„Ein kleines Kästchen mit schwarzem Papier beklebt. In dem Kästchen waren ein paar Löcher, wenige Knöpfe und andere technische Einrichtungen, deren Bedienung aber leicht zu lernen war,“ erinnert sich Hans-Peter an seine erste Kamera, die er in den frühen Nachkriegsjahren mit auf die Familienausflüge in die Düsseldorfer Umgebung nahm. „Oben auf der Kamera war ein kleiner Lederriemen, an dem man sie tragen konnte. […] Ich weiß nicht, warum ich diesen Spaziergang heute noch so gut erinnere. Vielleicht weil ich so stolz war, zum ersten Mal eine Kamera zu besitzen.“
Bevor der junge Mann von Hilden aus die Welt eroberte, wurde er ein begeisterter Hobby-Fotograf. Als Konzeptkünstler wurde Hans Peter-Feldmann weltberühmt, zur Kunst hielt er Abstand. Ein Atelier hat er nie besessen, auch keine Assistenten oder Schüler. Erst spät fand er durch Kasper König zur Kunst zurück. 1941 war er als Kind eines Drogisten in Hilden geboren. Eine eigene Profikamera hat Feldmann zeitlebens nicht, seine Fotos und Fotoserien erscheinen grundsätzlich in unbegrenzter Auflage, alle ohne Signatur. Es sind eher beiläufige Aufnahmen, die entstehen, eine Nähe zum Alltag und zur Absurdität des Gewöhnlichen ist ihnen eigen. Die vom Künstler beschriebene Einfachheit der Kamerabedienung ließ die Fotografie in der Nachkriegszeit zum Massenmedium werden, welches wie nebenbei das Familienleben dokumentiert und alle, auch Kinder, in den Rang von Bilderproduzenten erhebt.
Bis 2015 betrieb Hans-Peter Feldmann zusammen mit seiner Frau Uschi „den Laden“ in der Wallstraße 4 in der Düsseldorfer Altstadt. Das Eis-Café Capri war sein Stammlokal. Von der Terrasse aus konnte er den Eingang zum Geschäft beobachten. Als Uschi keine Lust mehr am „Kramladen“ hatte, wurde er „kompletto“ ans Lehnbachhaus München verkauft. Dort ist der Laden längst zum Publikumsmagneten geworden. Am 26. Mai 2023 ist Hans-Peter Feldmann in Düsseldorf gestorben.
Kein schlechter Auftakt, wenn jetzt der Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts – DFI e.V. seinen Laden am Eiskellerberg mit Feldmann eröffnet. Die Porträtserie „100 Jahre“ wird in den neuen „Projekträumen“ gezeigt. Feldmann fotografierte 101 Verwandte, Familienmitglieder und Bekannte. Die Serie aus gleichformatigen Schwarzweißbildern bildet einen eindrucksvollen Lauf durch ein Menschenleben von acht Wochen bis einhundert Jahren – ein Querschnitt durch alle Lebensalter des Menschen. Gil Bronner hat die Serie ausgeliehen.
Im Zentrum der Ausstellung ist, entsprechend den Vorgaben des Künstlers, ein Strauß Feldblumen platziert, frisch gepflückt in der nahen Umgebung.
Feldmann gibt seinen „Laden“ dran. Das Lehnbachhaus baut ihn wieder auf.
Ein Rückblick auf 2015
Hans-Peter Feldmann ist zu einem Gespräch bereit. Was ziemlich selten ist. Er schlägt das „Capri“ vor, ein Eis-Café. Ich sage zu. Es ist der 3. Februar und „schwer schattig“, wie man in Düsseldorf so sagt. Das „Capri“ liegt in der Düsseldorfer Altstadt und hat sogar ein paar Stühle auf der Straße stehen. „Ich sitze am liebsten draußen“, sagt der freundliche Herr Feldmann und bietet mir einen Platz neben ihm an. Er trinkt Kaffee, schwarz, ohne Zucker, „wegen der Zähne“.
Das mit dem „Capri“ hat einen naheliegenden Grund, wie fast alles, was Feldmann tut, im richtigen Leben, wie auch sonst. Vom „Capri“ aus kann Feldmann den Eingang seines Ladens beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Kommt ein Kunde, den er persönlich begrüßen will, ist der Platz draußen bestens geeignet, mal schnell die Seite zu wechseln. Ich schlage den Kragen meines Wintermantels höher und spitze die Ohren. Feldmann spricht leise. Aber aufgepasst, er denkt geradeaus wie ein Kaufmann und schon ist er um die Ecke gebogen in seine schräge, verdrehte, ausufernde Kunstkaufladenwelt.
