Viel Arbeit, läßt aber hoffen

Ateliers Höherweg in Düsseldorf wird zum Modell. Das Künstlerhaus als selbstverwaltete Heterotopie

Wo die Post fünfzehnmal klingelt. Ateliers Höherweg 271 bleibt offen

Wir klappen den Laptop auf, klicken die neue Webseite von a271 an und machen mit einer eigenartigen Weltkarte Bekanntschaft. Ein ziemlich kubistisches Liniengeflecht mit jeder Menge schwarzer Punkte drauf. Die weit über die Karte verstreuten Punkte sind bunt hinterlegt. Alle Künstler, alle Künstlerinnen, die seit 1996 auf dem Höherweg 271 im Düsseldorfer Stadtteil Lierenfeld ein Atelier und dazu eine Wohnung, je 40 qm groß, bezogen haben, leuchten hier auf.

102 Gastkünstler sind schon hier gewesen, eingeladen vom Künstlerverein »Ateliers Höherweg e.V.«. Ein Weltatlas der Gegenwartskunst von Luciana Arditto aus Buenos Aires über Monika Fryčová aus Rejkjavik, Laura Põld aus Tallin, Lena Soulkovskaia aus Minsk zu Christine Streuli aus Zürich, zu Shruti Mahajan aus Bombay, zu Zhen Wie aus Peking, zu Michael Zheng aus San Francisco.

Darauf ist man hier stolz. Das Atelierhaus als Mittelpunkt einer weitgefassten Künstlerweltkarte, obwohl Lierenfeld oder der Höherweg auf der Karte nicht mal eigens verzeichnet sind. Ebenso wenig wie die 14 Künstler und Künstlerinnen, die das Atelierhaus heute im Verein betreiben, darin arbeiten und ihre Kunstwerke in die Welt entlassen. Sie stellen die anderen voran. Sie öffnen ihr Haus anderen, auswärtigen Künstlern. Sie laden ein und stemmen gemeinsam und auf eigene Rechnung, wem sie demnächst das Gastatelier zur freien Verfügung stellen wollen. Damit stellen sie sich in einen Zusammenhang mit einer internationalen Künstlergemeinschaft. Auch diese ist in Gefahr, im Zuge diverser Krisen, Kriege und Grenzregime auseinanderzubrechen. Es ist diese Einladung, die zugleich eine Zuversicht ist, die das Künstlerhaus auszeichnet.

International galt lange als Gütesiegel und Kernvokabel der Modernen Kunst. Das mag in einer durchglobalisierten, zunehmend verhetzten Welt abgegriffen klingen, doch hält hier ein Atelierhaus die Türen offen und stemmt sich so gegen Renationalisierungen und andere Engstirnigkeiten. Das Künstlerhaus als Heterotopie.

Vor gut 30 Jahren lief das 1898 erbaute, lange verwaiste Verwaltungsgebäude der Rheinisch-Westfälischen Stahlindustrie zwei Künstlern über den Weg. Ober vielmehr, Sybille Berke und Jan Kolata liefen ihm auf der Suche nach Atelierräumen in die Arme. Das solide, leerstehende Gebäude schien mit Deckenhöhen zwischen 4,40 und 3,60 Metern perfekt geeignet, um hier Künstlern hohe, lichte Räume für ihre Werkstätten zu bieten. Aber wie bekommt man so einen dicken Fisch an den Haken?

Wie es der Zufall wollte, kurz zuvor hatte man sich in Florenz getroffen. Berke hatte zusammen mit Bernd Mechler und Katharina Grosse (s. unser Gespräch) 1992 den Villa Romana-Preis gewonnen. So konnten sie gemeinsam die alte Vorstadtvilla in Florenz ein ganzes Jahr lang als Atelier nutzen, Kolata kam als Gastkünstler dazu.

Im Auge der Treppe. Jan Kolata schafft seit 30 Jahren im Atelierhaus, Foto: C.F.Schröer

Zurück in Düsseldorf gründeten sie einen Atelierverein. Berke und Kolata, Mechler und Grosse wurden neben Sohei Hashimoto, Martin Kolbe, und Anno Frank Leven die Gründungsmitglieder. So wurde die Villa Romana, auch sie wird von einem Verein getragen, zum Vorbild auch für diese Neugründung. Allerdings mit einer entscheidenden Änderung. Das Düsseldorfer Atelierhaus wird als Modell der Künstlerselbstverwaltung gegründet. Leitung, Jury, Finanzen alles in Künstlerhand. So ist es bis heute geblieben. Und läuft.

Heute arbeiten Andreas Bee, Pia Fries, Gabriele Horndasch, Jan Kolata, Berthold Langnickel, Bernd Mechler, Pirkko Iisalo (Nachlaß Anno Frank Leven), Klaus Richter, Hedwig Rogge, Paul Schwer und Ansgar Skiba im Künstlerselbsthilfevereinshaus.

Die Stadt überliess dem Künstlerverein Grundstück mit Gebäude und Nebengebäuden mietfrei, allerdings mit der Auflage, es auf eigene Kosten und unter eigener Regie instand zu setzen und für die Zwecke der Künstler umzubauen. Der Vertrag hat immer noch Bestand. Dach und Fach, Fenster, Heizung und vieles mehr mußten erneuert, über eine halbe Million Euro aufgebracht werden. Das Künstlerhaus in Eigenregie wurde zum Erfolgsmodell. Die hier aufgenommenen Künstler, 14 plus 1, zahlen keine Miete, sondern je nach beanspruchter Fläche einen Mitgliedsbeitrag, um die Instandhaltungskosten zu tragen.

