Zum Tod von Charly Rummeny

Er lebte für die Kunst

„Manchmal sind es Zufälle, die eine Rolle spielen“

Das sagt sich so leicht: Er lebte für die Kunst. Karl Heinz Rummeny, 1956 in Bad Lippspringe geboren, den alle Welt Charly nannte, lebte für die Kunst, er lebte durch die Kunst und durch sie hindurch. Ob als Künstler, Kunsthistoriker, Kunsthändler (bei Artax) oder Ausstellungsleiter, alles nahm er als Kunst wahr und wandelte dieses große Alles in Kunst um, wie es sich unmittelbar seinem Leben mitteilte und sich mit seinem Leben „zufällig“ verband. Aber leicht nahm er das alles nicht.

Mit 14 Jahren, nach dem schmerzlich erlebten Tod seiner tief im katholischen Glauben verwurzelten Mutter, sieht er „zufällig“ einen unbekannten Mann im Fernsehen und fragt: „Wer ist das?“ Zwei Jahre später springt er in die Bahn und fährt nach Kassel zur Documenta, vom Bahnhof direkt ins Fridericianum. Dort haut er den Mann an: „Haben Sie Zuhause auch eine goldene Badewanne?“ .Ein Gespräch entspinnt sich. Beuys spricht eine ganze halbe Stunde mit ihm. Das Leben des Teenagers aus der tiefen ostwestfälischen Provinz hat eine Witterung aufgenommen. Kunst, im umfassenden Sinn, wird sein Leben, Beuys sein Fixstern und Firmament.

Über Köln, wo er Kunstgeschichte studiert, kommt er nach Düsseldorf zu Gerhard Richter, der ihn zur Kunsterziehung an die Kunstakademie Münster an Timm Ulrichs verweist. Dann endlich doch die Kunstakademie Düsseldorf. Bei Gerhard Hoehme wagt er, Himmel aller Träume, „freie Kunst“, bei Fritz Schwegler schließt er als Kunstpädagoge ab.

Erst spät fällt ihm mit dem PARKHAUS ein Off-Raum im Malkastenpark zu, den er ab 1997 zu seinem eigentlichen Medium machen wird. Diesen Abstellraum wird er in einer Folge von fast 25 Jahren zu seinem Werk entwickeln. Ein Glücksfall, zu dem der Zufall immer freien Eintritt erhielt. 30 Jahre nach Konrad Fischer öffnete sich hier durch Charly Rummeny wieder ein inoffizieller, autonomer Ort in Düsseldorf für die Kunst, an dem die eingeladenen Künstler und Künstlerinnen frei von kuratorischer Einrede oder Verkaufszwängen ihre Werke zeigen konnten.

„Manchmal sind es Zufälle, die eine Rolle spielen“, sagte Charly Rummeny einmal weltweise, wie er es sein konnte. Seine „oszillierenden Planung“ folgte dieser Devise. Das PARKHAUS wurde zu einem Freiraum für internationale junge und jüngst Positionen. Rummeny stand ihnen da keineswegs als Kurator zur Seite oder gar im Wege, vielmehr als Künstler und Kollege. Er öffnete ihnen diesen niedrigen, bescheidenen Schuppen ohne Heizung und Air-Condition, auch ohne Parkettfußboden oder Düsseldorfer Parfumnote. Garantiert eventfreie Zone mitten in Düsseldorf. Mittendrin begegnete ihnen da ein Künstler mit vertrauensvoller Nähe und nachdrücklichem Interesse an allem, was die jungen Positionen auch immer ausprobieren mochten. Katja Davar, Susanne Giering, Sylvie Fleury, Christopher Landoni, Gregor Gleiwitz, Leni Hoffmann, Kleinstar, Michael Pirgelis, Max Frintop, Martin Pfeifle, Luka Fineisen, Manuel Franke oder Michael Sailstorfer erlebten hier erste Auftritte. Dazu gesellte Rummeny ganz nebenbei gestandene Künstler, Joseph Beuys selbstverständlich („Jeder Griff muß sitzen“), Gilbert & George, Wilhelm Mundt, Blinky Palermo (u.a. Neufassung des Wandgemäldes „Treppenhaus“ von 1970), Imi Knoebel, Katharina Fritsch, Christian Macklay und zuletzt Katharina Sieverding.

Aus dem Off überstrahlte dieser Nebenschauplatz ohne eigenen Etat den traditionsreichen, traditionsvergessenen Künstlerverein Malkasten um ein Vielfaches. Das wurde ihm zum Verhängnis. Die Künstler des Vereins ließen das smarte, völlig einzigartige PARKHAUS tatsächlich abreißen und durch einen teuren, klotzigen Neubauriegel ersetzen. Schlichte Renovierung, zeitgemäßes nachhaltiges Bauen? Fehlanzeige. Alte Bäume fielen.

Dieser überaus bescheidene, gewissenhafte, von inneren Kämpfen keineswegs verschonte, bestens vernetzte, humorvolle, ungemein hilfsbereite, der Kunst dienende Künstler hat, kurz vor Toresschluss, die 180. Ausstellung im Parkhaus sich selbst und seiner Kunst „some early works and a new one“ gewidmet. Da durfte man staunen.

Am vergangenen Sonntag ist er freiwillig aus dem Leben geschieden, das für ihn ohne Kunst unvorstellbar unerträglich war. Goodby Charly.

Carl Friedrich Schröer

Hinweis

Die Kunsthalle Düsseldorf zeigte 2011 eine Übersichtsausstellung über die ersten 15 Jahre PARKHAUS.

Bereits im Gespräch war eine erweiterte Ausstellung PARKHAUS II

Unser Film:

Charly Rummeny räumt aus. Ein Trauerspiel

Unser Gespräch:

„Das ist ja auch seltsam/ Liegt alles im Keller“

Karl Heinz Rummeny spricht endlich über sich und das PARKHAUS

Unser Gespräch bekommt Farbe, als ich nach der bevorstehenden Ausstellung mit neuen Arbeiten von Imi Knoebel im PARKHAUS frage. Wir sitzen da und reden über Kunst, Knoebel, Beuys und all die Anderen und endlich auch über das. „Was ist die persönliche Verbindung von Dir zum Deinen Austellungen?“, will ich wissen, höre ich mich fragen, indem ich die Taste meines Diktiergeräts drücke, um seine Antworten aufzuzeichnen.

Das Gespräch führten Carl Friedrich Schröer und Karl-Heinz Rummeny über Mittag des 9. September 2013 auf dem Eiskellerberg in Düsseldorf.

C.F. Schröer:

Was ist Deine Verbindung mit Imi Knoebel) Wie kommst du gerade jetzt auf Knoebel?

K.H. Rummeny : Ja, wieso jetzt?

Gute Frage. Glaubst Du an Zufall? Oder spielt es keine Rolle, wann sich die Ausstellungen bei Dir ereignen? 

Es ist nun mal so, dass ich als Organisator des Parkhauses nie eine festgelegte Planung habe. Es gibt, wenn man so will, eine oszillierende Planung. Manchmal sind es Zufälle, die eine Rolle spielen. Bei Knoebel war es jedenfalls so: Im Hinterkopf hatte ich ihn schon lange. Das Prinzip vom Parkhaus ist, so steht es ja auch in dem gerade erschienenen Buch, dass vornehmlich junge Positionen vorgestellt werden. Aber einmal im Jahr wird dann auch ein Klassiker oder ein etwas berühmterer Künstler genommen, wenn ich ihn dazu gewinnen kann, für den Raum etwas zu entwickeln. Dann wird das natürlich von uns, wir waren ja am Anfang zu dritt, heute von mir, natürlich gerne angenommen. Imi sah ich vor etwa einem Jahr bei einer Ausstellungseröffnung  in der Galerie Petra Rinck in Düsseldorf. Imi und seine Frau Carmen sieht man ja hin und wieder bei Eröffnungen, gerade auch bei Ausstellungen jüngerer Künstler. Einige kennt er ja auch persönlich, etwa Martin Pfeifle, Esther Kläs, Sophie Stolberg oder Stoya, die ich alle schon im Parkhaus ausgestellt habe. Zu deren Eröffnungen kam er dann auch mit Carmen ins Parkhaus. Natürlich kannte ich Knoebel schon lange Zeit vorher, schon zur Zeit meines Studiums an der Akademie, aber zum ersten Mal gesprochen habe ich mit ihm vor der Palermo-Ausstellung.

        Die letzte in der Düsseldorfer Kunsthalle?

Nein, ich meine die Palermo-Ausstellung im Parkhaus. 2003 hatte ich ja die Idee, zu Ehren von Palermos 60. Geburtstags, einige seiner Grafiken zu zeigen. Das habe ich dann auch einigen Leuten erzählt, etwa Stoya oder Sophie Stolberg und bei der Ausstellung von Sophie Stolberg im Februar 2003 kam Knoebel ins Parkhaus, sprach mich an und sagte, er hätte gehört, dass ich Palermo ausstellen wolle. Er hätte da eventuell Arbeiten Palermos für die Ausstellung. Ich war natürlich total glücklich, weil ich ja zunächst nur an Grafiken gedacht hatte. Auch bedingt durch meine Tätigkeit im Kunsthandel ARTAX habe ich selbst einige Palermo-Grafiken gesammelt, wusste aber auch von einigen anderen Grafik-Sammlern, die Palermo-Blätter hatten und dann hatte ich mir die Ausstellung mit etwa 16 oder 20 Grafiken vorgestellt. Ich dachte zusätzlich auch an ein Gespräch mit Freunden Palermos und Zeitzeugen. Das war schon in meinem Kopf, aber dann kam Imi Knoebel und sagte an dem Abend: `Ich habe gehört, dass Sie hier die Ausstellung vorhaben, ich habe vielleicht was für Sie.´ – Daraufhin hat er mich zu sich ins Atelier eingeladen und da sagte er, dass er zunächst an zwei Papierarbeiten gedacht hätte, die er besitzt, aber der Raum wäre ja nicht so sicher und manchmal auch ein bisschen feucht, da wäre er eher vorsichtig. Er habe jetzt eine andere Idee. Da fragte ich natürlich, `Ja, welche Idee haben Sie denn?´ Imi daraufhin: `Ich habe mir den Parkhaus-Raum angeschaut und bemerkt, dass die große Wand in etwa die gleichen Proportionen hat wie die ehemalige Galerie Fischer, wo Palermo ja das Wandbild Treppenhaus direkt auf die Wände gemalt hat 1970.´

          In der Neubrückstraße?

