Welche Wirklichkeit

Tata Ronkholz – Werkschau, Nachlassfragen

Schallplatten und Klamotten. Tata Ronkholz, Boutique, Köln-Mülheim, 1980, © VAN HAM Art Estate

Warum es fast 30 Jahre nach ihrem frühen Tod gedauert hat bis es zu einer ersten Retrospektive der Düsseldorfer Fotografin Tata Ronkholz (1940-1997) kommen konnte, liegt an der schwierigen Ausgangslage des hinterlassenen Werks und der bis heute ungeklärten Provenienzen.

So ist es überhaupt ein Glück, dass nun große Teile des fotografischen Werks und darüber hinaus erstmals Möbelentwürfe der „Photographin und Produktdesignerin“ in zwei umfassenden Ausstellungen gleichzeitig in Köln gezeigt werden. Eine Würdigung, die weiß Gott nicht allen Fotografen und Fotografinnen zuteilwird. 

Der Werdegang von Tata Ronkholz ist allzu ungewöhnlich, zuletzt tragisch, ihr Nachlass weithin ungesichert und verstreut, so dass eine Bearbeitung und Wertschätzung lange ausblieb. Offenbar hat Ronkholz selbst ihrem künstlerischen Werk wenig Wert beigemessen, ein Testament hat sie, die einsam und kinderlos starb, nicht hinterlassen. Ein Werkverzeichnis oder eine Nachlassregelung hat sie nicht auf den Weg gebracht.

Ihr Leben als Fotografin hatte Tata Ronmkholz bereits mit ihrem Austritt aus der Becher-Klasse 1984/5 beendet, also zwölf Jahre vor ihrem Tod. Als sie im Frühjahr 1997 stirbt ist sie als Fotografin fast vergessen.

Eine Nachbarin, die zufällig auf üblen Geruch im Haus in Kendenich (Rhein-Erft-Kreis) stieß, rief Freunde und Bekannte an. Da lag Ronkholz schon tagelang tot in ihrer leeren Wohnung. Nur ihre Katze strich noch herum. Ein Polizeibericht fehlt. Kein Wunder, dass sich Grüchte verbreiten. So wird erzählt, dass große Teile ihres fotografischen Werks damals still und heimlich verschwanden. Und erst Jahre später peu a peu wieder auftauchten, mal in abseitsgelegenen Galerien, mal am Straßenrand, mal gar nicht. Bis heute weiß niemand genau, wie viele ihrer Werke noch in irgendwelchen Kellern oder Lägern verschwunden sind. 

Wie viele der heute hoch geschätzen Fotoarbeiten (Handabzüge, Negative, etc.) es zur Zeit ihres Todes noch gab? Wer sie wo und wann in Verwarung nahm? Wie sie in den Besitz von wem gelangten? lauten einige der offenen Fragen.

Soweit wir wissen gibt es mindestens zwei dubiose Quellen, aus denen sich speist, was wir heute als ihren Nachlass kennen. Da taucht 2000 auf einmal am Straßenrand im rechtsrheinischen Köln eine große Ansammlung von Papaierabzügen auf. Ein Unbekannter hat sie dort, so darf vermutet werden, dem Sperrmüll übergeben. Bloß wer ist dieser Unbekannte? Und was geschah mit dem Fund?

Knapp ein Jahr später bietet Malke Troppenz, Tochter von Ronkholz´ ehemaligen Lebensgefährten Ulrich Lodholz, in einem Wäschekorb eine andere Ansammlung dem Kölner Auktionshaus Van Ham zum Kauf an. Die erste Übersichtsschau nach Ronkholz Tod kommt bereits Ende 2001 bei Van Ham unter der Regie von Anne Ganteführer-Trier zustande. Neben sämtlichen Werkgruppen sollen auch Designobjekte gezeigt werden, was scheitert, weil Lodholz das Urhberrecht an den Ronkholz-Entwürfen beansprucht.

Jahre später tauchen weitere Ronkholz-Fotos auf dem Kunstmarkt auf, versehen mit einem eigenen Nachlassstempel. Woher stammen diese? Das Ehepaar Troppenz hatte sich getrennt. Gut möglich, dass auch die Ronkholz-Fotos getrennt wurden. Jörg Troppenz jedenfalls belieferte wohl das Auktionshaus Lempertz mit Ronkholz-Fotos und 2017 eine Ausstellungen in Galerien, darunter in der Galerie Schröder und Dörr in Bergisch-Gladbach. Auch aus diesem Nachlass kaufte später der Van Ham Art Estate. Seitdem gilt Troppenz als unbekannt verzogen. Wie viele Werke sich noch in seinem Besitz befinden ist eine weitere offene Fragen.  

