
Als die Rheinische Kunstszene zu ihrem Siegeslauf ansetzte, waren die Fotografen zur Stelle. Von heute aus betrachtet ist es ein Phänomen, ein doppeltes, sich gegenseitig bestärkendes Ereignis, wie mit dem Aufbruch der Nachkriegs-Avantgarden seit den späten 50er Jahren eine Schar von Fotografen auftauchte, die diesen erstaunlichen Aufbruch dokumentierte und zugleich Teil davon wurde.
Warum es ausgerechnet im Rheinland mit dem Wirtschaftswunder zum westdeutschen Kunstwunder kommen konnte, ist oft beschrieben worden. Die hier gelebte Nähe all derjenigen, die sich der rheinischen Kunstszene verbunden fühlten und fühlen, mag da eine Rolle gespielt haben. Die Fotografien halten es fest.
Ein Exponent dieses Kunstwunders, Gerhard Richter, feiert gerade in Paris mit seiner großen Retrospektive in der Fondation Louis Vuitton einen weiteren, überragenden Welterfolg.
Über die Fotografen und Fotografinnen, die diesen Erfolg von Anfang an begleiteten und publik machten, ist allerdings wenig bekannt. Ihr Beitrag ist viel zu wenig gewürdigt und nie im Zusammenhang erfasst worden. Es fehlt eine Geschichte über ihre Protagonisten und Werke, die sie aus dem Schattendasein befreite. Zum Glück hat sich im Rheinland ein eigenes Fotoarchiv, das AFORK gegründet. Es enthält bisher weit über 6000 Fotografien, die diesen einzigartigen Zusammenhang dokumentieren.
Eine Protagonistin ist Erika Kiffl. Auch sie, 1939 in Karlsbad geboren, kam als Flüchtling 1951 nach Düsseldorf, wo sie 1960 ihren Weg an die Kunstakademie fand. Sie studierte zunächst Gebrauchsgrafik bei Walter Breker, dem Lehrer, bei dem auch Bernd und Hilla Becher studierten. Wie die beiden, später weltberühmten Fotografen, arbeitete sie in der Werbung. Erste Fotos vom alten Bahnhof Rolandseck entstehen nebenbei. Doch dann kam auch sie zur Fotografie.

In der Schar der „Künstlerfotografen“ fällt Erika Kiffl früh durch zwei Besonderheiten auf. Schon ihre erste Serie 1967/77 führt sie in die Ateliers der Künstler. „Künstler in ihrem Atelier“ hieß schlicht und sachlich ihr erstes Fotobuch. Es zeigte keine auratischen Künstlerportraits, Künstler werden nicht als Schöpfer unsterblicher Kunstwerke idealisiert. Kiffels Aufnahmen, immer gemacht mit ihrer Rolleiflex, folgen einer modernen Auffassung von Kunst. Sie zeigen Ateliers als Gehäuse, in denen Künstler sich ihre Arbeitsstätte eingerichtet haben. Der besondere räumliche, architektonische Bezug, die unmittelbare bauliche Umgebung wird bei Kiffl bildbestimmend. Ihre 1967 aufgenommene Serie „Gerhard Richter bei der Arbeit an Diana“ wird ikonenhaft durch ihre dokumentarischen, gleichwohl ingeniösen Aufnahmen. „Das Flüchtige als Teil des Immerwährenden zu begreifen“, schreibt Ingrid Bachér, haben Kiffls Atelieraufnahmen besonders eindringlich eingefangen. „In dieser Werkgruppe ist ihr Thema der Mensch, der sich ausdrückt durch den Raum, den er nach seinen Bedürfnissen geprägt hat… Außenraum als Hülle nach Maßen des Innenraums.“
Bruno Goller, Gotthard Grauner, Joseph Beuys, Konrad Klapheck, Ulrike Rosenbach, Markus Lüpertz, Norbert Tadeusz, Antonius Höckelmann, Gerhard Hoehme, Raimund Girke, Erwin Heerich, Dieter Krieg, Günther Uecker, Lothar Baumgarten und wieder Gerhard Richter, alles aufstrebende Größen des westdeutschen Kunstwunders, werden in ihren Räumen dargestellt, in denen etwas handwerklich hergestellt wird, in denen der Mensch allein ist mit dem, was er sich ausdenkt und erschafft.