Ja, genau, in der Neubrückstraße. Er sagte dann: `Wie wäre es, wenn Sie dieses Wandbild auf die lange Wand des Parkhauses übertragen?´ – Ich war total perplex, hatte aber das Gefühl, dass Knoebel diese Idee schon vorher hatte. Als er mir sagte, da habe ich was für Sie, hatte er vielleicht schon diese Idee gehabt, denn er äußerte seinen Wunsch, oder besser, er könne sich vorstellen, dass alle oder etliche Wandmalereien Palermos einmal zusammengefasst in einem Museum zu sehen wären.

          Die gibt es ja alle nicht mehr.

Die gibt es alle nicht mehr bis auf eins, was man freigelegt hat in Edinburgh.

          Und es gibt das Blaue Dreieck.

Bei Erhard Klein, wenn du das meinst. Das ist aber auch nicht mehr an seinem Originalplatz. Du weißt ja, das hat der Michael Trier abgenommen und er hat es hat es auf eine Metallplatte aufgezogen. Die Arbeit ist jetzt in Erhards Privatbesitz. Also selbst dieses von Palermo persönlich gemalte Blaue Dreieck ist ja nicht mehr da, wo es einmal war.

        In Morsbroich ist es glaube ich übermalt.

Morsbroich, weiß ich nicht und Hamburg, ich darf das jetzt mal ruhig so sagen, ist für mich eine kleine Lachnummer, was man da gemacht hat. Ich weiß nicht, ob du da im Kellergeschoss der Hamburger Kunsthalle warst. Da hat man in einer kleinen Raum-Nische die Reste der Originalwandarbeit des Hamburger Kunstvereins restauriert, die aber jetzt durchlöchert ist. Palermo hatte ja im Kunstverein Hamburg 1973 diese braunrote Wandmalerei gemacht. Im Gespräch über Palermo, das ich 2003 initiiert habe, mit Kasper König, Ulrich Rückriem, Erhard Klein und Thomas Lange, da sagte Rückriem, Palermo hätte für diese Wandmalerei eine bestimmte rotbraune Farbe benutzt, eine Farbe, die mit Ochsenblut vermengt war. Das weiß ja eigentlich vielleicht kaum jemand, aber Palermo hatte diese merkwürdig braunrote Farbe u.a. eben mit Ochsenblut hergestellt und dann hat er diese ganz schlichte Wandmalerei auf den Raumteilern des Hamburg Kunstvereins  ausgeführt, die ja nach Ausstellungsende wieder übermalt worden ist. Klar, man hat diese  Wände wieder für andere Ausstellungen genutzt, hat reingebohrt, sodass wir jetzt dieses Wand-Fragment mit den Löchern sehen können. Für mich ist das ist ja nur eine wohl gemeinte Reminiszenz, eher eine Reliquie als eine Arbeit.

          Aber diese Wandarbeiten sollen jetzt oder später, wenn Du Knoebel richtig wiedergibst, rekonstruiert werden.

Die könnten rekonstruiert werden, genau so wie ich ja die Wandmalerei im Parkhaus rekonstruieren ließ.

          Ist natürlich schwierig, weil das ist ja in situ gemalt und für diesen speziellen Ort konzipiert worden ist. De Orte bleiben ja nun mal da, wo sie sind. Wenn die Wandarbeiten rekonstruiert sind, müsstest Du da nicht auch die Kubatur des Ortes nachbauen, den Lichteinfall genau so einrichten, wie der Originalort es hergab. Ist vielleicht ein bisschen schwierig.

Das ist ein bisschen sehr schwierig, würde ich sagen. Da müsste man vielleicht auch noch mal Imi befragen. Denn das ist ja… Ich habe es ja von niemand anderem bisher gehört, als von Knoebel.

          Wie viele Wandarbeiten gibt es denn?

Da gibt es eine Dissertation von Susanne Küper, die ich bisher leider nicht gelesen habe. Ich glaube etwa 24 Wandmalereien wird es geben.

          Es kam aber tatsächlich zum „Treppenhaus“?

Ja, jetzt kam es zur Rekonstruktion des „Treppenhauses“. Ich war, wie bereits gesagt, sehr zögerlich zunächst, habe aber sofort Imi Knoebel vertraut. Knoebel ist ein von mir hochgeschätzter Künstler und war einer der engsten Freunde Palermos. Von meiner Seite aus wäre ich ja niemals auf diese Idee gekommen. Ich sagte dann verwundert zu Imi: Genau so gut könnten Sie mir sagen, malen Sie doch die Mona Lisa ab. Also, wo bekomme ich das Copyright her und zweitens, da gibt es ja eine Differenz, die Wand ist nicht dieselbe usw. usf.. Und dann sagte er ganz lakonisch, fragen Sie doch nicht so viel. Aber diese Idee und die Bestärkung durch ihn, der ja nun Palermo aufs Engste kannte, die brachte mich dazu, diese Wandmalerei ausführen zu lassen und ich dachte auch, wenn Du jetzt angegriffen wirst, dann kannst Du Dich ja auf Imi berufen.

          Und wer hat das dann ausgeführt?

Ausgeführt hat es Thorsten Spiekermann, der das wunderbar gemacht hat. Die Wand im Parkhaus, die war ungefähr 40 Zentimeter länger als die Wand in der Galerie von Konrad Fischer.

          Habt Ihr nachgemessen?

Die Originalwand haben wir ja nicht nachmessen können, aber wir haben das alles sehr ernst genommen und richtig Studien betrieben. Das ist nicht mal eben aus dem hohlen Bauch entstanden. Es ist so, dass Palermo 1970 auf der Mecumstraße 31 wohnte und ich wohne zufälligerweise 5 Minuten davon entfernt. Und ich bin dann in dieses Haus gegangen und war total überrascht, dass es dieses Treppenhaus mit der allerdings lackierten Wandfarbe wirklich noch so gibt, mit dieser komischen Mischfarbe, die Palermo auch für seine Malerei genommen hat. Die Wand ist wahrscheinlich schon mal überstrichen worden, man hat aber wahrscheinlich die gleiche Farbe wieder genommen. Das heißt, Du bist wie in eine andere Zeit versetzt, auf einmal bist Du in den 1970er Jahren. Du kannst dir also vorstellen, hier hat Palermo im Obergeschoss gewohnt, diese Treppen ist er immer rauf- und runtergegangen, dieses Treppenhaus hat ihn inspiriert…

          Es war also nicht eine von ihm ausgewählte Farbe?

Ganz sicher bin ich nicht. Er hat sich zumindest ungefähr an die reale Farbe des alten Treppenhauses gehalten. In dem Haus wohnte seine damalige Ehefrau und zwar, soweit ich weiß, im Dachgeschoss.

          Wer war seine damalige Frau?

Warte mal, die habe ich in Berlin besucht… Sie heißt Kristin Heisterkamp.

          Also nicht Babette?

Nein. Babette ist die letzte Freundin von Palermo gewesen. Es gibt zunächst einmal Ingrid Heisterkamp. Sie heiratete später den Maler Christof Kohlhöfer und heißt seitdem Ingrid Kohlhöfer. Sie wohnt übrigens ganz in der Nähe des Parkhauses hier in Düsseldorf und ich habe sie  besucht und mit ihr länger gesprochen. Palermos zweite Frau, die also mit ihm in der Mecumstraße wohnte, lebt heute in Berlin. Auch sie habe ich besucht und lange mit ihr gesprochen… In Berlin wohnt auch der Zwillingsbruder von Palermo, Michael Heisterkamp. Er hatte bis 2003 ein Fotogeschäft in der U-Bahnstation am Wannsee. Ich habe ihn noch vor seinem Geschäft kurz vor Geschäftsaufgabe fotografiert und dann mit ihm in der nahegelegenen Kneipe der U-Bahn-Station Wannsee ein Interview gemacht. Wir haben lange über Blinky gesprochen.

         Klingt wie Ringelreihen: das Eine ergibt sich aus dem Anderen. Man mag das  Zufall nennen oder Willkür oder Durchwursteln oder wie auch immer, Pragmatismus oder Plan, jedenfalls ergibt sich, wie man das von einer lebendigen Szene erwarten darf, das Eine aus dem Anderen. Also wenn du mal nicht mittendrin steckst, verödet das schnell. Je mehr du dich damit beschäftigst und in einen Zusammenhang hineinvertiefst, desto mehr Anregungen und Kontakte und so weiter ergeben sich…

Richtig, ja.

          Zufällig scheint das ja keineswegs.

Die Ausstellungen im Parkhaus, bzw. deren Abfolge haben natürlich auch durchaus eine Struktur, die man vielleicht aber erst später erkennt. … Ich muss natürlich auch erwähnen, daß dieser Raum zu dritt gegründet worden ist. Da haben Gregor Russ und Jost Wischnewski auch ihren Input reingegeben. Bei Gregor war es so, dass er dann 2000 ausgestiegen ist, weil er Vater wurde, er musste jobben. Gregor ist Künstler und er sagte uns dann Ende des Jahres 2000: `Ich habe jetzt einfach nicht mehr die Energie und die Zeit für das Parkhaus. Da steige ich lieber aus und mache einen Schnitt.´ Und bei Jost war es so, dass er bis zur Ausstellung in der Kunsthalle 2008 dabei war. Er hat eben auch viele Ausstellungen organisiert, vor allem mit Künstlern aus Italien und das gab mir dann wiederum mehr Zeit, auch größere Ausstellungen in Angriff zu nehmen.

          Und die Palermo-Ausstellung fiel in diese Zeit?

Palermo fiel in diese Zeit, denn…

          Ist ja ein enormer Zeitaufwand, diese ganzen Recherchen zu betreiben…

Ja, die Recherchen, da und  dahin zu fahren…

          Hast du Deine Reisen und Recherchen dokumentiert?

