Wer suchend, ohne zu wissen wonach, den Garten der sich einmal täglich um sich selber dreht betritt, wird von einem Potpourri an vagabundierenden Gedanken, die in großen Lettern still über die Wände laufen gefangen genommen, begibt sich hinab in einen Fragenstrudel, in dessen Auge ein hölzerner Pavillon steht. Ein durchlässiges Zelt, Hort flüchtiger Momente, die von außen ins Innen fluten und von dort aus zurück ins Außen. Erinnerte Bilder, physisch begehbar gemachte Augenblicke, die beim Blinzeln zu verschwinden drohen. Licht fällt durch das atmende Zelt, wirft rasterförmige Schatten hinein, so wie die Fragen Schatten in die Besucher*innen werfen.
Thomas Stricker, der 1962 in St. Gallen geboren wurde, erhielt u.a. bei Klaus Rinke an der Düsseldorfer Kunstakademie seine Ausbildung zum Konzeptkünstler, als solcher ist er unterwegs, ist ein Reisender geworden. Sein Weg führte ihn zunächst in die äußere Mongolei, um gleichsam der inneren Reise Vorschub zu leisten. Es ist ein Reisen ohne Ziel, ein taktiles Suchen, ein assoziatives Finden. Ein Hineinhorchen in die Welt, ein absichtsloses Rufen, dessen Stimme vielleicht zunächst ungehört bleibt und doch irgendwann erwidert wird.
Im Mittelpunkt die Menschen selbst, wie die Schüler*innen und die Schulleiterin aus dem Township Kalkfeld in Namibia, die vom gemeinsamen Projekt des „Primary School Garden“ zum Zwecke der theoretischen und praktischen Vermittlung von Agrikultur in Fotografien und Videos berichten. Sie erzählen von der zarten Pflanze der Zusammenarbeit, die von den Menschen vor Ort gesät und von Stricker gegossen wurde, die zum Schulgarten heranwuchs, so widerstandsfähig wurde, dass ein sich selbst versorgendes System nicht nur funktionierte, sondern nachhaltig Früchte trug, die nun überall im Viertel erlebbar sind. Es entstand ein Garten, dessen Fruchtzweige über die Schule hinausragten und dessen Ableger neue Gärten wuchern ließ.
Die Welt selbst als in Bewegung geratener Garten, als gemeinsames lebensspendendes Projekt. Darin die Menschen als Gärtner*innen, die sich der Natur und all ihren Bewohner*innen verpflichtet sehen und den gegebenen Lebensraum pflegen. Alles ist im Fluss, alles im Prozess befindlich, in stetiger Rotation begriffen, innerhalb derer es kein Oben und kein Unten gibt, kein Norden und kein Süden, kein Dunkel und kein Licht, in der je nach Lesart jeder alles sein kann und alles ist. Es ist ein Abschied von Hierarchien, von festgefügten Denkmustern, von wiederkehrenden Ressentiments. Es ist ein im Miteinander begangener Weg zur Selbstermächtigung, der an Entwicklungshilfe denken lässt und doch vielmehr Ausdruck eines künstlerischen Moments, eines plastischen Gestaltens, eines gemeinsamen Formens der Gesellschaft ist.
Naheliegend sind Gedanken an Joseph Beuys, zumal zeitlich mitten im großen Jubiläumsjahr verortet, zumal an die Soziale Plastik und den erweiterten Kunstbegriff. Eine begriffliche Ausdehnung, die Stricker aufnimmt und selbst weiterführt, wenn er seine Werke als „skulpturale Fragestellungen“ begreift. Die von Stricker als „sozial engagiert“ bezeichneten Skulpturen sind dabei ganz eng am Zeitgeschehen verortet und entstehen im Dialog mit dem sie umgebenden Ort.
Auf der einen Seite der Erdkugel ausgesät, reichen die Wurzeln der anfänglich zarten Pflanze der gegenseitigen Entwicklung mit der Zeit einmal quer durch den Erdball bis zur anderen Seite. Wurzeln, die scheinbar gegenläufig im Erdinneren sich verbinden und unbesehen zusammenwachsen. Eine dieser Pflanzen ist der Durchbruch von Düsseldorf bis Kivaa in Kenia, eine imaginäre Verbindung durch umgelenkte Energie- und Geldflüsse ausgehend vom Kanal- und Wasserbauamt der Stadt Düsseldorf. Wenn man nur lang und tief genug in die Brunnenstube in Düsseldorf schaut, meint man, am Grund bis nach Kenia blicken zu können, lassen sich Menschen erkennen, die das umgeleitete Wasser abschöpfen, für welche die Quelle zum lebensspendenden Treffpunkt wird.
Aus dem Licht treten die Besucher*innen ins Zwielicht der Bikerbar, werden zu von bunten Bildern hinterfangenen Schattenrissen, blicken im niedrigen Gewölbe auf sich hell aus der Finsternis erhebende Fotos von kompostierten Lebensmitteln. Vor abgeblätterten Wandmalereien, alten Fliesen regt sich in Verwesung Begriffenes leuchtend aus dem Dunkel, vergeht in satten Farben das Lebendige bis es ins Ungewisse zurück fällt. Dokumentation neuen Lebens, das aus altem sich gebiert, eines in Mexiko City implementierten ganzheitlichen Entsorgungssystems, das ganz praktisch die Lebensrealität der Menschen dort zu verändern weiß.
Und dann ist da noch dieses große, silberne Gebilde, eine amorphe Traumarchitektur, in die es sich wie in einen Kokon schlüpfen lässt. Im Innern die Realität gewordene Vision vom utopischen Ritt am Strand Australiens. Ein fernes Bild im tiefsten Unterbewusstsein, eingegraben in die schollenartigen Wände, die den Kopf wie unter Wasser dumpf umgeben, in der Gedanken fliegen lernen und aus von innen illuminierter Höhle leuchtend hervortreten.
Das Ende der Ausstellung ist zugleich ein erneuter Beginn, nur ein Wegpunkt auf der gedanklichen Reise um die Welt. Aus der kürzlich erlebten Erinnerung treten die ins Land eingeschriebenen „Agrarstatistischen Felder“ erneut vor Augen. Veranschaulichte Abhängigkeiten zwischen Nahrung, Energie und Ökologie, an den Ursprungsort zurückgebracht, weisen auf die großen Fragen unserer Zeit hin. Wie wollen wir künftig leben in einer Welt, die morgen nicht mehr die heutige sein wird?
Kann Kunst die Welt verändern? Vielleicht sogar ein wenig besser machen? Thomas Stricker zeigt, sie kann es, indem sie spielerisch und ohne Erwartung daherkommt, weil sie Verbindung schafft und Verbundenheit hinterlässt, weil sie Fragen stellt, statt Antworten vorzugeben. Fragen, die vielleicht Anstoß zu fluidem Denken geben, es vermögen einen inneren Erdrutsch auszulösen, unter dem die ganze Welt ins Wanken gerät.
Julia Stellmann
Ein Garten der sich einmal täglich um sich selber dreht von Thomas Stricker
zu sehen im WELTKUNSTZIMMER
bis 10. Oktober 2021