Von einem bestimmten Punkt der Erosion an können Städte insgesamt ins Rutschen geraten. Das „Wildwerden der Städte“ (Florian Rötzer) setzt sich irgendwo in einem heruntergekommenen Viertel fest, dem ausgedienten Hafen, dem Güterbahnhof oder dem Bahnhofviertel insgesamt. Das große Problem für die Zukunft der urbanisierten Gesellschaft – bis 2030 werden zwei Drittel aller Menschen in Großstädten leben – wird sein, in wie weit es gelingen kann, vor allem auch Menschen aus den ärmeren Schichten die Chance zu einer Teilnahme am sozialen und wirtschaftlichen Leben zu öffnen. Nun ist Düsseldorf nicht auf dem Weg zu einer feral city, liegt meilenweit von Johannesburg oder Rio de Janeiro entfernt. Doch kann das Gebiet rund um den Hauptbahnhof als eine der innerstädtischen Problemzonen gesehen werden, an dem die Erosion seit Jahren ansetzt und die Risiken des „Wildwerdens“ unübersehbar um sich greifen.
Was kann die Kunst hier ausrichten? „Von fremden Ländern in eigenen Städten“ ist ein aktuelles Kunstprojekt, das sich den vielen harten Fragen des Düsseldorfer Bahnhofsviertels stellt – und auch keine Antworten weiß. Dies auch gar nicht vorgibt, sondern in 18 künstlerische Positionen zerfällt, zuweilen beherzte Eingriffe wagt, Denkanstöße gibt und erste Zeichen setzt.
Es ist ein Projekt aus dem Hause MAP – Markus Ambach Projekte. Ein Glücksfall für Düsseldorf. Denn Ambach, selbst Künstler (Meisterschüler bei Christian Megert an der Kunstakademie Düsseldorf) widmet sich seit 2002 auch als Autor und Kurator der „Kunst im öffentlichen Raum“. Mit Events wie „B1|A40 Die Schönheit der großen Straße“ zur Kulturhauptstadt Ruhr 2010 und 2014 hat er sich einen Namen gemacht. Nun widmet sich MAP mit dem Bahnhofsquartier sozusagen dem eigenen Vorgarten. Doch was da als Viertel oder Quartier beschrieben wird, ist gar keines. Denn der Bahnhof selbst und seine Gleisanlagen trennen die Stadt weit mehr als etwa der Rhein. Zwischen hinten und vorne, zwischen Klein-Marokko und Little Tokyo, zwischen Suttner-Platz und Flingern, zwischen Rotlichtbezirk hinter dem Bahndamm, Mintropplatz und der Düsseldorfer Innenstadt liegen besagte Welten. Die nur zwei Verbindungen, verwahrloste Tunnels unter den Gleisen, zeigen ihr eigenes, trauriges Gesicht und die Wirklichkeit dieser Teilung.
Verdrängung durch Städtebau
Sie und die angrenzenden Plätze sind zu Brennpunkten der Kriminalität geworden. 2.244 Verdächtige, die meisten aus Nordafrika, viele davon aus Marokko, kennt die Düsseldorfer Polizei. In Düsseldorf lebt die zweitgrößte marokkanische Community in Deutschland, im Maghreb-Viertel hinter dem Bahnhof, davor wird nun viel geplant und gebaut. Nach Abschluss der aufwendigen Innenstadtsanierung (Güterbahnhof Derendorf, Kö-Bogen I und II) wagt man sich jetzt also an den Bahnhof. Ekiso nennt sich das Entwicklungskonzept Innenstadt-Süd, das bereits seit zehn Jahren läuft und im Kleinklein unterzugehen droht. Vier Straßen zwischen Innenstadt und Bahnhof stehen bei Ekiso aktuell auf dem Entwicklungsprogramm, als nächstes soll die Bismarckstraße verfeinert werden. Das übliche Lametta, neue Bäume, neues Pflaster, mehr Außengastronomie. Verdrängung durch Städtebau. Die Großzügigkeit wie etwa bei der Innenstadtsanierung (Kö-Bogen) fehlt. Die Ekiso-Projekte stehen in Zusammenhang mit den anderen Bauvorhaben vor allem vor dem Bahnhof: Stadt und Bahn arbeiten an einer Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes, zudem gibt es einige private Bauprojekte. Gleich drei mittelmäßige, neue Hotels sind neben dem Bahnhof in Bau, insbesondere das Wohnquartier “Grand Central” an der Erkrather Straße wirkt schon jetzt, entgegen seinem vielversprechenden Namen wenig verlockend. Das neue Kulturzentrum KAP zieht demnächst in das alte Postgebäude, ein Hochhaus soll, wohl zur Finazierung der Platzneugestaltung, den Bahnhof von 1936 überragen.
Markus Ambach ist als Kurator ein Glücksfall für ein Vorhaben, das sich mit den Mitteln der Kunst dieser in viele Schichten, Ethnien, Szenen, Interessen, Lager zerfallenen innerstädtischen Agglomeration nähert. Heterogen, wäre da nur ein weiterer Euphemismus, Schönsprech. 700.000 Euro hat er für das „aus der Bürgerschaft organsierte Projekt“ zusammengetrommelt, die Anschubfinanzierung leistet die Stadt, größter Förderer ist die Kunststiftung NRW, auch das Land NRW hat sich beteiligt. Vom D´Haus über Art Invest, zum Zigarrenladen Linzbach, dem Waschsalon am Dreiecksplätzchen, dem Tanzhaus NRW, der Filmwerkstatt (mit eigenem Programm “Translokale. Abschied der Objekte“) bis zur Bahnhofsmission haben sich zahlreiche Initiativen und Partner erstmals zusammengefunden.
