Beuys-Haus oder Boutique-Hotel?

Die Brunhilde Moll Stiftung weiß nicht, was sie sich erworben hat

Sicher teuer, sicher daneben. Badewanne im Beuys-Haus

Immerhin darf man erleichtert sein. Das Haus Drakeplatz 4, als Beuys-Haus in aller Welt bekannt, steht wieder offen! Es steht sogar weit besser da, als zu befürchten war. Denn der Vorbesitzer hatte das Reihenhaus in bester Lage in Düsseldorf-Oberkassel über eine international agierende Immobilienfirma für mehrere Millionen Euro auf den Markt gebracht und ausgerechnet zum Beuys-Jahr 2021 einen happigen Kaufpreis plus Beuys-Bonus aufgerufen.

Das Spekulationsobjekt fand allerdings weder beim Land NRW, noch bei der Stadt Düsseldorf Anklang, dort etwa ein Beuys-Haus einzurichten. Nur der Heimatverein Düsseldorfer Jonges wollte sich an der Außenfassade in Form einer Bronzeplakette verewigen. So war die Gefahr groß, auch dieser schmucke Oberkasseler Altbau könnte meistbietend unter die Haie fallen.

Dann bekam die Düsseldorfer Unternehmerin Brunhilde Moll (Moll Gruppe, 12 Autohäuser in Düsseldorf, Köln und Hannover) Wind von der Sache. Ihre Anfang 2020 gegründete gemeinnützige Stiftung war auf der Suche nach einem Stiftungssitz. Mit dem Anbieter, dem Fotografen Reinhold Schroers, einigte man sich über den Kaufpreis und liess das Atelier- und Wohnhaus von dem Architekten Elmar Joeressen (Döring Dahmen Joeressen) als Stiftungssitz herrichten. Aber nur zur Hälfte.

Zweck und Ziel der jungen Stiftung – den Vorstand bilden zwei Juristen einer Kölner Wirtschaftskanzlei, Michael Dolfen und Lydia Daniela Nießen, den Stifterrat neben der betagten Gründerin, ihr Architekt Joeressen und ihr Steuerberater Mark Jutten – ist einerseits soll die Hirnforschung (aktuell wird ein Forschungsprojekt am Universitätsklinikum Düsseldorf zur Verbesserung der Hirnschrittmachertherapie durch Einsatz künstlicher Intelligenz gefördert), anderseits ist ganz allgemein Kunst und Kultur, vor allem die Bildende Kunst. Hintergrund dieses Förderzweigs ist der frühe Tod von Brunhilde Molls einziger Tochter Vera Laros. Die Düsseldorfer Malerin starb 2018 mit nur 51 Jahren.

Ist schon der Stiftungszweck derart disparat, wie sollte der Architekt das unter Denkmalschutz stehende Haus umbauen – als Stiftungssitz, als Ausstellungs- Konferenz- oder Stipendiatenhaus? Oder doch, was nahe liegt, als Memorialstätte? Da es offenbar keine klaren Vorgaben seitens der Stiftung gab, ist es von allem etwas geworden. Ein gutgemeintes Allerlei. Eine vertane Chance.

Bei allem ist der Drakeplatz 4 kein Reihenhaus wie all die anderen hier. Man kann es drehen und wenden wie man will: Es ist das Beuys-Haus. Fünfundzwanzig Jahre lang, von 1961 bis zu seinem Tod 1986, hat Joseph Beuys hier gewirkt, gewohnt und gearbeitet. Es ist ein Künstlerhaus und zwar dasjenige, in dem Joseph Beuys seinen umfassenden Werkbegriff entwickelte und vorlebte. Wegen dieser inneren Einheit ist er in aller Welt als herausragender Künstler hoch geschätzt.

Berater. Gerhard Finck im neuen Gastatelier, Drakeplatz 4

Immerhin handelt es sich hier, um „den bedeutendsten Künstler in Europa der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts“, wie der Kunstberater der Moll-Stiftung, Gerhard Finck, auf der Pressekonferenz sich bemühte hervorzuheben. Finck, bis 2019 Direktor des Von der Heydt-Museums in Wuppertal, ist so wenig Beuysianer wie der Coberater Christian Krausch oder die künstlerische Leiterin des Hauses, die Anthropologin und Kulturmangerin, Elza Czarnowski. Aber Finck brachte doch Künstlerhäuser wie das Dürerhaus in Nürnberg oder das Rembrandthaus in Amsterdam ins Gespräch.

