Gleich um die Ecke noch so ein Mann, diesmal weiß und riesengroß, 5,80 Meter hoch. In den Händen hält er eine Wünschelrute, als hätte auch er die Peilung verloren. Weiter hinten in der Halle begegnen wir “Vater Staat”, monumentale 4,50 Meter hoch, doch eher bemitleidenswert als furchteinflößend, wie er da im bodenlangen Wintermantel verharrt. Ohne Hände, ohne Regung. Dafür blickt er frostig in die Ferne, die Mundwinkel streng nach unten, kein Merkellächeln. Links davon das “Ferienhaus für Terroristen”. Ein begehbarer, vielleicht sogar bewohnbarer Pavillon, in den man durch die großen bunten Fenster unverwandt hineinblicken kann und aus dem Inneren gleich wieder hinaus. So ist das mit der Kunst Thomas Schüttes. Sie bietet viel Gegenständliches, Greifbares, Politisches. Sogar begehbar sind seine Modelle geworden. Das “One man house” hat sich ein Sammler unlängst sogar auf sein Landgut in Frankreich bauen lassen. Doch das Greifbare wird darum nicht Begreifbar. Die Wohnarchitektur bleibt Modell, auch wenn man jetzt in Bonn darin nach Belieben herumspazieren kann. Ist das “Ferienhaus für Terroristen” ein Ort der Erholung oder ein Unterschlupf für Kombattanten im Untergrund? Oder handelt es sich ganz lapidar um einen Wortdreher. Soll es eigentlich “für Touristen” heißen? Was ein weiteres abgründiges Wortspiel wäre: Touristen/Terroristen.
Typisch Schütte. Man weiß nicht so recht, wo man dran ist. Vorsicht Holzweg, Vorsicht Missverständnis. Vorsicht mit vorschnellen Schlüssen. So bewegt man sich durch die weite Halle wie Gulliver auf seiner Reise, mal als Riese mal als Zwerg und darf sich mal wundern über die neuen gigantischen Bauten des Künstlers, mal über die niedlichen Modelle. Über acht Meter hoch ragt das “One man house” auf und wurde so schwer, dass der Keller der Ausstellungshalle unterfangen werden musste. In den Seitengalerien wandern wir durch elf “Big Buildings” aus Kistenholz, die modellhaft klein, aber in ihrer Anonymität darum nicht weniger erschreckend wirken. Oben vom Rand der 8. Etage blickt ein Mann in die Ferne, eine martialische Spielzeugfigur, Bauarbeiter oder Polizist bei der Terrorbekämpfung?
Zwischen den Modellen und anonymen Architekturen verliert sich nicht nur leicht die eigene Maßstäblichkeit, sondern auch jeder Bezug zur Wirklichkeit, den die Modelle und Titel der hier zahlreich versammelten Werke doch suggerieren. So lakonisch, nüchtern sie daherkommen, beinahe lebensnah: “Bunker”, “Museum”, “Studio”, “Mein Grab”, “Golfhalle”, “Berg”, oder “Chinatown”, so wenig gewinnt man Orientierung.
Es stellt sich das Gefühl existentieller Verlorenheit ein. Mehr Fragen als Antworten öffnen sich, mehr Verunsicherung denn Halt wird geboten. So ist der Zustand der Welt, mag der Künstler uns zumuten. Zur Abwechslung und erheiternden Irritation hat Thomas Schütte zwischen seine Modelle und Architekturen, an denn er nun bereits seit dreißig Jahren arbeitet – 60 davon hat die Bundeskunsthalle zu einer ungemein eindrucksvollen Ausstellung zusammengetragen – zarte, fast private Blumenaquarelle, Selbstportraits im Spiegel oder Spielzeug gerückt. Auch zwei prächtig glasierte Keramikpreziosen aus dem Schütte Bestarium lungern da herum und auch die drei Männer in der großen Halle scheinen sich zwischen den gigantischen Behausungen, in denen es sich nicht wohnen lässt verirrt zu haben.
Für diese Ausstellung hat der zur Zeit sicher meistbeachtete und -beschäftigte deutsche Künstler sein Archiv geöffnet und selten gezeigte Stücke hervorgeholt. Jeden Tag während des Aufbaus kam Thomas Schütte nach Bonn, um die Verfertigung der Bauten zu beobachten, zu steuern und sie in den Räumen zu positionieren. Was bei aller existentiellen Ratlosigkeit erstaunt, in die wir auf der Reise durch Schüttes Wunderland gnadenlos gestürzt werden – und uns mit dem Horror und den Rätseln schließlich wieder befreundet, ist die meisterliche handwerkliche Zuwendung zu den Dingen, die der Künstler jedem Detail seiner Werke zukommen lässt – sei es Zeichnung, Aquarell, Keramik, Bronze, Holzmodell, Edelstahlplastik oder Architektur. Sicher arbeitet Schütte seit Jahr und Tag mit eingespielten Teams zusammen. Doch Schütte selbst ist viel zu sehr Handwerk-Maniak, als dass er nicht jedes Detail auskostete und unnachahmlich sicher beherrschte.
Von dieser bestechenden handwerklichen Präzision und Brillanz ausgehend, entlässt er uns ins Ungewisse. Was uns fasziniert lässt uns ratloser denn je.
C. F. Schröer