Natur, voll künstlich

Die „Königin der Blumenmaler“ Rachel Ruysch wird in München gefeiert

Eine Welt aus tausend Blumen und Früchten. Rachel Ruysch, Obsstillleben mit Blumenkorb, 1714. Vormals Gemäldegalerie Düsseldorf, heute Kunstsammlungen Augsburg

Sie war der Malerstar ihrer Zeit. Eine europäische Zelebrität und selbst schon eine Kuriosität, bekam sie doch im Laufe ihrer langen Karriere zehn Kinder, gewann in einer Lotterie den Hauptpreis von sagenhaften 75.000 Gulden. Sie starb schwerreich und hochbetagt in Amsterdam, das sie zeitlebens nie verlassen hatte. Außer für zwei Besuche am Düsseldorfer Hof. Dabei begann ihre Karriere eigentlich aussichtslos. Als Frau, Ehefrau und vielfache Mutter konnte sie bestenfalls drei, vier Bilder im Jahr malen. Zudem hatte sie sich auf eine Spezialdisziplin geworfen, Blumenstilleben, eine im Malereifach weit untenstehende Gattung. Doch hatte sie einen passionierten Förderer.

Stillleben mit exotischen Früchten auf einem Marmorsims, um 1735, ©Nelson-Atkins

Johann Wilhelm, der politisch ambitionierte wie kunstsinnige Kurfürst von der Pfalz, Herzog von Jülich und Berg, konnte Rachel Ruysch (1664 – 1750) an seinen Hof in Düsseldorf binden. Ruysch wurde 1708 zur ersten Hofkünstlerin. Eine Sensation am Niederrhein und weit darüber hinaus. Mit dem Privileg Hofkünstler wollte sich ihr Patron die gesamte Bilderproduktion seiner Lieblingsmalerin sichern und eigentlich war damit ihre dauernde Anwesenheit in Düsseldorf verbunden.

Doch von Amsterdam umziehen kam für eine Ruysch nicht in Frage. Also machte der Kurfürst eine Ausnahme und ließ die Malerin in der niederländischen Metropole weiter für sich malen. Mindestens zweimal, 1710 und 1713, kam die Berühmtheit aus Amsterdam ins Residenzstädtchen Düsseldorf.

Sie wurde zur ersten Artist in Residence, blieb mehrere Wochen, wenn nicht Monate und malte, was dem geschulten Auge des Prinzen schmeichelte.

Johann Wilhelm war stolz auf seinen Fang, nahm Ruyschs Blumenstilleben in seine privaten Bilderkabinette im Stadtschloss am Rhein auf, später in die neue Gemäldegalerie und Schloss Bensberg. In seinen beiden Kabinetten versammelte der Kurfürst „les plus fines Perles de l´Art“, wie es sein Sprachsekretär Giorgio Maria Rapparini ausdrückte. Jahr für Jahr kamen nun mehr Ruysche Blumenstücke dazu, so dass man sie auf Staffeleien hinzu gesellte, wohl um sie ans Licht tragen zu können und unter die Lupe zu nehmen. Je mehr er seine Machtansprüche scheiterten sah, desto eingehender widmete sich der Kurfürst dem Ausbau seiner Bildersammlung. Wie auch Rachel Ruysch in ihren Gemälden eine reiche, umfassend friedliche Welt aufblühen liess, als das Kolonialreich der Niederländer ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte und der Handel auf den Weltmeeren von anderen Mächten übernommen wurde.

Anna Maria Luisa de’ Medici, Gemahlin des Düsseldorfer Kurfürsten, beschreibt die Prozedur „L´Elettore fà ballare i Quadri“. Johann Wilhelm liebte es, seine Schätze tanzen zu lassen. Der passionierte Sammler nahm sie gelegentlich von der Wand, trug sie ans Tageslicht (seine Bilderkabinette lagen zum Rhein hin) und betrachtet sie mit dem Vergrößerungsglas. In Nahsicht den Schmelz der Farben, die Delikatesse darstellerischer Perfektion, die Wahrheit der Wiedergabe zu genießen, dieses waren seine Freuden der Kunstbetrachtung. Die Meisterwerke der Rachel Ruysch verführen noch heute dazu. 

