Am Eiskellerberg wird gebaut. Auf einem geräumigen Eckgrundstück gleich hinter der Kunstakademie Düsseldorf sind Bagger und Krähne angerückt. Doch geht es hier nicht um einen Neubau für die Kunstakademie, ein Altenheim mit großer Pflegestation wird hier entstehen.
Dabei hatte die staatliche Kunstakademie dieses Grundstück zwischen Eiskellerberg- und Ritterstraße lange vor Beginn der Bauarbeiten auf dem Schirm und dachte über eine Erweiterung dort gründlich nach. Tony Cragg, Akademierektor von 2009 bis 2013 und auch seine Nachfolgerin Rita McBride (bis 2017) lehnten dankend ab. Erweiterung wozu?
Erst nachdem mit Karl-Heinz Petzinka am 1. August 2017 ein Architekt als Rektor am Eiskellerberg antrat, rückte eine bauliche Arrondierung wieder in den Blick. Die Bauklassen wurden aktiviert und stellten als Jahresarbeit einen ganzen „Akademie-Campus“ vor. Mehrere Zubauten zum Rhein hin sollten alle übers Stadtgebiet verteilten Dependancen und Auslagerungen aufnehmen und auch die Werkstätten in einem Neubau zusammenführen. Das Eckgrundstück ist inzwischen vergeben. Daraus ergibt sich die Peinlichkeit des geplanten Erweiterungsbaus.
Peinlich, weil der jetzt vorgestellte Werkstättenbau nicht hinter, sondern vor die Schauseite der Kunstakademie gesetzt werden soll. „Er sitzt städtebaulich genial“, findet Petzinka.
Ursprünglich thronte die zwischen 1875 und 1879 von Hermann Riffart im Stil eines Renaissancepalastes erbaute Kunstakademie über dem Ufer eines Gewässers. Während des Baus der neuen Rheinbrücke wurde der alte Sicherheitshafen 1897 zugeschüttet. Die Akademie kam in die Kuhle, Bushalteplätze und Glascontainer kamen hinzu. Nach monatelanger Prüfung mehrerer alternativer Bauplätze, ist diese Restfläche der einzige Platz, der überhaupt bleibt.
Der 65 Jahre alte Petzinka wurde erst in diesem Sommer für weitere vier Jahre für eine zweite Amtszeit als Rektor bestätigt. Bis 2023 will er die Kunstakademie tiefgreifend umkrempeln. Dann steht das 250jährige Bestehen der Akademie an. Bis zu seinem Abschied soll der Werkstättenbau stehen.
Im Beuys-Jubiläumsjahr nennt sich das Bauvorhaben selbstverständlich „Erweiterung“. Der 200. Geburtstag der Akademie wurde gar nicht gefeiert. Wegen der fristlosen Entlassung von Joseph Beuys und den sich daran anschließenden Protesten und Hungerstreiks verzichtete man von Seiten der Kunstakademie auf jegliche Feierlichkeiten. Stattdessen überquerte Beuys in einem von seinem Meisterschüler Anatol Herzfeld gebauten Einbaum den Rhein. Die „Heimholung des Joseph Beuys“ am 20. Oktober 1973 wurde mit einer inoffiziellen Jubiläumsfeier im Altstadtlokal Ohme Jupp abgerundet.
Folgt man der Logik Petzinkas ergibt sich die Erweiterung 2021 von selbst. Der Architekt (Studio Baukunst mit Philipp Bilke und Michael Damm) und Professor für Baukunst (seit 2008) will einerseits die Digitalisierung der Akademie vorantrieben und anderseits das Künstlerische fördern, indem er dem Handwerklichen, dem Händischen und dem Machen neue Bedeutung verleiht. Am Beginn seines Zukunftsentwurfs stehe die grundsätzliche Frage „welche Akademie soll es in einer digitalen Welt sein?“ Oder auch „was macht uns anders?“ Antwort des Rektors: „Ganz klar, wir bilden ein Gegengewicht zur digitalen Welt. Daraus ergibt sich ein Schwerpunkt, die Werkstätten.“
Das Handwerk als Losung für das Überleben der Kunstakademie. Ob Traditionsbewusstsein, Romantik oder Anachronismus lässt Petzinka offen. Das handwerkliche Können sei elementar für eine Kunstakademie. „Dieses Wissen geht unter“, fürchtet er „je mehr die digitale Revolution voranschreitet.“ Daraus ergibt sich die Notwendigkeit von Werkstätten – und folglich der Werkstättenneubau.
Nun ist Petzinka auch Initiator und treibende Kraft hinter dem Blaugrünen Ring, einem städtebaulichem Ideenwettbewerb, der die Düsseldorfer Innenstadt mitsamt seiner vielen Kulturbauten ins klimaneutrale 21. Jahrhundert bringen soll. Der Siegerentwurf des internationalen Wettbewerbs (Flow von raumwerk, Frankfurt a.M.) überzeugt vor allem, weil er zeigt, wie sich ein Engpass, die Verbindung vom Ehrenhof zur Altstadt, in grün-blauer Zukunft neu gestalten ließe. Sein Entwurf für den Werkstättenbau füge sich bestens in diese Planung ein, stellt Petzinka fest.
