Nun doch! Bewegung in der Düsseldorfer Fotofrage

Schnappschuss mit dem Selbstauslöser. Nic Tenwiggenhorn „Schöpfer von Bildern mit eigener künstlerischer Kraft und Originalität“ immer dabei. Hier auf Martin Kippenbergers 50. Geburtstag, den er mit Freunden 1989 in seiner Stammkneipe „Chelsea“ feierte. Kippi auf Augenhöe mit dem Kölsch ® VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 

 

 

„Düsseldorfer Photoschule“ ist die niederrheinische Metropole ohnehin weltbekannt. Doch siehe da, abseits der Staatlichen Kunstakademie, wo es nach wie vor eine Fotoklasse (Prof. Christopher Williams) und eine für Film und Video (Prof. Marcel Odenbach) gibt, breitet sich die Wüste aus. Es gibt kein Fotomuseum in der Stadt, nirgends eine museale Anbindung, keine wissenschaftliche Forschung, also auch keinen einzigen Fotoexperten, keine Restaurierungskompetenz, keine öffentliche und auch keine nennenswerte private Fotosammlung in Düsseldorf. Eigentlich unverständlich. Der Vorlaß von Bernd und Hilla Becher wanderte bereits vor Jahren nach Köln, der Nachlaß wird folgen. Die noch verbliebenen Foto-Künstler in der Stadt wundern sich oder ziehen gleich weg.

In dieser Situation hat die in Düsseldorf ansässige Kunststiftung NRW, gerade rechtzeitig, zu einer Tagung ins Museum Kunstpalast geladen. Das Archiv künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene (AFORK), 2003 vom Leiter der Moderne-Abteilung des Düsseldorfer Kunstmuseums, Stephan von Wiese, unter Beteiligung der Fotografen Benjamin Katz, Erika Kiffl und Manfred Leve begründet, sammelt Dokumentarfotos zur Geschichte der rheinischen Kunst seit 1945. So kamen bislang 8000 Fotografien im MKP zusammen. Keineswegs nur Schnappschüsse diverser Familientreffen im Ratinger Hof oder im Kölner Chelsea, wo Martin Kippenberger und Konsorten so gerne Geburtstag feierten. – Verbleichende Erinnerungen rheinischer Kunstseligkeit als man im Weltkunstdorf zusammenfand, um morgen als Weltstar zu enden. Der Schwarm der Fotografen, die man doch gerne mit auf die Party einlud, will heute  selbst „Schöpfer von Bildern mit eigener künstlerischer Kraft und Originalität“ (AFORK) sein, also ins Museum und zwar in die Bel Etage.

Was ist „künstlerische Fotografie“? und was Fotokunst?

Walter Vogel hat, wie zuvor schon Charles Wilp, seinen Bilderschatz erst kürzlich an das Berliner bpk (Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz) gegeben, Werner Raeune wird seine frühen Fotografien und alle seine Künstler-Filme ,über 100, ans ZADIK in Köln verschenken, der Nachlaß von Ute Klophaus wandert nach Schloß Moyland und in den Hamburger Bahnhof nach Berlin und selbst Benjamin Katz will seine Künstlerbilder für drei Millionen Dollar am liebsten an die Getty-Foundation in Malibu verkaufen. Wenn selbst die Fotos dieser Weggefährten und treusten Chronisten der frühen Rheinland-Szene nicht ins AFORK gelangen, was dann? Der Rest vom Schützenfest.

Die Tagung brachte es ans Tageslicht. Tatsächlich ist das AFORK die einzige öffentliche Foto-Sammlung in Düsseldorf, und doch nur ein weiteres Archiv. Zur Zeit ist eine schöne Auswahl der Fotos von Nic Tenwiggenhorn (aus seinem Vorlaß, der vom AFORK angekauft wurde) in den Räumen des MKP zu sehen. Eine eigene Fotografische Sammlung aber hat dieses Museum bislang nicht aufgebaut. Die rund einhundert Arbeiten von Foto-Künstler wie Katharina Sieverding, Bernd und Hilla Becher, Andreas Gursky, Wolfgang Tillmans oder Jörg Sasse sind über mehrere Abteilungen verteilt, es gibt keinen eigenen Kurator, keine Ausstellungsräume und auch keinen eigenen Ankaufsetat. Den das AFORK allerdings hat. 120.000 Euro pro Jahr stehen immerhin zur Verfügung. An der Digitalisierung und Veröffentlichung wird seit Jahren gearbeitet, „Anfrage werden so gut wir können bearbeitet“. Seit Jahren beklagt wiederum die engagierte Fotografin Kiffl: „Sie lassen die Fotos im Keller vergammeln.“

