Im “Garten der Gerechten” reifen die Goldorangen unter NetzenDie Manifesta ist auch nicht mehr, was sie einmal war. Vor Jahren ist sie schon einmal in einer ausgedienten Zeche im Belgischen Kohlerevier Genk untergekommen, dann in der Eremitage von St. Petersburg, zuletzt ist sie im gepflegten Zürich baden gegangen. Jetzt ist diese durch Europa nomadisierende Biennale in Palermo angekommen, am äußersten Rand Europas. Ach, Palermo!
Keine Stadt kennt sich wohl besser mit den Wechselfällen und Verwerfungen der Geschichte, den Naturkatastrophen wie mit den wechselnden Eroberern und deren Kulturen aus. Alle haben ihre Spuren ins Stadtbild eingegraben, das sich heute tief zerfurcht und doch wunderschön gealtert zeigt. Palermo ist zum Weltkulturerbe der Menschheit geworden. Doch bringen die täglich neu anlandenden Flüchtlingsboote aus Afrika die italienische wie die europäische Politik an den Rand des Zerreißens. Wo sonst, wenn nicht in Palermo wäre ein Rat, wäre Hoffnung zu finden.
Palermo war immer schon Grenzstadt und liegt im Schnittpunkt dreier Kontinente. Aber nichts will diese Stadt weniger sein als ein Schmelztiegel. Stolz zeigt sie sich als eine europàische Metropole. Nirgends zuvor ist eine Manifesta von einer Stadt mehr angenommen worden. Keine Stadt zuvor hat sich der europàischn Wander-Biennale auf der Suche nach Überleben weiter geöffnet als Palermo, diese selbst beduertige, von Krisen heimgesuchte Hauptstadt Siziliens.
Nein, diese 12. Ausgabe der Manifesta will keine Kunstausstellung mehr sein. Keine weitere Talenteschau, keine Startrampe für die nächsten Shootingstars. Das hat sie gemeinsam mit vielen Biennalen und auch der letzten Dokumenta. Die Manifesta 12 will tiefer und intensiver in die Stadt und die Stadtplanung, in die Entwicklung von Problemgebieten und Dauerbaustellen einwirken, als das eine Kunstausstellung je könnte. Also siedelte sie sich mit ihrem Zentrum /Theatro Garibaldi) in der von den Bomben des 2. Weltkriegs (Landung der Alliierten in Sizilien1943) schwer gezeichneten Altstadt an.
Wenn keine Kunstausstellung – was dann? Es ist eine Arbeits-Manifesta geworden, ein Parcours der gutgemeinten Projekte und eindruecklichen Schreckensbilder. So muss man sich diese Projektmaschine schwer erarbeiten. Aus dem Sightseeing und der Schnitzeljagd wird schnell ein Intensivkurs für Fortgeschrittene. Bloß keine Bange. Es ist eine überaus lohnende, überaus erhellende Manifesta geworden.
Und sie ist politisch. Es ist die politischste Manifesta überhaupt. Doch was bliebe sonst, bei Lage der Dinge? Zumal in Palermo, der Stadt der Grenzerfahrungen und gesteigerten Grenzwertigkeiten. Das macht die Sache anstrengend und bisweilen ergibt sich ein zwiespältiges Erlebnis. Wenn man nach längeren Irrwegen einen wundervollen barocken Innenhof betritt und dort auf eine einsame Telefonzelle stößt. Die Berliner Künstler-Cooperative Peng! hat sie dort aufgestellt. Von dort wird man mit einem Spion in der Welt draußen verbunden. Kein Spaß.
Palermos charismatischer Bürgermeister Leonluca Orlando hat zahlreiche, seit Jahr und Tag verschlossene Baustellen, Palazzi, Kirchen, Archive geöffnet. Schon das allein lohnte die Reise. Die vier gleichberechtigten Kuratoren, die die Manifestagründerin Hedwig Fijen berufen hat – Bregtje van der Haak, Andrés Jaque, Ippolito Pestellini Laparelli und Mirjam Varadinis – haben auf die großen Kulturinstitute der Stadt ebenso verzichtet wie auf große Namen der Kunstwelt. Stattdessen haben sie dem Leitthema – ”The Planetary Garden: Cultivating Coexistence” – entsprechend die ausgewählten Projekte und Arbeiten so in die über die Altstadt und beinah das gesamte Stadtgebiet verstreuten “Venues” eingearbeitet, dass sie sich gegenseitig verstärken und alles andere als beliebig wirken
Grundlegend ist der “Palermo-Atlas”, den der Architekt Laparelli entwickelt hat, kein weiterer Master-Plan für Palermo. Vielmehr ein detaillierter Ideenfundus für neuralgische Punkte der Stadt. Von denen gibt es zahlreiche. Aber Laparelli, in Palermo geboren und groß geworden, weiß zu gut wie arm, wie bedürftig die Stadt ist. So ist denn Bescheidenheit und sogar eine gewisse Demut vor den Aufgaben der uralten Stadt eines der Kennzeichen dieser Manisfesta. Und das steht ihr gut. Nicht Rem Koolhaas oder sein OMA in Rotterdam sind hier die Hohepriester des Stadtumbaus. Laparelli, Partner des OMA, kennt 200 Masterpläne, die es für Palermo schon gibt. Allesamt landeten sie in der Schulblade. Welchen Anteil Koolhaas an der Manifesta hat? -”Zero”. Ob er die Manifesta überhaupt besuchen wird? – Achselzucken. Prominenz ist ohnehin nicht zu erwarten. Dem üblichen Kunstadel aus Sammlern, Kuratoren, Kuenstlern und ihren Galeristen begegnete man hier ausnahmsweise nicht. Wie erfrischend. Die Einwohner Palermos und wenige auswärtige Kunstpilger nehmen dagegen rege Anteil.