Ja, die Gespräche mit Kristin und mit Michael Heisterkamp habe ich dokumentiert. Michael Heisterkamp habe ich später ein paar Mal wieder gesehen, etwa bei der Eröffnung der Palermo-Ausstellung in Münster. Michael Heisterkamp ist sehr freundlich, ja diese spontane Herzlichkeit freut mich. Sie ist auch bei vielen Künstlern vorhanden, die wir ausgestellt haben. Also im Grunde ist es eine große Gemeinschaft der Künstler und der an Kunst Interessierten, die aus der Arbeit im Parkhaus heraus entstanden ist. Also ich möchte noch einmal betonen, daß zwei  Mitstreiter am Werk waren. Ab Anfang 2009 mache ich zumindest die Organisation, bzw. die Planung der Ausstellungen allein. Die Ausstellungen machen ja die Künstler selbst, da helfe ich ja nur…

          Nochmal kurz zur Palermo-Ausstellung. Da war das Wandbild zu sehen. Wie wurde das aufgnommen? Das ist ja schon eine Herausforderung, im Parkaus ein Palermo-Wandbild wiedererstehen zu lassen –  und das auch noch als Jubiläumsausstellung. 

Es gab da die unterschiedlichsten Meinungen. Ich habe prinzipiell eine positive Resonanz erlebt. Jetzt muss ich sagen, hat ja im Vorfeld eine Werk-Recherche gegeben. Ich habe auch durch die Hilfe von Christoph Schreier die im Kunstmuseum Bonn vorhandenen Vorstudien zum Treppenhaus anschauen können. Dann habe ich auch andere Künstler befragt, z. B. Norbert Tadeusz, habe Kontakt zu Gerhard Richter aufgenommen. Meine Intention war auch, dass man ein Gespräch mit Freunden und Zeitzeugen macht, was ja auch erfolgt ist. Ich weiß nicht, ob du es im Buch gelesen hast, da sind Auszüge dieses Gesprächs zu lesen. Auch hatte ich zunächst vor, Richter einzuladen, weil es ja auch einige Gemeinschaftsarbeiten von Palermo und ihm gibt. Die  waren ja eng miteinander befreundet. Richter hat damals gesagt, dass er erstens Vieles vergessen habe und zweitens kein Mann des Wortes sei und deshalb nahm er davon Abstand, hat aber meine Unternehmung begrüßt. Aber eigentlich sprachen wir ja darüber, wie ich Imi Knoebel kennen gelernt habe. Also quasi durch die Vorbereitung zur Palermo-Ausstellung 2003.

          Nennen wir es Tiefenbohrung. Über die Knoebel Ausstellung kommen wir zum  Palermo-Treppenhaus: über Artax, wo Du arbeitest finden Palermo-Blätter zu Dir. Und alles kreist ums Parkhaus, persönliche Begegnungen und berufliche Belange.

Ja.

          Und ergab sich was aus der Palermo-Ausstellung?

Du hattest eben nach der Reaktion auf diese Ausstellung gefragt… Ich erinnere, daß Dirk Skreber kam, der sehr interessiert war und dauernd über diese Farbe des Treppenhauses schwadronierte, das wäre ja eine Unfarbe, weil das wäre eine ganz merkwürdige Mixtur. Bei der Farbe habe ich mich ja nicht nur auf die gleichnamige Grafik Palermos verlassen und auch nicht auf die jetzige Originalfarbe des Treppenhauses auf der Mecumstraße, sondern bin, wie gesagt zum Kunstmuseum Bonn gefahren und habe mir die Vorstudien Palermos angeschaut, denn von den Farben in Katalogen kann man ja nicht ausgehen. Also es war eine umfangreiche Recherche.

          Mehrere Reisen.

Ja, mehrere Reisen. Im Moment könnte ich das gar nicht mehr leisten kann. Die Ausstellung mit Imi Knoebel ist schon die 10. Ausstellung in diesem Jahr. Also zur Zeit habe ich das Rad ziemlich schnell laufen lassen.

          Das sind Ausstellungen im Abstand von drei Wochen?

Ja.

          Wie früher in der Kunsthalle Düsseldorf, da gab es sogar einen zwei Wochen Turnus.

In Düsseldorf?

          Ja. Charly Ruhrberg machte Ausstellung auf Ausstellung, alle zwei Wochen was Neues. Heute laufen die Ausstellungen drei, vier Monate lang. Früher war die Schlagzahl eben viel höher.

Kann sein, aber alle 2 Wochen glaub ich nicht. Imponiert hatte mir das bei einem Offraum hier in Düsseldorf Ende der 1990er Jahre. Dieser Off-Raum hieß HORTON, die haben auch so ganz schnelle Ausstellungen gemacht und das hatte mir total imponiert. Wobei: Beides ist ja in Ordnung. Wenn eine Ausstellung mal drei Monate dauert, dann dauert sie halt drei Monate. Können mehr Leute sehen. Also im Moment merke ich nur, dass alle drei Wochen auch die Gefahr birgt, dass man da nicht so ins Detail gehen kann und alles bei den Vorbereitungen ein bisschen oberflächlicher wird. Jedenfalls im Parkhaus-Programm dieses Jahres ist es so, dass nun im Herbst 2013 drei malerische Positionen gezeigt werden. Und zwar war die erste vor drei Wochen: Koen Delaere. Aktuell läuft die Ausstellung mit Gregor Gleiwitz aus Berlin, drei Wochen später kommt Imi Knoebel. Das sind jetzt, wenn man so will, drei Positionen abstrakter Malerei. Das ist aber kein ausgedachtes Konzept von mir; das hat sich einfach so ergeben. Es ist aber nun auch nicht so, das alles beliebig wäre, sondern es hat durchaus eben diese Bezüge etwa zu früheren Ausstellungen. Ich habe ja ganz früh angefangen Palermo zu sammeln. Ich weiß noch, meine erste Arbeit, die ich gekauft habe, war bei Erhard Klein die „Intuitionskiste“ von Beuys. Nein meine erste Arbeit kaufte ich bei Beuys selbst: die Plastiktasche: „So kann die Parteiendiktatur überwunden werden“ auf der Documenta 1972. Die hat er mir für 10 DM verkauft. Joseph Beuys ist für mich ein ganz zentraler Punkt, eine sehr zentrale Figur.

     Die „Intuitionskiste“ ist ein Multiple?

Ja, ein Multiple, die wird dir ja wohl geläufig sein. Das war mein erster Kauf bei Erhard Klein, Mitte der siebziger Jahre für 20 Mark. Ich fand das so lustig, danach habe ich ja angefangen mit Kunstgeschichte in Köln.

          Und du hast die noch, diese Arbeit?

Ja, sicher. Die hängt über meinem Bett. …  Die Beuys-Ausstellung, die ich 2005 organisiert habe, wieder bewusst zu dem Geburtstag des Künstlers am 12. Mai, ist ja im Parkhaus-Katalog zentral aufgeführt. Den Mittelteil des Buches bildet der Vortrag von Johannes Stüttgen: „Vom Superstar zum Geheimtip“. Diese Ausstellung 2005 war übrigens die 3. Beuys-Ausstellung, die ich organisiert habe. Also Beuys habe ich mit 14 Jahren mal im Fernsehen gesehen und das hat mich sofort umgehauen und dann zwei Jahre später, da war ich 16, da bin ich zur Documenta 5 gefahren, 1972, und habe da mit Beuys eine halbe Stunde gesprochen. Das ist so ein persönlicher Zug von mir…

          War es die „Honigpumpe“, die Du gesehen hast?

Nein, das war ja schon wieder fünf Jahre später, 1977. 1972 saß Beuys in seinem Büro für Direkte Demokratie. Da bin ich morgens von Bad Lippspringe aus hin.

          Also warst Du schon auf dem halben Weg nach Kassel.

Auf dem halben Weg nach Kassel. Da bin ich als Schüler hin gefahren und mein erster Schritt war dann sofort zu Beuys. Ich muss jetzt etwas lachen, weil aus meiner jetzigen Perspektive sieht man das ja auch anders, wie so ein Leben verläuft. Das ist ja auch seltsam.

          Mit 16 sich da aufzuschwingen, in diesen großen Teich zu springen, Kassel, Documenta, mit dem Beuys, den musst Du ja auch ansprechen, da musst du dich annähern, das ist ja kein Date und dann stehst du wahrscheinlich erstmal da im letzten Meter, sollst du jetzt oder fährst du wieder um oder… Wie ging das mit dem Gespräch? Du bist ja wahrscheinlich nicht schnurstracks vom Bahnhof dahin und sagtest Hallo, jetzt bin ich da!

Doch, doch. Eine Scheu hatte ich nicht. Also ich hatte durch diesen Fernseh-auftritt sofort das unmittelbare Gefühl einer direkten Ansprache. Ich fühlte sofort, dass mich das, was der sagte, brennend interessiert und bin dann einfach hin und habe da…

          Also vom Bahnhof ab durch die Mitte?

Ja. Noch eklatanter war das dann eben 5 Jahre später bei der „Honigpumpe“. Da war ich der erste an dem Tag, der direkt als die Türen aufgeschlossen wurden, zu Beuys ging. Seine Frau Eva war auch da. Ich habe ihn gefragt, ob ich ihn fotografieren könne und er erlaubte es mir. Dieser Film ist dann aber beim Herausnehmen aus der Kamera gerissen und dann habe ich ihn weggeschmissen. Zu dieser Zeit studierte ich allerdings schon Kunst.

          Wo?

In Münster. Ich habe zunächst zwei Jahre Kunstgeschichte und Germanistik in Köln studiert, wollte aber eigentlich auch immer selbst künstlerisch tätig sein. Das war bei mir in gewisser Weise immer zerrissen und eine sehr gute Freundin sagte damals zu mir: `Willst du denn dein ganzes Leben hinterm Schreibtisch sitzen? Du wolltest doch selbst immer Kunst machen!´ Da bin ich dann mit einer Mappe hier in Düsseldorf vorstellig geworden und war dann direkt bei Gerhard Richter. Der sagte nach Durchsicht meiner Mappe: Ach, gehen Sie doch nach Münster. Das war auch ganz witzig: Ich hatte ihm ein Foto von mir gezeigt, ein Polaroid-Foto, was einen politischen Inhalt hatte. Ich will das jetzt gar nicht in allen Einzelheiten erzählen. Aber mir war in meiner Kunst immer die Inhaltlichkeit wichtig und dieses Polaroid-Foto war verwackelt und irgendwie farbig ausgelaufen und Richter fand das Foto unglaublich geil. Für ihn war es ein Super-Foto, aber was darauf dargestellt war, interessierte ihn überhaupt nicht. Ihn interessierte diese zufällig entstandene, verschwommene Farbigkeit.