„Was im Laden ist, braucht kein Mensch“, sagt Feldmann plötzlich, als sei es eine neue Erkenntnis. Doch da fängt der Spaß für ihn erst richtig an. Tatsächlich hängt er sehr an seinem Laden. Umso mehr, als der nun nach 35 Jahren geschlossen wird. Sein Hauptwerk? „Irgendwie schon“. Jetzt kommt der ganze Laden ins Museum. Feldmann, der im kommenden Jahr 75 wird, hat sich beizeiten nach einer zweiten Zukunft für sein „Hauptwerk“ umgesehen. Warum nicht gleich ins Museum? Sein Berliner Galerist Mehdi Chouakri hat sofort ans Lehnbachhaus gedacht. Das Münchner Museum will den Laden nun unbedingt ankaufen und „komplett“, im Neubau von Norman Foster auf dem gleichem Niveau wie Beuys-Environment „Zeige deine Wunde“ und Richters „Atlas“ ausstellen. Der Museumsdirektor Matthias Mühling, seit Anfang 2014 im Amt, sucht noch Sponsoren, freut sich aber, seine Neupräsentation der Sammlung am 18. Mai mit Feldmanns „Laden“ als größter Neuerwerbung schmücken zu können. Auch Feldmann freut sich über das neue Zuhause für seinen geliebten Laden. Er wird ihn im Museum genau so einrichten, wie er zuletzt in Düsseldorf gestanden hat und wenn immer ihn die Sehnsucht überfällt, „kann ich zu ihm fahren“. Es war eine lange symbiotische Beziehung. Der Laden gab ihm Geld und „reales Leben“, er ihm tägliche Zuwendung und Ehrlichkeit. „Es kam nur hinein, was mir wirklich gefiel.“
Schon vor 35 Jahren hatte er eine besondere Geschäftsidee „ein Laden, in dem ich mich wohl fühle“. Das ist sogar gelungen. Wie er sich immer noch über jeden Artikel und jeden Blödsinn freuen kann: Einstein, der sich mit dem Finger an die Stirn tippt, Uhren, die verkehrt herum laufen, die Queen und der Papst mit Winkearm, Merkel als Zitronenpresse, Düsseldorf-Teller und Kusspüppchen. Ein Nippesladen? – Oh nein, „ein Kunstladen“. „In meinem Laden ist mehr Kunst, als sie glauben.“
Neulich, erzählt er, kam eine Frauengruppe vorbei. „Erst waren die im K20, dann im K21 und dann im Laden bei mir.“ Neulich erstand ein Museumsdirektor, eine Kuckucksuhr, „die hängt jetzt bei ihm zu Hause“. Eine Weile lang kamen Rocker aus dem Ruhrgebiet, die haben David-Köpfe aus Gips gekauft, „massenhaft“. Ein wahrer Verkaufsschlager. Weniger gut ging es mit dem Lenin-Kopf. Ein Stammkunde weigerte sich, den Laden weiterhin zu betreten, solange der Lenin dort im Angebot sei. Feldmann kommt ins Schwärmen, ich beginne zu frieren. Endlich gehen wir hinüber zum Laden. Ich werde an einer dicken Erkältung nicht vorbei kommen.
