Wer sucht, der findet. Hinter einem Schutzwall der ehemaligen NATO-Raketenstation, wo sich das unübersichtliche Terrain nach Norden zur lärmenden A57 senkt, duckt sich der Siza-Pavillon ins unfrisierte Gras. Im Kirschbaumhain versteckt der langgestreckte Bau aus belgischem Abbruchziegel. Kein gewöhnlicher Bauplatz, kein gewöhnlicher Bau. Es ist der jüngste in der gut 25jährigen Baugeschichte der Insel Hombroich, und leicht ist man versucht zu sagen, es sei mit Abstand der Beste.
Dieser Bau will aufgespürt werden, will entdeckt werden. Flach fügt er sich ins Gelände ein, treibt Camouflage unter Birken und Kirschbäumen, hinter Feldbrandziegeln und Flachdachmoderne.
Sein Bauplatz: eine Restfläche. Seine Baugeschichte: eine schier endlose Kette von Nutzungsänderungen und Umplanungen über 15 Jahre. Seine Zukunft als „Forum für räumliches Denken“ reichlich offen. Und doch, trotz alledem, besticht die vornehme Bescheidung, Sparsamkeit wird hier nicht zur rhetorischen Reduktion. Die Poesie des Baus gewinnt sich nicht aus minimalistischer Banalität. Einer internationalen Anonymität stellt sich eine Synthese aus Tradition und Moderne entgegen, klassische Proportionen mit altvertrauten, ortstypischen Materialien.
Mühelos schöpft Siza aus der europäischen Bautradition, zieht Villa, Bungalow und südländisches Bauernhaus zusammen, nimmt Anleihen an der keltischen Tradition seiner Heimatregion Nord-Portugal wie beim großen Mies van der Rohe, besonders bei dessen Krefelder Villen Haus Esters und Haus Lange, bezieht sich wie selbstverständlich auf Heerichs 15, die Insel prägende Raumplastiken – und bleibt doch ganz Siza.
Álvaro Joaquim de Melo Siza Vieira wurde 1933 in Portos Hafenvorstadt Matosinhos geboren. In Porto lebt er, studierte er, arbeitet er, lehrt an der Architekturfakultät und betreibt seit 1958 sein Architekturbüro. Vom abgelegenen Porto aus verbreitet sich sein Weltruhm. Für den Wiederaufbau des bei einem Großbrand zerstörten Lissaboner Altstadtviertels Chiado erhielt er 1992 den Pritzker-Preis. Der Goldenen Löwen der Architekturbiennale von Venedig schloss sich an, der Europäische Architekturpreis der EU-Komission / Mies Van der Rohe-Stiftung folgte.
Unbeirrbar hält Siza an lokalen Fragestellungen fest, fühlt sich dem kritischen Regionalismus verpflichtet – und zeigt der internationalen Konkurrenz der benachbarten Heerich-Kuben, des Ando-Baus und des noch unfertigen Abraham-Getüms, was große Architektur sein kann.
Leicht ließe sich dieser Bau übersehen, als randständig abtun oder als spätmoderner Abklatsch verkennen. Doch liegt in seiner Unscheinbarkeit und Zurückgenommenheit seine Stärke. Kein architektonischer Muskelprotz (Abraham), kein minimalistischer Design-Tempel (Ando) und auch kein weiterer Kunst-Kubus (Heerich) kauert hier im Wiesengrund. Alvaro Siza lässt sich sowohl auf die Geschichte und Eigenart des Ortes Hombroich/Raketenstation ein und antwortet zugleich den benachbarten Architekturen ringsum. Aus Bescheidenheit gewinnt er Größe, aus Demut Vornehmheit. Der Siza-Bau duckt sich nicht, er dient. Weit mehr noch als die hervorragenden Exemplare neuer Baukunst auf der Raketenstation, entspricht er einem alten, klassischen Anspruch an die Architektur: noble simplicité.
Es ist diese spezifische Hombroich-Mischung aus kruden Hinterlassenschaften des militärischen Bezirks, Containern, Bunkern, Türmen und Absperranlagen mit avancierten Ideen, experimentellen, künstlerischen Feldversuchen. Autobahngeräusch und Vogelgezwitscher, Erdenschwere und Spiritualität, Bodenständigkeit und internationaler Anspruch. Es kleben einem noch die Lehmklumpen an den Schuhen und unversehens sieht man sich zu ungeahnten Höhen der neusten Architektur und Kunst gehoben.
Von wegen Pavillon. In Ermangelung einer näheren Zweckbestimmung hat man dem Bau gleich den Namen seines Architekten gegeben. Ein Siza-Pavillon ist es mitnichten, eher ein zu Ausstellungszwecken umgenutztes antikes Landhaus. Der U-förmige Bau dient gleichwohl hervorragend einer umfangreichen Werkschau „Prozesse des plastischen Denkens“ von Erwin Heerich. Dabei werden zahlreiche noch nie gezeigte Arbeiten in den Kontext bekannter Werke gestellt. Die vielfältigen Ansätze und Formen Heerichs werden hier in einer konzentrierten Ausstellung vorgestellt, Handzeichnungen und Skizzen, die bekannten Karton- und Holzskulpturen, Kartonschnitte und Tuschezeichnungen, die Möbelentwürfe, wie auch Heerichs weniger bekannte frühe plastische Figuren, Pferd, Tänzerin und Gliederpuppe. Der gesamte künstlerische Nachlass Heerichs (1922 bis 2004) ist der Stiftung Insel Hombroich als Schenkung zugekommen. Zwei Räume des Siza-Pavillons sind für das Erwin Heerich Archiv eingerichtet worden. Eine Ausstellung zum Werk Álvaro Sizas ist in Vorbereitung.
Verbunden durch eine dreißig Meter lange Backsteinmauer schließen sich als separater Trakt die Räume für Fotografie an. Die Fotografin Ursula Schulz-Dornburg zeigt hier zur Eröffnung Dokumentaraufnahmen aus US-Militärarchiven. Die Fotos aus den Kindertagen der Atombombentests zeigen die Unbefangenheit im Umgang mit der neuen Bombe, wie auch die verführerische Ästhetik der Explosionen über dem Pazifik. Idylle ist anderswo. Auch auf der NATO-Raketenstation lagerten jahrelang Atomsprengköpfe.
Carl Friedrich Schröer