Fußspuren in Flussdünenlandschaft, in der Eiszeit abgelagert und gipsartig konserviert, fanden jüngst ein Forscherteam im US-Bundesstaat New Mexico. Es sind Fußspuren von Menschen, die vor 21 000 bis 23 000 Jahren über amerikanischen Boden gelaufen sind. Sie stammen auffällig oft von Kindern oder Teenagern, schreiben die britischen Paläontologen. Womöglich deshalb, weil jüngere Mitglieder der Gemeinschaft vor allem mit Transportaufgaben betraut wurden, während Erwachsene komplexere Tätigkeiten übernommen haben.
Panama steht heute für Panama-Kanal, Panama-Papers und einen ausgewachsenen Bauboom. Das kleine Land zwischen Nord- und Südamerika, kleiner als Österreich, spielte allerdings eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Erde. Daran will das Land zwischen zwei Meeren und zwei Kontinenten jetzt mit dem Museo de la Biodiversidad erinnern.
Von Michael Marek und Sven Weniger
Spektakulärer könnte seine Lage nicht sein. Links die Skyline mit ihren gläsernen Bürotürmen aus Glas und Stahl im Finanzviertel. Davor die historische Altstadt mit ihren prachtvollen Kolonialbauten. Gegenüber die weite Pazifikbucht. Rechts hinter der Landzunge beginnt die berühmteste Wasserstraße der Welt. An dieser engen Stelle muss jedes Schiff vorbei, wenn es in den Panama-Kanal einlaufen will. Genau hier, am Amador Causeway, erhebt sich ein neues Bauwerk. Das Museo de la Biodiversidad widmet sich der einzigartigen Naturgeschichte Panamas und ist die einzige Arbeit des US-amerikanisch-kanadischen Architekten Frank O. Gehry (geb. 28. Februar 1929 in Toronto; eigentlich Frank Owen Goldberg) in Lateinamerika. Das “Museum der Artenvielfalt” ist bisher das einzige seiner Art weltweit.
Die lang gestreckte Form des Museums stelle eine “Brücke des Lebens” dar, erklärte Museumsdirektor Líder Sucre bei der vorläufigen Eröffnung 2014. Doch erst sechs Jahre später konnte das siebzig Millionen Dollar teure Prestigebauwerk fertiggestellt werden. „In Panama entstand vor fast drei Millionen Jahren die Verbindung zwischen Nord- und Südamerika”, erklärt Kuratorin Meera Sachanandani. „Vulkanismus und Plattentektonik ließen Land aus dem Meer aufsteigen, Inseln entstanden und wuchsen zusammen. Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten verbreiteten sich über diese Landbrücke von Nord nach Süd und umgekehrt. Diese Geschichte will das Museum von Frank Gehry erzählen”.
Seit 2020 erstrahlt das Museo de la Biodiversidad in seiner ganzen Pracht. Es ist ein Werk wie aus Kinderhand und sieht aus, als hätte man überdimensionale, knallig-bunte Spielzeugbaukötze ineinander verkeilt. Das Dach gleicht einem wilden Puzzle aus roten, grünen, gelben und blauen ineinander greifenden Flächen – und ist zweifellos der große Hingucker des Museums. „Im Dach erkennen manche Besucher Schmetterlinge, andere Bäume”, sagt Meera Sachanandani. „Tatsächlich stellen die Hauptträger einen Baumstamm dar, die Querträger die Äste. Die offene Dachkonstruktion ist also wie ein Blattwerk. Wenn es regnet, gibt es einen Effekt wie im Dschungel. Das Wasser fällt an einigen Stellen bis zum Boden, genau wie im Regenwald”. Das Atrium darunter, ein marktplatzgroßer, offener Raum, über den tropische Brisen vom Pazifik ziehen, ist Treffpunkt für Besucher aus aller Welt. Zugleich dient es als Übergang zu den beiden Ausstellungsgalerien. Und es ist die symbolische Klammer zwischen den zwei Meeren und den zwei Kontinenten, für die Panama steht.
