Magic Earth

Spuren des Religiösen in Ulrike Arnolds Kunst

Prozesse der Transformation. Magmatisches Gestein, Itaberita, Brasilien                                                                                       

       Was bedeuten asketische Ideale? – Bei Künstlern nichts oder zu vielerlei.
Friedrich Nietzsche

Es trifft uns alle. Die abermals auf unbestimmte Zeit hin verlängerte Quarantäne, die Corona-Schutzmaßnahmen, die Reisebeschränkungen. Aber wie wird eine Künstlerin damit fertig, die sich in fernste Gegenden, entlegenste Orte der Erde aufmacht, um aus dem nur dort auffindbaren Gestein ihre Bilder zu malen? Seit Jahr und Tag ist Ulrike Arnold zu Einöden und Wüsten unterwegs, durchquert Steppen und Hochebenen, klettert auf Vulkane und steigt hinab in die Krater.

Es geht ihr dabei um seltenes Gestein, das sie grob zu ihrem Malmaterial zerstampft und zerreibt, bis es sich mit bloßen Händen (manchmal auch Stöcken und Pinseln) auf eine Leinwand bringen lässt. Es geht Ulrike Arnold nicht um die Pigmente allein (die wären zur Not im Farbenladen oder im Versandhandel erhältlich); es geht ihr um den Akt des Malens selbst. Es ist ein ritueller Akt, den sie an solchen „besonderen Orten“, an denen sie die Erden aufgespürt hat, vollzieht.

Ihr geht es um einen magischen Akt der Kunstschöpfung unter freien Himmeln. Jede Reise gleicht einer Expedition ans Ende der Welt. Entsprechend sorgfältig wird jede Reise vorbereitet. Denn nur an abgelegenen, schwer zugänglichen, nur unter großen Strapazen überhaupt zu erreichenden Orten wird ihre Kunst entstehen. Und auch das ist keineswegs sicher. Es kommt immer auf die besondere Situation an, die sie antrifft, auf die Gelegenheit, das richtige Gestein zu finden. Dafür setzt sie alles aufs Spiel, setzt sich dafür oft monatelang extremen Klimabedingungen aus, Hitze, Kälte, Gewitter, schwere Wolkenbrüche, Sandstürme, auch Erdbeben hat sie überlebt.

Es sind Expeditionen, die einer Pilgerreise gleichen. Wenn Religion „gewissenhafte Sorgfalt in der Beachtung von Vorzeichen und Vorschriften“ bedeutet, dann entsteht Arnolds Malerei in einer solchen rituellen Übung. Sie tritt an, um sich den besonderen Orten in der Natur zu nähern. Meist allein, um sie überhaupt aufspüren zu können. Oder, wie sie es sagt, „um sich von ihnen entdecken zu lassen.“ Die Reise, die Ortssuche, die Gewinnung der Farbe, schließlich der Akt des Malens selbst folgen einem lange erprobten Ritual. Entscheidend dabei ist „die Magie“. Erst dann, in einem „Akt der Euphorie“ kann die „Transformation“ gelingen: ein neues Bild entsteht.

Seit einigen Jahren hinterlässt Ulrike Arnold auf der Rückseite ihrer Bilder ein Kürzel neben ihrer Signatur: s.d.g. Es setzt ein äußeres Zeichen und weist auf den religiösen Zusammenhang hin, in dem ihre Bilder stehen und entstehen.

Kind des Pastors

Angefangen hat alles in Düsseldorf 1950, wo sie als jüngstes Kind zusammen mit drei Brüdern in einem Pastorenhaushalt aufwuchs. Vater Walter Arnold (1906 bis 1982) war ein gelehrter Theologe und Prediger, der in Basel und Tübingen bei Karl Barth studiert hatte. Die Tochter (die er am liebsten „Christel“ nennen wollte) spielte jedoch am liebsten am Rhein im Ufersand. Als der Vater eine Gemeinde in der Düsseldorfer Innenstadt übernehmen konnte, zog die Familie in das neugebaute Gemeindehaus in der Bendemannstraße 16. Es war ein strenger Pastorenhaushalt damals, die Kinder wurden bibelfest erzogen, die Brüder geschlagen, die Tochter mit dem Riemen gezüchtigt, „das hat sich eingebrannt“.