In Düsseldorf vergessen

Die Geschichte von der Malerin und ihrem Gönner fand im Sommer 1711 ihren Höhepunkt. Johann Wilhelm reiste mit seiner Gemahlin nach Amsterdam, wo das fürstliche Paar aus Düsseldorf am 21. Juli der Taufe von Rachel Ruyschs zehntem Kind beiwohnte. Der Kurfürst übernahm die Patenschaft, Ruyschs Sohn erhielt den Namen Jan Wilhelm. Um seinem Schwiegervater, Cosimo III. de’ Medici, zu imponieren, schickte der Kurfürst zwei Prunkstücke aus der eindrucksvollen holländischen Bildproduktion sogar über die Alpen nach Florenz. Dort befinden sie sich immer noch.

Griff in den Blütenkelch. Rachel Ruysch im Portrait von Michiel van Musscher, 1692, Detailansicht

Hochbetagt starb Rachel Ruysch 1750 als „Königin der Blumenmaler“ in Amsterdam. Sie hinterließ kaum mehr als 230 Werke, die sich schon zu ihren Lebzeiten über alle Länder und die besten Sammlungen verstreut hatten. In ihrer Schaffenszeit über mehr als 65 Jahre hinweg ist das früheste Bild 1681, das letzte 1747 datiert. Noch im hohen Alter vermerkte sie das Datum der Fertigstellung stolz auf jedem Bild, das ihr Atelier verließ. Mit über 120 Kunstwerken aus Europa und den Vereinigten Staaten widmet die Alte Pinakothek (26.11.2024 – 16.03.2025) der holländischen Malerin die erste große monografische Ausstellung. Der Ausstellungstitel Nature into Art, mag dem Zeitgeist geschuldet sein, die Bilder der Rachel Ruysch sind der Hammer, noch immer.

In Düsseldorf hat sich nichts von der famosen Hofkünstlerin erhalten. Kein einziges Bild blieb von ihr. Sie alle gingen mit dem großen Transport ab nach Mannheim, später nach München. Kein einziges Ruysch Werk wurde seitdem angekauft, noch jemals ausgestellt. Man weiß weder wo sie während ihrer Aufenthalte in Düsseldorf wohnte, noch erinnert ein Platz, eine Straße an diese große Malerin. Der Kunstpalast zeigt eine kleinere Kopie, das Stadtmuseum ein feines Familienportrait ihres Maler-Mannes Juriaen Pool.

Was lässt Rachel Ruysch über die Konkurrenz all der anderen, unglaublich vielen, unglaublich geübten Blumen- und Bouquetmaler des bildgewaltigen niederländischen Gouden Eeuw hinausstechen? Wie vermag sie es, auf ihren großen wie eindrucksvollen Tableaus ein wissenschaftlich exaktes Studium der Pflanzen und Tiere mit einer betont ausdruckstarken malerischen Gestaltung zusammenfließen zu lassen? Wissenschaft trifft Chiaroscuro, realistische, detailversessener Naturalismus trifft dramatische Bildeffekte.

Von der Vielfalt der Formen zur geschlossenen Komposition

Wie alles zusammen, das Üppige, Überbordende, das Hyperrealistische, das täuschend Echte, zum Greifen nahe nicht überladen wirkt und nicht in hohle Kunstfertigkeit kippt, verdankt sich einer fein austarierten Balance und einem kunstvoll eingesetztem Beleuchtungseffekt.

Hartes, gerichtetes Licht läßt die einzelnen Blumen klar und scharf aus der Umgebung heraustreten. Dramatische Effekte werden sicher gesetzt. Innere wie äußere Spannungen bringt der Ruysche Naturalismus gesteigert zum Ausdruck. Doch ist es ihre Sache nicht, die möglichst naturgetreue, ungeschminkte Darstellung einer traurigen, tragischen und oft brutalen Realität zu zeigen. Im Gegenteil, ihre Naturschönheiten leuchten um die Wette, fern ist alle Gegenreformation. Ihre Blumenbouquets sind Triumphe der Weltentdeckungen und glanzvolle Feier alles Kreatürlichen.

Wer heute, gut dreihundert Jahre nach ihrer Fertigstellung, Bildern von Rachel Ruysch gegenüber tritt, gerät leicht in einen Sog, oder verfällt gleich dem Ruysch-Rausch. Die schier unübersehbare Fülle der Hervorbringungen der Natur, der wundervolle Zusammenklang der Farben, die Geschlossenheit der Komposition ergeben eine eigene, gesteigerte Attraktivität von nahezu halluzinatorischer Wirkung.