          Mit dieser Begegnung und diesem Polaroid ist Richter auf diese Unschärfefotografie gekommen?

(lacht) Ich will damit doch nur sagen, dass jeder eben immer eine eigene Perspektive der Wertung hat.

          Aber er hat nicht gesagt: Bleiben Sie bei mir?

Nein, bloß nicht. Richter sah, dass ich immer etwas vermitteln wollte, irgend-welche Botschaften und das ihn vermutlich gelangweilt. Deshalb ist mir Beuys ja auch nahe, der hat ja auch ganz präzise Botschaften, vermittelt sie aber in einer künstlerischen Sprache. Es gibt etliche, nennen wir sie jetzt mal politisch motivierte Künstler, deren Kunst vielleicht vergänglich ist, weil sie wirklich keine große formale und energetische Kraft besitzt, sondern plakativ irgendwelche Parolen bietet oder sonst wie was. Oder die Aussage, dass die Welt eben schlecht ist. Das können ja viele sagen.

          Stimmt immer.

Stimmt meistens. Man kann aber auch das Gegenteil sagen. Da landen wir gleich wieder bei Imi Knoebel: Pure Freude. Aber Beuys hat mich fasziniert. Also ich muss gestehen, aus meiner Biografie her war es immer schon so, dass ich die Welt als sehr veränderungsbedürftig empfinde.

         Ist das noch lebhaft in dir, dieses Verändern wollen – und das mit Kunst zu schaffen?

Das ist immer absolut mit sehr starken Zweifeln durchsetzt, aber schon immer so gewesen.

        Man könnte mit Kunst sogar wirklich etwas bewegen?

Im Grunde bin ich immer noch ein Anhänger, von Beuys unbedingt, und lasse mir das auch nicht, von niemanden ausreden. Sein Jünger bin ich deshalb noch lange nicht.

          Wobei man bei Knoebel weniger daran denkt. Jedenfalls lässt es sich schwerer vorstellen mit der Knoebelschen Kunst die Welt verändern zu wollen.

Natürlich verändert er die Welt! Jede wirkliche Kunst verändert die Welt. Aber ich beginne erst jetzt, mich mit dem Werk von Knoebel intensiver zu befassen. Palermo lag mir zunächst näher. Knoebel war für mich bisher immer die etwas coolere Variante. Also in der Farbigkeit von Palermo, der ist ein Meister der Farbe, da kann ich Wärme, eine große Sensibilität empfinden. Je mehr ich mich jetzt aber mit Knoebel befasse, bzw. mit seinen Arbeiten, entdecke ich eine starke poetische Qualität, ein sehr tiefes Empfinden.

          Poetisch ja, aber auch Weltveränderungselan?

Das ist natürlich bei Knoebel nicht sofort offensichtlich, ja auch nicht bei Palermo. Auch nicht bei Cy Twombly, mit dem ich genau über diese Problematik gesprochen habe. Also ich muss hier noch mal biografisch reden. Also zunächst ist es wohl eine Eigenschaft von mir, dass ich die Leute, die mich interessieren, auch besuche und mich mit denen austausche. 1981 habe ich Cy Twombly in Rom besucht und nachdem er mir neue Arbeiten in seinem Atelierraum gezeigt hat, ist er mit mir einen ganzen Nachmittag durch die Stadt gelaufen. In unserem Gespräch betonte er, dass er an eine direkte politische Wirkung von Kunst nicht glaube. Wir haben über Beuys, Pasolini, Keats und Rimbaud gesprochen, saßen lange in einem Café direkt vor dem Pantheon und abends lud er mich noch in eine Trattoria in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung ein. Ich wollte damals unbedingt in Rom arbeiten, wegen dem Licht, wegen dem, wie ich meinte, freierem Leben, aber auch wegen Kounellis und Twombly. Ich fragte dann Twombly, ob er mir ein Zimmer zum Malen organisieren könne. Er fragte mich darauf, ob ich denn rumschmiere oder ordentlich sei. Er hätte da ein kleines Appartement in Trastevere. Zu diesem Aufenthalt ist es dann aber nicht gekommen, weil ich zwei Monate später meinen Zivildienst machen musste, in dem ich u.a. Jost Wischnewski kennenlernte. Am Ende des Zivildienstes bekam ich dann eine starke Depression, weil ich mich ja bei Hoehme entschieden hatte, auf keinen Fall Lehrer zu werden. Plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich machen sollte. Mein Vater wollte mich nicht mehr finanziell weiter unterstützen.

       Du warst in der Klasse von Gerhard Hoehme?

Ja, in der Hoehme-Klasse, vom Wintersemester 1979/1980 an bis eben zum Zivildienst 1983. Ich war also zunächst zwei Jahre in Köln, dann an der Akademie in  Münster beim Timm Ulrichs und dann in Düsseldorf. Natürlich wäre ich gern bei Beuys gewesen, hatte aber auch Angst davor, aber das war ja auch sowieso nicht mehr möglich. Ich hatte jedoch zuvor, 1978 eine Ausstellung von Gerhard Hoehme in der Kunsthalle Düsseldorf gesehen und einige seiner Bilder gefielen mir sehr. …

          Waren ja auch Antipoden: Hoehme und Beuys…

Hoehme und Beuys, das ist wieder eine andere Geschichte, die man näher beleuchten kann. Zunächst einmal will ich sagen, was mich an Hoehme fasziniert hat. In der damaligen Ausstellung waren viele Bilder, die mir gefielen, eines besonders. Es hatte den Titel: “Geschichte verträgt keine Sonne”. Also es gibt in dem Werk Hoehmes durchaus politische Impulse, gesellschaftliche Bezüge usw.. Er ist nicht nur stilistisch ein, wie man so sagt, informeller Maler. Er ging darüber weit hinaus. Er ist immer noch ein bei weitem unterschätzter Künstler. Aber nun sprachst Du von den Antipoden in der Akademie: Beuys – Hoehme, man könnte auch weitere nennen, z. Bsp. Beuys – Kricke und Beuys – Bobek.  Man muss allerdings, um das zu verstehen, sich die 1960er Jahre heraufrufen, die ich ja persönlich so nicht mitbekommen habe. Die damaligen Studenten revoltierten, wollten die Vergangenheit der Elterngeneration aufarbeiten, den Muff der Adenauer-Zeit wegfegen, hatten bestimmte Befreiungsideale und gesellschaftliche Veränderungsideale. In dieser Zeit muss man ja auch die beiden Künstler Beuys und Hoehme sehen. Beuys hat natürlich eine viel größere Radikalität gehabt und hat die auch radikal in das Lehrerkollegium eingebracht, hat z. Bsp. den Numerus Clausus abschaffen wollen, die Akademie öffnen wollen und hatte natürlich eine starke Dominanz. Ich meine, dass Hoehme, wie auch Bobek mal eine Zeit lang mit Beuys zusammenarbeiten wollten, nur die beiden Letztgenannten hatten diese Radikalität von Beuys nicht und da gab es natürlich Spannungen. Dann kommt Joseph Beuys ins Lehrerkollegium und sagt am Ende einer Diskussion zu seinen Kollegen: „Ihr seid alle unfruchtbar.“ Das ist ja so passiert. Und dann sagen die natürlich: Der mischt hier die ganze Akademie auf, wir haben da gar keine Schnitte mehr, das wird hier eine Beuys-Institution. So haben die das wieder gesehen. Die haben ja einfach gar nicht diese Radikalität von Beuys gewollt. Die wollten nur gewisse Schritte mitgehen: bis hierher und nicht weiter. Das was Beuys eigentlich wollte, ist ja nicht erreicht worden. Da wurde er eben von Johannes Rau gefeuert. Ich möchte aber auch sagen…

          Ich glaube, Hoehme dachte sehr viel institutioneller als etwa Beuys.

Hoehme wollte einfach „nur“ gute Bilder machen. (lacht) Aber auch Hoehme wollte die Akademie offener strukturieren, aber er meinte mit Sicherheit nicht, dass jeder Mensch ein Künstler ist, um es einmal platt zu formulieren.

          Du hast also dann bei Hoehme zu Ende studiert?

Ja, wobei es dann zum Schluss immer dieser Krampf bei mir war, den Abschluss für das Künstlerische Lehramt eben nicht zu machen, um „rein“ zu bleiben, um so heroisch zu sein, wie man als wirklicher Künstler eben sein muss. Aber dann kommt ja die Realität für jeden jungen Künstler: Wie kann ich überleben, ohne das Geld von Papa? Also den Schritt, ein „freier Künstler“ zu werden, den habe ich nicht vollzogen. Ich bin heute voller Hochachtung vor den Studierenden, die diesen Weg gehen. Ich bin viel zu ängstlich und wenn ich nicht weiß, wo ich die nächste Miete herkriege, dann führt das bei mir einfach zu Existenzängsten und Depressionen. Ich habe auch zu wenig an meine Kunst geglaubt, obwohl ich die damaligen Arbeiten mittlerweile gar nicht so schlecht finde. Irgendwann werde ich das vielleicht auch mal zeigen. Liegt alles im Keller.

          Wie viele Werke gibt es von Dir? Du bist ja noch dabei, du machst ja noch weiter?

Nein, ich mache in dem Sinne nicht mehr weiter. Was ich wohl mache, ist medial irgendwas zu nutzen. Also ich habe gerade in den letzten 10 Jahren sehr viel fotografiert und das finde ich auch gar nicht mal so schlecht. Außerdem habe ich bis Anfang der 2000er Jahre 3 Filme gemacht. Ein vierter steht noch an. Das kann man alles mal zeigen. Aber ich begreife mich jetzt nicht als Künstler. Ich bin aus der Kunst ausgetreten.

         Aber Du hast Dein Studium abgeschlossen?