Da aber liegt der Hase im Pfeffer. Die Moll-Stiftung weiß offenbar gar nicht, was sie sich da angeeignet hat. Entsprechend enttäuschend oder erschreckend ist, was sich auftut, wenn man durch das neue Tor das Haus betritt.

Schon das auf Hochglanz polierte neue Klingelschild am Eingang verheißt Boutiquenchic. Innen verströmt das Haus den Charme eines Tagungshotels. Multifunktional, steril und tadellos. Von Beuys keine Spur. Das wäre nicht mal schlimm. Doch sollen hier demnächst Künstler wohnen und arbeiten, ihre Kunst zeigen. Aber wer käme da an Beuys vorbei?

Die Badewanne schmerzt

Großzügig. Das Kaminholz steht schon parat

Die Brunhilde Moll Stiftung hat sehr viel Geld in die Hand genommen. Im völlig renovierten Erdgeschoss sind in Beuys´alter Wirkstätte zwei Ausstellungsräume entstanden, ein behindertengerechter Zugang ist behutsam eingebaut, die Toilettenanlage erweitert worden. Im 1. Obergeschoss ist ein Wohnatelier hergerichtet, samt eingebauter Küche, Offenem Kamin (die Holzscheite liegen schon wohlgeschichtet bereit) und selbst auf eine nagelneue, freistehende Badewanne im Retrolook wollte man nicht verzichten. Alles top-saniert, alles Oberkassel. Mit Sicherheit zählt dieses 90 qm große Atelier bald zu den begehrtesten Plätzen im internationalen Residency-Zirkus. Zumal es in teuerster Bestlage liegt, mietfrei vergeben wird, ein großzügiger Lebenshaltungszuschuss dazu, „Unterstützung vom Team“ sicher und am Ende des erst mal unbegrenzten Stipendiums noch eine Ausstellung, sei es „Performance, Installation oder weiterer Formen“ in den Ausstellungsflächen in Aussicht steht. Diese Luxury-Residency dürfte so ziemlich an der Oberkante liegen, was die Welt zu bieten hat. Nur mit Beuys hat das alles gar nichts am Hut.

Drakeplatz 4 – Weltadresse der Kunst

Man gibt sich hier äußerst großzügig und locker: „Die künstlerische Arbeit kann Bezug zur Hirnforschung und/oder zum Haus nehmen, dieses ist jedoch keine Voraussetzung.“ Man stellt keinerlei Erwartungen an künftige Stipendiaten und schon gar keine künstlerischen Ansprüche. Aber vielleicht liegt hier genau hier der Hase im Pfeffer. Die Stiftung will alles Mögliche verbinden, weiß aber nicht wohin sie will. Sie macht es sich bequem und unterschätzt offenbar den Wert ihrer Immobilie. Denn der liegt im Werk von Joseph Beuys. Welche Künstlerin, welcher Künstler käme denn nicht nach Düsseldorf, um einmal im Haus von Beuys zu arbeiten! Drakeplatz 4 – eine Weltadresse der Kunst. Diesen Wert, diesen einzigartigen Nimbus unterschlägt die Stiftung bisher.

Künstlerisch leitend, Elza Czarnowski

Vor allem wird Beuys hier unterschätzt. Besonders am Drakeplatz hat Beuys über 25 Jahre hinweg seinen Werkbegriff gelebt: die Trennung von privat und öffentlich, von Wohnen und Arbeiten, auch von Kunst zu allem Anderen überwunden, transformiert in sein Leben, das zur Aktion wurde. Seine Aktionskunst hat ihre Kraft aus der eigenen Biografie bezogen, wie seine Biografie in Kunst übergeht. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, dieser zentrale Beuys-Satz wird erst verständlich, wenn man versteht, dass Beuys ihn erst mal auf sich selbst bezogen hat, von sich ausgegangen ist, um voranzugehen, weiß Johannes Stüttgen.

Manifest der Umkehr

Der weltberühmte Satz formte sich hier, in diesem Haus. Er ist „Manifest der Umkehr, eine Aufforderung zur Revolution, zu einer von der Kunst her gedachten Umwälzung aller Verhältnisse“, sagt Eugen Blume und auch: „Das Revolutionäre daran ist die Umwälzung aller Verhältnisse“.

Das Versäumnis der jetzt im Haus gezeigten Beuys-Ausstellung liegt darin, alle greifbaren Leihgaben auszustellen, aber diesen naheliegenden wie provokanten Ansatz nicht zu erfassen. Beuys wird in seinem Haus gefeiert und unterschlagen.