Es war Ute Eskildsen, selbst Fotografin und langjährige Kuratorin der Fotografischen Sammlung des Folkwang Museums Essen bis 2012, die die entscheidende Frage an die Adresse des AFORK stellte: „Was sammeln sie nicht?“ Um gleich selbst zu antworten: „Eine willkürliche Zusammenstellung ist keine Sammlung.“ Es fehle ein Konzept und eine Abgrenzung. Nicht mal sicher sei, was mit rheinisch gemeint sei, zudem fehle eine zeitliche Begrenzung. Jetzt, wo das Rheinland ohnehin nicht mehr Nabel der Kunstwelt ist, sei es an der Zeit, das Archiv mit dem „schwierigen Namen“ um zu benennen und inhaltlich neu auszurichten. Nicht jede Aufnahme von Künstlern in ihren Ateliers oder auf den diversen Partys sei es wert, im Museum aufbewahrt zu werden. Die Frage nach der Relevanz kreiste fortan wie ein Geier über der Veranstaltung. Leise Empörung im Saal.

Barbara Könches von der Kunststiftung NRW hakte nach: „Was ist Kunst, was ist Dokumentation?“ Klarheit ließ sich nicht gewinnen, wieder einmal blieb die für ein Kunstmuseum nicht unentscheidende Frage schön offen. Unscharf ist noch kein Konzept. Mal werden Fotos von Künstlern wie Sieverding oder Sasse in die Museeumssammlungen aufgenommen, mal ins AFORK. Andersherum finden sich Konvolute von Katz im Archiv, seine Portraitfotos wieder in der Sammlung.

Alte Forderung: ein Zentrum der Fotografie

Beat Wismer, der scheidende Generaldirektor des MKP setzt sich seit Jahren für ein „Dokumentationszentrum am Museum“ ein, in dem auch das AFORK künftig aufgehen könne. Doch solle man bitte „die Kirche im Dorf lassen.“ Von eigenen Schauräumen sind „wir weiter entfernt denn je“, ließ sich auch Düsseldorfs Kulturdezernent Hans-Georg Lohe zum Abschluß unverhofft unmißverständlich vernehmen. Auch brachte er Neuigkeiten aus dem Kulturausschuß mit. Die Stadt Düsseldorf wird ihren Zuschuß für das MKP für 2018 um 1,4 Millionen Euro erhöhen. Damit wird in etwa ausgeglichen, was nach dem Abgang der e.on fehlt. Die überfällige Dachsanierung könnte dann endlich abgeschlossen sein. Auch will sich Lohe für einen neuen Direktor „mit Fotokompetenz“ einsetzen und für den Aufbau einer Fotografischen Sammlung stark machen. Spät aber doch? Vor kanpp zwei Jahren bot sich schon einmal die Gelegenheit, eine Fotoabteilung im angrenzenden NRW Forum zu etablieren, ein entsprechender Vorschlag Wismers lag vor. Doch der Düsseldorfer OB Thomas Geisel (SPD) entschied sich glatt dagegen.

Die beste Anregung kam aus dem Publikum. Renate Buschmann, Direktorin des IMAI regte an, ein „Medienforum“ zu gründen, im dem alle Medienarchive vom inter media art institut über die Julia Stoschek Collection, der Wim-Wenders-Stiftung bis zum AFORK „inhaltliche Zusammenhänge“ klären und neue Formen der Zusammenarbeit finden können.