Mehr Raum für mehr Werkstätten
Beuys und sein Begriff einer „Sozialen Plastik“ sollten am Eiskellerberg schleunigst vergessen werden. Unter Lüpertz feierte die „Malerakademie“ Urstände. Die Malerateliers im historischen Hauptgebäude wurden renoviert. Sechs weitere, für Maltechnik, Druck und Grafik, Gipsformerei, Kunstgießerei, Steinbildhauerei und Holzbildnerei waren teils in Nebengebäuden angegliedert. Unter dem Dach fristete die Fotoklasse ihr Dasein. Später siedelte sich in der ehemaligen Reuterkaserne (heute Rheinflügel) die Baukunst und oben die Filmklasse an. Petzinka will nun auf 21 Werkstätten aufstocken. Alle sollen im „Erweiterungsbau“ Platz finden. Sieben neue kommen hinzu: Video/Computer/Audio, Black-Box (Performance), CAD-Labor, Textil, Lackier- und Spritztechnik, Garten- und Pflanzen, dazu ein Tageslichtstudio und eine Digitalwerkstatt.
Die Akademie vergrößert sich auf 650 Studierende und 44 Professoren und Professorinnen, sie soll sich zu einem Campus mit Innenhöfen und Neubauten erweitern. Das Akademiegebäude soll allein den Klassen vorbehalten sein, Rektorat und Kanzlei werden in einen Neubau angrenzend zum Rheinflügel ausgelagert. Hier wird auch die Kunstwissenschaft einziehen und zudem Raum für die Bewerbungsmappenannahme entstehen.
Der Plan ist ehrgeizig. Allein Petzinka ist es zuzutrauen, ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Ehrfahren und gewieft in der Auseinandersetzung mit Politik und Behörden, Montagewendig im Umgang mit Bedenkenträgern und Kritikern, könnte es ihm gelingen, ein derart großes Revirement der altehrwürdigen Kunstakademie zu bewerkstelligen und damit ihre Zukunft zu sichern.
Wer, wenn nicht er? Wo, wenn nicht auf dem Bauplatz in der Senke vor der Akademie?
Es steht also viel auf dem Spiel. Die Entscheidung ist so gut wie gefallen. Doch ist auch alles gesagt? Der verbliebene Bauplatz ist so knapp und spack wie ein Hemd, das schon beim Kauf ein paar Nummern zu klein ist. Der Werkstättenbau verstellt die Sicht auf die Akademie, er verschattet sie zumindest bis zum Mittelrisalit. Das schöne Nordlicht, das die Maler in ihren Atelierräumen seit Generationen schätzen, wäre nur noch halb so schön. Zum Eiskellerberg hin würde der Neubau nur sieben Meter Abstand zur Akademie haben, doch so hoch aufragen wie der Altbau selbst, wie ein Zwilling der Akademie erscheinen.
Aus der Not eine Tugend machend, hat Petzinka ein Stück Baukunst entworfen. Hier ein Werkstättenbau über fünf Etagen mit aufstrebender Freitreppe als Dachgestaltung, ein bisschen Oper von Oslo, ein bisschen Casa Malaparte samt zweier galanter Auskragungen für Bäume, die , niemand weiß wer, einst hier pflanzte. Ein Entwurf wie aus der Baukunstklasse, wo die Studierenden üblicherweise eine Entwurfsaufgabe vorgelegt bekommen – ohne Aussicht auf Realisierung.
Petzinka weiß sich behutsam durch das Dickicht von der Planung zur Realisierung zu bewegen. Noch hat er nicht alle Ansichten frei gegeben, noch kennt man weder Grundrisse noch Raumaufteilung, noch die Fassadengestaltung, noch gar die Baukosten, schon geht die Aufregung los. Eine Finanzierung seitens des Landes NRW in Höhe von 30 Millionen Euro steht bis 2023 immerhin in Aussicht.
Die Düsseldorfer Politik stellte die Grünfläche vor der Akademie erst kürzlich als Baugrund zur Verfügung und freut sich gleichwohl, um es mit den Worten von Alexander Fils (CDU), dem Vorsitzenden des Planungs- und Stadtentwicklungsausschusses, zu sagen: „Jetzt liegt der Ball beim Land Nordrhein-Westfalen.“ Dessen Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) wird über die Werkstättenzukunft der Akademie entscheiden.
Es mehrt sich Widerspruch. „Alleingang“ werfen ihm die weit über 2000 Unterzeichner einer Petition gegen das Neubauvorhaben vor und finden es unredlich, dass der Rektor seinen Architektur-Entwurf einbringt, den er selbst absegnet, in den Gremien der Akademie durchsetzt, um diesen dann umzusetzen. Die Petition, aus dem Inneren der Akademie in die Welt gesetzt, zieht Kreise. Protestaktionen sind geplant. „Der Bedarf an so viel Werkstätten ist fragwürdig“, sagt Vanessa Castra, Meisterschülerin von Trisha Donnelly und ASTA-Vorsitzende bis 2019. „Die Akademie hat ganz andere Probleme“, sagt sie. Der BDA Vorsitzende Georg Döring wird deutlicher und spricht gar von einem „desaströsen Vorschlag.“ Auch er kritisiert das Verfahren: “Hier baut sich der Rektor ein persönliches Denkmal“ und fordert die Auslobung eines Wettbewerbs. Was wäre gewonnen? Ein Wettbewerb auf welcher Grundlage, für welchen Bedarf, für welches Grundstück, am Ende für welche Kunstakademie?
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