Thomas Schütte (geb. 1954 in Oldenburg) wird immer mehr zum Phänotyp unserer Zeit. Er ist nach seinem Lehrer Gerhard Richter der weltweit gefragteste deutsche Künstler der Gegenwart – und damit ein vom globalen Kunstbetrieb getriebener und aufgeriebener Künstler. Große Werkblöcke finden sich in der Flick Collection, ebenso wie in der Sammlung François Pinault, Punta della Dogana, Venedig. Im LACMA, Los Angeles war er zuletzt bei “Art of Two Germanys/Cold War Cultures” vertreten, das Haus der Kunst, München, und Reina Sofia, Madrid zeigten “Thomas Schütte” in einer großen Einzelausstellung. Aktuell ist Schütte in der Bundeskunsthalle, Bonn, (15. Juli bis 1. Nov. 2010) zu sehen.
Doch hat das seinen Lebensstil auffällig nicht verändert. Was heute allenthalben als Rettung aus der Krise gepriesen wird, praktiziert Schütte schon seit Jahr und Tag: Entschleunigung und Verweigerung der Ortlosigkeit. Nachdenklichkeit und eine besondere Wertschätzung von Nähe, Beharrlichkeit und praktischer Verstand sind Schüttes probate Gegengewichte in einer überschleunigten Welt.
Eine Factory, ein Studio hat Schütte nie betrieben, auch unterhält er keine Schar eigener Mitarbeiter. Nach wie vor arbeitet er zurückgezogen in einer Altbauwohnung in Düsseldorf, die er vor 22 Jahren bezogen hat, trägt mit Vorliebe kleinkarierte Hemden und nutzt sein Fahrrad, um abends Galerieausstellungen oder Weggefährten der Düsseldorfer Szene zu besuchen. Gleichwohl ist Schütte einer der experimentierfreudigsten und produktivsten Künstler der Gegenwart.
Er pflegt langjährige Freundschaften und hält sich an bewährte berufliche Partner. Die Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf vertritt ihn seit 31 Jahren, die von Rüdiger Schöttle seit 30 Jahren.
Auf den überhitzten Kunstmarkt der letzten Jahre antwortet er mit einer Schaffenskrise und spricht offen darüber. Seit zwei Jahren geht er nun schon nicht mehr ins Atelier. Aquarelle und Entwürfe fertigt er am Küchentisch an.
Zum weltweit gefeierten Starkünstler aufgestiegen, beharrt Schütte nur umso mehr auf seiner eigenen, skeptischen Haltung – nicht ungetrübt und nicht unerschüttert. In Zeiten, in denen sich die zunehmende Beschleunigung als Todesspirale der spätmodernen Gesellschaft herausstellt, erscheint Schüttes Tun und künstlerisches Werk als vorbildlich: unzeitgemäß zeitgemäß. Thomas Schütte, Antistar und letzter Avantgardist? – Allerdings desillusioniert. Bei Komplettausfall des Glaubens an die Moderne und bar jeder Hoffnung auf eine Verbesserung des Menschen durch Fortschritt, oder gar Kunst.
Der Kuchen stand schon auf dem Küchentisch als wir klingelten. “Die Küche ist der kühlste Raum in der Wohnung.” Mit dem Fahrrad war Thomas Schütte in die Stadt gefahren, um seinen Lieblingskuchen (gedeckter Aprikosenkuchen von Heinemann) zu besorgen. Danke für die seltene Fürsorge und das selten offene Gespräch.