Am Anfang war die Wand. Von den Höhlenmalereien von Lascaux über Leonardo Da Vincis Abendmahl bis in die Gegenwart – die neuste Ausstellung in den Riekhallen des Hamburger Bahnhofs stellt sich in die Jahrtausende alte Tradition der Wandmalerei und präsentiert deren künstlerische Hinterfragung seit den 1960er Jahren.
Mit der Ausstellung reagiert die Kuratorin Gabriele Knapstein auf den Ankauf eines umfangreichen Konvoluts von Wandarbeiten durch die Freunde der Nationalgalerie, der nun in einer ersten Auswahl vorgestellt wird. Trotz der Verwand(t)schaft der versammelten Arbeiten, lässt sich an dem Ausstellungskonzept keine wirkliche Fragestellung entwickeln, an der sich eine Kritik entzünden könnte. Zu stringent durchzieht die Auseinandersetzung mit der Wand alle Strömungen der Kunstproduktion, von der Minimal und Conceptual Art, über die Arte Povera, bis hin zur Videokunst oder postmodernen Praktiken. Dies soll keineswegs die Qualität der Ausstellung diskreditieren, sondern vielmehr verdeutlichen, dass es sich hier um eine Ansammlung starker Einzelwerke handelt, die jeweils für sich und in ihrem Kontext verhandelt werden müssen. Die Ausstellung die mit räumlichen Interventionen von Donald Judd beginnt und mit der Perfomance Purzelbaum in Yves Klein Blau von Antonio Paucar endet, bedient dabei – mal abgesehen von der figürlichen Malerei – so gut wie alle Liebhaberschaften.
Als besonders stark empfinde ich die eigens für die Ausstellung geschaffene Wandmalereien von Friederike Feldmann, Katharina Grosse und Nasan Tur, die nicht nur durch ihre gewaltigen Dimensionen Eindruck machen. Feldmann irritiert den Betrachter ihrer Arbeit, in dem sie eine Pseudoschrift auf die Wand bringt, deren Unlesbarkeit erst auf den zweiten Blick bewusst wird. Ihr semiotisches Spiel wird dadurch zu einem spannenden Wahrnehmungsexperiment, das vielfältige Fragen an die Zeichenhaftigkeit unserer Zeit stellt.
Auch Nasan Tur befasst sich mit der Wand als Zeichenträger, wie sie im urbanen Kontext insbesondere von Sprayern verstanden und genutzt wird. Zur gewaltigen Wandarbeit Turs, die mit ihrer vibrierenden Farbfläche zunächst an Werke der monochromen Malerei anzuknüpfen scheint, gehört ein Video, das den Entstehungsprozess der Arbeit dokumentiert. Sie zeigt wie Tur die Wandfläche langsam aber beständig mit einzelnen Sprüchen und Wörtern füllt, die er im Berliner Stadtbild gesammelt hat („Der Kampf geht weiter“, Keine Zeit. Nur Uhren“, „Penis“). Die etlichen Schriftzüge verdichten und überdecken sich schnell, wodurch sie sich zu einem Einheitsmuster steigern und die individuelle Aussage in der Masse verschwindet. Im Schaffen von Katharina Grosse spielt die Expansion der Farbe auf die Wand schon seit langer Zeit eine fundamentale Rolle.
Für ihr aktuelles Werk ließ sie drei mächtige Baumstämme samt Wurzeln in den Ausstellungsraum schaffen, die durch die für sie typischen Farbexplosionen mit der Wand verbunden werden. Die daraus resultierende, eindrückliche Ästhetik setzt sich zusammen aus brutalem Pathos und malerischer Schönheit.
Wie bereits erläutert bietet die Ausstellung Wall Works aufgrund des sehr allgemeinen Themas, einen musealen Einblick in unterschiedlichste Kunstentwicklungen der vergangenen 50 Jahre. An keinem anderen Ort in Berlin lässt sich dieser Teil der Kunstgeschichte in so imposanter Form nachvollziehen und verfolgen. Die Ausstellung wird damit für den Kritiker zu einer uneinnehmbaren Festung, deren Besuch allein schon aufgrund der prominenten Künstlerliste zu empfehlen ist.
Fabian Reifferscheidt
Wall Works
29. November 2013 – 31. August 2014
Hamburger Bahnhof, Berlin
u.a. mit Donald Judd, David Buren, Monica Bonvicini, Blinky Palermo, Imi Knoebel, Hanne Darboven, Sarah Morris, Günther Förg, Rosemarie Trockel, Katharina Grosse, Nasan Tur, Friederike Feldmann, Antonio Paucar, Bruce Nauman