Wie soll das aussehen? Wer will das schaffen? Gewünscht wird ein Erinnerungsort, der nicht nur als Mahnmal dient, sondern der aktiven Erinnerung. Er soll keineswegs nur auf die Nazizeit begrenzt bezogen werden, sich auf Schwule beziehen, auch auf Lesben und Trans*Gruppen. Diskriminierung und Verfolgung einzelner Gruppen soll nicht isoliert betrachtet werden. Es soll erklärt und zudem anschaulich werden, warum ein solcher Ort heute notwendig ist. Zudem soll er zum Verweilen, Nachdenken, Gedenken einladen, durchaus animieren, provozieren und Kontroversen auslösen.
Na prima!
Claus Richter, der zum städtischen Wettbewerb eingeladen wurde, stellte sich den Anforderungen, hielt sich sonst an zwei goldene Regeln: „Locker bleiben“ und „bloß nicht alle die Wettbewerbsdetails und Anforderungen Punkt für Punkt abarbeiten“. Richter (* 1971 in Lippstadt) gewann den zweistufigen Wettbewerb gegen die Konkurrenz mit einem Entwurf, der aus seinem Werk herausfällt und auch sonst kaum dem sonst so erwarteten Mahnmalgeschmack entspricht. Vor allem setzt er sich vom „Berliner Betonklotz“ ab. Dieses Mahnmal von Elmgreen und Dragset entworfen, steht seit zwölf Jahren im hinteren Tiergarten und besteht aus einem 3,60 Meter hohen und 1,90 Meter breiten Betonquader. Es wurde bereits mehrfach Ziel von Vandalismus und Schändung.
Richter, selbst bekennender Schwuler, arbeitet gerne mit ephemeren Materialien, mit Fundsachen und Sammelsurien, er komponiert Lieder, erfindet Geschichten, hält Vorträge, verfasst Stücke fürs Marionettentheater, inszeniert gerne auf allen Bühnen, die sich ihm bieten. Doch nun ein „klassisches Heldendenkmal“. Aus Bronze. 1,70 Meter hoch, der steinerne Sockel nicht mitgerechnet.
Bronze machts
In Düsseldorf hat sich der Kölner Künstler, als es um den Wettbewerb ging, umgesehen und beobachtet, dass es dort schon eine ganze Reihe von Objekten und Denkmälern gibt, die meisten aus Bronze. Angefangen bei Grupellos Reiterstandbild Jan Wellems vor dem Rathaus von 1711, über Richard Langers Ulanendenkmal, Johannes Knubels „Pallas Atene“, Georg Kolbes „Aufsteigender Jüngling“ im Ehrenhof, vorbei an zahleichen Gerresheims zu Max Ernst und Karl Hartung vor der Kunsthalle und Johannes Rau vor der NRW Staatskanzlei. In diese stattliche „Bronzefamilie“ will Richter seine „Heldendenkmal“ aufgenommen sehen.
Es ist sein erstes Denkmal im öffentlichen Raum und der erste Wettbewerbsgewinn des 49 Jahre alte Künstlers. LSBT (Lesbisch, Schwule, Bisexuell, Transgender) übersetzt er in vier Personen, zwei weibliche, zwei männliche Gestalten, recken die Fäuste in Siegerpose empor. Für Richter eine Geste des Widerstands und der Freiheit. Orientiert hat sich Richter an russischen Helden-Figurationen, aber auch an Käthe Kollwitz und Ernst Barlach, die er sehr schätzt.
Die neue Heroik scheut er nicht. Sein Entwurf soll einem „trojanischem Pferd gleichen, dem man sich nähern muss, um zu erkennen, was sich dahinter verbirgt.“ Männer in feminisierter Pose, Frauen in maskulinisierter, alles nur angedeutet. Weil eine plakative Variante gar nicht Richters künstlerischem Selbstverständnis entspricht, sondern gerade, weil sie die Ernsthaftigkeit des Themas relativieren könnte.
