Woran es liegt, daß man am besten erst bei Philara vorbei schaut, um nach diesem dürren Sommer einen Überblick zu gewinnen? Kurz gesagt: Weil es derzeit keinen heißeren Schuppen weit und breit gibt. Erstmal, die Lage ist perfekt, mittendrin im Flingernherz.
Ich meine nicht nur die Bahngleise hinten, die der ganzen Sache einen rauhen, auch mal kreischigen Charme geben. Da ist auch der Innenhof vorne, den Philara sich mit der Filmwerkstatt, der Wim Wenders Stiftung, dem Stefan Kürten Atelier und anderen Goldschätzen teilt. Da wären noch der Austritt an der Brombeerbahnböschung, die Dachterrassen und das fabelhafte „Glas Lennarz“. Der Name mag für ein Kaffee etwas eigenartig klingen, soll aber an die ehemalige Glasfabrik Lennarz erinnern, in der sich die Sammlung von Gil Bronner seit Juni 2016 eingerichtet hat, total urban auf alle Fälle. Ach so, da wäre auch noch die Kunst, um die es ja eigentlich geht.
Das Sommerloch hat Philara genutzt, um Remedur in allen Sälen zu schaffen und mit einer neuen Sonderausstellung aufzuwarten. Beides ist unterschiedlich gut gelungen. Zunächst zu „Somewhere Behind the Eyes“, der Einzelausstellung von Jose Dávila. Klar: Das passt wie die Faust aufs Auge. Also Dávila (Guadalajara, MX, 1974) – nicht José Davila der fantastische Jazzmusiker (Posaune, Tuba) – baut Skulpturen aus Glasscheiben, Steinbrocken und Sapanngurten. Aber so viel Lennarz-Reminiszenz kann auch schwer ins Auge gehen. Also gehe ich erst mal weiter bis ganz hinten durch. In allerhintersten Eck hängt ein Mobilé aus quadratischen Edelstahlrahmen von der Decke und dreht sich, wenn man es anstößt. „Hommage to the Square“, klaro: Dieser Dávila arbeitet sich unverblümt und ziemlich direkt an Größen wie Josef Albers (wer das Original bevorzugt, dem seien die beiden Albers-Ausstellungen in der Villa Hügel und im Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop empfohlen, bis 7. Okt.) ab. Auch Norbert Kricke, Fred Sandback, Richard Serra oder Eva Hesse lassen grüßen.
Dávila verwirbelt Arte Povera, Minimal– Concept Art und was auch immer. Die Frage stellt sich natürlich, was er außer Recycling und Fusion sonst noch drauf hat. Ich arbeite mich allmählich weiter nach vorne zum Eingang durch. Die Glasarbeiten sind der Hammer. Die Glasscheiben, mal schwarz getönt, mal verspiegelt, bringt er mit roten oder knallgelben Spanngurten in eine strenge Ordnung. Doch wird die schöne Ordnung gleich wieder aufgelöst, zerlegt in tausend sich spiegelnde Lichter, Räume und Fragmente. Auch die Besucher zerlegen sich vor diesen Glaswänden reihenweise. Aus der Spannung zwischen den Gewichten entstehen martialische Plastiken, die durch das transparente Industrieglas und die durch den Ausstellungsraum gespannten Gurte auch wieder leicht und sogar ein wenig elegant erscheinen. Hier drückt sich Dávilas Stärke vielleicht am besten aus, sein feines Gefühl für widerstrebende Materialien wie seine Fähigkeit, gegensätzlich wirkende Kräfte und Energien in eine Form zu bringen und so für einen ungewissen Moment lang zu bannen.
Das Schwere und das Leichte scheint überhaupt als roter Spanngurt um diese Philara-Herbst-Ausgabe zu taugen. Wobei das scheinbar Unschwere mit dem Allzuleichten auch schon mal in bedenkliche Kollisionen geraten kann. Aus den unerschöpflichen Pfründen der Sammlung-Philara, die wahrlich vielschichtig und unausgegoren ist wie alle wirklich guten Privatsammlungen eben den Vorlieben und Launen des Sammlers gehorchen, so etwas wie eine labil-stabil-spannende Ausstellung zu machen, ist auch eine Kunst. Dazu hat Gil Bronner Katharina Klang bestellt. Die beiden sind das Dream-Team von der Birkenstraße. Es ist schon erstaunlich, wie sicher die Beiden scharf an allen Moden vorbei einen Pas de deux quer durch die Halle legen, schräg zu allen Codes und Trends das unglaublichste Zeugs nach vorne holen und in schwindelerregenden Kombinationen in die Kabinette verwirbeln.