Ja, ich habe 1986 nach dem Zivildienst endlich das Studium mit dem 1. Staatsexamen für Kunst und Kunstwissenschaft abgeschlossen. Letzteres studierte ich vor allem bei Werner Spies, der mir damals geraten hatte, den Doktor in Kunstgeschichte zu machen. Es war in gewisser Weise eine fatale Situation, da mir sowohl die eigene Arbeit am Herzen lag, ich mich gern aber auch mit anderer Künstlern und deren Werken beschäftigte, ein weiteres Studium aber auch nicht wollte und mich Max Imdahl in Bochum als Doktorand nicht annahm, da er bereits schwer erkrankt war. Außerdem musste ich nun langsam auf eigene Füße kommen, wie das mein Vater immer häufiger ausdrückte.

          Dann hast du den Sprung ins freie Künstlerdasein gewagt?

Naja, ich habe dann nach dem Studium eine Zeitlang durch die Vermittlung von Hoehme in der Galerie Karin Fesel gejobbt und hatte ein kleines Atelier auf der Kölner Straße, in unmittelbarer Nähe zu Reinhard Mucha. Eines Sonntags bin ich dann in die gerade eröffnete Galerie von Ralph Kleinsimlinghaus gegangen, der Arbeiten von Michael Irmer zeigte. Michael hatte auch eine Zeitlang bei Hoehme studiert. Ralph kannte mich durch ein Seminar bei Werner Spies und er fragte mich an diesem Sonntag, ob ich nicht bei ihm arbeiten wolle und ich bejahte das. So arbeiten wir beide nun schon über 25 Jahre zusammen.

          Und dieser Raum, das Parkhaus, trägt ja einen sehr prosaischen Namen  und gleichzeitig auch einen poetischen Namen. Ein Parkhaus ist immer das hässlichste Gebäude der Stadt, aber ein Haus im Park ist natürlich etwas Wunderbares, Großzügiges, auch Idyllisches. Und dazwischen oszilliert es ja auch. Es ist einerseits ein Abstellhaus, andererseits ein Rückzugsort. Ist es selbst  ein Kunstwerk?

Ich denke, nicht der Ort ist die Kunst, sondern die Ausstellungen sind die Kunst.  Eine Zeit lang parken da die Leute ihre Arbeiten oder machen etwas mit oder in dem Raum. Und ich glaube, was da so sich entwickelt, das kann auch durchaus als Kunst wahrgenommen werden, das schon. Aber ich will das gar nicht…

          Nein, sagen wir die Veranstaltung PARKHAUS. Ist das für dich ein Werk?

Ja, das meinte ich doch. Ja, das kann man so sehen, ist mir aber auch egal, wie man das wahrnimmt. Das kann man so oder so sehen.

         Es gibt ja eigentlich nur zwei packende Begriffe.Wenn man jetzt mal von der Kunsthalle und dem Museum absieht, gibt es nur zwei Begriffe in neuerer Zeit für solche Einrichtungen: Schaulager und Parkhaus. Schaulager ist schön, PARKHAUS ist aber auch nicht schlecht.

Ja, die waren aber eher sehr prosaisch gedacht.

          Aber es greift ja auch anders. Da wird die Kunst mal zwischengeparkt.

Aber das ist auch das Haus im Park. Bei Gründung überlegten wir drei im Biergarten des Malkastens: Wie nennen wir jetzt das Kind, wie nennen wir jetzt diese Bude? Und dann kam das ganz spontan zu diesem Namen.

          Weil es ein Werk ist, weil es ja doch stark, Gott sei Dank stark mit deiner Biografie zusammenhängt. Du kennst die Leute. Du hast einen eignen, manchmal  merkwürdigen oder ganz direkten Zugang zu denen, die öffnen sich, dann wirst du weitergeleitet, gehst weiter. Alles kommt aus einer Biografie heraus und es geht auch wieder weit über deine Biografie hinaus. Das ist wie bei einem guten Kunstwerk. Einerseits wurzelt es in der Biografie und dann transformiert es sie und gelangt irgendwohin,  weit hin, wo man es nicht mehr steuern kann, also weit über die Biografie hinaus… Das ist schon erstaunlich, wie alles in deiner Biografie wurzelt, aber gleichzeitig entfleucht es dir auch. Wie Kinder, die werden dann groß und du bist erstaunt, dass es deine sind.

Ja, oder wie ein Werk von Künstlern. Ich meine, wenn du jetzt auch… meinetwegen kommen wir wieder auf Imi Knoebel zu sprechen, der macht dann am Anfang seines Studiums etwas, am Anfang nimmt der einfach weiße Leinwände und malt Striche darauf. Das sind die ersten gültigen Werke von ihm, und dann wendet er sich bestimmten Materialien zu, wie eben der Hartfaserplatte und dann entstehen erst so spröde Objekte im Raum und hinterher nähert er sich der Farbe und probiert die Farben aus und auch das entwickelt sich. Das wusste er ja bestimmt von vornherein so jedenfalls nicht.

          Das ist eine künstlerisch gefasste Biografie.

Ja das ist das Leben. Auch deine Biografie oder besser jede Biografie birgt Überraschungen… und hinterher. Eigentlich ist es ja schön, wenn jedes Leben ein Kunstwerk würde, also wenn man später aus dem Rückblick einiges besser  verstehen und entschlüsseln könnte.

          Ich habe gerade ein Radio-Feature über die neue Goethe-Biografie von dem Rüdiger Safranski gehört. Goethe habe, heißt es dort, früh einen Begriff von seinem Leben als Kunstwerk entwickelt. – Also nicht etwa,  daß er Kunstwerke schafft, Poesie, Literatur, sondern vielmehr, dass er sein Leben zu einem Bogen spannt und ein geglücktes Leben versucht,  dass es ihm glückt. Daß es ihm glückt ist das Kunstwerk. Ein ungewöhnlicher Gedanke heute

Ja, das ist ja wunderbar.

          Einen Bogen spannen und treffen. Also vom Gedanken des Gelingens aus denken und handeln.

Wobei ich natürlich da auch…

          Nicht des Scheiterns.

Ja, aber genau das will ich reinnehmen, jedenfalls die Brüchigkeit will ich reinnehmen. Goethe, das ist immerhin ja auch schon 200 Jahre her.

          Damals gab es auch schon jede Menge Gescheiterte.

Gescheiterte? Aber ich weiß gar nicht so recht, was das bedeutet: Scheitern? Zum Beispiel: Ist das Leben von Palermo gescheitert? Im bürgerlichen Sinne mit Sicherheit. Der wird immer als exzessiv dargestellt und dann stirbt er mit 33 Jahren. Aber was heißt hier gescheitert? Das ist doch Quatsch. Dieses Scheitern wird ja eher in bestimmten Kreisen mystifiziert. Auch Rimbaud ist für mich ein ganz, ganz starker Fixpunkt, Fixstern würde ich fast sagen. Obwohl er mit dem Schreiben aufgehört hat, ist er doch als Dichter nicht gescheitert. Im Gegenteil …  Nietzsche – ist der gescheitert oder Hölderlin? Letztens sagte jemand zu mir: Beuys sei ja wohl gescheitert, im Gegensatz zu Warhol würde er nur am Rande noch wahrgenommen. So ein Blödsinn. Beuys ist doch nicht gescheitert. Eher wir, oder besser gesagt, die ganze Menschheit ist dabei zu scheitern. Es sieht nun so aus, als ob ich Beuys idolisiere. Nee, nee, nee. Er ist nur ein sehr guter Künstler gewesen, ein Anreger, ein Entwicklungshelfer. Kommen wir einmal zum biografischen Teil eines geglückten Lebens. Jeder will doch ein geglücktes Leben, denke ich. Aber heißt das, dass man immer glücklich ist? In dieser Welt, in der wir leben, ist es jedenfalls für viele schwierig, glücklich zu sein, wenn man nicht ständig verdrängen will. Wenn man als wacher Zeitgenosse diese Welt wahrnimmt und das, was sich die Menschen z. B. gegenseitig oder ihrer Umwelt antun, dann finde ich das sehr beängstigend. Viele Menschen sind ja mittlerweile krank, auch seelisch krank. Ich will auch meine vielen Depressionen nicht verschweigen.

          Über die Umstände in der Welt?

Vor allem über die Umstände. Für mich war Kunst auch immer…

          In unserer Generation – Nachkriegsschicksale – merkten wir doch, das muss alles noch aufgearbeitet werden.

Nicht nur das. Wir leben in einer vom Materialismus gekennzeichneten Epoche. Beuys hat ja sehr viel, fast unaufhörlich etwas dazu gesagt? Wir können mit der Frage anfangen: Was ist ein Mensch? Ist das jemand, der pausenlos neue Konsumgüter entwickelt und verbraucht oder in einen technischen Produktions-zwang steckt? Wird er immer mehr nur eine Nummer, die verwaltet und kontrolliert wird? Welche Freiheit hat der Mensch und will er diese überhaupt verantwortlich übernehmen? Das sind ja alles Fragen, die Beuys gestellt hat. Und was mich bei Beuys angesprochen hat, jetzt kommen wir wirklich zu einer sehr persönlichen Geschichte, das ist ja durchaus die Frage nach der Geistigkeit des Menschen, seiner Spiritualität. Der Mensch ist ja nicht nur hier und hat eine Zeitspanne zu leben. Jetzt kommen wir, das meinte ich eigentlich mit der Biografie, z. Bsp. zu der religiösen Erziehung, die ich auch genossen habe. Also meine Mutter, wenn ich das so einwerfen darf, war stark religiös, das hat mich auch sehr geprägt. Mein Vater war Metzger, und diese Polarität, dieser Dualismus auf einer bestimmten Ebene hat mich geprägt, die spüre ich in mir.

          Was heißt sie war stark religiös?

Meine Mutter war sehr gläubig. Das führte dazu, dass ich als Sieben- oder Achtjähriger dachte: Man lebt hier auf der Welt nur 70, 80 oder höchstens 90 Jahre lang, aber im Himmel lebt man doch ewig und wenn man da ewig lebt, dann muss man doch hier auf der Erde alles dafür tun, dass man in den Himmel kommt. Ich habe mir damals auch immer vorstellen wollen, was das denn ist: Unendlichkeit und Ewigkeit. Da wurde mir immer ganz schwindelig. Und dann habe ich mir zum Schluss doch immer ein Buch vorgestellt, dass dann irgendwann zuklappt. Fertig aus! Jedenfalls dachte ich zu der Zeit auch: Wenn Du mal groß bist, denke bloß nicht, dass die Kinder dumm sind und nicht alles verstehen können.