Der Beuys-Appell, in jedem Menschen den Künstler zu ermutigen, sucht die Möglichkeiten in jedem Freiheit und Kreativität zu wecken. Er versteht ihn in all seinem Tun im physischen und psychischen Sinne als formbaren Prozess. Das hat Beuys unter dem Begriff der „sozialen Plastik“ verstanden. Er beginnt bei sich selbst, er macht ein lebenslanges Selbstexperiment, die Erfahrung der Selbstranszendenz. Keine einmalige Erlösung, vielmehr eine inneren Bewegung, eine lebenslange Übung.

Beuys wollte zeigen, dass nur das soziale Engagement für den anderen in die Freiheit führt. Durch seine Lebens-Aktion sollte das Soziale bis in die vom Egoismus befreite Person diffundieren und in einem evolutionären Sinne revolutionär werden. Darin liegt bis heute die „ungeheure Provokation“, die Beuys in seinem Haus lebte, wie nirgendwo sonst.

Es steht zu befürchten, dass man mit der wohlfeilen Beuys-Ausstellung glaubt, Beuys abgehandelt zu haben. Stattdessen kann es nur ein Auftakt sein.

Korb und Lederkoffer

Als Eva schwanger wird, machen sich Beuys und seine Frau auf Wohnungssuche. Den Umzug in die erste gemeinsame Wohnung, die zugleich Atelier ist, bewältigte man im März 1961 „in einem gemeinsamen Gang“, wie sich Eva erinnert: „Beuys mit seinem Lederkoffer, ich mit einem kleinen Korb meiner Großmutter“. Den Umzug konnte sich das Paar leisten, weil es, am Einspruch seines Lehrer Ewald Mataré bereits gescheiterten Versuch, eine Professur zu bekommen, es Anfang 1961 doch noch klappt. Beuys wird einstimmig zum Professor für monumentale Bildhauerei an die Kunstakademie Düsseldorf berufen.

Der neue, ebenerdig gelegene Lebensraum bestand aus einer Tordurchfahrt und einem geräumigen Zimmer. Dieser im Familienjargon „das große Zimmer“ genannte Raum, vier, fünf Meter Deckenhöhe, lag zwischen dem Eingang und dem angrenzendem Hof, alles zusammen vielleicht 250 Quadratmeter. „Auf den oft sehr schnellen Wechsel zwischen privat und offiziell waren wir alle, auch die Kinder, schon automatisch eingestimmt. Wir waren es gewohnt, untereinander und um die Dinge zu kreisen.“ Eva Beuys erwarb gleich mit dem Einzug eine Maximar 27, eine 9 mal 12 Plattenkamera. Im Souterrain entwickelte sie nachts die Aufnahmen auf Glasplatte eigenhändig. 2016 kam es auf Anregung von Lothar Schirmer (der oft im Haus zu Gast war) zu einer Veröffentlichung der Fotografien von Eva Beuys-Wurmbach „Beuys Düsseldorf-Oberkassel Drakeplatz 4“ (Schirmer, Mosel, München). Dieses Buch enthält vielleicht die beste Erinnerung an das Beuys-Haus. Es zeigt in selten eindrucksvollen Aufnahmen das Ineinander von Wohnen und Arbeiten, von Werk und Leben, von Kinderspiel und Ausstellungsraum.

chic und clean. Blick ins Erdgeschoss nach der Sanierung

Eva Beuys hat das Haus dreizehn Jahre nach Beuys´ Tod verkauft und sämtliche dort verbliebenen Kunst- und Einrichtungsgegenstände mitgenommen. Alles, selbst den berühmten, auf zahlreichen Fotos erkennbaren Fußbodenbelag aus aneinander genähten Kuhfellen. Nur einen ramponierten Gartentisch liess sie zurück. Man kann das bedauern. Aber noch lebt sie mit ihren Kindern gleich um die Ecke in der Wildenbruchstraße.

„Schütze die Flamme“, ruft Beuys bei seiner großen Rede anlässlich der Verleihung des Lehmbruck-Preises ins Publikum. Ein Dokumentarfilm von Werner Raeune zeigt Beuys bei seinem Auftritt kurz vor seinem Tod 1986 in Duisburg. Beuys’ Stimme schallt jetzt durch die Ausstellung am Drakeplatz 4.

Carl Friedrich Schröer


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