
Düsseldorf oder Essen?
Die Expertenkommission spricht sich eindeutig für Essen aus. Die Stadt Essen soll auch schon ein Grundstück für den Neubau auf dem Gelände des Weltkulturerbe “Zeche Zollverein” vorhalten. Grütters hat bereits einen “Machbarkeitsstudie” angekündigt. Dazu passt es, dass die Kommission “Unterirdisch angelegte Gebäudeteile” grundsätzlich ausschließt. Also keinerlei Archivräume in den Untergeschossen. Weltweit haben Fotoarchive mit Depoträumen in den Untergeschossen beste Erfahrung gesammelt. Oder ist der Gedanke dem Standort Zollverein geschuldet? Auf dem alten Zechengelände läßt sich nur unter beträchtlichen Aufwand in die Tiefe bauen.
Ute Eskildsen, verdiente Fotohistorikerin und bis zu ihrer Pensionierung 2012 langjährige Leiterin der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang in Essen, wird um die besonderen Probleme des Essener Baugrund wissen. Besser da nichts Unterirdisches.
Ausgerechnet ihr Vorsitzender im Berliner Expertenrat, Thomas Weski, hat in einer früheren Stellungnahme zum Ehrenhof als Standort für ein Fotozentrum die Vorteile von Düsseldorf benannt. „Düsseldorf war von den 1950er bis in die 1970er Jahre das unbestrittene und international anerkannte Zentrum der deutschen Nachkriegskunst mit Künstlergruppen wie ZERO mit Otto Piene und Günther Uecker und in der Stadt ansässigen oder tätigen Künstlern wie Joseph Beuys, Nam June Paik, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Katharina Sieverding oder Klaus Rinke. In diese Zeit fällt auch die Gründung einer speziell auf die Fotografie ausgerichtete Klasse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, die von 1976 an von Bernd Becher geleitet wurde. Aus ihr sind die wichtigsten, national und international anerkannten Vertreter der deutschen Fotografie ab den 1970er Jahren hervor gegangen. (…) Generell lässt sich festhalten, dass in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit der prägende Teil der national und international anerkannten künstlerischen deutschen Fotografie ab den 1980er Jahren mit Düsseldorf verbunden wird. Dazu gehören auch Fotografen wie André Gelpke, der von den 1990er Jahren an in Zürich als Professor tätig war und Künstler wie Hans-Peter Feldmann, der schon lange in der Stadt lebt, oder der Schweizer Beat Streuli, der neben Brüssel auch in Düsseldorf einen Wohnsitz hat. Die Fotografie in Düsseldorf lässt sich also nicht auf die „Becher-Schule“ allein reduzieren, obwohl sie die Wahrnehmung der Öffentlichkeit dominiert, sondern es handelt sich vielmehr um eine reiche fotografische Szene unterschiedlicher fotografischer Ansätze. Generell könnte man also Düsseldorf als `Hauptstadt der Fotografie´ bezeichnen.”
Redaktion: Anke Strauch
Was Sie bestimmt noch interessiert: