Am Ende der Merkel-Moderne. Eine Malerei-Ausstellung begibt sich auf die Suche nach dem „Geheimnis der Dinge“

Neumanns Erzählungen

Geheimnis oder Wunde? Ding oder Unding? Gegenstand oder Geste? –        Pflaster 2013 von Cornelius Völker

Wie geht’s der Malerei? – Ach so, da war doch mal was! Diese Malereiraserei, Riesenleinwände, augenbetäubende Malschwemme, heftig, fettig, marktgerecht. – Angstblüte kurz vor dem Absterben, selbstverliebter Sirenengesang vor dem endgültigen Untergang im digitalen Weltmeer. Und jetzt: „Geheimnis der Dinge. Malstücke“, ausgerechnet in einer Galerie, ausgerechnet in Düsseldorf.

Eigentlich kein schlechter Ort, wo zur Zeit „die digitale“ unübersehbar auftrumpft und, ach ja, eine Kunstakademie steht, die sich immer noch als „Malerakademie“ feiert. Auf diesem alt-Parnass finden sich nun 50 Künstlerinnen und Künstler versammelt, um, ja was wohl? „die Malerei zu feiern“. Na Bravo!

Aufstand auf Leinwand? Großes Halali der post-post- oder schon metamodernen Malerei? Oder was sonst könnte der Reiz, der Gewinn einer solchen Versammlung sein? Bietet der Malerreigen wirklich ein Mittel gegen unsere mentale Unterzuckerung oder vielmehr Unterkühlung bei so viel konzeptueller und digitaler Coolness? Will dieser Malstücke-Parcours wirklich unsere Sehnsucht nach den Geheimnissen der Dinge stillen? Oder Geister und Gespenster wecken, die wir nun wirklich nicht mehr brauchen?

Das wären die alten Fragen. Und die neuen? – Steinbruch-Moderne, Meta-Moderne oder End-Moderne war gestern. Die Malerei heute hat sich gelöst von Erkenntnis, Wahrheit, Fortschritt und damit von den Verheißungen der Moderne auf Weltverbesserung. Sehen wir also hier im Kleinen (Format) einen Schimmer an Hoffnung, befreit von politisch-weltanschaulichen Ambitionen, sehen wir den Beginn einer neuen Poetisierung der ernüchterten Welt durch Malerei? Nicht mehr „aktuell“, also auch nicht mehr modern will diese Malerei sein, sondern ganz sie selbst: Poepittura.

Die stolze Auswahl hat Hartmut Neumann getroffen, ein Malermaler, 1954 in Delmenhorst geboren, schon 1987 stellt er in der berühmten Galerie Der Spiegel aus und lebt seitdem im rheinischen Malerland. Seit 1992 bekleidet er zudem eine Malereiprofessur in Braunschweig. Das nennt man Karriere und weist doch auf ein Problem hin: Ist die Malerei akademisch geworden? Die Maler als verbeamtete Staatsdiener brav und folgsam? Neumann weist das weit von sich:
„Was wir heute an den Akademien sehen, bei den Rundgängen wie bei den Abschlüssen sind Videos, Installationen, Videos, vor allem viel Blink-Blink. Das ist der neue Akademismus“. Also deshalb: Malerei als neuer Anti-Akademismus? Neumanns Erzählung geht anders:
Es geht um „die Verwandlung des Gegenstands in Malerei. Die Suche des Künstlers, das Geheimnis der Vielschichtigkeit der Dinge zu finden. Malerei als Emontionskonzentrat: manchmal reicht ein Tropfen!“ – Also geht es um Homöopathie. Daher auch die Besinnung auf kleine Formate, handliche Malstücke. Da ist man doch dankbar, nicht wieder mit Brachialmalerei in Kinoleinwandgröße traktiert zu werden.

Bei der Auswahl geht es auch um greifbare Dinge, „die Dinglichkeit. Dinglichkeit: von der Gegenständlichkeit bis zur Abstraktion“. Und es geht um die Verwandlung des Gegenstands in Malerei. Also um das Erzthema der Erzkunst Malerei überhaupt. Es geht um die Malerei, um Verwandlung, um jene gelungene Täuschung, die wir uns angewöhnt haben Kunst zu nennen.
Zu Beginn der Neuzeit, im Quattrocento schon, haben die Florentiner Maler die Eigenschaft der bildlichen Vorstellung in einer besonderen cellula phantastica verortet. In dieser besonderen Hirnkammer sollte auch die Kraft des Urteils über die wahrgenommenen Bilder zu Hause sein. So kommt etwa der Maler Cennino Cennini in seinem Kunstbuch zu einer furchtlosen Sicht der Vorstellungskraft: Phantasia ist bei ihm nicht das, was sich allein im Kopf abspielt und zur bildhaften Vorstellung wird. Es sei nötig, Geschicklichkeit und Vorstellungskraft zu haben, um nie gesehene Dinge zu erfinden. Also braucht es eine geübte Hand und einen wachen Kopf dazu. Bei der Kunst drehe es sich darum, die nie gesehenen Dinge „als einen Schatten der natürlichen Dinge zu jagen“ und mit der Hand festzuhalten.

Leon Battista Alberti rühmt in seinem Malereitraktat Della pittura darum auch die invenzione, die Erfindung als wesentliche Tat des Malers. Solche schönen Bilderfindungen locken allerdings eine scheue, ebenso verführerische wie mörderische Dame an: die Phantasie – beschwingte Traumhelferin, wie machtgierige Guerillera. Bilder wie Worte schicken die Phantasie auf Reisen. An dieser Stelle sei der Katalog zur Ausstellung dringend empfohlen: Lesen lohnt sich.

Was wäre die Dinglichkeit auch ohne jene invenzione wert, ohne göttlichen Furor beim Maler wie beim Betrachter? Da geht es wie mit der Homöopathie. Auch sie hilft nur, wenn man daran glaubt. Ein wissenschaftlich anerkannter Nachweis über ihre Wirksamkeit konnte nicht erbracht werden.

Ein wundervoller Reigen an gegenständlicher Malerei entspannt sich in den Räumen links und rechts der Bilker Straße. Von August Macke, der gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs in der Champagne fiel, zu Katharina Schilling, die 1984 in Köln geboren wurde und heute in Leipzig lebt (wenn man es chronologisch nimmt); von Thomas Arnolds aus Geilenkirchen (das Leopold-Hoesch-Museum Düren zeigt ab 9. Dezember seine ersten Museumsausstellung) zu Stefan á Wengen aus Basel (wenn man es alphabetisch sieht). Dazwischen und überdies ein Aufgebot an Malern, dem Künstlerkurator Neumann malerisch nahestehend wie persönlich vertraut. Vorbilder, Weggefährten, Mitstreiter, His Masters Choice. Urväter wie Max Ernst, Jean Fautrier, Bruno Goller, Gerhard Hoehme, Konrad Klapheck, Dieter Krieg und Norbert Tadeusz (dem 2020 eine große Retrospektive im Kunstpalast gewidmet wird) finden sich ebenso versammelt, wie Generationsgenossen, Einzelgänger wie Sonderposten: Leiko Ikemura, Martin Assig, Tim Berresheim,Thomas Huber, Heribert C. Ottersbach, Karin Kneffel, Andreas Schulze, Norbert Schwontkowski, Olav Christopher Jenssen oder Roland Schappert. Ein farbiges Breitbandpanorama und doch auch eine intime Sehschule, eine seltene und besondere Gelegenheit zur Bildbetrachtung, bei der sich Bild um Bild ein Dialog entspinnt, einerseits zwischen der besonderen Sicht des Malers Neumann und dem ausgestellten Werk, andererseits unter den Malstücken der Künstler und Künstlerinnen. Man bekommt sie wieder, die Lust am Bild, die Freude am Schauen. „Augenlust“ nannte man das mal.

Selbstverständlich ist die Auswahl Neumann-lastig, so viele Braunschweiger Professoren, viel zu wenig Frauen und noch weniger DDR-Kunst, wo die gegenständliche Malerei doch dort gepflegt wurde, wie im Westen die abstrakte.

Auf der Party danach kam ich neben Anton Henning zu sitzen. Mit fünf seiner wunderlichen Malstücken ist er in der Ausstellung vertreten. Anschließend schickte er mir seinen neuen Katalog „Noch Moderner. Vol.1“. Neben Roland Schappert ist Henning der einzige Autodidakt der Geheimnissucherbande. Diese beiden Maler lösen sich auch am weitesten von allen Modernismen. Der eine revisionistisch, der andere extrahierend, beide dezidiert malerisch. Wolfgang Ullrich schreibt im Henning-Katalog über die Gefahr der „Reideologisierung der Kunst“. Die ginge von zahlreichen Kuratoren aus, die die Kunst „möglichst aktuell“ weltanschaulich aufladen und sogar von vornherein politisch definierten. Dagegen führt er eine autonome „Kunst als Kunst“ ins Feld: „Vielmehr sind Gegenständliches und Ungegenständliches, Sujets und Zwischenräume, Personen und Dinge unterschiedslos Anlass dafür, formale Fantasien zu entfalten; alles wird gleichberechtigt behandelt, damit ist es erst, Zeit und Raum enthoben und zu einem von der realen Welt unabhängigen Ereignis.“ So wird der Künstlerkurator Neumann zum Spielmacher, der der Malerei ihr eigenes autonomes Spiel wieder öffnet.