Dem Schwergewicht an Plastiken wollte man in der Halle und den sich anschließenden immerhin 16 Räumen Malerei entgegen setzen. Eine „malerische Umarmung“ sollte es werden. Bitteschön! Schon in der großen Eingangshalle sieht man sich an Malerei satt. Aus den Tiefen der Bronnerschen Sammlung kommen mit Rainer Fetting, Tal R, Matthias Bitzer, Andy Hope 1930, Gert und Uwe Tobias, Jonah Freeman und Justin Lowe allerhand Malerhelden der vorletzten Stunde zum Vorschein. Wenn da nicht Mie Olise wäre, die einzige Dame vor dieser Malermanschaft. Ihr heftiges Großformat, Butterfly, 550 Meter breit, 2,80 Meter hoch, läßt den Atem stocken, nicht allein wegen des schwindligen Kettenkarussell-Motivs. Ihre forsche Malart ist auch irgendwie durchgedreht.
Mie Olise Kjaerggard, 1974 in Dänemark geboren, ist zur Zeit beim Art Omi zu Gast, dem Artists Programm bei New York, das seinen Höhepunkt stets im sehr beliebten im Art Omi Weekend findet, wo die Öffentlichkeit eingeladen ist, die Studios zu besuchen, gemeinsam zu essen und Fragen an die Künstler zu stellen. Olise, die gerade in den USA gehiped wird – Samuel Freeman Gallery, Los Angeles, Barbara Davis Gallery, Houston, Texas, Y Gallery, New York richteten ihr letztes Jahr Einzelausstellungen aus, war schon 2013 mit der Soloschau DILAPIDATED CONSTRUCTIONS (baufällige Anlagen) bei Philara zu Gast. “Butterfly” war schon damals der Hit.
Bleiben wir mal kurz in Raum 1. Neun Positionen stoßen hier ungemach aufeinander – Rochelle Goldberg (1984 in Vancouver geboren) ist die jüngste, Jean Cocteau, 1889 in Paris geboren, die älteste, dazwischen Lena Hanke aus Warburg (1970) und Jankel Adler (1895 in Tuszyn geboren, eine Leihgabe aus der Slg. Dan Bronner), Keramikhelme von Mounir Fatmi, ein raumgreifendes Holzobjekt von Claudia Comte, C-Prints von Oscar Santilian und gleich vier Öl-Studien von Lukas Schmenger. Im angrenzenden Raum 3 geht es dann entspannter zu. Raimond Pettibon, 1957 in Tucson USA geboren, kann sich hier fast allein entfalten. Zu seiner Gesellschaft hat Klang ihm einen duftende Plastik von Terence Koh beigesellt und noch drei zartere Blätter von Jen Ray. In Raum 4 und 5 sind sehenswerte Solokabinette von Yuri Pattison aus Dublin und von Felix Schramm aus Düsseldorf eingerichtet. Schramm zeigt seinen verstörend-schönen Stavanger endlich wieder. Ach ja, immer wieder Malerei. Ein Farbrauschraum von Rosilene Luduvico und weniger rauschig von Julia Schmidt.
Fotografie von Jürgen Staack, Video von Julius von Bismarck, Gesprühtes von Jonas Maas, Nettes von Andreas Schmitten, Schauriges von FORT, Hartes von Charlottte Posenenske, Neonröhren von Yael Bartana, Aluminium von Luka Fineisen, das zieht sich durch Räume und Etagen, bis wir wieder im Glas Lennarz landen und uns wundern, wer wieder alles da ist aus dem Sommer der Dürre zurück und der Abwesenheit.
Redaktionelle Mitarbeit Benita Ortwein
bis 21.Okt.2018