Nachdem sich die Landbrücke gebildet hatte, nutzten Mensch und Tier die neue Verbindung zum sogenannten „Großen Amerikanischen Faunenaustausch. Neben Kleintieren überquerte eine Megafauna den neuen Isthmus: Riesenpferde, Mastodonten, Riesenlaufvögel. Lamas, Bären, Säbelzahnkatzen wanderten in den Süden; Riesenfaultiere, Gürteltiere, Ameisenbären in den Norden. Die Zuwanderer aus dem Norden waren dabei wesentlich erfolgreicher als umgekehrt. Einmal im tropischen Panama angekommen, fiel es ihnen leichter, sich an das Klima Südamerikas anzupassen als umgekehrt mit den kühleren, trockeneren Bedingungen klarzukommen. Etwa die Hälfte der heutigen Säugetierarten Südamerikas stammt aus dem Norden, nur ein Fünftel der Zuwanderer aus dem Süden setzte sich hingegen in Nordamerika durch. Die gesamte Megafauna wurde ausgerottet, meist durch den Menschen.
„Amerika war der letzte Kontinent, den Menschen besiedelten, vor fünfzehn bis zwanzigtausend Jahren”, erklärt die Kuratorin. Die Zuwanderung nach Panama war der Ursprung dessen, was heute in Panama die “große Diversität der Ethnien genannt werde: Es gibt Schwarze, Weiße, Asiaten, Europäer. Niemandem sieht man an, dass er Panamaer ist. Wir sind alle eine Mischung der Kulturen und Gene. Wir sind Teil von allem – wir sind eins!”
Eine Galerie unter dem Atrium heißt „Die Spur des Menschen. Sie beschreibt die ersten Nomaden, die nach Panama kamen, ihre Nahrung, ihre Werkzeuge, wie sie sich Tiere und Pflanzen zunutze machten. Für die Galerie zur menschlichen Besiedlung wurde eigens eine Musik aus Gesängen, Melodien und Instrumenten der Geschichte Panamas komponiert. Nach und nach verwebt sie sich mit den Stimmen der Besucher zu einem Klangteppich.
Als Panama aus dem Meer aufstieg
“Panama-Effekt” wird der Austausch von Flora und Fauna zwischen Nord- und Südamerika auch genannt. Er ist verantwortlich dafür, dass das kleine Land heute eine der größten Artenvielfalten weltweit beherbergt. In seinen Nebel- und Regenwäldern wachsen rund zehntausend tropische Pflanzenarten mit mehr als doppelt so vielen Baumarten wie im gesamten Nordamerika. Es gibt Jaguare, Nasenbären, Brüllaffen, über zweihundertfünfzig Säugetierarten, tausend verschiedene Orchideen. In der ungeheuren Pflanzenvielfalt wird nach neuen medizinischen Wirkstoffen gefahndet.
Doch diese Artenvielfalt ist auch stark gefährdet. An einer Wand hängen etwa neunzig Tafeln in Din A4-Größe in einer Farbfolge von grün bis schwarz. Oft gehen Besucher daran achtlos vorbei. Doch geben sie einen ebenso faszinierenden wie beunruhigenden Blick auf den Artenpool Panamas. Kuratorin Sachanandani: „Wir sehen hier Tafeln in verschiedenen Farben, jede steht für eine Tierart. Jeden Tag werden in Panama neue Arten entdeckt. Alle die hier sind noch namenlos. In den Farben wird ihr Status angezeigt. Und obwohl wir noch kaum etwas über sie wissen, sind einige schon vom Aussterben bedroht”.
Meeresfauna im Museum
Während sich der erste Teil des Biomuseums dem Leben auf dem Land widmet, beginnt der zweite mit den Meeren. Diese Hallen sind erst seit kurzem fertiggestellt und eröffnet worden. Die erste Galerie ist dunkel; aufregend sind hier vier riesige beleuchtete Aquarien, die die verschiedenen Ökosysteme vorstellen. Als Panama entstand, vereinigten sich nämlich nicht nur zwei Kontinente. Hier trennten sich auch Pazifik und Atlantik. Der Nährstoffgehalt der wärmeren Strömungen des Atlantiks nahm dadurch ab, die Fischwelt der Karibik wurde kleiner, bunter; Korallen entstanden. Der Pazifik dagegen kühlte ab und führte nun mehr Nahrung mit sich, die Meeresfauna wurde größer und stärker. All dies mit dramatischen Folgen für die gesamte Erde.
Es ist viel Einbildungskraft gefragt, sich die globalen Konsequenzen diese Teilung vorzustellen. Kalte und warme Meeresströmungen wurden umgeleitet, der Golfstrom, Europas Warmwasserheizung, drang bis in die Polregion vor, verdunstendes Wasser fiel als Schnee herab. Eiszeiten wurden in Gang gesetzt, die Arktis vergletscherte. Je weiter sich der Besucher auf die Details des Museums der Artenvielfalt einlässt, desto dramatischer wird er Zeuge des epochalen Klimawandels – ausgelöst durch eine an einigen Stellen nur fünfzig Kilometer breite Landbrücke.