Auf eigene Verantwortung und eigene Kappe will auch KöX arbeiten. Der gemeinnützige Verein will „guten und bezahlbaren Atelierraum für professionelle Künstler:innen, sowie Arbeitsplätze für kunst- und kulturwissenschaftliche Tätigkeiten bereitstellen“, dazu einen gemeinschaftlichen Kunstort an der Kölner Straße schaffen, mit einem „Fokus auf Solidarität.“ Das Atelierhaus KöX, im Eigentum der Stadt, erstreckt sich über fünf Etagen. Oben die Ateliers, unten ein Raum für Kunstwissenschaftler, dazu Veranstaltungs- und Ausstellungsräume und das Vereins-Café. Der Auftakt mit “Ärger vom Haus” Ende Juni aus dem Nachlass von Max Pimpernelli zeigt eindrucksvoll, wo es hingeht.

Das 30jährige Bestehen des Modellversuchs am Höherweg bietet allen Anlaß zu feiern. Die 14 ansässigen Künstler machen die Türen weit auf und laden zu zwei Ausstellungen ein. Ein kleine, aber exzellente Retrospektive erinnert an den Japaner Sohei Hashimoto, der im vergangenen Jahr in Düsseldorf verstarb. Riëtte Wanders aus Amsterdam ist aktuell artist in residence. Sie stellt im Erdgeschoss neue, im Atelierhaus entstandene Werke aus. Tischfußball wird selbstverständlich auch gespielt, die Kugel wird rollen und härtesten Proben ausgesetzt.

Die Atelierfrage ist das A und O

Als 1978 Sigmar Polke nach Köln verzieht und ihm ein paar Jahre später auch Gerhard Richter und Isa Genzken folgen, schrillen in Düsseldorf die Alarmglocken. So hatte man nicht gewettet. Erst studieren sie hier jahrelang an der Kunstakademie, dann ziehen sie um nach Köln. Der Kampf um die Weltstars machte Schlagzeilen. Schnell wurde bekannt, woran es gelegen hat. In Köln gab es bessere Galerien und vor allem viel bessere Ateliers.

Die Künstlerstadt Düsseldorf hatte ein Leck. Um „die Abwanderung“ zu verhindern brauchte es mehr und vor allem bezahlbare, Amtsdeutsch „mietpreisgedämpfte“ Atelierräume.

Die Schlacht um Ateliers hat zuletzt Düsseldorf gewonnen. Allein die städtische Atelierförderung umfasst heute über 350 Ateliers. Beim Kulturamt ist seit 2021 der Atelierbeirat angesiedelt, um den Bestand zu sichern und noch mehr subventionierte Ateliers zu gewinnen. Vor allem soll „die Arbeits- und Lebensqualität der Düsseldorfer Künstler*innen verbessert und die Bindung an die Kunststadt Düsseldorf gestärkt werden“. Auch Zuschüsse zum Atelierumbau werden von der Stadt gewährt.

Zu den Kunstpunkten, mittlerweile auf zwei Wochenenden (14./15. September (Norden), 21./22. September (Süden) verteilt, stellen 404 Künstler und Künstlerinnen allein in Düsseldorf , von der Kulturpolitik gerne als „Humus“ gelobt, Werke in ihren Ateliers aus.

Doch unterliegen die meisten Ateliers in den Städten Köln und Düsseldorf keinerlei Förderung. Die Künstler finanzieren die Raumieten selbst. Gegen die Abwanderung nach Berlin, war nach 1989 kein Kraut gewachsen. Auch Katharina Grosse zog es 2008 nach Berlin, wo sie sich ein eigenes Atelier baute.

2002 erhalten Bernd und Hilla Becher die Alte Schule in Kaiserswerth als Archiv, Atelier- und Wohnstätte von der Stadt. Über ihren Tod hinaus ist dort ihr Atelier und das Becher-Archiv erhalten. Der künstlerische Nachlass allerdings wanderte nach Köln ab. Was wiederum die Alarmglocken schrillen lies. Die „Fotostadt Düsseldorf“ setzte sich gegen die harte Konkurrenz von Berlin und Essen durch und wird ein neues Bundesinstitut, das Deutsche Fotoinstitut, DFI bekommen.

Auch in Köln regt sich was. Stefan Charles, seit zwei Jahren dort Kulturdezernent macht Wind: „Kölns Kultur im Aufwind – mehr Ateliers, mehr Tanz, mehr Besucher“. Er will „ein Signal setzen und die Zahl der städtischen Ateliers verdoppeln“. 100 neue mietpreisgedämpfte Ateliers will er schaffen. Wobei die schöne Wortschöpfung eine Dämpfung von bis zu 80 Prozent der ortsüblichen Miete bedeutet. Beispielsweise liegen die durch Steuergelder gedämpften Mieten im „Quartier am Hafen” bei derzeit 3,72 Euro/qm Kaltmiete, in der Kwattafabrik bei 2,50, in der Ludolf-Camphausen-Straße (Ateliergröße 750 und 975 Quadratmeter) bei 1,22 Euro beziehungsweise 0,86 Euro pro Quadratmeter.


Mehr zum Thema

Ateliers Höherweg e.V.: https://a271.de/

Sybille Berke: https://sybilleberke.de/

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