Der Weg in die Becher-Klasse

Tata Ronkholz 1988 in einem selbst entworfenen Polstermöbel. Foto: Arno Jansen

Als Roswitha Tölle wird sie als Tochter eines Architekten und einer Pianistin im Dezember 1940 in Krefeld-Bockum geboren. In Krefeld lernt sie auch ihren späteren Ehemann, den Grafiker Coco Ronkholz kennen und nennt sich fortan Tata. Das Paar Coco und Tata siedelt nach Düsseldorf-Oberkassel über, wo gleich um die Ecke Joseph Beuys sein Atelier unterhält.  

Als Bernd Becher 1976 an die Kunstakademie Düsseldorf berufen wird, ist das die erste Professur für Fotografie an einer Kunstakademie. Fotografie und Kunst gehen über die Konzeptkunst eine seitdem untrennbare Verbindung ein. Tata Ronkholz, die zuvor ein Studium an der Werkkunstschule Krefeld, Abteilung Architektur (Möbel), Beschäftigungen als Produktdesignerin, u.a. in Zusammenarbeit mit Adolf Luther in Krefeld und der Firma habit in Leverkusen absolvierte, wird 1978 in die Becher-Klasse aufgenommen. Sie zählt mit Volker Döhne, Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth und Petra Wunderlich zu den ersten Becher-Schülern. Ronkholz ist mit 38 Jahren ist älteste unter den Studenten.   

Bechers Lehre war geprägt von einer starken Trennung von Auftragsarbeiten und der eigentlichen künstlerischen Arbeit. Auch eine deutliche Abgrenzung von der subjektiven und bildjournalistischen Fotografie war ihm wichtig. Bei Becher gab es weder eine fotografische noch eine inhaltliche Schulung. Nur die bedingungslose Identifikation mit der Arbeit der beiden Bechers schuf für die Studierenden eine Atmosphäre fotografischer Kreativität. Eine konsequente und ernsthafte künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorgegebenen Thema, das die Studierenden durchdeklinieren sollten, war Grundbedingung. Andreas Gursky erinnert sich: „Er hat einen radikalen Umbruch eingeleitet. In Essen waren wir bemüht, die Realität entfremdet, surreal, komisch und bizarr wiederzugeben. Becher hat diesen Weg komplett korrigiert, indem er gesagt hat: Die Wirklichkeit zu studieren ist viel interessanter als die Wirklichkeit neu zu erfinden“.

Aus der Serie Trinkhallen, Gelantinesilberabzug, von der Künstlerin nummeriert und bezeichnet, mit Nachlassstempel von Unbekannt

Tata Ronkholz folgt der Becher Linie, indem sie sich nacheinander dezidiert zwei Themen der „Wirklichkeit“ widmet: den Trinkhallen und den Werkstoren. Später kommt noch, zusammen mit ihrem Mitstudenten Thomas Struth, die Auftragsarbeit Düsseldorfer Rheinhafen hinzu. Was Wirklichkeit ist, wusste Becher, knapp vor dem Aufkommen der digitalen Welt in der Fotografie, mit bewundernswerter Gewissheit. Es war die „rauhe Wirklichkeit“, die Industrieanlagen, die Welt der einfachen Leute, der graue Alltag. Die Themen werden meist von Bernd Becher vorgegeben oder vorgeschlagen, die Ergebnisse in der Klasse gezeigt und besprochen. Die Becher-Klasse, auch die Werkstatt samt Dunkelkammer, Entwicklungsgeräten etc. hat ihren Sitz im Hinterhof der Karl-Anton-Straße. Das Ausweichquartier ist bis 1989 in Betrieb.

Da hatte Tata Ronkholz die Klasse längst wieder verlassen. Nach Abschluss ihrer Akademiezeit Anfang 1985 wird Ronkholz ihr fotokünstlerisches Werk nicht fortsetzen. Bis zu ihrem Tod 1997 wird sie keine Fotoserie, kein einziges Foto mit diesem Anspruch und in diesem Format (Großbildkamera 13 x 18)mehr schaffen. Sie zieht nach Köln und arbeitet mit ihrem neuen Lebensgefährten, Ulrich Lodholz, für dessen Firma habit, später, nach der Trennung von Lodholz, für eine Fotoagentur Jürgens Ost + Europa-Photo.