„Es gibt eine Theorie, die sagt, dass alle Menschen Panamaer sind“, weiß Kuratorin Sachanandani. „Als nämlich Panama aus dem Meer aufstieg, wurden kalte Meeresströmungen nach Afrika umgeleitet, sie ließen dort Savannen entstehen. Dadurch gab es weniger Bäume, dem Urmenschen Australopithecus bliebt nichts anderes übrig als herabzusteigen und zu laufen beginnen.”
Netzwerk des Lebens
Der zweite Teil des Biomuseums versteht sich auch als pädagogische Spielwiese. Das kommt dem neuen Komplex zugute. Der Hauptsaal mit seinen riesigen Fensterflächen, die keine rechten Winkel kennen, stilisiert in knalligen Farben und abstrakten Formen Tiere und Pflanzen des Regenwalds. Schlangen, Eidechsen, Lianen winden sich von der Decke herab, in einer gewaltigen Feige folgt man dem Lebenszyklus stecknadelkopfgroßer Wespen. Hier treffen sich Kunst und Natur im “Netzwerk des Lebens”, wie die Galerie heißt. Es können virtuelle Vulkane bestiegen und Inseln entdeckt werden.
Den Machern wurde irgendwann klar: Touristen werden vor allem wegen der “Architektur“ kommen. Ob die spektakulären Architektur Frank O. Gehrys dem Thema Artenvielfalt auf die Sprünge hilft oder ihm den Wind aus den Segeln nimmt, bleibt abzuwarten. Ein “Bilbao-Effekt” steht für Panama durch den kolossalen Museumsbau nicht zu erwarten. Schon wird verstärkt in den Bildungseinrichtungen Panamas für das neue Biomuseum geworben, in Schulen und Universitäten. Man sehe ja, sagt die Kuratorin, wie viele Kinder hier ständig herumliefen. Etwa sechshunderttausend Besucher haben das Museum der Artenvielfalt seit Eröffnung besucht.
Park Der Artenvielfalt
Um der einmaligen Lage direkt am Pazifik Tribut zu zollen, wurde vor dem Gebäudekomplex ein “Park der Artenvielfalt” entworfen. Er sei, sagt Meera Sachanandani, sozusagen eine weitere Galerie. Hier kann man entdecken, wie das Leben seine Umgebung erobert. In einer Grotte „leben Kolibris, Echsen. Im Zentrum gibt es einen künstlichen Teich, es gibt Unmengen Libellen, Fische, Vögel, die wir hier beobachten können. Manchmal siedeln sich sogar Wildtiere aus der nahen Küstenregion hier an, Echsen zum Besispiel, so groß wie junge Krokodile. Dann müssen wir das Umweltministerium anrufen, sie abzuholen und umzusiedeln. Das Biomuseum ist ein Beweis dafür, dass man bauen kann, ohne zu zerstören.”
Das ist der Moment, sich auf eine der Bänke auf der Promenade zwischen Biomuseum und Ozean zu setzen, vielleicht die Augen zu schließen, alles Revue passieren zu lassen. Manchmal schwirrt dem Besucher der Kopf ob all der Dinge, die hier im kleinen Panama einst passierten und weltweit riesige Veränderungen bewirkten. Neue Genpools entstanden, alte Genpools trennten sich für immer; Klimawandel, Biodiversität, Migration. So mag es zwar die berauschende Architektur des Biomuseums sein, die Besucher zunächst in ihren Bann zieht. Viel fantastischer ist jedoch das, was drinnen erzählt wird. Und das sei, wie schon Direktor Líder Sucre bei der Eröffnung sagte, ganz im Sinne Gehrys. Der habe folgendes erklärt: Was immer im Museum zu sehen sein werde, der Inhalt müsse größer und wichtiger sein als das Gebäude selbst. Die Ausstellungen sollten die Besucher mehr beeindrucken als sein Gebäude. Panama habe eine großartige Geschichte zu erzählen, aber seine Auftraggeber müssten ihm beweisen, dass sie dazu in der Lage seien. Sie haben die Herausforderung angenommen.
Bedeutende Bauwerke von Frank O. Gehry
Neuer Zollhof im Düsseldorfer Medienhafen
Fondation Louis Vuitton, Paris
Pierre-Boulez-Saal der Barenboim-Said-Akademie in Berlin
Hauptgebäude LUMA Arles, Kunst- und Kulturcampus