„Für mich ist Kitsch Kunst“, sagt Feldmann entwaffnend ernst. „Kitsch ins Museum bringen“, wäre doch ein Heiden Spaß. Stammt das Wort Kitsch nicht aus dem Münchner Kunsthandel des 19. Jahrhunderts? „Manche Kunst versteh ich heute gar nicht.“ Warum? Feldmann wendet sich seinem Sortiment zu und lächelt sein verschmitztes Bübchenlächeln: „Kunst ist so einfach.“
Warum dann der Laden? „Man musste ja von irgendwas leben“, erinnert er sich. Da „Geld früher in der Kunst kein Thema war“, wurde er Aushilfskellner in der Uel. Zuvor hatte er zwei Jahre lang die Kunstschule in Linz besucht. „Da habe ich aber nur gelernt, dass ich das Malen und Zeichnen nicht lernen werde.“ In der Altbierkneipe Uel lernte er vor allem die Belegschaft der Kunstakademie gleich um die Ecke kennen. Feldmann ist ein Nicht-Künstler mit einem Nicht-Atelier geblieben, der lange alles tat, um Nicht-Erfolg zu haben. Pech gehabt. Auch Konrad Fischer frequentierte die Uel, der wiederum Harald Szeemann auf Feldmann aufmerksam machte, der wiederum eine documenta in Kassel vorbereitete. Feldmann zeigte in Kassel “kleine graue Hefte“, was wiederum Paul Maenz auffiel, der ihn in seiner Kölner Galerie regelmäßig ab 1973 ausstellte und ihn wiederum an seinen Lebensgefährten, den Berliner Galeristen Mehdi Chouakri vermittelte, der wiederum…
1979 fiel die Entscheidung für den Laden. „Ich wollte damals die Kunstszene verlassen,“ erinnert er sich „nicht die Kunst.“ Auf diese Unterscheidung legt Herr Feldmann viel Wert. Also mietete er ein Ladenlokal gleich gegenüber der Kunsthalle, wenig später eines neben Spoerris Eat-Art Restaurant am Burgplatz und fing an, allerhand seltsames Gerät ins Schaufenster zu stellen. Als emsiger Besucher von Flohmärkten, wusste er einzuschätzen, was lief und was eben nicht. Es begann mit alten Taucheranzügen und Taucherhelmen, wechselte zu gebrauchten Fotoapparaten, schließlich waren es Messinstrumenten aller Art. „Nautika, Photographika, Geodätika“, fasst Feldmann diese Phase in drei Worten zusammen. Der Laden florierte, bald hatte Feldmann 15 Angestellte. Zu groß, dachte der Künstler-Unternehmer und zog mit dem Laden erneut um.
Was ein Geschäft ist, hat er von der Pike auf gelernt. Sein Vater hatte eine Drogerie in Hilden betrieben. „Hier billig einkaufen, um da teuer zu verkaufen“, lautet sein unternehmerisches Credo bis heute. Aber Feldmann öffnete seinen Laden nur für Dinge, die er „gut“ findet, die ihm „gefallen“. Daran hat sich auch nach Jahren nichts geändert. Wohl aber das Sortiment. Feldmann wechselte zu Fingerhüten, altem Blechspielzeug, antiken Uhren, silbernen Kerzenleuchtern, reiste nach China, Syrien und Schottland um immer neue alte Dinge zu beschaffen. In der Altstadt hatte er schnell seinen Namen weg: „Retro-Feldmann“.
Zehn Jahre verschloss er sich der Kunstwelt. Allein Kasper König kam hin und wieder in den Laden und kaufte Fingerhüte. Endlich gelang es König, Feldmann zu einer Ausstellung im Portikus zu überreden. Titel der legendären Schau “Das Museum im Kopf”. 2010 zu seiner “Kunstausstellung”, parkte er ein Auto auf dem öffentlichen Parkplatz vor den Hamburger Deichtorhallen auf dem Kopf. Das gab viel Aufregung, freut sich Feldmann noch heute. „Man muss die Dinge nur mal umdrehen, dann kommt man besser dahinter.“ Kunst im Handumdrehen.
Eine der steilsten Weltkarrieren der Kunst nahm ihren späten Lauf. Feldmann hat in vielen großen Kunstinstitutionen ausgestellt. Im Mai 2011 bekam Feldmann den Hugo-Boss-Preis zugesprochen, verbunden mit einer Ausstellung im Guggenheim-Museum in New York. Alle Wände und Säulen des großen Ausstellungsraums hat Feldmann damals mit seinem Preisgeld tapezieren lassen, mit 100.000 gebrauchten Eindollarscheinen, jeder einzeln mit Reißzwecken angepinnt. Kunst ist so einfach und doch wieder nicht.
Feldmanns Kunst ist radikal normal. Sie zieht die Unkenntlichkeit vor, bis sie doch im Museum landet. So ist Feldmann zum genialen Nachfolger von Marcel Duchamp und Andy Warhol geworden. Von Duchamp hat er die Objektkunst und die Kunstverweigerung übernommen, von Warhol den Marktbiss und die Liebe zur Massenkultur. Feldmann hat der Kunst eine irritierende Leichtigkeit und einen hintergründigen Frohsinn gegeben. Rheinisch-Kapitalistischer Pop.
Carl Friedrich Schröer
Projektbüro des DFI e.V.
Hans-Peter Feldmann
100 Jahre
Eiskellerberg 1-3, 40213 Düsseldorf
Lenbachhaus
Laden 1975–2015
von Hans-Peter Feldmann
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