Karin Kneffel über Oberflächen und Hintergründe ihrer neuen Bilder

Blick in den Garten

https://vimeo.com/55455166

Wohin das Auge blickt: Bildrätsel

Lichtdurchflutete Innenräume und starkfarbige Schatten sind das Kennzeichen der Malerei der letzten Jahre von Karin Kneffel. Jetzt treten abstrakt anmutende Schriftzüge, lustige Strichmännchen  und Zeichen dazu. Durch eine beschlagene Fensterscheibe blicken wir in eine weite, winterliche Landschaft. Jemand hat mit dem Finger ein flüchtiges Zeichen über das Glas gezogen, wie um eine klarere Sicht zu gewinnen. Kondenzwasser läuft in breiten Spuren und Tropfen an der Scheibe hinab.

Der Blick durch die Scheibe wird durch die Wischspuren um eine optische Ebene bereichert – und eine malerische Herausforderung dazu. Solche Hinterglasbilder bilden eine der neuen Werkgruppen, die Karin Kneffel für ihre Düsseldorfer Ausstellung unter dem rätselhaften Titel „Butter never crossed my mind“ gemalt hat. (Es soll sich um eine beiläufige Äußerung Philip Johnsons handeln, der keineswegs an Butter dachte, als er den Teppichboden für das Restaurant im neuen Segram Building aussuchte).

Eine andere Werkgruppe zeigte Ansichten von nüchternen weißen Einfamilienhäuser, wie sie in den fünfziger Jahre modern waren. Auf die Fassaden läßt die Künstlerin kontrastreich grelle Schatten von Gezweig fallen. Es sind traumversunkene Szenen voller rästelhafter Anspielungen.

Insgesamt zeigt Kneffel in den blendenden Räumen der Galerie Schönewald und Beuse 17 Arbeiten. Die meist querformatigen Bilder in den Formaten 80 mal 120, 130 mal 160 und 180 mal 240 cm kosten zwischen 44.000 und 95.000 Euro. Schon zur Voreröffnung konnte Paul Schönewald den Erfolg vermelden. Alle Arbeiten sind bestens platziert. Sie gehen in deutsche und eine finnische Privatsammlung. Das Diner (unter Leitung von Koch Günther Dellemann) für die gut 200 Previewgäste war bestens, die Stimmung ohnehin.

 

„Es ist schön, beinahe unerträglich schön.“

„Als er eines Tages einen glänzenden Orientteppich betrachtete, der je nach dem silbernen Schimmer, der über den Einschlag der Wolle lief, aladingelb und pflaumenviolett war, hatte er sich gesagt: Es wäre gut, wenn man auf diesen Teppich etwas stellte, das sich bewegte, und dessen dunkler Ton die Lebhaftigkeit dieser Färbungen verschärfte.“

Der junge Aristokrat Jean Floressas des Esseintes entflieht der Gesellschaft, um sich seine eigene Wirklichkeit, rein aus der Komposition künstlicher bzw. künstlerischer Elemente heraus zu konstruieren. Entsprechend seiner Eingebung erwarb Des Esseintes also eine Riesenschildkröte, plazierte sie auf dem Teppich, um sich in die  Betrachtung ihrer Bewegung zu vertiefen.

Jedoch: „Das Negerbraun und das nackte Siena des Rückenschildes beschmutzten entschieden die Reflexe des Teppichs, ohne sie zu beleben; die vorherrschenden Silberschimmer funkelten jetzt kaum mehr und krochen mit den Zinktönen am Rande der matten, harten Schale entlang. […] endlich entdeckte er, dass sein erster Gedanke, der darin bestand, die Flammen des Stoffes durch einen darauf gesetzten dunklen Gegenstand anzufachen, falsch war; vor allem war der Teppich noch zu grell, zu ungestüm, zu neu. Die Farben waren noch zu wenig abgestumpft, zu voll und zu wenig verbraucht; man musste […] die Farben dämpfen, sie verlöschen durch einen funkelnden Gegenstand, der alles um sich herum erdrückte und Goldlicht auf fahles Silber strahlte. […] Er entschloss sich daraufhin, den Panzer seiner Schildkröte mit Gold überziehen zu lassen.“

Des Esseintes ist die Hauptfigur des epochalen Romans „A rebours“ (dt. „Gegen den Strich“) von Joris-Karl Huysmans aus dem Jahr 1884. Der Autor gilt als ein Vertreter des Ästhetizismus, dessen Brotberuf allerdings eine Anstellung im Pariser Innenministerium war. Begonnen hat er als Kunstkritiker.

