Schulabbrecher und Museumsonkel
„Und würde Sie das noch einmal interessieren?“ Die Frage steht, wo auch sonst, auf der letzten Seite eines famosen Buches über den ungekrönten König des Westdeutschen Kunstwunders: Kasper König. Nun ist König gewiss ein gesprächiger Mann, doch was sein Gegenüber, Walter Grasskamp, gesprächsweise aus dem westfälischen Schulabbrecher, späteren Hochschullehrer, Verleger, Postkartenschreiber, weltbekannten Ausstellungsmacher und oberstem „Museumsonkel“ des Kölner Museum Ludwig herausholt, ist allemal lesenswert. Auf jeder der 141 Seiten finden sich die lustigsten, hintersinnigsten und haarsträubendsten Geschichten aus 50 König-Jahren.
Es sind diese fünf Jahrzehnte, die bestimmt als die Goldene Zeit des Phänomens Gegenwartskunst in die Geschichte eingehen werden. Das Rheinland wurde unverhofft, aber gar nicht ohne eigene Verdienste, zu einem der Unruhepole der Bewegung und mittendrin der bewegliche Kasper König, dem mit der „Westkunst“ in den Kölner Messehallen der große Wurf gelang. Da schnurrte auf eine Wortfindung zusammen, was Königs Reich und Spielwiese seit seinen Anfängen ausmacht. Die „Westkunst“ konnte er 1981 in Köln ausbreiten, der Stadt, in der er 1962 ins Galeriegeschäft von Rudolf Zwirner einstieg und in der er wiederum zwanzig Jahre später Direktor des Museum Ludwig werden sollte.
Immer Boxfilme
Königs Erstberührung mit zeitgenössischer Kunst bei Zwirner, damals noch in Essen, der Cy Twombly zeigte: „Aber was ich da zu sehen bekam, hat mich vollkommen von den Socken gehauen; es war einfach unglaublich! Ich war ja praktisch noch Spätpubertierender, und das war doch wie Sperma auf Karton! Formen wie ein ejakulierender Penis, graffitimäßig und zugleich hochgradig elegant. Es hat mich zugleich angezogen und erschreckt. Das war ein Schock für mich, aber weniger als künstlerische Phänomen. Mich hat vielleicht sogar weniger der Twombly verblüfft, als dass man das so wertvoll an die Wand hängte.“
Der Schock saß tief, und König der eigentlich Landschaftsarchitekt werden wollte, getraute sich doch, „meinem geheimen Wunsch nachzugehen, und habe bei Zwirner angefragt…“. Durch Zwirner lernte er Konrad Klapheck kennen und bald war der Volontär jeden Mittwochnachmitag bei den Klaphecks. „Da haben wir erst einmal eine Stunde Jazz gehört, dann gegessen, eher ungewöhnliche Sachen, so mit Palmenherzen und Erdnussbutter; seine Frau Lilo war Holländerin. …Das war wie Privatunterricht. Ich musste mir bei ihm auch immer Boxfilme ansehen.“
Kunststiftung NRW macht schlapp
Ein Glücksfall, daß die Reihe Energien/Synergien, deren Band 13 nun mit König die zentrale Figur dieser, sich längst im Niedergang befindlichen Epoche vorstellt. Und ein Jammer ist es, daß die Kunststiftung NRW, die die Buchreihe vor zehn Jahren initierte und seitdem in lockerer Folge einige Protagonisten und Macher des Kunstwunderlands NRW zum Sprechen brachte, aufgegeben wird.
Liegt es am Geld oder am Willen? An beidem scheint´s am Ende arg zu fehlen. Die Kunststiftung NRW, lange eine auf Unabhängigkeit bedachte Agentur für die Kunst im Land, ist an die politische Kette gelegt worden und muß es nun widerstandslos hinnehmen, dass aus ihrem Etat zuletzt an die 800.000 Euro gestrichen wurden. Da schlägt es 13! Das Ende der Buchreihe markiert mehr als man vermuten mag. Es ist eine Zäsur. Es ist das erlahmende Interesse an der eigenen Erfolgsgeschichte. Nicht das Thema ist erschöpft, sondern die kulturpolitischen Geister von heute sind es. Sie wollen sich nicht daran erinnern und nicht daran messen lassen, wie der Aufstieg einst gelingen konnte.