Stau, Baustelle, Finderglück

Eine andere Wirklichkeit führt Mitte 2000, der Tag ist nicht näher bekannt, auf die Spur von Tata Ronkholz. Auf der A3, Richtung Köln, kommt es zum Stau: Baustelle. Also runter von der Autobahn, weiter auf dem Schleichweg Richtung Zoobrücke. Da nimmt der Fahrer aus dem Seitenfenster irgendwo in den Untiefen des rechtsrheinischen Köln Pappkartons wahr. Auf einem Wiesenstreifen liegen da am Straßenrand, erinnert er sich später, stapelweise, haufenweise orangerote Fotoschachteln. Der Fahrer hat ein geübtes Auge, er ist Kaufmann und sammelt Kunst. Also hält er an und steigt aus. Die Kartons sind offenbar von Agfa und Kodak. Er ist auf dem Weg zur Arbeit und hat entsprechend wenig Zeit. Er zögert nicht lange. Was er da am Straaßenrand findet, Haushaltsauflösung oder Sperrmüll, lädt er in seinen Kombi und fährt los. Wieder Zuhause öffnet er den vollbepackten Wagen und wundert sich. Es sind an die 600 Papierabzüge, noch mehr Negative, auch viele Streifenabzüge, dazu eine Reihe vollgestopfter Aktenordner. Von wem? Bei Fotografie kennt sich der Sammler, der nicht gerne genannt werden möchte, nicht so gut aus. Also liefert er im gleichen Jahr testweise fünf der Papierabzüge beim Kölner Auktionshaus Van Ham ein, untere Taxe 3200 Mark, um sie auf der Auktion gleich zurückzukaufen. Jetzt ist er sicher: Was er am Straßenrand aufgelesen hat ist der Nachlass von Tata Ronkholz.

Die SK-Stiftung in Köln wiederum durfte sich 2006 über Zuwachs ihrer Fotosammlung freuen. Die Töchter des Kölner Rechtsanwalts und Kunstsammlers Kurt Bartenbach (CBH Rechtsanwälte) schenkten ihr ein Konvolut Ronkholz-Fotos. Bartenbach war auch Rechtsbeistand des Ehepaars Troppenz. Vom Nachlasspfleger erhielt er 2004 eine Bestätigung über den Ankauf eines nicht näher bezeichneten Fotokonvoluts durch das Ehepaar Ttroppenz. Gabriele Conrath-Scholl, seit 2007 Leiterin der Photographischen Sammlung / SK Stiftung Kultur, ist auch Kuratorin der Ronkholz Retrospektive. 

Wirklichkeiten – Widrigkeiten  

Der Finder vom Straßenrand wiederum lässt sich mit dem Satz zitieren. „Dann ging der ganze Zirkus los.“ Damit meint er die juristische Auseinandersetzung um seinen Fund, die Nachlass- und Urheberrechte, den andauernden Streit mit anderen Ronkholz-Nachlässen, die alle in Köln verbleiben. Er trennte sich von den allermeisten seiner Fundstücke bald wieder, beschenkte Museen in Düsseldorf, Wuppertal, Mühlheim, Halle und Kleve, aber nicht in Köln. Auch reichte er bei der Berliner Fotogalerie Kicken ein. Diese verkaufte Ronkholz u.a. an das Guggenheim Museum in New York. Auf der Art Düsseldorf erscheinen zuletzt bei der Galerien Thomas Zander Ronkholz-Fotos für 6000 bis 7500 Euro pro Abzug zum Verkauf. Woher stammen denn diese?   

Schon 1981 war es zum einzigen Verkauf zu Lebzeiten von Ronkholz gekommen: Das Stadtmuseum Düsseldorf erwarb für seine Fotosammlung ein Konvolut der Auftragsarbeit „Rheinhafen Düsseldorf“ an, wohl aus stadthistorischen Gründen. Die Speichergebäude im alten Rheinhafen standen vor dem Abriss, also gab die Stadt dem Foto-Studenten der Kunstakademie Thomas Struth den Auftrag, das Hafengelände fotografisch zu dokumentieren. Struth zog später Ronkholz hinzu.