Alain Bieber, nun neuer Direktor im NRW Forum Düsseldorf, ist im Auftrag von OB Geisel dabei, ein „Grobkonzept“ zu entwickeln, wie man die Fotofrage insgesamt und das dreitägige, schwächelnde Photo-Weekend insbesondere aufwerten kann. Das steht quer zu den laufenden Ermittlungen des „Kulturentwicklungsplans“ für Düsseldorf, den externe Fachleute aus Berlin aufstellen. Beide Pläne sollen erst im kommenden Frühjahr auf den Tisch. Da läuft den Düsseldorfern allerdings die Zeit davon. Denn ein neuer Generaldirektor (mit oder ohne Fotokompetenz?) soll alsbald bestellt werden.

In Biebers NRW Forum läuft zur Zeit die Ausstellung „gute Aussichten“ (bis 15. Januar 2017). Die wichtigsten Fotografie-Absolventen aller 32 Hochschulen im Land werden einmal im Jahr als Ergebnis eines Fotowettbewerbs ausgewählt und als „die besten Arbeiten einer neuen Fotografen-Generation“ gezeigt – in diesem und auch im kommenden Jahr in Düsseldorf. Dumm nur, daß unter den Ausgewählten kein einziger Fotograf Absolvent der Düsseldorfer Kunstakademie ist. Die Aussichten für eine Fotostadt Düsseldorf sind alles andere als heiter.


Die Gunst der frühen Jahre

One Eines Tages, so berichtet Walter Vogel, damals Lebenspartner von Pina Bausch, steckte die Monika Schmela mir „Walter, da is wat los. Wenn Sie Lust haben, dann kommen Sie mal zu dem und dem Zeitpunkt in unsere Galerie. Das habe ich dann getan, nichts ahnend, was da eigentlich Sache war.“

Als der Düsseldorfer Werbefotograf und Bildjournalist Walter Vogel (Schüler von Otto Steinert an der Folkwang Schule in Essen) an jenem Abend des 26. November 1965 an der Galerie Schmela ankommt, ist ihm sofort klar, dass die Ankündigung “Da is was los” die pure Untertreibung ist. Draußen vor der Galerie staut sich ein neugieriges Publikum. Und drinnen in dem garagengroßen Raum herrscht dichtes Gedränge. “Also ich kam da an, und eigentlich war es fast ausgeschlossen, überhaupt noch da rein zu kommen. Aber ich habe mich dann auch vorgedrängelt. Ich habe den großen Fotografen markiert und bin dann in den Raum rein und nach und nach hab’ ich auch mich nach vorne gekämpft.”

Die Galerie Schmela, in der Düsseldorfer Altstadt gelegen, hatte zur Ausstellungseröffnung eingeladen. Es war Beuys’ erste Einzelschau mit dem rätselhaften Titel “… irgendein Strang …”. Gezeigt wurden 38 Zeichnungen und Objekte. Das aufsehenerregendste Exponat aber war der Künstler selbst. Beuys saß, mit einem toten Hasen auf dem Arm, in einer Ecke am Fenster auf dem sogenannten warmen Stuhl. Ein Bein des Schemels war mit Filz umwickelt. Ausnahmsweise trug Beuys mal nicht seinen charakteristischen Hut. Stattdessen klebte eine Schicht aus Honig und Blattgold wie eine zweite Haut auf seinem Gesicht und auf dem gesamten Kopf.

Beuys: “Hier ist die Betonung des Kopfes und damit des Denkens. Ich goss einen großen Topf Honig über meinen Kopf und klebte drauf Blattgold im Wert von fast 200 Mark. Das war sehr schön.”

“Selbst diese abgebrühten Düsseldorfer, die waren einfach platt, ja. Also ich war einerseits verblüfft, aber andererseits war ich schon so viel Profifotograf auch, dass ich das einfach irgendwo ausgeblendet habe und einfach, ja, heute für mich rätselhaft, einfach versucht habe, diese Geschichte gut zu fotografieren.” Vogels frühe Dokumentarfotografien zählen heute zu den besten der „Goldenen Jahre“. 

Einst bei Schmela. Joseph Beuys zündet sich in einer Atempause die Zigarette an. Zu seinen Füßen Ute Klophaus. Der tote Hase ganz rechts im Bild. Aufnahmen von Walter Vogel aus dem Jahr 1965.

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