        Deine Mutter war also stark religiös?

Ja.

          Also sie war gläubig und praktizierte auch eine lebhafte Religiosität mit Ritualen, in die Kirchen gehen und so fort…

Ja, aber sie praktizierte ihren Glauben auch. Sie half vielen Menschen, verschenkte viel. Später habe ich dann diese Religiosität als Korsett empfunden, als eine Art Gefängnis, wie ich übrigens vieles als Gefängnis empfinde und mich da immer befreien will.

          Und dein Vater, war der damit einverstanden?

Nein. Der war sicherlich in dem bürgerlichen Sinne auch religiös, sodass man also sonntags zur Kirche ging usw. Tief im Inneren, also darüber habe ich nicht mit ihm gesprochen, glaube ich, war auch durchaus der Glaube an Gott da. Aber ich kann mich noch an eine Situation erinnern, da war ich mit meinem Vater…

          Er hatte in Bad Lippspringe eine Metzgerei?

Ja. Da sind wir zu Bauern gefahren, um Tiere zum Schlachten auszusuchen und da sagte ich auf dieser Fahrt: „Papa, wir stammen doch vom Affen ab.“ Und er fing dann an zu lachen und konnte sich gar nicht einkriegen. Ich sagte, das hat doch Darwin gesagt. – Wie? Wer hat was gesagt? Ich weiß nicht, ob er dann so tat oder wirklich vorher nichts von der Evolutionsgeschichte wusste oder einfach nur über seinen Filius lachen musste. Meine Mutter war jedenfalls sehr spirituell geprägt und wie gesagt, sehr sozial. Jetzt komme ich auf den Punkt, der mich auch bei Beuys immer interessiert hat: die Soziale Plastik. Ich habe letztens wieder mal das Gespräch zwischen Friedhelm Mennekes und Joseph Beuys gelesen (Beuys zu Christus – Eine Position im Gespräch, Stuttgart, 1989). Das sollte man sich mal wieder zur Hand nehmen. Da kann man ja durch Selbstaussagen von Beuys nachlesen, wie stark er diese christlichen Bezüge hat. Das sieht man ja auch in seinen Aktionen: Kreuzteilung, Fußwaschung, etc. Aber was mich da vor allem interessierte und das ist ja ganz real zu nehmen, dass sich in Jesus Christus eben das Göttliche in den Menschen hineinbegeben hat. Das heißt ein geistiges Prinzip ist in die Materie gekommen. Und das Wort ist Fleisch geworden. Das ist ein ganz starkes Revolutionsmoment in der Menschheitsgeschichte und Beuys sieht ja letztendlich die Befreiung darin, dass wir dieses Göttliche auch in uns erkennen. Das hat aber nichts mit der Amtskirche zu tun. Beuys ist ja aus der Kirche ausgetreten.

          Jetzt Beuys schon wieder?

Ja, Beuys. So hätte meine Mutter die Religion natürlich nicht gesehen. Die hat sich immer an die Gebote und vor allem Verbote gehalten. Was war da nicht alles Sünde, unglaublich… Aber kommen wir noch einmal auf das geglückte Leben zurück, auf Goethe und die Deutung von Safranski.

          Was dich besonders störte, war dieser Punkt, also da war die Kirche und…

Ich will von meiner Mutter reden, als einer religiösen Frau, die krank wurde und zwar hatte die eine ALS: Amyotrophe Lateralsklerose. Das ist die Krankheit, die auch Jörg Immendorf hatte. Meine Mutter wurde nur 47 Jahre. Das heißt, sie ist gestorben, als ich 11 Jahre alt  war. Die Krankheit begann 4 Jahre vorher und jetzt rechne dir aus, mit 7 erfährst du als Kind, dass jemand neben dir krank wird und langsam stirbt. Das hat mich auch sehr geprägt.

          Und es war eine unheilbare Krankheit neben dir?

Unheilbar.

          Sie konnte sich nicht retten durch ihren festen Glauben?

Man konnte sie nicht retten. Mit aller Liebe und mit aller Aufopferung und ich glaube auch aller Liebe, die ich ihr als Kind gegeben habe. Ich habe also eigentlich in der Zeit wenig Kind sein dürfen. Ich habe meine Mutter gefüttert und gepflegt, ich war dazu quasi ausgewählt innerhalb dieser Familie, ich habe ja eben noch vier weitere Geschwister, aber ich war eben dazu angehalten, meine Mutter zu pflegen. Also das war mein Job.

          Du warst der Jüngste?

Nein, ich war der zweite. Eigentlich bin ich der Vierte, nur sind zwei meiner Geschwister früh gestorben und somit wurde ich der Zweite. Mein älterer Bruder war damals im Internat und die anderen Kinder waren eben jünger. Das war auch eine schwere Zeit für meinen Vater, da mit 5 Kindern zu stehen, die Frau stirbt weg. Das war schon sehr, sehr schwer. Ansonsten hatten wir ein wohl florierendes…

          Hat das was mit deiner Religiosität getan, indem du sagst, sie ist stark gläubig und  lebendig in ihrem Glauben und erliegt bei fünf Kindern ihrer Krankheit, die durch gar nichts und auch ihren Glauben an Gott nicht aufzuhalten ist?

Also ich weiß nur, als meine Mutter gestorben ist, da ist für mich eine Welt untergegangen. Salopp gesagt war ich auch dem lieben Gott böse. Irgendwie so. Und dann kam ja die Pubertät und dann waren die ersten Glaubenszweifel da, dass so, wie die Kirche uns den lieben Gott vorstellt…

          Du warst gerade 14 Jahre alt, als es passierte.

Ja, richtig. Ich war ja damals durch die Erziehung meiner Mutter stark religiös geprägt. Ich war Messdiener, und da bin ich zum Pfarrer gegangen und habe gesagt, ich kann das ehrlicherweise nicht mehr machen. Ich glaube nicht mehr.

          Und dann kam das Fernsehen mit dem Bericht über Beuys und mit 16 Jahren fuhrst Du zur Documenta.

Gar nicht so schlecht. (schmunzelt) Ich habe diesen Faden so nie gesehen, aber man kann durchaus… Aber ich bin jetzt kein Beuys-Messdiener.

          Wollte ich auch gar nicht sagen.

Ich habe den immer auch kritisch gesehen.

          Er verkörperte eine andere Welt. Da gab es den Tod, die alte Welt ging verloren und unwillkürlich als heranwachsender junger Mann,  ging die plötzlich eine andere Welt auf, die dann Kunst hieß, nicht unbedingt Beuys, die hieß dann Kunst vermittelt durch Beuys… Da gibt es immer einen Zerberus, der da leitet und führt. Dann tat sich die Welt Kunst auf, das war der andere Orientierungsrahmen – bis ist es bis heute.  Über Beuys gibt es ja eine Passage, wo das Religiöse mit im Spiel ist, aber es ist doch auch Kunst und insofern war es praktisch die passende Überleitung. Ohne die andere Welt ganz zu verleugnen, gab es aber das Tor zur anderen Welt.

Richtig. Und ich würde fast sagen in einer gewissen Weise, was ich damals aber gar nicht rational verstanden habe, sondern mehr intuitiv, das ist ja, dass es auch in der Kunst letztendlich um Glauben geht.

          Zumindest geht es um etwas Geistiges. Könnte man auch Glauben nennen?

Was der Beuys, was ich früher nie kapiert habe, wenn der eine Arbeit mit: „Der Große Generator“ betitelte, das ist ja eine andere Vokabel für Gott.

          Das mit dem Glauben finde ich interessant. Es gibt ja bestimmte religiöse Lehren,  die einem Glauben verlangen. Erst wenn du daran glaubst, dann erschließen sie sich und alles Weitere. Alle die nicht glauben, Fragen stellen, Abstand halten, die sind wie blind und werden ausgeschlossen, weil sie diesen Glauben eben nicht haben. Hier sind sich Kunst und Glaube sehr nah. Wenn du also ein Eingeweihter bist, dann buchstabiert sich das ganze Alphabet von A bis Z locker durch, alles erscheint wie durch Zauberhand folgerichtig und voller Weisheit. Wenn du aber ein nicht Eingeweihter bist, dann sind das alles Fragezeichen, alles erscheint als Illusion und Getue. Das ist eine sehr schwierige Grenze. Fanatiker haben gewiss auch eine tiefe Überzeugung, tiefe Inbrunst etc. Genau das kennt man ja von Fanatikern, die sind irrational fixiert auf etwas, und sehen gar nicht, wie sie in ihrem Fanatismus andere ins Verderben reinziehen. Sie sind völlig überzeugt davon, das Gute zu tun. Sie wähnen sich, moralisch überlegen zu sen. Gegen Kritik sind die immun. Durch ihren besonderen Status des Eingeweihtsein schützen sie sich vor anderen Meinungen und Überzeugungen. Auch eine religiöse Inbrunst, die tief empfunden wird, kann in die Irre gehen.

Sondern?

          In die Irre gehen heißt, es löst großen Schaden aus, obwohl es reiner Inbrunst entspringt. Es wurden beispielsweise Menschen auf dem Scheiterhaufen von Leuten aus Glaubenseifer verbrannt. Fanatismus ist auch tiefempfunden.

Das ist generell immer diese Frage der Moral oder der Gebote: Das wichtigste ist doch: Du sollst nicht töten… Also wenn ich schon anfange, fanatisch meine Meinung in die Welt zu setzen als das Allgemeingültige, das ist ja so was von verkehrt. Ich glaube, dass man Überzeugungen haben kann, die sich aber so ausdrücken, dass man nicht sagt, ich bin hier der Wissende, der euch allen anderen erzählt, wo es jetzt langgeht.

          Das meine ich nicht. Was ich sagen will ist, tiefe Überzeugung aus reinem Herzen, schützten nicht unbedingt davor, in die Irre zu gehen.

