Man darf sich Jan Kolata als einen bescheidenen Mann vorstellen. Nur in seinen Bilder nicht. Da ist er anspruchsvoll, großartig und alles andere als sanft oder demütig. Seit fast 30 Jahren malt er unentwegt in seinem Atelier in einem Industriebau in Düsseldorf-Lierenfeld und gerade seine letzten Gemälde erscheinen gnadenlos radikal, raumgreifend und auf eine umfassend unfassliche Weise schön.
Mit 1,90 Meter ist er ohnehin der größte zeitgenössische Maler der alten Malerstadt Düsseldorf, hat eine Malerprofessur in Dortmund mit Abstechern nach Wuhan und Chengdu (China) hinter sich, hat das Atelierhaus Höherweg in Düsseldorf mitbegründet, ist weit gereist und hat viel gesehen, um am Ende bescheidene Sätze wie diesen rauszuhauen: „Wenn ich zum Kärcher greife, bin ich nahe an der Verzweiflung.“
Auf den Kärcher ist Kolata bei einem seiner Beschaffungsspaziergänge durch den Baumarkt gestoßen. Rein zufällig wie Suchende eben solche banalen Sachen aus dem unendlichen Regalsystem ziehen. Der Hochdruckreiniger kommt beim Malen nur dann zum Einsatz, wenn das gerade erst mühsam Schicht um Schicht angelegte Gemälde völlig missglückt. Dann muss die Farbe wieder weg, so weit wie es geht runter, so weit bis aus den Resten, verblassten Linien, Farbspuren, etwas auftaucht, an dem wieder anzusetzen lohnt.
Freude, Zweifel, Überschwang alle Emotionsebenen sind im Spiel, wenn Kolata sich an ein neues Bild macht. Erst einmal macht er das Atelier dicht. Schließt sich ein, versucht alles abzuschalten, dreht Musik auf, „knalllaut“ und macht sich über die Bilder her. Die liegen roh und unbehandelt auf dem Boden.
Kolata legt immer eine Serie von Bildern gleichzeitig an. Mit Besen, Schrubbern, Wischern etc. wird Acrylfarbe auf der Leinwand verschoben und Schicht um Schicht aufgetragen. Die Schlacht kann beginnen. Der Gegner ist immer das Bild.
Dann prüft er, vergleicht und wählt aus. “Könnte ein Bild werden…“. Einen Maßstab für Qualität außerhalb der Bilder gibt es für ihn nicht. Erst im Vergleich werden die Unterschiede deutlich. Manchmal reizt es ihn am anderen Tag, das schlechtere Bild gegen ein besseres hochzubringen. Dann kommt wieder der Kärcher zum Einsatz.
Das mit der Verzweiflung ist eine Grundbefindlichkeit, aus der sich die starken, großartigsten und schönsten Bilder gewinnen. Es liegt aber auch „etwas Befreiendes“ im Abtragen der Farbschichten.
Kolata geht gegen die Bilder an. Er kämpft mit ihnen einen gnadenlosen Kampf, er attackiert und traktiert sie, er rückt ihnen zu Leibe, schont dabei weder sich noch die Leinwände und sortiert gnadenlos aus, was ihm nicht passt oder, um es geflogener auszudrücken, seinem künstlerischen Auge nicht genügt. Und sein Auge ist verdammt gewitzt, lange genug geschult, hat gelernt, Mist und Murks, Mittelmaß und Schönundbunt von wirklich guten Bildern zu unterscheiden. Und die sind verdammt selten.
Kolatas Malerei ist abstrakt. Indem er die physische Malerei als Aktion radikalisiert und auf die Spitze treibt, erscheint sie jedoch als ein Werk der konkreten Wirklichkeit. Sein Atelier ist eher Werkstatt, seine Leinwände Werkstücke. Die Werkstoffe (das Farbmaterial) wie die Werkzeuge (Besen, Fensterwischer, Dachlatten, Kärcher, Schleifmaschine etc.) sind ausschließlich Industrieprodukte. Dieser Produktionsbedingung nach handelt es sich um realistische Bilder abstrakter Natur. Oder um abstrakte Erscheinungen realer Hervorbringung. Es entsteht, was entsteht. Sein Konzept liegt im Machen. Aber dann, nach der Mal-Materialschlacht, kommt Kolata und sieht genau hin und wählt aus. Malereiprofessor trifft auf Maler.