Coyote – stets unterwegs
Das Erstaunliche an König, dem permanenten Quereinsteiger und penetranten Querdenker ist seine Gradlinigkeit. Dabei seine Fähigkeit, ubiquitär und zugleich zentriert zu sein. Seit der junge Mann 1962 in Köln seine Lehre antrat und dort selbst 2012 aus dem Museumsdienst entlassen wurde, ist er, der kein Auto fährt, nun seit gut einem halben Jahrhundert unterwegs in der weitverzweigten Kunstwelt. Richard Artschwager, auch das ist in dem Buch zu lesen, kam ihn auf die Spur: „Kasper König weiß etwas sehr Grundlegendes: daß er ein Tier und keine Pflanze ist. Nun, was für ein Tier? Ich glaube ein Coyote – stets unterwegs.“ London, New York, Halifax, wieder New York, Antwerpen, Münster, München, Düsseldorf, Frankfurt a. M. Und immer wieder Köln wurden zu den wichtigsten Stationen im Leben des Rudolf Hans König, als der er am 21. November 1943 in Mettingen geboren wird.
Klofenster als Ausstieg
Als ihm mal kein Titel für eine geplante Ausstellung einfiel, schrieb er 500 Mark aus. „…Der erste und beste kam von Martin Kippenberger: Kasperltheater“. Eigentlich schade, dass der dann doch nicht zum Zuge kam. Der Vorschlag von Joseph Beuys: „von hier aus“ wurde 1984 zum Titel der Ausstellung neuer deutscher Kunst in den Düsseldorfer Messehallen – der größten und bedeutendsten, die es im NRW-Land bis heute dazu gegeben hat. Als ihn der große Konkurrent Harry Szeemann in einer Kölner Südstadtkneipe traf und wegen der Düsseldorfer Ausstellung zur Brust nehmen wollte, „…bin ich aufs Klo gegangen und durchs Fenster stiften gegangen, um mir das zu ersparen.“ Nicht ersparen sollten wir uns das Buch, wenn wir sozusagen aus erster Hand etwas über die Zusammenhänge und besonderen Bedingungen erfahren wollen, die die Kunst im Land zu einem Weltereignis machten. Das System Kunst, war jung und durchlässig genug, ja hungrig und angewiesen auf einen Coyoten wie König.
Die Frage auf der letzen Seite zielt in die Zukunft, auf die Skulptur Projekte Münster 2017. Königs Antwort: „Ich werde das natürlich genau beobachten und mit allen Beteiligten reden; mehr kann ich da auch nicht machen.“ Doch so ganz geht König dem Land nicht verloren. Für das Folkwang Museum in Essen wird er eine Ausstellung über den Beitrag von Außenseitern zur Kunst kuratieren.
Carl Friedrich Schröer
Alte Hasen
Besonders alten Hasen kamen bisher zu Wort. Häsinnen kommen keine vor, nicht auf den Titelseiten und auch nicht auf der Fragenstellerseite (Ausnahme Irmin Schidt und Jaki Liebezeit von CAN). Legendär sind schon die Hefte zu Karl-Heinrich Müller mit Thomas Kling oder Nam Jue Pais von Peter Moritz Pickshaus, oder auch der zu Werner Schmalenbbach von Eduard Beaucamp.
Die Buchreihe Energien/Synergien wurde von Regina Wyrwoll für die Kunststiftung NRW herausgegeben und von Barbara Könches lektoriert. Walter Grasskamp hat bereits den ersten Band zu und mit Johannes Cladders und auch den achten zu und mit Thomas Grochowiak betreut. Die Hälfte der Zeitzeugen sind unterdessen bereits verstorben.
König plant auf eigene Initiative die Vorstellung aller 13 bisher erschienen Bände in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung seines Bruders und Verlegers Walther König, in Berlin. Das Datum wird noch bekanntgegeben.