Ambach jargonsicher: „Eine in die Zukunft orientierte Perspektive“ verspricht er, wolle sein Kunstprojekt bieten, „das sehr stark konzeptuell arbeitet“. Durch den Bahnhof hindurch komme man auf der anderen Seite auf den scheußlichsten Platz Düsseldorf, der „schon wieder Kult ist“. Dort findet man eine „bunte, multikulturelle Klientel“. Das Maghreb-Viertel an der Ellerstraße ist „eigentlich ein wundervoller Ort“, ein sehr angenehmes Viertel. „Ich gehe da gerne einkaufen.“ Selbst das Rotlichtviertel wird einbezogen: „Wir werden ein sehr kompaktes Führungsprogramm dort haben.“ Derart hin- und hergerissen zwischen der eigenen Faszination und kulturpolitischen Mission, zwischen Großstadtromantik und urbanen Konzepten, fällt es der Kunst verdammt schwer, im wilden Bahnhofsviertel eine Stimme zu finden, vielleicht einen eigenen Stellenwert zu gewinnen. Denn bislang laufen alle städtebaulichen Wettbewerbe, Planungen und Bauvorhaben glatt an der Kunst vorbei. Der Hauptbahnhof selbst und die Bahnsteige bleiben vom Kunstprojekt eigenartig ausgespart, sieht man vom „Beulenmann“ einmal ab, der so unscheinbar wie vielsagend auf dem Vordach zum Bahnhofseingang seinen Platz bezogen hat. Paloma Varga Weisz zeigt uns hier eine figürliche Plastik, die dort oben etwas verloren, etwas einsam über das Treiben auf dem Platz, das Kommen und Gehen der Pendler und Passaten hinwegblickt. Diese Figur stellt sich nicht in den Weg, sie bezieht keinen Posten. Man sieht sie da oben überhaupt nur, wenn man sie sehen will. Und doch weist sie mit ihren Beulen auf die vielen Versehrungen hin, die wir mit uns tragen.
Manuel Graf ist einer der wenigen Künstler, der sich mit dem Bertha-von-Suttner Platz einen Ort auf der Rückseite des Bahnhofs ausgesucht hat. Er belässt es nicht bei Randbemerkungen und Petitessen. Er geht die postmoderne Megalomanie frontal an. Seine Licht-Sound Projektion verwandelt nachts die banale Architektur des Platzes in eine geheimnisvolle Welt der zwei Kulturen. Graf thematisiert damit die „Muslemisierung“ des Quartiers. Der postmoderne Platz aus den achtziger Jahren und die persische Vier-Iwan-Moschee werden mittels einer Videoprojektion in ein verblüffendes Zusammenspiel gebracht. Mit den Projektionen zeigt Graf einige Gemeinsamkeiten der beiden doch unterschiedlichen Architekturen auf: die nach innen gewandte Fassade, die jeweils einen Platz umschließt, die hohen, torähnlichen Konstruktionen an den Seiten, flache Wasserbassins, wie den mixed-use, hier Bahnhofszugang, Vorplatz der Gerichte wie der Stadtbibliothek, Zugang zum Taxistand etc., dort Medrese, Karawanserei, Moschee, etc. Säkularer und sakraler Raum gehen für die Nacht eine einleuchtende wie beunruhigende, vielleicht aufrüttelnde Verbindung ein. Kann Kunst an solchen Brennpunkten anders als politisch agieren? Wer den Hinterausgang des Bahnhofs verlässt, wird den Platz mit anderen Augen wahrnehmen, staunen.
Ganz anders Katharina Sieverding auf der Vorderseite. In Kooperation mit dem Schauspielhaus nutzt die Altmeisterin der Düsseldorfer Fotokunst die Fassade des Central über 200 Meter zu einer weiteren monumentalen Arbeit, einem Reigen von 34 älteren Motiven von 1977 bis 2017. Das Erstaunliche an dieser Arbeit: Trotz aller Größe und Breite verliert sich dieser Fotofries im Dickicht des von Verkehrszeichen und Werbeplakaten ohnehin dicht besetzten Bahnhofsvorraums. Diese Konkurrenz bekommen auch viele andere Kunstprojekte zu spüren. Wo viele Menschen verkehren, bleibt die Aufmerksamkeit geteilt.
Im April sind die Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs gekürt worden. Die Pläne der Gewinner – das Büro GTL Michael Triebwetter aus Kassel mit dem Ingenieurbüro Vössing aus Bilk und RKW Architekten, sowie das Team „Planorama“ aus Berlin – sollen in das Planungsverfahren einfließen. Was das heißt, worauf das hinausläuft ist völlig ungewiss, wie die Frage, wann die Umsetzung beginnt oder wann sie fertig sein wird. Ab 2021 lautet die vage Auskunft. Wenn dann nicht allein Sicherheitskonzepten Rechnung getragen werden soll, wird es höchste Zeit, dass die Kunst sich einmischt. Warum ist es bisher unterblieben, dass die Kunst, wie schon beim U-Bahn-Bau, in die Planungen einbezogen wird? Dazu könnte das MAP-Projekt tatsächlich ein ermutigender Auftakt sein
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