Das ist richtig. Wobei ich denke, die wahre Erkenntnis oder das Geheimnis des Weltalls, wenn man es jetzt mal so sagen will, oder auch das Geheimnis des Lebens, das sind natürlich jetzt Schlagworte, wenn ich das so sage, aber das ist eigentlich die Liebe. Ich hatte mal ein kurzes Gespräch mit Beuys in Münster, wo er das auch so formuliert hat, dass die Kunst eigentlich eine Form von Liebe ist. Das meine ich auch. Liebe tötet nicht, die lässt immer auch den anderen. Das ist genau das Gegenteil von Fanatismus. Für mich ist Kunst, die wirkliche Kunst, immer auch existentiell begründet. Also Dekoration interessiert mich nicht. Kunst ist eine Aussage eines Kreators, eines Schöpfers, der eben oft intuitiv etwas aussagt über sich, über die Welt, über uns alle und das hat dann dadurch eine Energie und Intensität. Und an diesem schöpferischen Prozess hat etwas anderes Anteil.

          Bei all dieser Arbeit, du hast es ja erzählt, ist es wirklich erstaunlich, wie viele Ausstellungen du schon gemacht hast…

Ach ja, das meine ich jetzt gar nicht. Jeder wirkliche Künstler hat Anteil an der Sozialen Plastik. Jeder Künstler ist ja ein Gebender und der Reichtum der Kunst liegt darin, dass man gibt, sich verschenkt. Jedes Kunstwerk ist ein Geschenk und jede Arbeit sollte dann auch Arbeit für andere sein. Jeder, der seine Arbeit verantwortlich macht und ernst nimmt ist dann ein Künstler. Alles andere zerstört sich von selbst. Alles, was so gemacht wird, um den Kommerz anzuheizen, den Egoismus zu befördern, nur selbstsüchtig die eigenen Interessen verfolgen, das ist alles irrelevant. Ich glaube, dass die Kunst, die übrig bleiben wird, wesentlich von Liebe gespeist wird. Beuys ging ja soweit, dass er sagte, auch  Al Capone war ein großer Künstler. Nur hat er seine Kreativität ins Gegenteil, ins Negative gewendet. Aber so jemand wie Hitler ist für mich niemals Künstler, auch wenn der kreativ war. Diese abgrundtiefe Unmenschlichkeit wird niemals siegen. Das steht für mich außer Frage.

        Noch mal zur Energie der Liebe in der Kunst als Movens, als

        bewegendes Element. Ein schöner Gedanke finde ich, auch überraschend, weil       

        man  ja zuerst an Gestaltung, an Ästhetik denkt, an alle diese Impulse, die sich

        dort wie auch immer manifestieren. Mit Liebe kommt ja ein Begriff, eine Größe 

        hinein, die vollkommen außerhalb dieses Koordinatensystems liegt. Liebe ist keine  

        ästhetische Kategorie.

Ja, der Wärmebegriff.

          Das ist ja kein Vokabular aus der Lehre der Schönheit.

Liebe ist doch immer schön. (lacht)  Ein liebender Mensch ist immer schön, absolut.

          Das interessiert mich. Ich hatte auch Gelegenheit mit ihm zusammenzukommen und mit Beuys zu sprechen, aber du hattest die Gelegenheit, den Kontakt zu halten.

Das wäre zu viel gesagt. Ich habe ihn vielleicht sieben, acht mal gesehen, dreimal mit ihm gesprochen, einmal allerdings in seinem Atelier fast zwei Stunden. Aber für mich sind auch andere Künstler sehr wichtig, z. Bsp. Bob Dylan, ein genialer Sänger und Poet, oder Pasolini oder Rimbaud oder der späte Michelangelo, Piero della Francesca, Twombly, Palermo, Eva Hesse, Rothko, Gilbert & George, etc., etc.. Aber nicht nur diesen großen Künstlern ist ein Leben geglückt. Gott sei Dank haben viele Menschen das Glück eines geglückten Lebens. Das hat aber nicht unbedingt zu bedeuten, dass diese Menschen nicht auch leiden. Ich glaube sogar, dass es ein unendliches Leiden gibt, da wir alle falsch leben. Der von uns Menschen produzierte Zustand der Welt kann doch nur durchlitten werden. Ich würde Beuys doch nicht so lieben, wenn er nicht gelitten hätte. Aber er hat dadurch Erkenntnisse gewonnen. Er hat vieles erkannt, was bei uns im Argen liegt und das schon vor 50 Jahren und hat Lösungsvorschläge erarbeitet.

          Er hatte ja auch das Leiden im Gesichtsausdruck, in seiner gesamten Gestalt…

Er hat ja auch von seinen Krisen berichtet, die drücken sich in den Werken aus. Ohne Krisen geht es doch gar nicht, das weiß doch jedes Kind. Also die Leute, die meinen, sie können ein schönes Plätscherleben führen und immer nur easy going und wir freuen uns alle und diese Spaßgesellschaft, die geht mir dermaßen auf den Sack, weil die alles Negative, das Inhumane, die täglichen Katastrophen verdrängen, die aber doch immer da sind. Und man kann die Zukunft nur verantwortlich gestalten, indem man immer das Ganze in den Blick nimmt, das Helle und das Dunkle, und beides ist ja auch… Man ist sich auch über die Konsequenzen des eigenen Handelns im Klaren. Das scheint mir bei vielen sogenannten Entscheidungsträgern nicht der Fall zu sein.

          Das hat zugenommen. Also du noch auf der Akademie warst, in dieser Zeit kam das erst in Ansätzen hoch. Aber es gab ja andere Ideen, reformerische Gedanken, Aufbruch und Erweiterung, dieser ganze reformerische Impuls. Und doch sind wir in der Spaßgesellschaft gelandet, in der Erfolgsgesellschaft.

Ich würde sagen, in der von der Ökonomie dominierten Gesellschaft.

          Die auf dem Erfolgsprinzip eben basiert, auf dem ökonomischen Erfolg, und damit ist Spaß und Friede, Freude, Eierkuchen das Oberprinzip. Alles andere stört den Konsum. Du musst ja heiter im Supermarkt deinen Wagen rumfahren. Du kaufst  mehr, wenn es easy läuft. Die Verkäuferin muss eben so und so gestylt aussehen, dann kaufst du neben dem Anzug auch noch eine Weste. Und wenn dieses Leichte, Heitere um dich ist, läuft es mit dem Konsum wie von selbst. Diesen reformerischen Impuls, es rumzudrehen, es verändern zu wollen, den gibt es kaum noch. Das muss dich doch zum Wahnsinn bringen!

Das stimmt so ja nicht. Die Macht des sogenannten  rationalen Denkens, der Technik und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche führt dazu, dass man leiser wird. Ich habe aber auch aufgehört mit der Kunst, weil ich unzufrieden mit mir und meinen Arbeiten war und auch aus dem Bewusstsein heraus, dass ich noch diese andere Seite des Kunstvermittelns habe. Das war ja auch schon früh da. Ich habe mich immer auch für die Arbeiten und Biografien anderer Künstler interessiert. Also dieses Talent des Vermittelns.

          Dir war es ja auch ein Anliegen, die Inhalte der Kunst zu vermitteln.

Ja, und das wird ja hier auch in der Arbeit im Parkhaus deutlich. Ich fand das eben ganz schön, als du sagtest, das ist ja wie ein Potpourri und wenn man es genau betrachtet, ist es ja wie eine Melodie oder wie eine Partitur, aber wir wollen das jetzt nicht hochstilisieren.

          Das Eine ergibt sich aus dem Anderen.

Wobei ich jetzt auch ganz kritisch sagen möchte, dass …

          Potpourri wäre mir zu wenig, wäre mir zu bunt.

Partitur fand ich ganz gut.

          Ja, also als flechte sich etwas zusammen… das ist etwas Organisches, aber schön Gewundenes. Potpourri ist mehr so ein buntes Sträußchen.

Ich verstehe, was du meinst.

          Es hat dann durch deine Intensität auch eine klare Kontur, eine Gestalt und ein Profil gefunden.

Wobei ich natürlich auch Experimente wage und manchmal auch nicht weiß, was rauskommt. Das ist ja auch spannend für mich.

          Das wird von der Kunst nicht mehr unbedingt erwartet: Engagement, Veränderungswille. Da ist es durch das auch in der Kunst aufkommende Marktgeschehen zur Allgegenwart des Easy-going gekommen.

Lifestyle.

          Die Arbeit an der Biografie, das Auftreten, das hat ja etwas von Selbstvermarktung. Es gibt ja ganz tolle Künstler, die strahlen dich an, die sind so WOW. Du denkst: Wo haben die das bloß trainiert? Wo haben die das gelernt? Da stimmt alles.

Aber genau über solche Leute lache ich.

          Ist aber doch interessant. Wohin gehen die, wo trainieren sie ihr Gewinnerlächeln? Es gibt Künstler, die bedienen das glänzend, also beileibe nicht nur Jeff Koons. Die sind sehr erfolgreich, Die wissen gar nicht, warum du da verzweifelst. Das sind eben deine Kopfschmerzen. Hast du welche oder hast du keine...

Da muss ich allerdings sagen, daß die Künstler, die mir wirklich nahe gekommen sind, oder die ich liebe – ich sage mal ruhig, die ich liebe -, die hatten immer diese Komponente.

          Wie macht sich das im Programm des Parkhauses deutlich?

Nein, das will ich nicht unbedingt so sagen.

          Also gibt es überhaupt kein Programm?

Nein, kein Programm. Da bin ich sehr offen. Also das sind teilweise auch sehr impulsive und zufällige Entscheidungen. Also vor ein paar Wochen zeigten 5 noch sehr junge Akademiestudenten Ihre Arbeiten unter dem Titel „fragile islands“. Da war ich selbst zunächst einmal Zuschauer, der guckt, was machen die denn jetzt. Ich biete denen eine Plattform und die können da experimentieren. So sehe ich das Parkhaus. Und dann lade ich hin und wieder gestandene Leute ein. Es ist aber eben nicht so, als würde ich eine Galerie führen. Wenn ich eine Galerie zu führen hätte, dann würde ich sicherlich ganz anders aussuchen. Da kämen dann  noch andere Aspekte dazu. Ich muss aber nichts verkaufen. Das ist ja das Schöne am PARKHAUS, die Freiheit.