Schönheit und Pracht der Natur treten in einen schwindelerregenden Wettbewerb mit der detailgenauen Wiedergabe noch der geringsten Einzelheiten. Eine virtuose Kunstfertigkeit, Feinmalerei at the peak of perfection, verbindet sich mit höchsten botanischen Kenntnissen. Ihre akribische wie verblüffend realistische Wiedergabe von Blumen, Blütenblättchen, Blütenkelchen, Staubgefäßen, seltenen Früchten, Moosen, Geäst, Kriechtieren, Kröten, Vögeln, Schmetterlingen, Federn und Fellen verbindet sie mit einer neuen malerischen Auffassung von Blumenbildern: niederländisches Stillleben mit Carravagismus.

Blüten-Magie und Ruysch-Rausch

Ihrer Blumenbouquets, stets vor schwarzem Hintergrund, lässt Rachel Ruysch wie kostbare Figuren aus dem Hintergrund heraustreten. Bei aller skulpturalen Geschlossenheit der Arrangements wird eine innere Dramatik, ja Spannung spürbar. Das Chiaroscuro der barocken Malerei überträgt sie auf die Stilllebenmalerei. Caravaggio in Rom und Rembrandt in Amsterdam hatten die Hell-Dunkel-Malerei auf unterschiedlicher Weise entwickelt. Es ging ihnen um den dramatischen Ausdruck, der sie durch ins Licht gerückte Sujets vor dunklem Hintergrund erreichten.

Mit Spitzlichtern und Schlagschatten steigerte Ruysch ihre stillevenschilderes zu Bildern von höchster Dramaturgie und behält dabei im Auge, was als Ziel der zeitgenössischen Kunst galt: In den Erscheinung vielgestaltig, wissenschaftlichen Ansprüchen genügend, ergebe erst die Geschlossenheit der Komposition ein wahres Meisterwerk. Die Summe des Einzelnen und der Einzelheiten, die Vielzahl der Farben, Formen und Effekte müsse doch zu einem Gesamten zusammenwachsen. Harmonie entstehe aus der zur Einheit gefügten Mannigfaltigkeit.

Auf Ruyschs Blumenbildern findet sich kein Hinweis auf einen göttlichen Schöpfer oder Weltenlenker. Doch alle Kreatur des Erdenkreises sieht man hier friedlich und harmonisch versammelt. So ließ sich in auch damals unruhigen Zeiten ihre Kunst wie eine Hoffnung auf ein friedliches Miteinander unterschiedlichster Arten und Formen lesen. Kein Wunder, dass auch weniger kunstsinnige Landesväter und Staatenlenker die Botschaft wohl verstanden.

Die Wespe nagt am reifen Obst. Frühes Blumen-stillleben von 1682 © National Gallery Prague

„Ihre Blumenbouquets sind durch und durch Kunst“, betont Bernd Ebert, Kurator der Münchner Ausstellung und Sammlungsleiter Holländische und Deutsche Barockmalerei der Alten Pinakothek. „Sie täuschen Natur vor. Indem sie völlig realistisch erscheinen, sind sie ganz und gar künstlich. Nie blühten all die dargestellten Blumen aus allen Weltgegenden, Primeln, Narzissen, Lilien, Mohn, Tulpen, Rosen, Dahlien, Anemonen und Passionsblumen gleichzeitig, nie kamen all die Kröten, Käfer, Eidechsen und Falter je auf einem Fleck zusammen. Es sind Kompositionen, um dem künstlerischen, auch kennerschaftlichem Geschmack zu gefallen, ein Erstaunen zu wecken und das Auge zu kitzeln.“

Und sicher blieb ihr der Erfolg treu, weil es Ruysch vollendet gelang, die weite, exotische Welt, die den Reichtum der bestimmenden Kolonialmacht ausmachte, in schönsten Farben und bestem Licht zu schildern. Dieses unique blossoming kommt in kaum einem anderen Werk zur Geltung wie in den Blumenwimmelbildern der Rachel Ruysch. Es ist eine Feier alle diese weit verstreuten Blumen friedlich vereint und gleichzeitig wie für alle Ewigkeit erblüht zu sehen. Die Sehnsucht nach Dauer und Geschlossenheit wird schon damals groß gewesen sein.