Im Rückblick: “Eine Geste der Überzeugung”

Auch hier unternimmt eine Galerie unter dem Titel „Eine Geste der Überzeugung“ einen exklusiv weiblichen Blick auf die Malerei und versammelt 13 Künstlerinnen – neun Amerikanerinnen und vier Europäerinnen – der New York School sowie der Abstraktion in Europa. Darunter viele Gefährtinnen weltberühmter Maler wie Jackson Pollock, Willem de Kooning und Hans Hartung. Der Ausstellungstitel erinnert an die große Überblicksschau zur abstrakten Malerei “Le grand Geste!”, die Kay Heymer 2010 im Museum Kunstpalast einrichtete, wo noch viele der Künstlerinnen fehlten.

Ein seltener, auch grandioser Überblick, ein Rückblick. Samandar Setareh und Marion Eisele haben monatelang nach den weit verstreuten Werken gesucht, um sie in Düsseldorf in einer Ausstellung zu vereinen. Hier geht es vor allem um Werke der 1950er und 60er Jahre, wie sie vor allem in Nord-Amerika und Europa geschaffen wurden, als man an die „Weltsprache der Abstraktion“ glaubte wie an eine Welterlösungsformel.

Helen Frankenthaler, die große New Yorker Malerin der 50er Jahre, sagte es so: “Es gibt keine Regeln. So entsteht Kunst, so entstehen Eingebungen. Gehe gegen die Regeln vor, verachte die Regeln. Darum geht es bei aller Erfindung.”

Das Erstaunliche an dieser Ausstellung ist auch, daß alle Werke (mit einer einzigen Ausnahme) verkäuflich sind. Wo doch die Werke ihrer männlichen Kollegen längst den Weg ins Museum gefunden haben. Sind sie noch am Markt, weil sie weiblich sind oder schwächer, gar schlechter? Oder weil die Sammler und Museumsdirektoren die männlichen Abstrakten vorzogen?

Auch hier geht es um autonome Malerei, die sich aber gerade von der Dingwelt, von aller Gegenständlichkeit emanzipiert und befreit. Also unbedingt modern sein will, indem sie anders, neu erscheint – und sich den Fortschritt so auf ihre abstrakte Fahne schreibt. Es ist ein seltenes Vergnügen, zwischen beiden Malereiausstellungen hin und her wandern zu können. Keine 500 Schritte trennen die beiden Galerien, aber Welten liegen dazwischen.

Galerie Beck & Eggeling, Bilker Straße 5 & 4-6: „Geheimnis der Dinge. Malstücke“ bis 2.2.2019. Anschließend Kunsthalle Recklinghausen 17.22. – 14.4 2019. Katalog

Setareh Gallery, Königsallee 27-31: „Eine Geste der Überzeugung“ bis 23. 2. 2019. Katalog ist in Vorbereitung

 

Grace Hartigan · Michael Corinne West · Helen Frankenthaler · Charlotte Park. Installation view, Photograph: Ivo Faber / © Grace Hartigan Estate. / © The Michael (Corinne) West Estate. / © 2018 Helen Frankenthaler Foundation, Inc./ VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Courtesy Gagosian / Charlotte Park © James Brooks and Charlotte Park Foundation.
Eine Geste der Überzeugung – Blick in die Ausstellung.                                                                                                                               Grace Hartigan · Michael Corinne West · Helen Frankenthaler · Charlotte Park. Installation view, Photograph: Ivo Faber / © Grace Hartigan Estate. / © The Michael (Corinne) West Estate. / © 2018 Helen Frankenthaler Foundation, Inc./ VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Courtesy Gagosian / Charlotte Park © James Brooks and Charlotte Park Foundation.
Eine Geste der Überzeugung – Blick in die Ausstellung.                                                                                                                             Helen Frankenthaler · Mary Abbott · Yvonne Thomas Installationsansicht, Foto: Ivo Faber / © 2018 Helen Frankenthaler Foundation, Inc./ VG Bild-Kunst, Bonn 2018. Courtesy Gagosian © Mary Abbott / © Estate of Yvonne Thomas.

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