Pastor Arnold hatte sich früh von der lutherisch-evangelischen Kirche abgesetzt und trat zur „Freikirche“ über, schloss sich der „Bekennenden Kirche“ an. Die Bibel gilt den freikirchlichen Christen als Offenbarung des Willens Gottes. Gottes Heilsangebot, Ergebung und Erlösung durch Christus, fordert die Antwort eines jeden Menschen heraus. Diese Antwort muss jeder für sich selbst geben.

Die Tochter lehnte es ab, sich taufen zu lassen, lehnte sich überhaupt früh gegen die Autorität des Vaters auf. Sie bewarb sich an der Kunstakademie, studierte Freie Kunst bei Klaus Rinke und strebte fortan in die Welt, weit weg jedenfalls vom strafenden Vater. Die junge Frau wollte anders sein, sie rebellierte gegen das enge Elternhaus und suchte ihren Weg als Künstlerin. Aber wie war dieser Weg zu finden?

Höhlenbilder

Als sie 1971 von den Höhlenbildern der Cro-Magnon-Menschen hörte, war sie sofort begeistert und zog los. Machte sich auf zu den Höhlen, suchte die Grotte de Font de Gaume und Les Combarelles im Vallée de la Vézère in der Dordogne auf, später Lascaux und Altamira. Der 35.000 Jahre alten Höhlenmalerei wird religiöse oder magische Bedeutung zugeschrieben. Der gemeinsame Ursprung von Religion und Kunst, sei hier zu finden. Die Ethnologie sieht darin einen „Jagdzauber“, auch Totemismus und Schamanismus kommen als Erklärung in Betracht. Es wird angenommen, dass die Felsbilder im Zuge ritueller Trance-Reisen, mythischer Performances und Tänze entstanden sind und dabei nicht das Bild, sondern der rituelle Akt im Vordergrund stand. Gemalt wurden die Felsenbilder mit Mineralien, die zu Pigmentfarben, vor allem roter, gelber oder braunem Ocker (Limonit) und Rötel (auf Hämatit-Basis) zerrieben wurden.

Ulrike Arnold wollte den Sachen auf den Grund gehen. Radikal wie sie war, packte sie ihre Siebensachen und zog jahrelang durch die Höhlen, zunächst in die Weiten Südwest-Frankreichs, später nach Nordspanien. Es zog sie in unbekannte Tiefen, tief unter die Erde und zurück in vorgeschichtliche Zeiten. Die Felsenmalereien aus der Altsteinzeit wurden zu Ulrike Arnolds künstlerischem Urerlebnis. In den Tiefen suchte sie eine Ursprünglichkeit und eine tiefere Wahrheit.

Keine zwei Jahre vor dem Tod ihres gestrengen Vaters zeigt die Tochter ihm erste Bilder, die sie, noch in der Rinke-Klasse, mit Erde gemalt hatte. Der Vater belehrte die angehende Künstlerin, sie möge ihre Bilder mit s.d.g. unterzeichnen, wie es schon Bach getan. Tatsächlich unterschrieb Johann Sebastian Bach als evangelischer Christ vieler seiner Kompositionen mit s-d-g – für soli deo gloria, einzig Gott zur Ehre.

Begegnung im Meteor Crater

Erst 2002 fand Ulrike Arnold zum ersten Mal Zugang zum Meteor Crater. Der Barringer-Krater ist vor etwa 50.000 Jahren durch den glühenden Einschlag eines gewaltigen Meteoriten entstanden. Er liegt fast vor Arnolds Haustür. Doch der Krater ist normalerweise unzugänglich. Die NASA übt dort für Einsätze auf dem Mond. Meteoriten sind kosmisches Gestein, das älteste, elementarste Gestein, das man auf der Erde finden kann. Der Einschlagskrater des Meteoriten Canyon Diablo im Coconino County, Arizona liegt auf dem südlichen Colorado-Plateau östlich von Flagstaff. Dort, keine Stunde vom Krater, drei Meilen vom Navajo-Reservat entfernt, hat Arnold sich einen Hogan, einen Rundholzbau nach Art der Navaho Indianer gebaut. Er dient ihr seit Jahren als Unterschlupf und Schutzhütte, er ist ihre Eremitage in der Wüste.