Ruysch standen eine hochstehende Ausbildung, eine besondere Maltechnik, besondere Farben und eine eigene Formel zur Verfügung. Sie arbeitet nicht nach der Natur, nicht additiv, sondern frei plastisch. Es geht bei allem um eine Erfindung der Wirklichkeit und Steigerung der Wirkung. Die Ruysche Überwältigungsformel lautet: Verwirrende Vielfalt der Farben und Formen, dramatische Lichtregie, strenger Bildaufbau. Die Verblüffung gelingt: Nie zuvor hatte man das Welttheater der Gleichzeitigkeit in einem Blumenstilleben versammelt und in derart gnadenlos realistischer Weise vor Augen geführt bekommen. Wissenschaftliche Akribie und Augenschmaus, Welttheater der Natur und schöne Selbstbestätigung ihrer Herrscher. Die Überwältigung gelang: Alles so greifbar nah, so echt, so lebendig – und dabei völlig künstlich. Das Glück der inszenierten Täuschung.  

Präparat einer südamerikanischen Wabenkröte wie sie wohl im anatomischen Kabinett von Frederik Ruysch zu sehen war

Ruysch genoss eine gute, ja einzigartige Erziehung, die sich in ihren Gemälden wiederfinden lässt. Ihre Mutter, Maria Post, stammte aus einer angesehenen Familie, ihr Vater war der niederländische kaiserliche Architekt Pieter Post, der es bis Rom und Brasilien gebracht hatte, Onkel Frans Post, war ein führender Landschaftsmaler. Ihr Vater, Frederik schrieb den Thesaurus Anatomicus, wurde ab 1667 Amsterdamer Prälat für Anatomie und später Professor für Botanik und Leiter des Botanischen Gartens der Stadt. In seinem Stadthaus in der Bloemengracht richtete er ein Anatomisches Kabinett ein, das zum Anziehungspunkt in Amsterdam wurde. Seine Tochter Rachel half ihm beim Einrichten hunderter von Dioramen. Eine eigene Injektions-Konservierungsmethode für Leichen machte in zu einer anatomischen Berühmtheit. Die fünf Räume umfassende Sammlung einbalsamierter oder in Wachs gegossener Organe, Tiere, Pflanzen, sowie zahllose andere Kuriositäten, verkaufte er später an den russischen Zaren Peter den Großen, sein Nachlass erwarb August der Starke. Auch Johann Wilhelm aus Düsseldorf besuchte Ruyschs anatomische Wunderkammer.

Seinen beiden Töchtern Anna und Rachel ließ der Vater die beste Ausbildung zukommen. Beide konnten bei dem berühmtesten Stillebenmaler Amsterdams, Willem van Aelst, in die Lehre gehen. Van Aelst hatte Venedig, Florenz und Rom besucht. Rachel wurde zu seiner berühmtesten Schülerin. Anna heiratete früh und gab ihre Laufbahn als Malerin auf. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm sie dessen Geschäft und führte eine der berühmten Farbenhandlungen Amsterdams weiter. Von hier bezog Rachel ihre seltenen Farben, ein besonderes Blau, ein leuchtendes Rot, ein sattes Gelb.

Vom Auseinanderfallen der Blüten zur geschlossenen Form. Rachel Ruysch, Blumenstrauß, 1715, © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Von van Aelst übernahm Rachel Ruysch das Prinzip der diagonal komponierten Blumenbouquets. Doch auch Jan Davidsz de Heem beeinflusste ihre Malweise, vor allem eine zentrale Komposition, wie ihre frühen Blumenarrangements auf Waldboden und -Sträuße zeigen. Während sich die Blüten in kräftigen Farbtönen von Rot, Rosa, Weiß, Blau, Gelb und Ocker von dunklem Grund abheben, wird ein Teil des Bouquets später wie durch einen Scheinwerfer beleuchtet und hervorgehoben. In diesem Lichthof fallen die größten und seltensten Blumen „ins Auge“. Die ausladende Blütenpracht erhält ihr kompositorisches Zentrum.

Carl Friedrich Schröer

Rachel Ruysch – Nature into Art
bis zum 16. März
Alte Pinakothek, München
In Zusammenarbeit mit Toledo Museum of Art (Ohio) und Museum of Fine Arts (Boston).

Kurator:innen: Bernd Ebert (Alte Pinakothek München), Robert Schindler (Toledo Museum of Art, Ohio), Anna C. Knaap (Museum of Fine Arts, Boston)
Unter der Schirmherrschaft von Sophie Prinzessin von Bayern. 


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