Die zweite Besonderheit Erika Kiffels ist ihr kulturpolitischer Drive. Die frühe Flucht, der Verlust der Heimat haben sie „auch meinen Überlebenswillen“ geprägt und für politische Belange sensibilisiert. Sie wollte sich einmischen und „Neue Wege in der Fotografie“ (so der Titel ihres ersten Foto-Symposiums 1981 auf Schloß Mickeln) erschließen. Vilém Flusser lernte sie 1980 in Wien kennen und lockte ihn im Jahr darauf nach Düsseldorf. 2001 wurde sie zur treibenden Kraft und Mitbegründerin des Archivs künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene, AFORK.
Erika Kiffl gehört neben Manfred Leve und Benjamin Katz zu den Fotografen, die das AFORK ins Leben riefen und mit hunderten von Fotografien beschenkten. Stephan von Wiese, der langjährige Leiter der Abteilung Moderne Kunst des Städtischen Kunstmuseum erkannte früh den Wert dieser Dokumentarfotografien und sorgte für die großzügige Unterstützung der Stadt wie auch der Kunststiftung NRW. Das AFORK konnte zuletzt noch 2016 durch den Ankauf des fotografischen Werks von Nic Tenwiggenhorn und 2017 das von Erika Kiffl einen enormen Zuwachs verzeichnen.
Lothar Wolleh, Bernd Jansen, Anton Stankowski, Willi Kemp, Manfred Leve, Joachim Peter Kastner, Rainer Ruthenbeck, Ute Klophaus, Franz Fischer, Burkhard Maus, Dietmar Schneider oder Claudia van Koolwijk heißen einige der Künstlerfotografen, viele von ihnen sind bereits tot.

Kiffl gehört zu jener Spezies Fotografen, die vornehmlich Künstler fotografieren. Sie folgen ihnen ihr Leben lang, fotografieren sie beim Aufbau der Arbeit, auf Eröffnungen, bei Preisverleihungen oder nachher an der Bar im kleinen Kreis. Die besondere Nähe, die der Künstler gewährt, die Vertrautheit im Umgang, ihr Dazugehören, bisweilen eine Freundschaft mit dem Objekt ihrer Begierde ist ihr bestes Kapital.
Diese besondere Nähe lässt bisweilen überhaupt erst Bilder entstehen, einzigartige Momente, aufschlussreiche Seitenblicke einfangen, an die wir uns später gerne anhand der atmosphärisch dichten Aufnahmen erinnern. Bei aller Nähe und Vertrautheit hat die Sache Grenzen. Sind es doch dokumentarische Fotografien, die dicht an der Grenze zum Künstlerischen liegen. Oder sind es wegen dieser Nähe schon selbst künstlerische Fotografien?
Für diese Spezies gibt es keine eigene Bezeichnung, kein Begriff hat sich bisher gefunden. „Künstlerfotograf“, wäre naheliegend. Aber die „künstlerische Fotografie“ reklamieren bildende Künstler für sich, die das Medium Fotografie als Kunstform betreiben.
AFORK im Koma
Es existiert, aber ob es auch lebt? Sobald Felix Krämer 2017 das Museum Kunstpalast von Beat Wismer übernahm, wurde das AFORK in ein künstliches Koma versetzt. Es existiert formell, doch ist es nicht mehr zugänglich. Es hat keine eigenen Mitarbeiter mehr, die Bestände werden nicht weiter digitalisiert, Neuerwerbungen Fehlanzeige, Anfragen zur wissenschaftlichen Nutzung werden abgewiesen. Der Kunstpalast, vormals Museum Kunstpalast, pflegt seinen Schatz nicht.