Tata Ronkholz, Aus der Serie „Rheinhafen Düsseldorf“, 1979–1981, © VAN HAM Art Estate

Alles Kunst?

Um den künstlerischen Wert der studentischen Fotoarbeiten wird bis heute gestritten. Ab wann gelten studentische Arbeiten als Kunstwerke? Die aktuelle Retrospektive weist nicht aus, ob es sich um studentische, freie künstlerische oder um Auftragsarbeiten handelt. Erst aus dem Katalog ergibt sich, dass Tata Ronkholz ihre fotokünstlerische Laufbahn im Januar 1985 mit dem Abschluss an der Akademie aufgab und bis zu ihrem Lebensende bei ihrer Entscheidung blieb. 

Erst der Van Ham Art Estate brachte Schwung in die Aufarbeitung des Werkes von Tata Ronkholz. Ohne dieses Auktionshaus keine Retrospektive, kein umfassender Katalog (Schirmer/Mosel), auch keine gezielte Vermarktung (van Ham, Thomas Zander). Auch keine „offizielle Webseite“ und keine wissenschaftliche Aufarbeitung des Oeuvres. 2018 wurde unter der Leiterin des Van Ham Art Estates, Renate Goldmann, das „Tata Ronkholz Komitee zur wissenschaftlichen Begleitung des Nachlasses“ gegründet. Spätestens seit Beltracchi weiß man in Köln wie wichtig für ein Werk die Expertise ist. Namhafte Fotoexperten wie Gabriele Conrath-Scholl, Stefan Gronert und Barbara Hofmann-Johnson wurden gewonnen. Ein erstes Ergebnis der wissenschaftlichen Begleitung ist gewiss die Kölner Retrospektive. Damit lehnt sich die wissenschaftliche Forschung eng an den Kölner Kunsthandel an. Dieser erhebt dafür Alleinvertretungsanspruch. Im Katalog zur Retrospektive wird nur ein Nachlass aufgeführt, der von Van Ham.


Hinweis

Tata Ronkholz: Gestaltete Welt. Eine Retrospektive
Eine Ausstellung der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Zusammenarbeit mit Van Ham Art Estate und dem Stadtmuseum Düsseldorf
bis 13. Juli 2025
Im Mediapark 7, 50670 Köln
Der Katalog mit klugen Texten u.a. von Gabriele Conrath-Scholl, Stefan Gronert, Clemens Scheuermann und Barbara Hofmann-Johnson (im Verlag Schirmer Mosel) ist besonders empfehlenswert.

Trinkhallen
bis 22. August 2025
Galerie Thomas Zander, Schönhauser Str. 8, 50968 Köln
Der Katalog (Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln) mit einem Essay von Andreas Rossmann ist schon jetzt ein Sammlerstück. Der Katalog bildet über 100 Trinkhallen ab.

Klassenverhältnisse. Lehrende, Lernende, Künstler:innen
bis 21. September 2025
Kunsthaus NRW, Kornelimünster, Abteigarten 6, 52076 Aachen

Stadtmuseum Düsseldorf, Matinee “TATA RONKHOLZ – Leben und Werk der Photographin und Produktdesignerin”

Sonntag, 25. Mai 2025, von 11 bis 12.30 Uhr, Berger Allee 2, Düsseldorf

Mit Impulsvorträgen von:
Claudia Schubert: Zur Biografie von Tata Ronkholz
Julia Reich: Tata Ronkholz: Produktdesignerin und Innenarchitektin
Gabriele Conrath-Scholl: Die photographischen Werkreihen von Tata Ronkholz im Überblick
Cennet Maggiarosa M.A.: Rheinhafen Düsseldorf, ein Gemeinschaftsprojekt mit Thomas Struth
Dr. Renate Goldmann: Der künstlerische Nachlass Tata Ronkholz im VAN HAM Art Estate

Ohne Ronkholz

Typologien: Photography in 20th-Century Germany
Fondazione Prada in Mailand
Die umfassende Ausstellung wird von Susanne Pfeffer kuratiert und präsentiert mehr als 600 Fotografien von 25 Fotografen, sowohl etablierten als auch weniger bekannten
bis 14. Juli 2025

Axel Hütte – Stille Weiten
bis 15. Juni 2025
Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Hans-Arp-Allee 1, 53424 Remagen


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