          Das sehe ich sofort ein. Aber wenn du jetzt sagen würdest, so, ich mache jetzt noch ein Jahr dieses Parkhaus und du würdest jetzt deine Erfahrungen mal zusammenbringen und sagen: So, Freunde, jetzt zeige ich euch mal, was ich da im Kern meine, welches Programm würdest du dann fahren?

Eigentlich würde ich so weiter machen. Vielleicht noch mehr Akzente setzen auf die Leute, die ich ganz toll finde. Das ist doch klar.

          Der Impuls Beuys/Liebe scheint mir dein zentraler Antrieb zu sein. Du hast einen speziellen Blick auf die Welt, wenn du sagst, da und dort gibt es großen Mangel, Defizite, Fehlentwicklungen, da gibt es etwas, das beunruhigt mich sehr, deine Krisenwahrnehmung. Jetzt beschließt Du noch ein Jahr lang Kunst vorzustellen und dann ist Schluß. Welche Kunst käme dann ins PARKHAUS?

Jede intensive Arbeit würde mich reizen. Die Intensität, vielleicht auch Radikalität,         die Ernsthaftigkeit, mit der jemand arbeitet.

          Harry Szeemann hat das mal Obsession genannt.

Ja.

          Also nur Künstler, die aus welchen Gründen auch immer, obsessiv arbeiten.

Ich habe seine „Junggesellen-Maschinen“ hier in der Kunsthalle Düsseldorf gesehen. Die haben mich damals sehr beeindruckt. Der Nachbau einer Foltermaschine nach Kafka. Aber ich weiß eigentlich gar nicht mehr, welche Künstler dabei waren. Auch Szeemanns Documenta V 1972 hat mich schwer beeindruckt.

          Wo Beuys groß in Erscheinung trat…

Ja. Der Impuls Beuys ist heute für mich übrigens immer noch sehr lebendig. Ich weiß nicht, ob du die Riegel-Biografie gelesen hast. Die ist ja völlig schwachsinnig. Und da muss ich sagen, die Journaille schreibt da ab, ohne das einmal kritisch zu lesen. Es gibt ja etliche Journalisten, die schreiben einfach nur ab. So ein Blödsinn. Ich habe Beuys übrigens auch immer kritisch gesehen. Eine kleine Anekdote ist, ich hatte ihn ja Atelier besucht…

          In Oberkassel?

Drakeplatz, in seinem Atelier. Ich hatte ihm dann ein Glas Honig mitgebracht, ihm das auf den Schreibtisch gestellt, dann hat er sich eine Zigarette gedreht. Ich hatte ihm 2 Jahre vorher ein Gedicht von mir geschickt, das ich in der Timm Ulrichs- Klasse geschrieben hatte, das habe ich ihm geschickt und 2 Jahre später besuche ich ihn und das hat mir irgendwie sehr imponiert. Er fragte dann anfangs zu mir gewandt: ´Schreiben Sie eigentlich immer noch Gedichte?` – Fand ich sehr witzig. Dieses Gedicht hatte ich mit 21 Jahren zu einem von Timm Ulrichs herausgegeben Buch mit Textbeiträgen seiner Studenten geschrieben.

Da haben wir lange geredet über diese Thematik insgesamt.

          Welche Thematik?

Die Thematik Kunst und gesellschaftsverändernde Wirkung von Kunst usw., oder ganz allgemein: Was soll Kunst? Das war die Zeit der Raketenstationierung in der BRD, der Friedensbewegung under großen Friedensdemo im Bonner Hofgarten

          Sonne statt Regan?

Ja, das auch: Sonne statt Regan. Das Schönste war eigentlich, dass mir Beuys dann innerhalb unseres Gesprächs zwei oder drei Minuten Schweigen geschenkt hat, denn die Antworten, die er gab, die kannte ich bereits. Ich hatte mich ja wirklich in die Literatur über ihn eingelesen, hatte viele Interviews gelesen.

          Du konntest Beuys auch kritisch sehen…

Ich konnte ihn kritisch sehen. Ich dachte, ich sage es jetzt mal ganz salopp, wir haben ja so gesprochen, wie wir jetzt hier sitzen. Er hat der mir Vieles erzählt, was ich schon kannte. Nur war ich damals mit 22 völlig davon überzeugt, dass diese Welt untergeht, dass diese Welt nur noch, so wie wir sie jetzt hier sehen, vielleicht höchstens noch 100 Jahre existiert. Also das war meine Idee. Ich habe also gesagt: ´Herr Beuys, wie oder wo können wir Hoffnung schöpfen? Und er darauf: ´Hoffnung? brauche ich nicht. Ich sehe jeden Tag Möglichkeiten der Veränderung. Ich sehe immer diese Möglichkeiten. Ich brauche keine Hoffnung.` Und so weiter und os fort. Ich dachte gleich: `Ja, das habe ich schon alles gehört. Der nimmt mich ja gar nicht wahr in meiner Verzweiflung.` Doch dann habe ich gespürt, dass er das gemerkt hat und dann haben wir geschwiegen und guckten zwei oder drei Minuten aus dem Fenster und das war ein sehr, sehr schöner Moment. Als ich mich dann verabschiedete, da musste ich doch noch eine Spitze lassen, weil … was mir nicht gefiel, war diese Personalisierung von Beuys, sein Startum, dass er es zuließ und wie ein Star Autogramme gab und sich als Kultfigur feiern ließ. Das hat mir immer gestunken und das habe ich auch angesprochen und dann habe ich zum ihm gesagt: `Herr Beuys, ein Engel sind Sie aber auch nicht!´ Dann klingelte es und ein anderer Kunststudent kam herein. Ich fragte Beuys noch: `Kann ich wiederkommen?´  Und er: `Ja, selbstverständlich können Sie wiederkommen.´ Eine Woche später habe ich ihn schon wieder angerufen und das war ihm dann doch wohl zu viel und er sagte am Telefon: `Was wollen Sie denn jetzt schon wieder?´ Na ja, das war dann so eine kleine Abfuhr, fand ich. Auch danach habe ich ihn aber noch zwei-, dreimal gesehen.

          Was mich interessiert ist die Frage, was machte Beuys oder etwa auch Otto Muehl für Kunststudenten überhaupt so anziehend. Die waren doch gut eine Generation jünger waren als diese Vorbilder, Nachkriegskinder? Mir ist aufgefallen, dass Beuys und Muehl etwa gleichaltrig waren. Beide kam als junge Männer in den Zweiten Weltkrieg, beide mit traumatischen Fronterlebnissen zurück. Und ganz selbstverständlich haben beide ihren Horror aus dem Weltkrieg durch ihre Kunst und mit ihrer Kunst auszuleben versucht. Der eine so, der andere so. Meine Frage  ist, was interessiert das eigentlich Leute, die das Glück hatten, vom Krieg verschont worden zu sein. Die haben die Erlebnisse ja gar nicht und trotzdem gab es diese Faszination, bei Muehl sogar für dessen autoritäres Gehabe.

Den Muehl habe ich nie kennengelernt. Beuys hat Muehl wohl mal auf dem Friedrichshof besucht. Aber Muehl mit seiner Kommune, das hat mich nicht so angezogen.

          Es ging auch dort um Kunst, um Kunst und Leben.

Da ging es doch um die Befreiung in der Sexualität. Das soll man ja gar nicht leugnen (lacht). Bei Beuys hat mich immer die Spiritualität und diese Geistigkeit interessiert. Also wenn ich das zusammenfasse, dann habe ich einige Leute im künstlerischen Bereich kennengelernt, also Cy Twombly, Kounellis, ich habe Polke gesehen und den und den dazu. Aber mir ist nie ein so faszinierender Mensch wie Beuys begegnet. Vielleicht entfernt noch Warhol. Aber beim Warhol war es mehr die Maske. Warhol habe ich auch immer mit Interesse, aber mehr kritisch gesehen. Den habe ich ja hier in der Galerie Hans Mayer erlebt. Das war ja genau die Zeit, als ich hier anfing, da stellten die gemeinsam aus. Aber beim Beuys war wirklich, ich nenne das mal Aura, immer da. Wenn der da war – und den habe ich immer wirklich so erlebt, dass der eine starke Ausstrahlung hatte, wie ein Sender, der ausstrahlt, und ich habe mich mehrmals mit ihm unterhalten. Ich muss sagen, das mag man vielleicht anzweifeln, aber dieses große Wissen, das er hatte, das hat mich immer fasziniert.

        Das wundert mich!

Doch. Seine philosophische oder auch spirituelle Art. Mir ist kein besserer Lebensentwurf bisher begegnet. Was ich ja gut finde, auch bei Pasolini. In seinem späten Film wird ja auch eher eine Negation dargestellt. Also wenn ich an Salo erinnere, das ist ja auch dann ein absolut pessimistisches Weltbild. Also erst macht er Accatone, Mamma Roma, Das 1. Evangelium nach Matthäus, usw. die hatten ja alle immer diesen sozialkritischen Impetus und auch eine zutiefst humane, sehr poetische Sprache. Also wunderbare Filme. Aber ganz zum Schluss wird es ja doch nihilistisch. Beim Beuys hat mich fasziniert, dass der durch die Krisen durchgegangen ist. Wir können biografisch auch über seine Vergangenheit in der NS-Zeit als junger Mann reden. Da habe ich ein anderes Bild als Herr Riegel. Ich habe Beuys niemals als einen braunen Mitläufer oder Nachläufer gesehen. Der war in der Hitler-Jugend, er hat das ja nie verschwiegen. Über seine riegserfahrungen hat er sich ja auch geäußert, aber darüber könnten wir ein anderes Mal reden. Aber das Weltbild, das Beuys vermittelt hat, das ist für mich heute immer noch aktuell. Die Formen der Vermittlung können sich ändern.
Aber jetzt haben wir ja kaum über das PARKHAUS und über die jungen Künstler gesprochen, die dort ausgestellt haben und die ich noch ausstellen will.


DER ROTE FRIES

Thomas Huber

von Fabian Reifferscheidt Etwas springt ins Auge. Ein aufdringlicher rosaroter Streifen, vom Boden bis zur Hüfte reichend, überzieht die sonst weißen Galeriewände. Schon beim Betreten

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