In Erinnerung an diese Schattenexistenz wurde der ellenlange Ausstellungstitel gewählt: „Der Bildatlas der Akademie. Erika Kiffl und das Archiv Künstlerischer Fotografie der Rheinischen Kunstszene AFORK“. Ellenlang sind auch die vergeblichen Versuche, das Fotoarchiv AFORK aus der Versenkung zu holen.
„Faszinierende Dokumente“ hieß 2011 eine eindrucksvolle Auswahl dieser Düsseldorfer Spezialsammlung von weit über 6000 Fotografien, die zuerst im „Moscow House of Photography“, dann im Museum Kunstpalast zu sehen war. Der Bildatlas der rheinischen Kunstszenen mit dem Focus Kunstakademie Düsseldorf wurde da erstmals in die Welt getragen und endlich auch hierzulande sichtbar. Nach langen Jahren ist die Erika Kiffl Ausstellung in der Akademie-Galerie das erste Lebenszeichen dieses bedeutenden Fotoarchivs unter der Obhut des Kunstpalasts.
Nun liegt die Akademie-Galerie nur wenige hundert Meter vom Kunstpalast entfernt. Doch kamen für ihre Ausstellung keine der im AFORK aufbewahrten Fotografien in die Ausstellung. Kuratorin Vanesa Sondermann musste sich mit digitalen Daten begnügen. Die gezeigten Abzüge wurden auf Kosten der Kunstakademie angefertigt. Immerhin fanden acht Leihgaben von Leve und Katz aus dem AFORK in die Ausstellung.
Es spricht für das Selbstbewusstsein dieser Fotografin, dass sie den Vergleich mit Kunstwerken anderer Künstler nicht scheut. In der großartigen Kiffl-Retrospektive am Düsseldorfer Burgplatz, sind Ihre Fotoserien gleichberechtigt neben Werken „ihrer“ Künstler Peter Brüning, Rupprecht Geiger, Bruno Goller, Gotthard Graubner, Gerhard Hoehme, Gerhard Richter oder Günter Uecker zu sehen. Ein Zusammenhang wird deutlich.
C.F.Schröer
Aktuelle Hinweise
Der Bildatlas der Akademie – Erika Kiffl und das Archiv künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene (AFORK)
Wunderbar eingerichtet von der Kuratorin Vanessa Sondermann
bis 8. Februar 2026
Akademie Galerie, Burgplatz 1, Düsseldorf
Angelika Platen. Einen Augenblick bitte!
Die Ausstellung zeichnet die künstlerische Entwicklung der Berliner Fotografin über 50 Jahre nach. Ob Joseph Beuys, Hanne Darboven, Charlotte Moorman, Sigmar Polke, Gerhard Richter oder Günther Uecker – Platens Fotografien sind Nahaufnahmen der jüngsten Kunstgeschichte.
bis 25. Januar 2026
Museum Ratingen, Grabenstraße 21 , Ratingen
#2 artist collect artists – Sammlung Bernd Jansen
Jansen entwickelte Fotografien, die sich aus dem Bilder-Tausch mit Künstlerkollegen ergaben.
im space-o (Kai Richter und Andreas Wünkhaus)
bis 29. November
space-o Ausstellungsraum, Oberhausener Str. 15, Düsseldorf
Gerhard Richter
bis 02. März 2026
Fondation Louis Vuitton, Avenue du Mahatma Gandhi 8, Paris

Perspektivwechsel. Fotografinnen in Düsseldorf
Mit über 240 Arbeiten von 120 Fotografinnen bietet diese Ausstellung erstmals einen Überblick über die Vielfalt der Kunst der Fotografinnen in Düsseldorf. Sie verweisen auf die Entwicklung technischer visueller Medien in der Kunst, in der die Düsseldorfer Kunstakademie eine weltweit verbindende Rolle spielte. Gezeigt werden Arbeiten von Berufsfotografinnen wie der bereits im 19. Jahrhundert tätigen Laura Lasinsky sowie künstlerische Fotografie von Absolventinnen der Düsseldorfer Fotoschule und von zahlreichen weiteren Fotografinnen.
bis 04. Januar 2026
Stadtmuseum Düsseldorf, Berger Allee 2, Düsseldorf
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