Das Erstaunen der Künstlerin als sie da im Krater stand und das seltene Angebot erhielt läßt sich wohl nachvollziehen. Meteoriten gelten als Zeugen der Urzeit, der Schöpfung schlechthin. Für sie ist es die „Hochzeit zwischen Himmel und Erde“. Aber wie berührt war sie, wie gemeint empfand sie sich erst als – mehr oder weniger zufällig – einer der Wissenschaftler ihr dort ein seltenes Angebot machte. Sie könne von ihm jede Menge Meteoritenstaub bekommen, das beim Zersägen des Urgesteins abfalle. „Wie ein Sterntaler habe ich mich da gefühlt.“ Ab diesem Moment zeichnet sie ihre Bilder mit s.d.g. – in Erinnerung an die Mahnung ihres Vaters.

Wir kennen Meteoriten, die beim Eintritt aus dem interplanetaren Raum in die Erdatmosphäre kurz als Sternschnuppe erscheinen bevor sie verglühen, oder, seltener, auf die Erde auftreffen. Sie enthalten das älteste Material unseres Sonnensystems, das vor 4,56 Milliarden Jahren entstanden ist. Es sind Brocken aus Urschöpfungsgestein. Lässt sich damit malen?

Meteorite#4-Chondrite-Volcanic Ash, 2021

Als „Hommage an die Schöpfung“ bezeichnet Ulrike Arnold ihre neue Bildserie, die sie während der Quarantäne in ihrem Atelier in der Bilkerstraße gemalt hat. Allesamt aus Meteoritenstaub, alle rückseitig auf der Leinwand mit dem Ort ihres Entstehens, dem präzisen Datum gezeichnet und mit s.d.g.

Meteoritenbilder

Was zeigen sie? Sie halten den Augenblick der langen Reise, des Reiserituals fest, auf den es der Künstlerin ankommt: die Transformation – hier wie an allen anderen weit entlegenen Orten, die sie aufsucht. Wandlung wäre das christliche Wort. Sie zeigen eruptive Wirbel, Ausbrüche kaum gebändigter Energie, die im Akt der Euphorie entstehen. Für Euphorie kennen wir Entsprechungen wie Begeisterung, Hochgefühl, Energie, Lust, Leidenschaft, Erregung, Rausch, Nächstenliebe.

So abstrakt und gestisch uns diese Malerei erscheint, so religiös motiviert ist sie. Die Reise zu den besonderen Orten lässt sich als eine Pilgerfahrt, auch als eine Passion deuten. Erst eine Annäherung, ein Empfänglichwerden, gefolgt von strenger Entsagung, Strapazen, Verzicht auf allen Wohlstand und alle Bequemlichkeit in elementarer Umgebung. Nur hier, “zwischen Himmel und Erde”, kommt es zu einer Ekstase, die sich malerisch entlädt. Das Bild entsteht aus der Erde. Es ist die Erlösung, sinnlich, leiblich, fleischlich. Heil, Erlösung ist das Aufgehobensein in den Gegensätzen.

Es sind Bilder der Selbstfindung in der Wüste. Von „gesunder Sinnlichkeit“ sprach Ludwig Feuerbach. Der gegenwärtige Christus „soll mit allen Sinnen erfahren werden“, lautet ein Grundsatz der Freikirche heute. Oder: „Gott loben und ihm danken, weil ich seine Liebe persönlich erfahren habe.“ Magical Places, wie Ulrike Arnold die Orte nennt, an denen sie ihre Bilder entstehen lässt, finden sich überall.

Redaktion: Anke Strauch

 


 

Ulrike Arnold / Meteorite Works

 

 

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