Diese Manifesta setzt auf der Arbeitsebene an. Nun sind Wortbilder wie “Planetarischer Garten” oder “Das Zusammenleben aufziehen” wohlfeile, etwas abgegriffene Geschichten. Doch fassen sie ganz gut die beiden eng verbundenen Systeme zusammen, um die es aktuell geht: die Natur und das Zusammenleben der Menschen. Beides erleben wir als labil, sogar äußerst gefährdet.
Im Palazzo Forcella De Seat, beispielsweise, einem verfallenen Zollgebaeude am Ufer, das schon immer die Grenze vom Mittelmeer zur Stadt markierte, sind solche künstlerischen Projekte versammelt, die Themen wie Ausgrenzung, Rassismus, Sklaverei, Flucht und Migration vor Augen führen. Zumal in dokumentarischen Videoarbeiten. Was zweifellos eindrucksvoll und instruktiv ist, auf Dauer jedoch ermüdet. Selbst eine neue Arbeit des Algerisch-Französischen Künstlers Kadar Attia geht hier beinahe unter. Was bedauerlich ist, greift sie doch aktuelle Fragen nach der Rolle von Macht in den Strömen des Austausches von Waren und Menschen auf. Wie Attia zeigen Künstler ihre Arbeiten, 35 wurden eigens für die Manifesta entwickelt, an mehreren Orten. Attia auch im Palazzo Ajuntamicristo, wo der “Out of Control Room” eingerichtet wurde, wo die weltweit sich ausbreitenden, unsichtbaren, unkontrollierbaren Netzwerke thematisiert werden. Die “Garden of Flowers” Sektion hat sich den Botanischen Garten mit all seinen historischen Gebäuden und Treibhäusern zur Spielwiese genommen. Auch hier versuchen die Künstler mit harten Themen einzugreifen, doch wird dieser alte Garten, den schon Goethe bewunderte, selbst zu einem unüberbietbaren Beispiel für die Coexistenz, das Zusammenwachsen höchst unterschiedlicher Pflanzen aus fernen Ländern und fremden Regionen. Die ambitionierte Kunst zwischen den Baumwollbäumen und Papageienblumen stört hier nicht weiter.
So kann die Rauminstallation von Cristina Lucas im Haus der Kriegsversehrten die größte Wirkung entfalten. Sie greift den Menschheitstraum vom Fliegen auf und zeigt in einer Drei-Kanal-Videoinstallation, wie sich dieser Traum flugs in den Horror unserer Tage verkehrt. Seit dem Jahr 1912, als das italienische Militär erstmals Bomben aus der Luft abwarf, listet Lucas für jeden Tag bis heute Bombenangriffe auf Ziele in aller Welt auf, bei denen zivile Opfer zu beklagen sind. Eine erschreckende Bilanz. Sechs Jahre Recherche waren allein für diese Arbeit nötig. Es steht zu befürchten, dass ein Ende nicht in Sicht ist.
Bei allem Vernetzen und Verbinden, bei allen aufschreckenden Zusammenhängen und verstörenden Hintergründen, die die Künstler hier schonungslos aufdecken, versinkt diese Manifesta nicht im politisch Vordergründigen, noch im belehrend Moralischen. Sie wirkt insgesamt wie ein Aufschrei der Hoffnung.
Ein Anfang wird im Z.E.N. (Zona Espansione Nord) gesucht, der berüchtigten Trabantenstadt im Norden Palermos, nur eine halbe Stunde Busfahrt vom Stadtzentrum entfernt. Hier, wo sich die Trostlosigkeit und der Plastikabfall eingenistet haben, hat die Gruppe Coloco um den französischen Gartentheoretiker Gilles Clément (Third Landscape) einen Versuch gestartet, eine Schutthalde in einen Garten umzuwandeln. Aber nur so weit und nur so lange, wie die Anwohner das Vorhaben mit tragen und selbst in die Hand nehmen werden. Die Gaertner sind hier mehr Mediatoren und Sozialarbeiter als Gartenkuenstler. Wie mühsam Veränderung ist, lässt sich wohl nirgends eindrucksvoller erkennen als hier.
Der Etat der Manifesta 12 beläuft sich auf ca. 3 Millionen Euro.
Die Manifesta 13 findet 2020 in der franzoeischen Hafenstadt Marseille statt.
Redaktionelle Mitarbeit Benita Ortwein