 

Anspruchsvoll und virtuos

Über ein frühes Teppichbild Kneffels schreibt Marion Ackermann: „Es scheint geradezu ein taktiler Reiz ausgelöst zu werden, man möchte mit bloßen Füßen über dieses Bild laufen. Die Betonung der Flächenhaftigkeit wird durch das wie in Gemälden von Matisse sich wuchernd ausbreitende Ornament verstärkt. Eine Aufsicht auf die Motive ist gegeben, zugleich aber wird der Blick des Betrachters in eine unbestimmte Tiefe gezogen, dabei ist dessen Standpunkt nicht eindeutig geklärt.“ Ackermann sieht Kneffels Werke in der Tradition des Ästhetizismus eines Huysmans, in der Perfektion und Dekadenz, der schöne Schein und die Brüchigkeit der Welt untrennbar miteinander verknüpft sind.

Karin Kneffel ist eine Malerin, deren Werk sich seit Jahrzehnten kontinuierlich entwickelt. Mit einer für die heutige Multimedialität erstaunlichen Beharrlichkeit beschränkt sie sich auf das medium der malerei. Von ihr sind keine Skulpturen, Videos, noch Mix-Media Arbeiten zu erwarten. Dafür entfaltet sie in ihren teils großformatigen gemälden eine komplexe, vielschichtige Welt, die aus einem Realismus der Interieurs heraus den Blick auf eine sch auflösende bürgerliche Welt freigibt. Die malerisch kompexen Bilder künden auch von einer ungebrochenen Lust am Malen, einer originären Leidenschaft etwas mit künstlerischen Mitteln zu entwerfen. Dabei ist das Bild nicht bereits vorher als Konzept oder Kalkül vorhanden: Die Künstlerin kostet erst im Prozess des Malens selbst die Farben und die Möglichkeiten ihres Mediums aus.

 

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eiskellerberg.tv traf Karin Kneffel in der Posamentenfabrik in Düsseldorf kurz nach ihrer ersten Einzelausstellung in New York (Galerie Gagosian, Madison Av.), wo sie eine Reihe neuer Gemälde mit abstrakten, durch den Raum fliehenden Gegenständen zeigte.
Zur DC stellt Kneffel neue Arbeiten unter dem Titel “Butter never crossed my mind” vor, ihre bereits dritte Einzelausstellung in der Galerie Schönewald und Beuse, Lindenstraße 182, 40233 Düsseldorf, bis 02.11.2013.

Karin Kneffel, 1959 in Marl geboren, hat zwischen 1981 und 1987 bei Johannes Brus, Norbert Tadeusz und Gerhard Richter an der Kunstakademie Düsseldorf studiert; sie war Meisterschülerin bei Gerhard Richter. Sie lebt und arbeitet in Düsseldorf und ist Professorin für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste, München.

Einzelausstellungen: Gagosian Gallery, New York (2012), Galerie Fred Jahn, München (2012) und Kunsthalle Tübingen (2010). Gegenwärtig sind Arbeiten der Künstlerin u. a. im Museum Franz Gertsch, Burgdorf/ Schweiz, und im Museum On The Seam, Jerusalem zu sehen.​

Oh my dear!

MOFF hört auf

~ Von Carl Friedrich Schröer, 26.11.2020 ~ Liegt es am November, liegt es am nahenden Jahresende? – die Abschiede mehren sich. Erst ein, dann zwei,

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