„Ich will ein echtes Denkmal erschaffen, nichts Verrücktes.“ Auch sei es an der Zeit, „die Welt klassischer Denkmäler von ihrer Dauerhommage an männliche Sieger zu emanzipieren.“
Die Kunstkommission unter ihrem Vorsitzenden Jörg-Thomas Alvermann (Verein der Düsseldorfer Künstler) begleitet die Umsetzung des Denkmals durch die Corona-Zeiten. Von ihrem 700.000 Euro Jahresetat hat sie immerhin 200.000 Euro für den LSBT- Erinnerungsort zur Verfügung gestellt. Wann das Denkmal eingeweiht werden kann, steht noch in den Sternen. Inzwischen beschäftigt sich der Kulturausschuss erneut mit der Sache. Die CDU hat Bedenken angemeldet. Alexander Fils, Kultursprecher der CDU, findet: „Auf der Abbildung sieht das Kunstwerk zweifelhaft aus“. Die nach oben gestreckten und geballten Fäuste erinnerten an die Bildsprache der 1920/30er Jahre, die unter anderem von links- und rechtsextremistischen Gruppierungen genutzt werden. „Ich frage mich auch, ob dieser Entwurf für die Betroffenen gut ist.“ Im Kulturausschuss wird heute entschieden.
Ein Standort ist nicht festgelegt, aber auch nicht frei wählbar. Er soll sich den Planungen des Blau-Grünen Rings zwischen Rheinkniebrücke und Rheinterrasse einpassen. Bei allem soll ein „gelebter Ort“ entstehen, wo man sich einbringt, der genutzt wird. Bevorzugt als „Ort für die Erinnerung und Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ wird der Burgplatz. Dort treffen die vielbesuchte Rheinuferpromenade und die reiche Düsseldorfer Tradition zusammen.
Redaktion: Anke Strauch
Kein Platz für Diskriminierung
Das Vorhaben wird in Düsseldorf von vielen Organisationen, Gruppen und Vereinen unterstützt. Unter anderem von AWO, Diakonie, Jüdische Gemeinde, Stadtjugendring, FDP, SPD und Grünen.
Ein besonders unrühmliches Kapitel dieser Tradition ist die Verfolgung schwuler Männer ab 1938. Mehrere hundert schwule Männer wurden in Düsseldorf verhaftet und verurteilt. Allein 400 Fälle sind für das Jahr 1938 dokumentiert, auch danach kam es zu Verfahren aufgrund des Paragrafen 175 Strafgesetzbuch. In Düsseldorf kam es zu besonders rigiden Maßnahmen und Verhaftungen.
Ab 1936 nahm die “Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung” in Berlin ihren Dienst auf. Für die Nazis war Homosexualität eine staatsgefährdende Straftat, weil sich diese Männer der Reproduktion entzogen und somit in den Augen der Nazis dem deutschen Volk schadeten. Weibliche Homosexualität stand nicht unter Strafe. Homosexualität sollte aus ideologischen und moralischen Gründen unterdrückt werden. Zunächst mit dem Wohlwollen der Katholischen Kirche. Schon 1935 wurde der Paragraf 175 verschärft. Auf gleichgeschlechtliche “Unzucht” standen jetzt bis zu fünf Jahre Gefängnis oder Zuchthaus, schon Händchenhalten, Streicheln oder Umarmungen galten als homosexuelle Handlungen.
In Düsseldorf gab es ein Sonderkommando der Gestapo, das später auch in Köln tätig wurde. In Düsseldorf bestand in der Haftanstalt Ulmerhöh ein Gefängniskrankenhaus, das ein “Zentrum” für Kastration war. Verurteilte Schwule konnten mit einer freiwilligen Kastration einer KZ-Haft entgehen. 15.000 wegen Paragraf 175 Verurteilte kamen im Reichsgebiet während der NS-Zeit in Konzentrationslager. Homosexuelle wurden in den Lagern für schwere Arbeit herangezogen, sie mussten einen rosa Winkel als Zeichen an ihren Jacken tragen. In den Lagern wurden auch Menschenversuche mit ihnen gemacht. Die meisten Homosexuellen überlebten das KZ nicht.
eiskellerberg.tv traff Claus Richter in Köln:
Claus Richter über “was mich glücklich macht”
https://vimeo.com/70420153
Wieder offen:
Cosima von Bonin / Claus Richter
THING 1 + THING 2 Kunsthalle Nünberg
Mit Cosima von Bonin (*1962 in Mombasa, Kenia) und Claus Richter (*1971 in Lippstadt) haben zwei eng befreundete Künstler, die frisch sanierten Räume der Kunsthalle Nürnberg zusammen für eine Ausstellung ausprobiert. Bis 17. Mai 2020.
Neuerscheinung:
im Oktober wird das „Wishbook“ erscheinen, der seit langem erwartete umfassende Katalog zu den Richter-Ausstellungen der letzten 10 Jahre. Vorgestellt wird das opus magnum in der Galerie Marietta Clages in Köln.