„Ich verfolge keinerlei System beim Malen, ich haue auf die Leinwand mit regellosen Strichen und lasse sie stehen. Pastositäten – unbedeckte Stellen hier und da – ganz unfertige Ecken – Übermalungen – Brutalitäten, und das Resultat (ich muss es wenigstens annehmen) zu beunruhigend und verstimmend, als das die Leute, die auf Technik sehen, daran Gefallen finden können.“ Den Urknall des Malens als physischen Akt hat Vincent van Gogh schon 1888 formuliert. Er schlug Wellen bis nach Amerika, wo sich gegen Ende der 1930er Jahre der Abstrakte Expressionismus auftat, kam in Frankreich seit der Befreiung von Paris 1944 zurück nach Europa und wenig später nach Deutschland. Die Düsseldorfer Kunstakademie, wo Kolata zwischen 1970 und 1977 studierte, erfuhr ein Nachbeben.
Es gibt gegenwärtig zwei Gruppen von Malern. Die einen, die mit ihrer Malerei Stellung zu großen Fragen der Menschheit beziehen und soziale und politische Themen bewegen wollen. Und die anderen, die paint the paint-Maler, denen es vor allem um die Malerei selbst geht. Zu dieser Gruppe gehört Kolata. Auf seinen Bildern wird nichts als die Malerei selbst verhandelt. Sie wird als Prozess und Malakt sichtbar. Sie wird mit malerischen Mitteln befragt und herausgefordert und sie wird radikal in Frage gestellt, ob sie überhaupt noch einen Wert und eine Bedeutung haben könnte inmitten einer sich entzaubernden, digitalisierenden, tik-tokisierten Welt. Es ist der Selbstbestimmungskampf einer in Europa begründeten Tradition und es ist ihr Überlebenskampf.
Bei allem ist Kolata kein Berserker, kein Muskelprotz der Malerei, kein Materialfetischist. Dieser Maler pflegt eine Malkultur, die heute selten ist. Er schöpft aus den Tiefen einer Maltradition von Giotto und Masaccio, von Rembrandt van Rijn zu Francis Bacon, von Vincent van Gogh zu Gerhard Richter zu Katharina Grosse und setzt sie doch ungleichen Strapazen aus. Er schindet dabei ein (vielleicht letztes) Quäntchen Schönheit heraus. Der Maler würde das allerdings keineswegs für sich in Anspruch nehmen. Kolata geht es vielmehr um ein gelingendes Bild, eines das Bestand haben könnte in der großen Versammlung der Malerei und vielleicht auch in der zugedröhnten Welt. Schönheit zeigt sich in seinen Bildern höchstens revers als eine Erinnerung. Als ein glücklicher Funke, der aus dem berauschenden oder quälerischen Malprozess herausspringen mag.
In der Begegnung mit diesen großen Malereien zeigt sich bisweilen dieses Flackern und Funkensprühen. „Das kann eigentlich jeder finden, jeder der sieht“, wäre seine Hoffnung. Dieser Schlachten-Maler sieht sich als Teil von etwas, das größer ist als er selbst. Darin zeigt sich keine soziale, sondern eine metaphysische Bescheidenheit. Ihm, diesem Ganzen, das ihn fasziniert und auch erschreckt, fühlt er sich zugehörig und verpflichtet; vor ihm erscheint ihm jede Selbstgefälligkeit deplatziert. So nimmt seine Bescheidenheit ihm nicht, sie verleiht ihm gerade die Kraft und Zähigkeit für das einzustehen, was ihm wichtig ist.
Carl Friedrich Schröer
Hinweis
Eine sehenswerte Einzelausstellung „Jan Kolata.malen“ zeigt derzeit das Museum Ratingen
Zwei sehr schöne Bilder von Jan Kolata mit Bezug auf Rembrandt sind Teil der Ausstellung Scheiße & Gold in der Düsseldorfer Galerie boa-basedonart.
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